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Sylviane Muller

Behandlung von Lupus durch Ausschalten von T-Zellen

Preiskategorie
Forschung
Technisches Gebiet
Biotechnologie
Organisation
ImmuPharma/National Centre for Scientific Research (CNRS)
Für Patienten, die an der Autoimmunerkrankung "systemischer Lupus erythematodes (SLE)" leiden, besteht die Hoffnung, schon bald von einer viel besseren Behandlungsmethode profitieren zu können. Die von der französischen Immunologin Sylviane Muller und ihrem Team am Centre national de la recherche scientifique (nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung) in Paris erfundene Medikation ist die erste Behandlung für diese Krankheit, die nicht nur die Symptome lindert, sondern auch ihr Fortschreiten eindämmt.

Finalistin für den Europäischen Erfinderpreis 2017

 

Lupus ist eine unheilbare Krankheit, bei der das Immunsystem - dessen Aufgabe darin besteht, den Körper gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen - sich nach innen wendet und gesundes Gewebe angreift und ganz normale Abläufe unterbindet. Bisher wurden bei der Behandlung Steroide und Immunsuppressiva eingesetzt. Erstere haben bei langzeitigem Gebrauch erhebliche Nebenwirkungen, letztere hemmen das gesamte Immunsystem und machen den Körper somit anfällig für Infektionen. Mullers neue Medikation, die unter dem Namen Lupuzor vermarktet wird und voraussichtlich 2018 auf den Markt kommt, unterdrückt nur die Aktivität sogenannter "T-Zellen", die mit dem Lupus in Zusammenhang stehen. Gesunde Abwehrmechanismen hingegen bleiben dabei intakt. Der Durchbruch gelang Muller und ihrem Team bereits in den frühen 2000er-Jahren, als sie die Wirkung synthetischer Peptide auf Immunreaktionen untersuchten. Ein Peptid (eine kurze Kette von Aminosäuren), das als P140 bekannt ist, zeigte vielversprechende Eigenschaften: Es wirkte nicht als Immunhemmer, sondern als Immunmodulator, d. h. es veränderte die Immunreaktion des Körpers, und zwar so, dass der Lupus gestoppt wurde. Weitere Untersuchungen zeigten, dass das Peptid den der Krankheit zugrunde liegenden Vorgang der Zellautophagie (abgeleitet von einem griechischen Wort, das "Selbstverzehr" bedeutet) abstellt.

Gesellschaftlicher Nutzen

Weltweit leiden etwa 5 Millionen Menschen an SLE. 90 Prozent davon sind Frauen. Die Prävalenz der systemischen Form der Erkrankung liegt zwischen 40 und 70 pro 100 000 Menschen weltweit. Der lateinische Name "Lupus" bedeutet "Wolf", da bestimmte Symptome an Wolfsbisse erinnern und bei den Betroffenen Hautrötungen zu beobachten sind. Andere Symptome wie Erschöpfung, Gelenkschmerzen und Haarausfall hindern viele Patienten daran, ein normales Leben zu führen. Auch wenn 80 bis 90 Prozent der Patienten, bei denen SLE diagnostiziert wird, genauso lange leben wie Menschen, die die Krankheit nicht haben, so kann SLE den Körper durch Organversagen oder größere Infektionen doch so sehr belasten, dass die Lebenserwartung gesenkt wird.

Wird SLE nicht behandelt, so kann die Krankheit Muskeln, Knochen, Blut (Anämie), Herz, Lunge und Nieren in Mitleidenschaft ziehen. Schätzungen zufolge werden dennoch mehr als 60 Prozent aller Lupus-Patienten nicht adäquat behandelt. Das liegt daran, dass Lupus extrem schwer zu diagnostizieren ist, da die Symptome von Patient zu Patient so unterschiedlich sind, und dass es bislang keine allgemeingültigen Behandlungsmethoden für diese Krankheit gab. Mullers Erfindung bringt hier eine deutliche Verbesserung. Wenn man bereits in größeren Zusammenhängen denkt, so könnte der Mechanismus, der hinter ihrer Erfindung steht, durchaus das Potenzial zum vorteilhaften Einsatz auch in Arzneimitteln für andere Krankheiten haben - sowohl Autoimmun- als auch sonstige Erkrankungen.

Wirtschaftlicher Nutzen

Muller hat zwei Unternehmen mitgegründet, die auf ihren Entdeckungen basieren: Neosystem (heute Polypeptide France) im Jahr 1986 und ImmuPharma im Jahr 2002. Die Erfinderin führt die erfolgreiche Überführung der patentierten Erfindung in ein zukunftsweisendes pharmazeutisches Unternehmen auf die enge Zusammenarbeit mit dem Forscher und derzeitigen Präsidenten von ImmuPharma Robert Zimmer zurück. Zimmer, der ImmuPharma bereits mitgründete, promovierte in Straßburg in Medizin, erwarb einen weiteren Doktortitel an der Universität Aix-Marseille und war in Unternehmen wie Roche in der Pharmaentwicklung tätig.

