Pionier der bionischen Knie- und Fußgelenkprothese: Hugh Herr als Finalist für den Europäischen Erfinderpreis 2016 nominiert
- Mikroprozessoren in Knie- und Fußgelenkprothesen ermöglichen natürlichen menschlichen Gang
- Bahnbrechende Technologie erlaubt Amputierten sogar, Sport auf Wettkampfniveau zu treiben
- Erfinder verlor im Alter von 17 Jahren beide Beine durch einen tragischen Unfall
- Reif für den europäischen Markt: Deutsches Unternehmen übernimmt den Vertrieb der bionischen Prothesen in Europa
- EPA-Präsident Battistelli: „Hugh Herrs Erfindung gab den Anstoß für eine neue Generation intelligenter Prothesen, die bereits Tausenden von Menschen dabei geholfen haben, einen natürlichen Gang und einen selbständigen Lebensstil zurück zu erlangen"
München, 26. April 2016 - Ein tragischer Unfall, der nicht nur sein Leben veränderte, sondern enorme Auswirkungen auf jenes tausender weiterer Menschen haben sollte: Im Alter von 17 Jahren verlor der passionierte Kletterer Hugh Miller Herr (51) bei einer Expedition zum Mount Washington beide Beine unterhalb des Knies. Ein Schicksalsschlag, der den Amerikaner jedoch dazu brachte, in den rund 30 Jahren danach die Forschung bionischer Prothesen grundlegend zu revolutionieren. Die mit Sensoren und Mikroprozessoren ausgestatteten Knie- und Fußgelenkprothesen sind heute in der Lage, sowohl Körperhaltung und Gewichtsverteilung als auch die Gehgeschwindigkeit an äußere Einflüsse anzupassen. Amputierte können sich dadurch ohne große körperliche Einschränkungen dynamisch bewegen. Diese Form von bionischen Prothesen verschafft ihnen nicht nur mehr Flexibilität ihres Bewegungsapparats, sondern erlaubt ihnen, sogar Sport zu treiben - und das auf Wettbewerbsniveau.
Die Innovation des Biophysikers gilt als Meilenstein in der Entwicklung „intelligenter" Prothesen. Für diese Erfindung hat ihn das Europäische Patentamt (EPA) als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2016 in der Kategorie „Außereuropäische Staaten" nominiert. Die begehrte Auszeichnung wird am 9. Juni in Lissabon vom Europäischen Patentamt (EPA) zum elften Mal verliehen.
„Hugh Herrs Erfindung gab den Anstoß für eine neue Generation intelligenter Prothesen, die bereits Tausenden von Menschen dabei geholfen haben, einen natürlichen Gang und einen selbständigen Lebensstil zurück zu erlangen", sagte EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2016. „Die Tatsache, dass die Innovation des Erfinders dazu beigetragen hat, sein persönliches Lebensziel zu erreichen, indem er trotz seines tragischen Unfalls wieder klettern kann, macht seinen Erfolg noch einzigartiger."
Eine Passion als Triebfeder des Erfindergeistes
Vor seinem Unfall studierte Herr Physik an der Millersville University in Pennsylvania. Zum damaligen Zeitpunkt stand ausschließlich das professionelle Klettern im Mittelpunkt seines Lebens. Der Verlust seiner Beine unterhalb des Knies und der damit verbundene Ehrgeiz wieder laufen - und vor allem klettern - zu können, brachten ihn letztlich dazu, noch einmal die Schulbank zu drücken: 1993 schloss er mit einem Master‘s Degree in Maschinenbau am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ab und promovierte 1998 in Biophysik an der Harvard University. Heute ist er zum Pionier auf dem Gebiet biomedizinischer Geräte aufgestiegen und leitet die Biomechatronik-Forschungsgruppe am MIT. Dort forscht er gemeinsam mit seinem Team an computergesteuerten Systemen. Seine Bemühungen, die bionische Knie- und Fußgelenkprothese zu perfektionieren, führten im Laufe seiner Arbeiten zu mehr als 30 Patentanmeldungen und der Veröffentlichung von über 60 wissenschaftlichen Publikationen. Die persönliche Geschichte des Erfinders ist auch Gegenstand einer Biographie mit dem Titel „Second Ascent: The Story of Hugh Herr".
