Große Beschwerdekammer des EPA veröffentlicht umfassende Begründung ihrer Entscheidung G 2/19 über das Recht auf mündliche Verhandlung vor den Beschwerdekammern an deren Standort in Haar

Haar, 27. September 2019

Die Große Beschwerdekammer verkündete am Ende der mündlichen Verhandlung am 16. Juli 2019 ihre Entscheidung über die Vorlage G 2/19, in der es um das Recht auf mündliche Verhandlung ging. Als höchste gerichtliche Instanz im EPA stellte sie klar, dass ein Dritter im Sinne von Artikel 115 EPÜ, der gegen eine Entscheidung über die Erteilung eines europäischen Patents wegen eines vermeintlich undeutlichen Patentanspruchs Beschwerde einlegt, keinen Anspruch darauf hat, dass vor einer Beschwerdekammer mündlich über seine Beschwerde verhandelt wird. Weiterhin stellte sie klar, dass mündliche Verhandlungen der Beschwerdekammern an deren Standort in Haar nicht gegen den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ verstoßen.

Der Großen Beschwerdekammer wurden mit Zwischenentscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.03 vom 25. Februar 2019 in der Sache T 831/17   gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ drei Rechtsfragen vorgelegt.

Nach Erhalt zahlreicher Amicus-curiae-Schriftsätze gemäß Artikel 10 (1) der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer und nach sachlicher Debatte in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 16. Juli 2019 wies die Große Beschwerdekammer die erste Vorlagefrage als unzulässig zurück und beantwortete die umformulierten Fragen 2 und 3 wie folgt:

  1. Ein Dritter im Sinne von Artikel 115 EPÜ, der gegen die Entscheidung über die Erteilung eines europäischen Patents Beschwerde eingelegt hat, hat keinen Anspruch darauf, dass vor einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes mündlich über sein Begehren verhandelt wird, zur Beseitigung vermeintlich undeutlicher Patentansprüche (Artikel 84 EPÜ) des europäischen Patents den erneuten Eintritt in das Prüfungsverfahren anzuordnen. Eine solchermaßen eingelegte Beschwerde entfaltet keine aufschiebende Wirkung.
  2. Mündliche Verhandlungen der Beschwerdekammern an deren Standort in Haar verstoßen nicht gegen die Artikel 113 (1) und 116 (1) EPÜ.

Zum einen ging es um die Frage, ob ein Dritter im Sinne von Artikel 115 EPÜ, der gegen die Entscheidung über die Erteilung eines europäischen Patents Beschwerde einlegt, Anspruch auf eine mündliche Verhandlung über einen vermeintlich undeutlichen Patentanspruch hat. Diese Frage wurde verneint. Unter Verweis auf ihre Entscheidung G 3/14 (ABl. EPA 2015, A102) bestätigte die Große Beschwerdekammer, dass die ungeänderten Ansprüche eines erteilten europäischen Patents nicht darauf geprüft werden können, ob sie die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung G 1/97 (ABl. EPA 2000, 322) erklärte die Große Beschwerdekammer eine zu diesem Zweck eingelegte Beschwerde für eindeutig unzulässig. Somit kann eine Beschwerdekammer eine solche Beschwerde unverzüglich im schriftlichen Verfahren ohne Einhaltung weiterer prozessualer Formalitäten als unzulässig zurückweisen. Die Große Beschwerdekammer stellte weiterhin klar, dass eine solche eindeutig unzulässige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Artikels 106 (1) Satz 2 EPÜ hat.

Zum anderen ging es um den Umzug der Beschwerdekammern in ein separates Gebäude in Haar im Oktober 2017 im Zuge einer umfassenden Strukturreform, die der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation im Juni 2016 beschlossen hatte. Die Große Beschwerdekammer merkte an, dass sie nur insoweit Anlass hatte, in dieser Sache zu entscheiden, als die mögliche Verletzung der Verfahrensrechte eines Beteiligten davon betroffen war. In dieser Hinsicht stellte die Große Beschwerdekammer klar, dass die Abhaltung mündlicher Verhandlungen am Standort der Beschwerdekammern in Haar nicht gegen den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verstößt.

Die Große Beschwerdekammer betonte weiter, es habe sich erst allmählich ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass die Beschwerdekammern dasselbe Maß an Unabhängigkeit haben müssten wie die staatlichen Gerichte. Mit der räumlichen Trennung der Beschwerdekammern von den Verwaltungsorganen des Europäischen Patentamts in München werde diese Unabhängigkeit unterstrichen. Es wäre nicht überzeugend, eine solche physische Trennung zu befürworten und diese zugleich auf das Stadtgebiet München zu beschränken. Die Große Beschwerdekammer merkte auch an, dass die Beschwerdekammern unweit der Stadtgrenze Münchens angesiedelt seien.

Die Beantwortung der Vorlagefragen durch die Große Beschwerdekammer ermöglicht nicht nur der vorlegenden Kammer, eine abschließende Entscheidung zu treffen, sondern dient auch der Rechtssicherheit bei Beschwerden, die von Dritten gegen eine Entscheidung zur Erteilung eines europäischen Patents eingelegt werden, und bei der Anberaumung mündlicher Verhandlungen vor den Beschwerdekammern an deren Standort in Haar.

Die Große Beschwerdekammer setzte sich zusammen aus fünf rechtskundigen Mitgliedern und zwei technisch vorgebildeten Mitgliedern, einschließlich des Präsidenten der Beschwerdekammern als Vorsitzenden und zwei Richtern aus EPÜ-Vertragsstaaten.

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