Produktionsmuster und Konsumverhalten
Die Spuren unserer Produktions- und Konsumgewohnheiten sind auf der ganzen Welt sichtbar, von den Auswirkungen der Digitalisierung angefangen bis hin zur Entsorgung von Alt- Elektrogeräten und Verpackungen. Die weitreichenden Auswirkungen unseres Lebensstils auf Klima und Umwelt erfordern ein grundlegendes Umdenken der Systeme. Alle Künstler und Künstlerinnen in diesem Kapitelvertreten dabei ihre ganz eigene Position gegenüber den Prozessen hinter dem Kommerz und den Produktlebenszyklen, die unsere täglichen Handlungen ausmachen.
Da sind etwa die aus Farbmarken von bekannten Produkten entwickelten Arbeiten des im Iran geborenen deutschen Künstlers Rozbeh Asmani. Er erkundet, wie die Konsumwelt sich tief ins kulturelle Gedächtnis eingegraben hat allein durch die Verwendung von Farben und Farbkombinationen, die als geistiges Eigentum geschützt sind. Gleichzeitig untersucht Asmani Fragen der Handlungsfähigkeit: zunächst einmal in Bezug auf die der Freiheit des Künstlers, bestimmte Farben zu verwenden, und allgemeiner im Hinblick auf die Wirkung von Farben in der allgegenwärtigen Werbung.
Von der Werbung zum Kauf: Dieser Augenblick interessiert den lettischen Fotografen Ivars Gravlejs, der daraus seine Serie Shopping Poetry gemacht hat. Teile davon sind in einem der kleineren Räume links neben dem Eingang zu dieser Ausstellung zu sehen. Als Kind erlebte er die plötzlichen radikalen Veränderungen von Gesellschaftssystemen durch die Perestroika, heute verwandelt er Einkäufe im Supermarkt in schnelle Alltagspoesie. Eine solche kreative (Neu‑)Klassifizierung von Objekten untersucht auch die isländische Künstlerin Hildigunnur Birgisdóttir, die mit Vorschulkindern ein System zur Einordnung von Fundobjekten aus Massenproduktion entwickelt hat. Das daraus entstandene Werk ist dem berühmten schwedischen Naturforscher Carl von Linné gewidmet, Verfasser des Werks Systema Naturae.
Damit greift Birgisdóttir einen Faden auf, der sich generationenübergreifend durch die ganze Ausstellung zieht. Ebenso widmet sie sich dem Lieblingsthema eines weiteren Künstlers der Ausstellung: den Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen technischen und natürlichen Systemen. Der tschechische Bildhauer Krištof Kintera treibt dieses Thema auf die Spitze: In Homegrown erweckt er ein Markenprodukt zum Leben und verwandelt Bierdosen in einen stachellosen Kaktus. Auch Lilly Lulay beherrscht die Kunst der Metamorphose: Sie verwandelt elektronische Geräte und Datenspeicher in traditionelle, fast wohnliche Kunstfasern, inklusive gedruckter Schaltpläne.
Das Zuhause ist auch ein Lieblingsthema von Alicja Kwade, einer deutschen Künstlerin mit polnischen Wurzeln. Sie beschäftigt sich mit der Rastlosigkeit unseres häuslichen Alltags, der von einer Vielzahl elektronischer Geräte bestimmt ist. Kwades technologische Nachtstücke wurden in ihrer eigenen Wohnung aufgenommen, zu einem Zeitpunkt, als die vierte industrielle Revolution um die Jahrtausendwende begann. Diesen beharrlich im Dunkeln leuchtenden Momentaufnahmen technischer Errungenschaften stehen Valérie Belins Fotografien elektrischer Geräte gegenüber, die an einer Sondermüllsammelstelle auf ihre Entsorgung warten. Die Schwarzweißbilder der französischen Fotografin, die eine reglos auf ein zweites Leben wartende Masse an Markenprodukten inszeniert, sprechen Bände über die drei Grundsätze der Kreislaufwirtschaft: Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling.
Das zunehmende Upcycling von Alltagsgegenständen, Objekten und Materialien wirft ein neues Licht auf unsere Handlungen, Gewohnheiten und Werte. Gleichzeitig mit dieser Entwicklung werfen Künstlerinnen und Künstler einen zunehmend von archäologischem Interesse getriebenen Blick auf unsere Zeit, in der Technologie und Innovation enger mit der Gesellschaft und der Umwelt verwoben sind als je zuvor. Was würden Sie ändern, um in Zukunft solche Strukturen der Produktion und Konsumgewohnheiten nachhaltiger zu machen?