Künstlichen Gliedmaßen Leben einhauchen
Um die Flexibilität gegenüber den statischen Prothesen wie dem Jaipur-Fuß, der ab 1971 als Vorreiter der Prothesensysteme gilt, zu verbessern, studierte Herr den Ablauf des natürlichen menschlichen Gangs bis ins kleinste Detail. Aufgrund dessen Komplexität konzentrierte sich seine Forschungsarbeit auf künstliche Gelenke, die in der Lage sind, unmittelbar auf Veränderungen der äußeren Umgebung zu reagieren. Der Durchbruch gelang ihm mit dem Einsatz einer dämpfenden magnetischen Flüssigkeit: Sie wird von einem Elektromagneten gesteuert und fängt Stöße ab. Sensoren in der Prothese gewährleisten zudem die kontinuierliche Bestimmung von Körperhaltung und Position des Trägers. Dadurch kann das künstliche Gelenk den Widerstand anpassen und in der Folge die natürliche Bewegung des Knies nachahmen. Die Prothese wird unter dem Namen „Rheo Knee" vertrieben.
Darüber hinaus entwickelte Herr mit seinem Forschungsteam das BiOM T2: Die weltweit erste batteriebetriebene Fuß- und Fußgelenkprothese, die auf Basis eines komplexen Netzes aus Mikroprozessoren und Umgebungssensoren Daten zur Gewichtsverteilung und Oberflächenneigung auswertet. Diese Informationen dienen als Basis, um die Vorwärtsbewegung des Prothesen-Trägers mithilfe von batteriebetriebenen Federn zu steuern. So wird die natürliche Funktion des Fußes flüssig und zielgerichtet imitiert. „Dies ist die allererste Prothese, die verlorene Muskelfunktionen nachahmt. Konventionelle Prothesen sind passiv, so wie zum Beispiel auch ein Fahrrad passiv ist. Nur die verbliebenen Muskeln erzeugen die Bewegung. Aber hiermit wird Energie in den Laufvorgang übertragen und so die verlorene Muskelfunktion ausgeglichen", so Herr.
Prothesen in Europa vor Siegeszug
Für die Markteinführung seiner bionischen Prothese gründete Hugh Herr 2007 ein Unternehmen unter dem Namen iWalk, das heute als BionX Medical Technologies, Inc. bekannt ist. Das Rheo Knee ist gegenwärtig beim zweitgrößten Prothesenhersteller der Welt, dem isländischen Unternehmen Össur, lizensiert. 2015 verzeichnete das Unternehmen Umsätze in Höhe von 434 Millionen Euro, wobei der Anteil bionischer Produkte rund 16 Prozent ausmachte. Und auch das BiOM T2 ist erfolgreich: Bis April 2014 wurden mehr als 1.000 der bionischen Fußgelenkprothesen für Patienten angepasst - fast die Hälfte von ihnen sind US-Veteranen. Und nicht nur Soldaten, die Gliedmaßen verloren haben, profitieren von Herrs Erfindung: Dank der zukunftsweisenden Prothesen können Sportler mit einer Amputation ebenso gute Leistungen bringen wie Menschen ohne körperliche Beeinträchtigung. So gewann das Athletenteam von Össur bei den Athletics World Championships des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) 2015 in Katar 17 Medaillen und stellte sechs neue Weltrekorde auf.
Auch auf dem europäischen Markt sollen die intelligenten Prothesen nun vermehrt zum Einsatz kommen: Für den Vertrieb in Westeuropa unterzeichnete Herrs Firma jüngst eine Distributionsvereinbarung mit der deutschen Firma Ottobock, die auf dem Gebiet der Prothesenherstellung weltweit führend ist. Unabhängige Analysten schätzen, dass der weltweite Markt für Prothesen bis 2017 auf einen Wert von 19,2 Milliarden Euro ansteigen könnte.
Weiterführendes Informationsmaterial
Erfahren Sie mehr über den Erfinder
Ein Blick auf das
Patent:
EP1880694
, EP1255517,
EP1267756
Prothesen der Zukunft: Wiederherstellung des Körpers mit bionischen Gliedmaßen:
Unter Einsatz von Mikrochips und Sensoren sind bionische Prothesen die Schnittstelle zwischen Rehabilitationswissenschaft und Computertechnologie. Angetrieben durch patentierte Innovationen kompensiert diese neue Prothesen-Generation nicht nur verlorene Körperfunktionen, sondern hat sogar das Potential den menschlichen Körper über seine gewöhnlichen Fähigkeiten hinaus zu bringen. Lesen Sie mehr über Prothesen für das 21. Jahrhundert.
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