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Jens Frahm

Schnellere MRT in Echtzeit

Preiskategorie
Forschung
Technisches Gebiet
Medizintechnik
Organisation
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Die Magnetresonanz-Bildgebung (MRI) als allgegenwärtige Diagnostikmethode verdanken wir dem deutschen Biophysiker Jens Frahm. Jetzt bringt er MRI ins Videozeitalter: mit bewegten Bildern in Echtzeit.

Gewinner des Europäischen Erfinderpreis 2018

 

Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist eines der weltweit am häufigsten eingesetzten Verfahren in der medizinischen Diagnostik. Der Schlüssel zum Erfolg war eine revolutionäre Aufnahmemethode, die als "Fast Low Angle Shot" (FLASH) bezeichnet wird. 1985 von dem deutschen Physikochemiker Jens Frahm fertiggestellt, beschleunigte FLASH die Erzeugung von MRT-Bildern um den Faktor 100. Damit konnte die Aufnahmezeit von einem halben Tag auf wenige Minuten reduziert werden, und so wurde das Verfahren schnell zum klinischen Standard. Mit FLASH 2 legte der Erfinder noch einmal nach. Dieses Verfahren liefert die ersten bewegten MRT-Bilder in Echtzeit mit bis zu 100 Einzelaufnahmen pro Sekunde.

Bevor Frahms bahnbrechende Erfindung ins Spiel kam, war die MRT als diagnostisches Verfahren noch untauglich. Als 1977 erstmals ein MRT an einem Menschen gemacht wurde, dauerte es vier Stunden und 45 Minuten, bis ein dreidimensionales Bild erzeugt war - viel zu lange für die medizinische Praxis.

Was die Geschwindigkeit in den frühen 1980er-Jahren so drastisch erhöhte, war ein geniales Verfahren, das Jens Frahm am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen entwickelte: FLASH bringt die Atome, die sich mit dem Magnetfeld ausrichten, in einen flacheren Winkel und macht es damit möglich, ultrakurze Signalimpulse in schneller Abfolge abzugeben, wodurch man schnellere Messungen erhält. Damit können die MRT-Scanner sämtliche für ein dreidimensionales Bild erforderlichen Aufnahmen innerhalb von wenigen Minuten machen, für zweidimensionale Aufnahmen dauert es nur Sekunden.

Der Rest ist Geschichte: Führende Hersteller übernahmen die patentierte Technologie innerhalb von Monaten nach ihrer Veröffentlichung, und die Anzahl im Einsatz befindlicher MRT-Geräte stieg weltweit rasant an.

"Die Bildgebungsmethode, die wir damals entwickelten, ist seither die Grundlage für alle medizinischen Magnetresonanzanwendungen auf der Welt", berichtet der Erfinder. 2010 stellte Frahm dann die Weiterentwicklung vor: FLASH 2 kombiniert das Prinzip der FLASH-Technik mit moderner computerbasierter Bildrekonstruktion, und erreicht auf diese Art Aufnahmegeschwindigkeiten von bis zu 100 Einzelbildern pro Sekunde. Damit gelingt in der MRT-Technologie der Schritt von der Fotografie zur Videografie.

Gesellschaftlicher Nutzen

Nachdem MRT-Geräte dank der FLASH-Technologie so viel schneller geworden waren, wurden sie schnell zum neuen Standard in der medizinischen Bildgebung. Sie lieferten dreidimensionale Bilder in hoher Auflösung von sensiblen Körperregionen wie dem Gehirn, dem Herzen oder dem Abdomen - und das ganz ohne schädliche Strahlung wie beim Röntgen.

Heute werden weltweit jedes Jahr mehr als 100 Millionen MRTs angefertigt, und bei allen kommt das FLASH-Verfahren zum Einsatz. Das sind drei MRTs pro Sekunde! Bei der globalen Bewertung von Gesundheitssystemen gilt die Verfügbarkeit von MRT-Untersuchungen als bedeutender Indikator für die Qualität der Versorgung. Weltweit sind heute 36 000 MRT-Geräte im Einsatz. Allein in Deutschland hat sich die Anzahl der MRT-Untersuchungen in der ambulanten Gesundheitsversorgung fast verdreifacht: Waren es im Jahr 2000 noch 38 Untersuchungen, die auf 1 000 Einwohner kamen, so war diese Zahl bis 2014 auf 108 geklettert.

