T 0709/95 08-01-1998
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Verfahren zur Herstellung von Copolyamiden aus Adipinsäure, Terephthalsäure und Hexamethylendiamin
HÜLS AKTIENGESELLSCHAFT
BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen
I. Die am 18. August 1995 unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr eingegangene und am 26. Oktober 1995 begründete Beschwerde der Einsprechenden BASF Aktiengesellschaft richtet sich gegen die am 11. Mai 1995 verkündete Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 0 154 245 (Anmeldung Nr. 85 101 796.2 der Bayer AG, eingereicht am 19. Februar 1985) gegen den Antrag der beiden Einsprechenden Hüls AG (Einsprechende 01) und BASF Aktiengesellschaft (Einsprechende 02) in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde (Artikel 102 (3) EPÜ).
II. Der angefochtenen Entscheidung lagen am 14. Dezember 1994 geänderte Spalten 1 und 2, zusammen mit unveränderten Spalten 3 bis 5, sowie der am 24. August 1990 eingegangene Anspruch 1, nebst dem am 10. Juni 1992 eingegangenen Anspruch 5 und den unveränderten Ansprüchen 2 bis 4 zugrunde.
Anspruch 1, der einzige unabhängige Anspruch, hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung von Copolyamiden aus Adipinsäure, Terephthalsäure und Hexamethylendiamin mit 25. - 48 Gew.-% Einheiten des Hexamethylenterephthalamids, dadurch gekennzeichnet, daß man 40 -70 %ige, wäßrige Lösung der Monomeren in weniger als 15 min bei einem Druck von wenigstens 35 bar auf wenigstens 250 °C erhitzt und das Wasser in einer oder mehreren Stufen bei einem Druck von 1 - 40 bar abdestilliert, wobei ein Vorkondensat mit einer relativen Viskosität von 1,5 - 2,4 erhalten wird, das in fester Phase nachkondensiert wird."
Die abhängigen Ansprüche 2 - 5 betreffen bevorzugte Ausgestaltungen des Gegenstandes von Anspruch 1.
III. In der genannten Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, der Gegenstand der geänderten Ansprüche 1 und 5 erfülle die Voraussetzungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ und gelte auch als neu. Darüber hinaus beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auch auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik, wie er sich u. a. aus folgenden Druckschriften ergebe:
D3 DE-C-929 151 und
D4 US-A-2 361 717.
Bei der Ermittlung des nächstkommenden Standes der Technik ging die Einspruchsabteilung von der seitens der Patentinhaberin angegebenen Aufgabe/Lösungs-Problematik aus und kam zu dem Schluß, Dokument D3 stelle den nächstkommenden Stand der Technik dar, da es das einzige von den Einsprechenden genannte Dokuments sei, das speziell die Herstellung von Copolyamid 66,6T betreffe. Die wesentlichen Unterschiede des Verfahrens nach Anspruch 1 des Streitpatents gegenüber diesem Stand der Technik bestehen in (a) einer kürzeren Aufheizzeit, (b) einer Vorkondensation bis zu einem spezifischen mittleren Molekulargewicht und (c) einer Nachkondensation in fester Phase. Durch diese Kombination von Merkmalen werde ein gelfreies, völlig lösliches Polyamid 66,6T erhalten. Was D4 betrifft, so ging die Einspruchsabteilung davon aus, daß der Fachmann dieses Dokument bei der Suche nach der Lösung des vorgenannten Problems nicht in Betracht ziehen würde. Die sonst noch genannten Dokumente lägen weiter weg, sodaß sie nicht zu berücksichtigen seien.