ImmuPharma vermarktet Lupuzor (das auch unter den Bezeichnungen Rigerimod, IPP-201101 und P140 bekannt ist). Die Markteinführung in den USA und fünf EU-Ländern ist für 2018 vorgesehen. Dank Mullers Durchbruch verspricht dieses Medikament, ein Blockbuster für die Behandlung von SLE zu werden. Basierend auf den Einnahmen, die mit den Lupus-Medikamenten erzielt werden, die aktuell auf dem Markt sind, gehen vorsichtige Schätzungen ImmuPharmas davon aus, dass der jährlich zu erwartende Umsatz mit Lupuzor bei mehr als 940 Millionen EURO liegen könnte. Dabei wird erwartet, dass der US-Markt, wo derzeit ein Verfahren zur beschleunigten Zulassung durch die FDA läuft, 80 Prozent zum Umsatz beitragen wird. Die jüngsten Branchenprognosen von GlobalData gehen davon aus, dass der Umsatz mit Medikamenten zur Behandlung von SLE und Lupusnephritis (LN) - einer in Folge von SLE auftretenden Nierenentzündung - auf den sieben größten Pharmamärkten der Welt bis zum Jahr 2025 auf drei Milliarden Euro steigen wird.

 

Funktionsweise

Die von Sylviane Muller entwickelte Lupusbehandlung basiert auf einem synthetisch hergestellten Peptid. Die Wirkung früherer Medikamente, die das Immunsystem unterdrückten, beruhte darauf, dass sie die Aktivität überstimulierter B-Zellen, die eine Schlüsselrolle bei der Auslösung eines Großteiles der Immunreaktionen des Körpers spielen, hemmten. In völliger Abkehr von diesem bisherigen Ansatz setzt Mullers Peptid P140 in der Kette der Immunabwehr viel weiter oben an. Es schaltet ganz gezielt die sogenannten CD4-T-Zellen aus, bevor diese die B-Zellen, die den Lupus verursachen, überstimulieren können.

Dieser zielgerichtete Ansatz stellt einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen dar. Anstatt die sonst gesunde Immunabwehr zu unterdrücken, werden mithilfe von Mullers Entdeckung die T-Zellen ausgeschaltet, wodurch das Immunsystem zwar modifiziert wird, aber intakt bleibt.

Die Erfinderin

Sylviane Muller erwarb an der Universität Straßburg ihren Doktortitel in Naturwissenschaften. Als Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg lag der Schwerpunkt ihrer Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Immunabwehr. Heute ist Muller Forschungsdirektorin am CNRS und damit Vorgesetzte von mehr als 50 Forschern am CNRS-Labor für therapeutische Immunologie und Chemie des Instituts für Molekular- und Zellbiologie in Straßburg, das sie seit 2001 leitet. Außerdem ist sie Leiterin und Koordinatorin des Zentrums für die Entwicklung von Arzneimitteln gegen Krebs und Entzündungen. Ihre Expertise in der Immunchemie im Zusammenhang mit Peptiden, gepaart mit der Kenntnis über die den Autoimmunerkrankungen zugrunde liegenden molekularen und zellulären Abläufe, führte schließlich zur Entwicklung von Lupuzor.

Muller hat 24 Patente angemeldet - 16 davon beim EPA - und mehr als 330 Forschungsarbeiten und Abhandlungen veröffentlicht.

Für ihren Beitrag zum Verständnis von entzündlichen Autoimmunerkrankungen sowie zu deren Behandlung hat Muller eine Reihe von Auszeichnungen erhalten, darunter darunter der Apollo-B-Award von Roche (2007), die Silbermedaille des CNRS (2010), die Innovationsmedaille des CNRS (2015) und den Grand Prix Léon Velluz der französischen Akademie der Wissenschaften (2016). Das von Muller zur Vermarktung von Lupuzor mitgegründete Unternehmen ImmuPharma wurde von der Zeitschrift "Global Health & Pharma" 2017 zur "Best Specialist Pharmaceutical Development Company" gekürt.

Wussten Sie das?

Etwa 11 bis 15 Prozent der vom EPA erteilten Patente werden von Frauen angemeldet. Dennoch waren Erfinderinnen beim Europäischen Erfinderpreis von Anfang an eine feste Größe, mit der man rechnen muss.

Geht die höchste Auszeichnung in der Kategorie "Forschung" in diesem Jahr an Sylviane Muller, so reiht sie sich in die Riege der weiblichen Preisträgerinnen ein, darunter Catia Bastioli (Kleinere und mittlere Unternehmen, 2007), Ann Lambrecht (Industrie, 2011), Christine Van Broeckhoven (Forschung, 2011), Laura van 't Veer (KMU, 2015) und Helen Lee (Publikumspreis, 2016).

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