Patienten werden künftig auch von FLASH 2 profitieren, das sich derzeit in Deutschland, Großbritannien und den USA in der klinischen Erprobung befindet. Es liefert erstmals dreidimensionale Videos von schlagenden Herzen, sich bewegenden Gelenken und komplexen Prozessen wie dem Schluck- oder dem Sprechvorgang. "Wir können jetzt physiologische Vorgänge sichtbar machen, die wir nie zuvor gesehen haben", erklärt Frahm. FLASH 2 hat bereits 50 Doktorarbeiten mit vielen neuen diagnostischen Erkenntnissen hervorgebracht.

Wirtschaftlicher Nutzen

Frahms Erfindungen führten zu Schlüsselpatenten für das FLASH-Verfahren. Sie wurden 1987 in den USA und 1989 in Europa erteilt. Diese Patente brachten aber zunächst keine Einnahmen ein, da drei der größten Hersteller die Technologie nutzten, ohne eine Lizenz dafür zu erwerben. Bis 1993 hatte die Max-Planck-Gesellschaft fast 1,5 Millionen EUR in einen sieben Jahre andauernden und auf sämtlichen Kontinenten geführten Rechtsstreit investiert, aus dem sie schließlich erfolgreich hervorging.

Heute ist FLASH für die Max-Planck-Gesellschaft der gewinnträchtigste Wert in ihrem IP-Portfolio. Die Lizenzeinnahmen, die ihr das Patent bis heute beschert hat, gibt sie mit 150 Millionen EUR an. Die Lizenzgebühren aus den Patenten für FLASH und FLASH 2 gehen direkt wieder in die Forschung zurück, denn sie werden zur Finanzierung einer gemeinnützigen Organisation verwendet, die 1993 ganz gezielt für Frahms Forschungsaktivitäten am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen gegründet wurde.

2016 bezifferten Experten von MarketsandMarkets den globalen Markt für MRT-Systeme auf 4,7 Mrd. EUR. Laut ihrer Prognose wird er bei einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 5,1 % bis 2021 einen Umsatz von 6 Mrd. EUR erreicht haben.

 

Funktionsweise

Überall im Körper ist Wasser zu finden (beispielsweise im Gewebe, in Organen und im Fett), und die MRT-Technik macht sich die Eigenschaften der Wasserstoffatomkerne zunutze. Der Patient wird in der MRT-Röhre einem starken magnetischen Feld ausgesetzt, und die Wasserstoffatome in den Wassermolekülen, die sich im Körper befinden, richten sich mit dem Feld aus. Diese Atome werden dann mithilfe von Radiofrequenzimpulsen aus ihrer Ausrichtung abgelenkt.

Nach jedem Impuls kehren die Wasserstoffatome in ihre ausgerichtete Lage im Magnetfeld zurück und senden dabei Radiowellen aus, die vom MRT-Scanner aufgezeichnet und mittels einer mathematischen Transformation in Bilder umgewandelt werden. Bei den ersten MRT-Geräten waren hierzu mehr als 200 einzelne Datenaufzeichnungen erforderlich - d. h. der Patient musste ebenso viele Male dem magnetischen Feld ausgesetzt werden - um einen vollständigen Querschnitt vom Körper des Patienten zu erhalten. Bei dieser langwierigen Prozedur war außerdem zwischen den einzelnen Radioimpulsen eine Wartezeit von mehreren Sekunden nötig, damit die Kerne in ihre Ausgangslage zurückkehren konnten.

Bei Frahms FLASH-Methode wird für jede der vielen Einzelmessungen nur ein kleiner Teil des MRT-Signals genutzt, wodurch sich die Aufnahmezeit drastisch verkürzt. Bei diesem Konzept müssen auch keine langen Wartezeiten zwischen den Impulsen mehr eingehalten werden. Dadurch, dass die Atome von den Impulsen nun in einem Winkel von nur fünf bis fünfzehn anstatt 90 ° abgelenkt werden, bevor sie in ihre magnetische Ausrichtung zurückkehren, kann nun alle 2 bis 10 Millisekunden gemessen werden.

Mit Frahms "Fast Low Angle Shot" werden Schnittbilder in etwa einer Sekunde fertiggestellt, wodurch sich die Messzeiten für die Erstellung dreidimensionaler Bilder von mindestens einem halben Tag auf wenige Minuten verkürzte.

Zur Erstellung der weltweit ersten bewegten MRT-Bilder setzt FLASH 2 einen Kunstgriff ein: Da die Unterschiede zwischen den Einzelbildern nur minimal sind, wird bei dieser Methode nur eine kleine Anzahl von Bildern aufgenommen, nämlich etwa 5 bis 15 anstatt 200. Um trotzdem durchgehend bewegte Bilder zu erhalten, werden die Lücken mithilfe von Rekonstruktionsalgorithmen gefüllt.