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 02) bestritt in ihrer Beschwerdebegründung das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit und machte geltend, die von der Einspruchsabteilung zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogene Aufgabe werde nicht glaubhaft gelöst. Die objektiv gelöste Aufgabe bestehe daher darin, ein Verfahren bereitzustellen, das in Ameisensäure teilweise lösliche Copolyamide 66,6T liefere. D3, das als nächstkommender Stand der Technik anzusehen sei, beschreibe nicht nur die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1, sondern auch die Trivialmerkmale Temperatur und Druck. Gemäß D4 werde gleich zu Ende kondensiert und nicht, wie im Streitpatent, zunächst ein Vorkondensat hergestellt, das dann nachkondensiert werde. Da es üblich sei, Vorkondensate, die eine gewünschte Viskosität noch nicht aufwiesen, nachzukondensieren, sieht die Beschwerdeführerin in der Nachkondensation ein Scheinmerkmal, das folglich kein erfinderisches Merkmal darstellen könne. Da kein Hinweis auf irgendwelche Vorteile der Festphasenkondensation zu finden seien, müsse diese mit allen anderen Nachkondensationen gleichgesetzt werden und könne keine erfinderische Tätigkeit begründen.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), die sich zu der Beschwerdebegründung nicht geäußert und Entscheidung nach Lage der Akte beantragt hatte, informierte die Kammer mit Schreiben vom 2. September 1997, daß sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
VI. Die Einsprechende 01, die sich sachlich nicht geäußert hatte, wurde als Verfahrensbeteiligte ordnungsgemäß geladen. Sie teilte mit Schreiben vom 22. September 1997 mit, sie werde an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen.
Mit Fax vom 19. Dezember 1997 teilte die Beschwerdeführerin mit, sie werde ebenfalls nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen.
VII. Die Beschwerdeführerin hatte beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin hatte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 8. Januar 1998 verkündete der Vorsitzende, in Abwesenheit der Parteien, die auf Basis der Aktenlage ergangene Entscheidung der Kammer.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Ausführungen der Einspruchsabteilung zu Artikel 123 (2) und (3) EPÜ wurden von der Beschwerdeführerin nicht angegriffen. Die Kammer sieht keine Veranlassung zu einer Beanstandung.
3. Die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 stützt sich darauf, daß im bekannten Stand der Technik kein Verfahren mit der Merkmalkombination Polyamid 66,6T, einer Aufheizzeit kürzer als 15 min auf mindestens 250 C und einer Nachkondensation in fester Phase beschrieben wird. Sie wurde nicht angegriffen und auch die Kammer sieht keine Veranlassung, von dieser Beurteilung abzuweichen.
4. Gegenstand des Streitpatentes ist ein Verfahren zur Herstellung homogener, d. h. hier von Abbau- und Vernetzungsprodukten (Gelen) freien (vgl. D10, Kirk-Othmer, Encyclopedia of Chem. Technology, Third Edition, Vol. 18 (1982), S. 334, vorletzter Abs. ff), in Ameisensäure vollständig löslichen Polyamiden aus Adipinsäure, Terephthalsäure und Hexamethylendiamin, mit 25. - 48 Gew.-% Einheiten des Hexamethylenterephthalamids.
4.1. Gleichartige Produkte, von denen ebenfalls gesagt wird, sie seien homogen und zu festen verzugsfähigen Fäden verspinnbar, sind bereits aus D3 (vgl. insbesondere Beispiel 3) bekannt. Die Kammer geht daher, wie bereits die Einspruchsabteilung und die Beschwerdeführerin, von D3 als nächstkommendem Stand der Technik aus.
4.2. Die Einspruchsabteilung sah die Aufgabe des Streitpatentes gegenüber D3 darin, ein Copolyamid 66,6T zur Verfügung zu stellen, das vollständig in Ameisensäure löslich, frei von Gelen ist und darüber hinaus ein hohes Maß an Reproduzierbarkeit aufweist (vgl. Pkt.5.1 der Zwischenentscheidung). Die Kammer geht zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von derselben Aufgabenstellung aus.
