Kleine Röhren, große Wirkung: Japanisches Forscherteam als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis nominiert
- Sumio Iijima, Masako Yudasaka und Akira Koshio entwickelten Herstellungsverfahren für Kohlenstoffmoleküle
- Kohlenstoffnanoröhren: Neuartige Strukturform von Kohlenstoff zeichnet sich durch herausragende physikalische Eigenschaften aus
- Bestehende Technologien werden durch sie schneller, stabiler und leistungsfähiger
- Sie eröffnen völlig neue Möglichkeiten in der Luft- und Raumfahrttechnik sowie in der Biomedizin
- EPA-Präsident Battistelli: „Die Anwendungsmöglichkeiten von Kohlenstoffnanoröhren sind nahezu unbegrenzt."
München/Nagoya Tsukuba, 21. April 2015 - Biegsame Displays, implantierte Sensoren zur Überwachung des Blutzuckerspiegels und ein Weltraumaufzug, der Touristen ins All bringt - was nach einem Science-Fiction-Film klingt, ist mit der Entwicklung von Kohlenstoffnanoröhren durch Sumio Iijima in greifbare Nähe gerückt. Diese bis dahin unbekannte Strukturform von Kohlenstoff wiegt nur halb so viel wie Aluminium, ist stärker als Stahl und verfügt über hervorragende elektrische und thermische Leitfähigkeit. Obwohl die Anwendung in der Industrie noch ganz am Anfang steht, erscheinen die Möglichkeiten von Kohlenstoffnanoröhren nahezu unbegrenzt: Sie machen Computer schneller, Solarmodule effizienter und Automobil- und Flugzeugteile stabiler.
Für die Entdeckung von Kohlenstoffnanoröhren sowie die Entwicklung eines Herstellungsprozesses wurden Sumio Iijima, Masako Yudasaka und Akira Koshio als Finalisten in der Kategorie „Nicht-europäische Staaten" für den Europäischen Erfinderpreis 2015 nominiert. Am 11. Juni 2015 wird die begehrte Auszeichnung im Rahmen eines Festakts in Paris zum zehnten Mal verliehen.
„Die Erfindung von Professor Sumio Iijima und seinem Team hat dieses Forschungsfeld in seinen Grundfesten erschüttert. Kohlenstoffnanoröhren ermöglichen einen enormen Fortschritt in nahezu allen technischen Bereichen", sagte EPA-Präsident Benoȋt Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten. „Bislang ist nur ein Bruchteil aller Anwendungsmöglichkeiten bekannt. Obwohl sie winzig klein sind, ist ihr industrielles Potenzial unvorstellbar groß."
Die wegweisende Entdeckung eines winzigen Stoffes
Kohlenstoffnanoröhren sind winzig kleine zylindrische Strukturen aus Kohlenstoffatomen, die nur unter sehr leistungsstarken Elektronenmikroskopen zu sehen sind. Sie sind das härteste Material, das der Menschheit bekannt ist und ihre Leitfähigkeit ist rund tausend Mal höher als die von Kupfer. Der japanische Physiker Sumio Iijima entdeckte sie 1991, als der auf die Erforschung von Nanopartikeln spezialisierte Experte bei NEC sich mit Fullerenen beschäftigte. Fullerene oder „Buckyballs" sind Kohlenstoffatome, die wabenförmig angeordnet sind und sich mit der Form eines Fußballs vergleichen lassen. Dabei entdeckte er eine völlig neue Strukturform von Kohlenstoff - die Kohlenstoffnanoröhre. Vorstellen kann man sich diese winzigen Röhren wie ein Stück Maschendrahtzaun, dessen Enden man miteinander verbindet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren nur drei Formen von Kohlenstoff in seiner reinen Form bekannt: Diamant, Graphit und Fulleren. Kohlenstoffnanoröhren haben einen geringen Durchmesser, der zwischen weniger als einem Nanometer und mehreren Nanometern variiert, können jedoch eine Länge von mehreren Millimetern erreichen. Iijima entdeckte einwandige und konzentrisch angeordnete, mehrwandige Kohlenstoffnanoröhren, die unterschiedliche physikalische Eigenschaften besitzen. Je nach Struktur ist die elektrische Leitfähigkeit innerhalb der Röhre beispielsweise metallisch oder halbleitend. Für seine Forschungsleistung erhielt Iijima zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem 2002 die Benjamin-Franklin-Medaille für Physik, 2007 den Balzan-Preis und den Gregori-Aminoff-Preis sowie den Kavli-Preis im Jahr 2008.
