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Agnès Poulbot and Jacques Barraud†

Selbsterneuerndes Reifenprofil

Preiskategorie
Industrie
Technisches Gebiet
Transport
Firma
Michelin Group
Zwei französische Reifenexperten von Michelin haben LKW-Reifen entwickelt, die 20 % länger halten und auf 100 km einen Liter Sprit sparen.

Gewinner des Europäischen Erfinderpreis 2018

Dank der Arbeit der französischen Forscher Agnès Poulbot und Jacques Barraud kann bei einer neuen Generation von Autoreifen für Schwerlastfahrzeuge mit Hilfe der angewandten Mathematik eine erhebliche Leistungssteigerung erzielt werden. Die vom multinationalen Reifenhersteller Michelin auf den Markt gebrachte neue Reifengeneration mit mittels 3 D-Druck erzeugter, selbstregenerierender Lauffläche zeichnet sich nicht nur eine verbesserte Leistungsfähigkeit der Gebrauchtreifen über das ganze Jahr und bis zur maximalen Abnutzung aus, sondern auch durch geringeren Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoss.

Reifen sind die stillen Helden der Kraftfahrzeugtechnik. Sie dämpfen von der Fahrbahn ausgehende Stöße, gewährleisten eine sichere Traktion, tragen durch einen möglichst niedrigen Rollwiderstand zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs bei und bieten die nötige Haltbarkeit für Tausende gefahrener Kilometer.

Seit André Michelin und sein Bruder Edouard 1895 im Michelin-Reifenwerk (der Compagnie Générale des Établissements Michelin) die ersten auswechselbaren Gummireifen für Kraftfahrzeuge entwickelten, hat sich die Konstruktion von Reifen kontinuierlich verbessert. Im Lauf dieser Jahre haben sich Werkstoffwissenschaftler und Reifenspezialisten intensiv damit beschäftigt, eine optimale Kombination von Grip, Haltbarkeit und niedrigem Rollwiderstand zu finden.

2013 ließen die Michelin-Forscher Agnès Poulbot und Jacques Barraud eine innovative Reifenlauffläche patentieren, die sich beim Verschleiß "selbst regeneriert" und gleichzeitig den Rollwiderstand reduziert, die Kraftstoffstoffeffizienz erhöht und die Lebensdauer des Reifens um bis zu 20 % verlängert. 

Die unter der Bezeichnung Regenion vertriebene, patentgeschützte Technologie wird seit 2013 für Nutzfahrzeuge und seit 2016 auch für Pkw angeboten und bietet erhebliche Vorteile: Durch die Umrüstung eines Fahrzeugs auf Regenion-Reifen kann der CO2-Ausstoß über die Lebens­dauer des Reifens hinweg verglichen mit konventionellen Reifen um 3.724 kg gesenkt werden.

Gesellschaftlicher Nutzen

Die Luftverschmutzung durch Pkw und Lkw ist in vielen Großstädten weltweit ein wachsendes Problem. Die Europäische Kommission schätzt, dass Pkw in der EU ca. 12 % des Gesamtausstoßes von Kohlendioxid (CO2), dem wichtigsten Treibhausgas, verursachen. Nutzfahrzeuge im Transportwesen verursachen EU-weit ca. 25 % der CO2 -Emissionen und ca. 5 % der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU.

Eine Möglichkeit zur Senkung der Schadstoffemissionen besteht in der Verwendung von Reifen mit einem niedrigeren Rollwiderstand. Aus diesem Grund hat die EU 2012 ein Reifenlabel eingeführt, das die Nachhaltigkeit und Leistungsfähigkeit von Reifen bewertet. Alle Reifenmodelle, in denen die Erfindung von Poulbot und Barraud umgesetzt war, erhielten die Kennzeichnung AAA, die höchste Bewertung für Kraftstoffverbrauch und Nasshaftung.

Laut Poulbot spart die Regenion-Technologie 26 Gramm an CO2-Emissionen pro Kilometer, das sind über eine Laufleistung von 100 000 Kilometer gerechnet 2,6 Tonnen weniger CO2. Außerdem tragen die Reifen zu einer Senkung der Geräuschemissionen und zur Einhaltung der 2016 durch das EU-Parla­ment verabschiedeten Geräuschverordnung bei.

Wirtschaftlicher Nutzen

Der Patentinhaber Michelin ist einer der größten Reifenhersteller weltweit und hat 2017 nach eigenen Angaben 170 000 Einzelreifen mit dieser Erfindung verkauft. Bis zum Jahre 2019 prognostiziert das Unternehmen den Verkauf von 670 000 Reifen mit der Regenion-Technologie  - dies wären 15 % seines Umsatzes an Schwerlastreifen. Bis 2022 erwartet Michelin, dass die Regenion-Technologie 30 % des Umsatzes an Schwerlastreifen generieren wird.

2017 verzeichnete Michelin einen Nettoumsatz in Höhe von 22 Mrd. EUR. Davon entfielen 6,2 Mrd. auf Lkw-Reifen, gegenüber 5,9 Mrd. EUR im Jahr 2016. Das Unternehmen hat weltweit 114 000 Mitarbeiter; die Hälfte aller R&D-Mitarbeiter ist im Innovationszentrum am Stammsitz des Unternehmens in Clermont-Ferrand beschäftigt, wo auch die Regenion-Technologie entwickelt wurde. Nach Berechnungen von Michelin können Betreiber von Lkw-Flotten durch den Einsatz der Regenion-Technologie eine Verlängerung der Reifenlebensdauer um 15 bis 20 % erreichen.