4.3. Diese Aufgabe soll durch die im Anspruch 1 genannte Verfahrensführung der Polykondensation erzielt werden, die sich von der in D3 genannten im wesentlichen durch a) eine kürzere Aufheizzeit von weniger als 15 Minuten, b) eine Vorkondensation bis zu einem mittleren Molekulargewicht, entsprechend einer relativen Viskosität von 1,5 - 2,4, und c) eine Nachkondensation in fester Phase unterscheidet.
4.4. Aufgrund der Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents, insbesondere der Beispiele und des Vergleichsbeispiels, in dem Löslichkeit in Ameisensäure und Schlagzähigkeit von kontinuierlich (gemäß Streitpatent) und diskontinuierlich (gemäß Stand der Technik) hergestellten Copolyamiden angegeben werden, sieht die Kammer diese Aufgabe auch als glaubhaft gelöst an.
Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin geltend, vorgenannte Aufgabe werde mit den angegebenen Mitteln nicht gelöst, da den genannten Beispielen eine vollständige Löslichkeit der Copolyamide in Ameisensäure nicht entnommen werden könne. Die Kammer stellt hierzu fest, daß der Ausdruck 'löslich' in der Tabelle auf S. 4 der Patentschrift im Lichte der Beschreibung gelesen, vgl. insbesondere Sp. 2, ZZ.21/22, als vollständig löslich zu verstehen ist und die, in diesem Fall beweispflichtige Beschwerdeführerin keine Beweismittel vorgelegt hat, die ihre gegenteilige Behauptung belegen. Der lapidare Hinweis auf ihre gegenteiligen eigenen Erfahrungen, wonach es derzeit keine vollständig löslichen oder absolut gelfreien (Co) Polyamide gibt (Beschwerdebegründung, S. 4, Abs. 4) reicht in diesem Zusammenhang nicht aus, um berechtigte Zweifel an der Erreichung des patentgemäßen Zieles aufkommen zu lassen.
Ferner macht sie geltend, es fehle auch der Nachweis der Reproduzierbarkeit der Produkte. Beweise, daß das beanspruchte kontinuierliche Verfahren keine reproduzierbaren Produkte ergibt, legt sie ebenfalls nicht vor.
Die Kammer sieht deshalb keine Veranlassung von der Auffassung der Einspruchsabteilung abzuweichen.
5. Es ergibt sich nun die Frage, ob sich das zur Lösung dieser Aufgabe angegebene Verfahren für einen Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
5.1. Gemäß Streitpatent werden diese Polyamide durch Erhitzen einer 40 bis 70 %igen wäßrigen Lösung der Monomeren in weniger als 15 min., bei einem Druck von wenigstens 35. bar auf wenigstens 250 C, und Abdestillieren des Wassers bei 260 - 300 C und einem Druck von 1 - 40 bar, in einer oder mehreren Stufen hergestellt, wobei ein Vorkondensat mit einer relativen Viskosität von 1,5 bis 2,4 erhalten wird, das in fester Phase nachkondensiert wird.
5.2. Gegenstand von D3, insbesondere Beispiel 3, ist ein Verfahren zur Herstellung gleichartiger Polyamide im Autoklav durch Reaktion der Salze während 1h bei 250 C, dann 3h bei 270 - 275 C und, nach Abblasen des Überdrucks, 6h bei 270 C. Feste verzugsfähige Fäden können anschließend aus der Schmelze gesponnen werden. Der hierbei erhaltene Kunststoff ist in kochendem Alkohol nicht löslich.
In dieser Druckschrift ist weder ein Hinweis auf die Kombination der im Streitpatent genannten Verfahrensmerkmale, wie z. B. das Erhitzen auf wenigstens 250 C für weniger als 15 min., noch auf in Ameisensäure lösliche 66,6T Copolyamide enthalten.
Durch D3 allein kann somit das beanspruchte Verfahren nicht nahegelegt werden.