Der Erfinder

Schon als Student der Physik an der Georg-August-Universität Göttingen in Deutschland begann Jens Frahm damit, chemische und physikalische Forschung zu verbinden - ein Weg, den er bis heute weiterverfolgt. Für seine 1977 erstellte Doktorarbeit in der physikalischen Chemie beschäftigte er sich mit den medizinischen Einsatzmöglichkeiten eines damals ganz neuen Konzepts, der sogenannten Kernresonanzspektroskopie (NMR), also der Technologie, die die Grundlage für MRT ist.

Als Direktor der NMR Forschungs GmbH am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen leitet Frahm heute sein eigenes MRT-Forschungslabor. In dieser Position ist er seit 1993 tätig. Ein aktuelles - vielleicht etwas überraschendes - Projekt befasst sich mit der Frage der Tonentstehung bei Blechblasinstrumenten wie beispielsweise dem Horn. Auch hierbei setzen die Forscher FLASH 2 ein. Aufgrund der hierbei neu gewonnenen Erkenntnisse werden bereits Lehrbücher für den Musikunterricht umgeschrieben, denn MRT-Filme haben gezeigt, dass die menschliche Zunge bei der Tonentstehung in diesen Instrumenten eine aktive Rolle spielt. Bislang war man immer davon ausgegangen, dass der Ton hier durch Lippenvibration erzeugt wird. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht noch erwähnenswert, dass Frahm leidenschaftlich gerne Klarinette spielt und darin einst am Staatstheater Oldenburg unterrichtet wurde.

Frahm gilt als Institution auf seinem Gebiet. Er ist äußerst produktiv und hat mehr als 470 wissenschaftliche Publikationen verfasst, unter anderem Aufsätze, in denen er die Grundlagen von FLASH und FLASH 2 detailliert darlegt. Er hat einen h-Index von 87 und ist in vier erteilten europäischen Patenten als Erfinder genannt.

Frahm wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit der Goldmedaille der Internationalen Gesellschaft für Magnetresonanz in der Medizin (1991), dem Europäischen Preis für MRT der Deutschen Röntgengesellschaft (1989) sowie der Jacob-Henle-Medaille (2016). 2016 wurde Frahm in die Hall of Fame der deutschen Forschung aufgenommen - eine Ehre, die bislang nur 20 Wissenschaftlern zuteil wurde.

"Ich habe mein ganzes Leben lang an der MRT-Technologie gearbeitet. Für mich als Physiker ist dies eine faszinierende Art, etwas Nützliches zu tun, etwas wirklich Sinnvolles, das Millionen von Menschen zugute kommt", erklärt Frahm.

Wussten Sie das?

Dass einige der heute gebräuchlichsten Verfahren in der medizinischen Diagnostik ihre Entstehung eigentlich Weltraumprogrammen zu verdanken haben, ist wenig bekannt. Sowohl die Computertomografie  als auch die Magnetresonanztomografie (MRT) gehen auf digitale Bildverarbeitungstechnologien zurück, die von der NASA zur Untersuchung der Mondoberfläche in Vorbereitung auf die Mondlandung im Rahmen des Apollo-Programms entwickelt und weiter ausgebaut wurden.

Diese aus der Weltraumforschung stammenden Technologien wurden später erfolgreich für terrestrische Zwecke eingesetzt, dank eben solcher Spin-off-Innovationen wie dem FLASH-Bildgebungsverfahren von Frahm. Die Auswirkungen solcher Erfindungen, die "nicht von dieser Welt" sind, reichen weit über das Gebiet der Medizin hinaus. So hat die Europäische Weltraumorganisation (ESA) beispielsweise organische Membrane auf die Erde zurückgebracht, die für die Wiederaufbereitung von Wasser eingesetzt werden, oder ferngesteuerte Notfallroboter und Bildanalyse-Software, die bei der Reparatur von Windkraftanlagen zum Einsatz kommen. Sogar das Duschen ist infolge von Studien zur Wassereinsparung im Weltall auch hier auf der Erde ressourcenschonender geworden. In Schweden hat Mehrdad Mahdjoubi eine neue Technologie für Duschanlagen entwickelt, bei der pro Duschvorgang nur fünf Liter Wasser verbraucht werden. Dabei wird das Wasser ständig gefiltert und ist damit sogar noch sauberer als das Wasser, das frisch aus dem Hahn kommt.

Weltraumtechnologien auf die Erde zu bringen, ist außerdem "Big Business". Laut ESA schafft der Technologietransfer von Innovationen im All jedes Jahr 1 500 Arbeitsplätze und Einnahmen von 80 Millionen EUR. Das ist etwa 15 bis 20-mal soviel wie die Mitgliedstaaten der ESA in die Weltraumprogramme investieren.

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