Der steinige Weg zur Produktion
Sumio Iijima ist Professor an der renommierten Meijo Universität in Nagoya und Senior Research Fellow beim japanischen Elektronikkonzerns NEC, sowie Honorary AIST Fellow am National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST). Unter seiner Leitung forschten Akira Koshio und Masako Yudasaka gemeinsam an einem Verfahren, Kohlenstoffnanoröhren ohne den bis dahin notwendigen metallischen Katalysator herzustellen, da dieser das Material verunreinigt und für Menschen giftig ist. Koshio und Yudasaka entwickelten ein Verfahren unter der Verwendung von Plasma. Dabei werden Kohlenstäbe in heißem Plasma verdampft, wodurch sehr reine, mehrwandige Kohlenstoffnanoröhren mit spitzen Enden entstehen, die beispielsweise in der Herstellung von Displays verwendet werden können. Eine metallfreie Herstellung macht die Kohlenstoffnanoröhren sogar für die Biomedizin nutzbar.
Schneller, höher, weiter
Bislang gibt es erst wenige industrielle Anwendungen von Kohlenstoffnanoröhren, doch aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften sind die potenziellen Einsatzmöglichkeiten enorm. Viele Materialen wie Polymere und Metalle können durch die Verwendung von Kohlenstoffnanoröhren als Füllmittel deutlich verbessert werden. Momentan nutzen Unternehmen ausschließlich lose Nanoröhren, also eine Masse unorganisierter Röhren, um die mechanischen, thermischen und elektrischen Eigenschaften anderer Materialen zu verbessern. Produkte dieser Art sind beispielsweise Flash-Speicher, die bis zu zehn Millionen Mal häufiger als herkömmliche Speicher neu beschrieben werden können oder Chips, die elektronische Signale zehn Mal schneller als bisher übertragen. Auch in der Automobilindustrie gibt es bereits Anwendungsgebiete. So werden Kohlenstoffnanoröhren in der Herstellung leichter Kabel genutzt, um das Gesamtgewicht zu reduzieren.
Ein weiteres innovatives Produkt ist Vantablack, die schwärzeste Substanz der Welt. Da die Kohlenstoffnanoröhren jegliches Licht absorbieren, eignet sich Vantablack für die innere Beschichtung von Teleskopen. Derzeit laufen Versuchsreihen mit Vantablack durch die NASA, die leistungsstarke Teleskope für die Erforschung des Weltraums benötigt. Zudem sind durch den Einsatz von Kohlenstoffnanoröhren zukunftsweisende Projekte denkbar wie etwa die Errichtung eines Weltraumaufzugs, der Personen und Lasten zu einer Raumstation befördert, oder im biomedizinischen Bereich der zielgerichtete Transport von Medikamenten zu erkrankten Organen mithilfe von Nanopartikeln.
Asiatisch-pazifischer Raum führend
Die Kommerzialisierung von Kohlenstoffnanoröhren steht noch am Anfang. Mehr als hundert Unternehmen weltweit produzieren Nanoröhren. Die höchsten Produktionskapazitäten liegen im asiatisch-pazifischen Raum, gefolgt von den USA und der EU. Mehr als tausend Unternehmen und Institutionen forschen bereits an dieser Strukturform. Die Branche verzeichnete 2010 einen Jahresumsatz von rund 552 Millionen Euro, wobei Umsätze in der Höhe von 526 Millionen Euro überwiegend mit der Produktion von mehrwandigen Kohlenstoffnanoröhren erzielt wurden. Schätzungen zufolge werden die Umsätze bis 2016 insgesamt auf 913 Millionen Euro steigen.
Medien- und Servicepaket zu Sumio Iijima, Akira Koshio, Masako Yudasaka:
- Über die Erfinder
- Der Blick auf die Patente: EP1464618
- Zehn Jahre Europäischer Erfinderpreis: Eine Zeitreise zu Erfindern und Ideen, die unser Leben veränderten.
- Über das Europäische Patentamt (EPA)
- Studie belegt: Jeder dritte Job in Europa entsteht in IP-intensiven Branchen.
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