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht von Smithers Rapra wird der Markt für Lkw-Reifen auf 91 Mrd. EUR geschätzt, bei einem erwarteten Wachstum von 3,5 % pro Jahr in den kommenden 10 Jahren. Das Marktforschungsunternehmen geht außerdem davon aus, dass durch immer strengere Vorschriften die Nachfrage nach nachhaltigeren Reifen kontinuierlich steigen wird.

 

Funktionsweise

Üblicherweise werden Reifen nach Industriestandard mit einer aus einer einzigen Schicht bestehenden Lauffläche mit einem speziellen Profil und einer bestimmten Tiefe geformt. Auf der Grundlage ihrer mathematischer Kenntnisse und ihres Know-hows in der 3D-Modellierung visualisierte Agnès Poulbot die Reifenlauffläche als mehrschichtigen Aufbau mit übereinanderliegen­den Schichten. Ihr computergenerierter Reifenaufbau basiert auf vertikalen Laufflächenschichten innerhalb eines Reifens.

Wenn die Reifen erstmalig aufgezogen werden, ist zunächst nur die äußere Traktionsschicht sichtbar. Im Lauf der Zeit nutzt sich die oberste Schicht ab und darunter wird eine neue Lauffläche sichtbar - mit speziell angeordneten Rippen und Vertiefungen. Nach einer gewissen Zeit nutzt sich auch diese zweite Schicht ab, und eine dritte erscheint. 

Im Wesentlichen regeneriert sich der Reifen damit selbst, wenn er nach und nach verschleißt. Jede Schicht hat nur ein flaches Profil, das für minimalen Energieverlust und möglichst niedrigen Rollwiderstand optimiert ist. Dadurch wird die Lebensdauer des Reifens entsprechend der Anzahl von Schichten der Lauffläche verlängert.

Agnès Poulbot arbeitete bei der Entwicklung eng mit Jacques Barraud, dem leitenden Experten für Reifendesign und -produktion bei Michelin, zusammen, um das neue Konzept zur Fertigungsreife zu bringen. Gemeinsam entwickelten die beiden eine spezielle Form zur Realisierung der übereinanderliegenden Laufflächenprofile und Fertigung im industriellen Maßstab.

Die Erfinder

Jacques Barraud wurde 1958 in Cholet im Westen Frankreichs geboren. Er trat 1979 in das Unternehmen Michelin ein und arbeitete dort als Ingenieur, Ausbilder und Projektleiter, bis er 2016 verstarb.

Als Agnès Poulbot 1996 zu Michelin kam, unterstützte Barraud sie in ihrer Ausbildung. Gemeinsam arbeiteten die beiden vier Jahre lang an der Entwicklung des Regenion-Reifens, und häufig gingen sie auch in Clermont-Ferrand, dem Standort des Michelin-Innovationszentrums, gemeinsam joggen.

Agnès Poulbot wurde 1967 in Paris geboren und studierte in Grenoble Mathematik und Informatik. Nachdem sie ihr Studium in Grenoble 1993 mit dem Titel eines PhD in Angewandter Mathematik abgeschlossen hatte, arbeitete Poulbot zunächst für die französische Kernenergiekommission CEA in Grenoble, wo sie an der Entwicklung eines Bildrekonstruktionsalgorithmus für die Computertomografie in der Medizin mitwirkte.

1996 wechselte Agnès Poulbot zu Michelin und hat dort derzeit die Position einer leitenden Expertin für Vorausentwicklung und zukunftsweisende Forschungsprojekte im Bereich Lkw und Busse für den europäischen Markt inne. Sie hat fünf Kinder und löst als Mathematikerin gerne gemeinsam mit ihrer Familie Denksportaufgaben.

Wussten Sie das?

Agnès Poulbot könnte das Podium in Paris als sechste Gewinnerin des Europäischen Erfinderpreises und zweite Preisträgerin in der Kategorie "Industrie" das Podium in Paris verlassen. Eine ihrer Vorgängerin­nen war Helen Lee, deren Diagnosekit für Entwicklungsländer beim Publikum großen Anklang fand und 2016 den Publikumspreis erhielt. Folgen Sie dem Link und lesen Sie mehr über Gewinnerinnen der vergangenen Jahre und andere namhafte Erfinderinnen.

Poulbot ist auch nicht die erste Finalistin mit einer Erfindung aus dem Bereich der komplexen Mathematik. Ein markantes Beispiel hierfür ist das multinationale Team, das die ausgeklügelten Signalmodulationstechnologien für die nächste Generation des Satellitennavigationssystems Galileo entwickelt hat (Gewinner in der Kategorie "Forschung" 2017).

Andere Finalisten und Gewinner des Erfinderpreises, deren Arbeit ebenfalls auf komplizierten mathematischen Berechnungen beruht, sind Joan Daemen und Pierre-Yvan Liardet, mit deren Verschlüsselungstechniken Bankkarten gesichert werden (Finalisten in der Kategorie "Industrie" 2016) oder Carles Puente mit seiner Fraktalantenne für Mobiltelefone (Finalist in der Kategorie "KMU" 2014).

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