5.3. D4 beschreibt ein schon älteres, aus dem Jahre 1944 stammendes Verfahren, bei dem zur kontinuierlichen Herstellung von linearen Copolyamiden eine wäßrige Lösung eines Diamins und einer zweibasigen Carbonsäure eingesetzt wird. Die im Streitpatent genannten Copolyamide aus Hexamethylendiamin und dem genannten Gemisch aus Adipin- und Terephthalsäure werden nicht erwähnt und als Säuren werden lediglich Adipin- und Sebacinsäure genannt (S. 3, linke Sp., ZZ. 42 - 46).
Ziel des darin beschriebenen Verfahrens ist es u. a. ein hinsichtlich der Kosten und der Gleichförmigkeit der hergestellten Produkte verbessertes Verfahren zur Verfügung zu stellen (vgl. S. 3, l. Sp., ZZ. 53 - 56). Bei diesem Verfahren wird das Polymer kontinuierlich hergestellt und anschließend sofort extrudiert, sodaß der Polymerabbau minimiert wird (vgl. S. 3, l. Sp., ZZ. 71 - 74).
Ein Hinweis auf in Ameisensäure vollständig lösliche Copolyamide, insbesondere solche die eine aromatische Komponente, wie Terephthalsäure enthalten, enthält D4 nicht. Das einzige Beispiel betrifft Nylon 66 und die spezifisch genannten Aufbaukomponenten sind ausschließlich aliphatischer Natur. Aromatische Komponenten, insbesondere Terephthalsäure werden nicht erwähnt.
Was die Gelfreiheit bzw. die Löslichkeit in Ameisensäure betrifft, so macht die Beschwerdeführerin geltend, die Bezeichnung linear für die in D4 genannten Polymeren, werde vom Fachmann so gelesen, daß dies als Synonym für gelfrei bzw. Ameisensäure löslich anzusehen sei. Daß dem nicht so ist, ergibt sich bereits aus dem nächstkommenden Stand der Technik D3, wonach die zu Fäden verspinnbaren linearen (vgl. den Wortlaut des Patentanspruchs) Copolyamide 66,6T in kochendem Alkohol unlöslich sind. Hieraus ergibt sich zweifelsfrei, daß linear kein Synonym für gelfrei bzw. in Ameisensäure löslich ist.
Die Kammer kommt, aus vorgenannten Gründen, zu dem Schluß, daß der Fachmann D4 bei der Suche nach einer Lösung seiner Aufgabe nicht in Betracht ziehen würde.
Es erübrigt sich daher näher darauf einzugehen, welche Anregungen der Fachmann, nach Auffassung der Beschwerdeführerin, D4 entnehmen konnte. Insbesondere braucht auf die zur Interpretation der Lehre von D4 herangezogenen Druckschriften nicht eingegangen zu werden.
5.4. Daraus folgt, daß die von der Beschwerdeführerin herangezogenen Dokumente, weder einzeln noch in Kombination, den Gegenstand des Streitpatents nahelegen. Er beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit.
6. Unter der Rubrik 'Zur Problematik des Vergleichsversuches' drückte die Beschwerdeführerin ihr Befremden darüber aus, daß die Einspruchsabteilung ihre Forderung nach Durchführung weiterer Vergleichsversuche fallen ließ. Sie schließt daraus, daß dies eine Reaktion auf den Hinweis der Patentinhaberin "Apparatur leider schon abgebaut ......" darstellt.
Demgegenüber stellt sich der Kammer dieser Sachverhalt völlig anders dar. Die Einspruchsabteilung hat vielmehr, nachdem sie von den Schwierigkeiten bei der Durchführung der geforderten Vergleichsversuche unterrichtet wurde, den ihr gegebenen Ermessensspielraum ausgeschöpft und ist ganz offensichtlich bei einer erneuten Überprüfung zu dem Schluß gelangt, die bereits vorhandenen Beweise reichten aus, das Auftreten des geltend gemachten Effektes glaubhaft zu belegen. Einen Mißbrauch dieses Ermessensspielraums kann die Kammer nicht erkennen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.