Atemhilfe für Neugeborene: Tore Curstedt als Finalist für den Europäischen Erfinderpreis 2016 nominiert
- Schwedischer Biochemiker für Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie Lebenswerk nominiert
- Entwicklung von Medikament für Frühgeborene hat Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen mit Atemnotsyndrom (Respiratory Distress Syndrome, RDS) um mehr als 30 Prozent gesenkt
- Bereits mehr als drei Millionen Babys weltweit mit Medikament ‚Curosurf‘ behandelt
- EPA-Präsident Battistelli: „Tore Curstedts Erfindung ist ein Meilenstein bei der Bekämpfung von RDS, das früher die Todesursache Nummer eins bei Frühgeborenen war. Sein unermüdlicher Einsatz über Jahrzehnte hat hunderttausenden Babys weltweit das Leben gerettet."
München, 26. April 2016 - Über Jahrzehnte war das Atemnotsyndrom des Neugeborenen (Respiratory Distress Syndrome, RDS), eine Lungenfunktionsstörung, häufigste Todesursache insbesondere bei Frühgeburten vor der 30. Schwangerschaftswoche. Seit 1992 hat ein natürliches Medikament, das aus der Lunge von Schweinen gewonnen wird, dieses Bild nachhaltig verändert und die Sterblichkeitsraten erheblich gesenkt. Die Behandlung mit Surfactants - ein englisches Kunstwort (surface active agent), das „grenzflächenaktive Substanz" bedeutet -, schützt die Lungen der Neugeborenen und ermöglicht ihnen somit gefahrloses Atmen. Der Miterfinder des Wirkstoffes, der schwedische Biochemiker Tore Curstedt (70), hat sein gesamtes Forscherleben der Bekämpfung der Todesursache Nummer eins bei Frühgeburten gewidmet und den Markterfolg des Medikamentes ermöglicht. Er arbeitet bis heute daran, eine synthetische Alternative zu der Gewinnung des Wirkstoffes aus Schweinelungen zu schaffen.
Für diese Leistung hat das Europäische Patentamt (EPA) Tore Curstedt als Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2016 in der Kategorie „Lebenswerk" nominiert. Die begehrte Auszeichnung wird am 9. Juni 2016 im Rahmen eines Festakts in Lissabon zum elften Mal verliehen.
„Tore Curstedts Erfindung ist ein Meilenstein bei der Bekämpfung von RDS, das früher die Todesursache Nummer eins bei Frühgeborenen war. Sein unermüdlicher Einsatz über Jahrzehnte hat hunderttausenden Babys weltweit das Leben gerettet", so EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten.
Ehemals häufigste Todesursache bei Frühgeborenen erfolgreich bekämpft
Etwa 60 Prozent der Frühgeborenen unterhalb der 30. Schwangerschaftswoche entwickeln ein Atemnotsyndrom. Unter allen Neugeborenen ist rund ein Prozent der Neugeborenen vom Atemnotsyndrom betroffen. Lange Zeit war diese Störung die häufigste Todesursache bei Frühgeburten. Hintergrund: Bei Frühgeburten ist die Nebennierenrinde noch nicht völlig entwickelt, sie wird erst in der 34. Schwangerschaftswoche ausgebildet. Der Fötus ist daher noch nicht fähig, Cortisol zu produzieren, was aber zwingend nötig ist für die Entwicklung der Pneumozyten Typ II, da diese Surfactant bilden. Surfactant wiederum ist eine von der Lunge erzeugte grenzflächenaktive Substanz, welche die Oberflächenspannung des Flüssigkeitsfilms, der den Lungenbläschen (Alveolen) aufliegt, herabsetzt und damit den Druck vermindert, der zu deren Entfaltung erforderlich ist. Ein Atemnotsyndrom tritt deshalb unmittelbar oder wenige Stunden nach der Geburt ein.
Bereits in den 1970er-Jahren begannen Tore Curstedt und sein Kollege Bengt Robertson (1935 - 2008), mit aus den Lungen von Schweinen gewonnenen Surfactants für medizinische Zwecke zu experimentieren. Gemeinsam entwickelten sie das Medikament Curosurf (Cu_ro_surf, benannt nach den Anfangsbuchstaben ihrer Namen), dessen Wirksamkeit 1988 im Rahmen einer internationalen Kontrollstudie nachgewiesen wurde. 1992 erfolgte die Marktzulassung in Europa und 1999 wurde das Mittel auch in den USA zugelassen. Heute wird Curosurf in mehr als 80 Ländern rund um den Globus angewendet. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit bereits rund drei Millionen Babys mit dem Medikament behandelt wurden. Studien belegen, dass die Sterblichkeitsrate bei Frühgeborenen, die unter RDS leiden, um über 30 Prozent gesenkt werden konnte.
Ein Leben im Dienste der Wissenschaft
Curstedt begann seine Karriere im Jahr 1974, als ihm die Abteilung für Medizinische und Physiologische Chemie am Karolinska Institutet in Stockholm den Doktortitel verlieh. Von Beginn an galt das Hauptaugenmerk seiner Tätigkeit Säuglingen mit RDS. Curstedt blieb an seiner Alma Mater in verschiedenen Positionen, darunter als Lehrbeauftragter und Dozent für Medizinische Chemie (1975-1979), Laborarzt (1980-2004) und stellvertretender Direktor des größten klinischen Labors in Nordeuropa (2004). Nach seinem Ausscheiden aus allen Positionen im Jahr 2013 blieb der Pionier in der Forschung tätig und arbeitet derzeit an Phase-II-Studien für ein völlig synthetisches Tensid, CHF5633, das weniger teuer ist und in großem Maßstab produziert werden kann. Eines der Hauptprobleme bei der Herstellung von Curosurf war nämlich stets der Umstand, dass bei steigender Nachfrage eine Knappheit an Ausgangsmaterial zu beklagen war - aus der Lunge eines Schweines können lediglich Surfactants für die Behandlung von zwei Neugeborenen gewonnen werden. Mit der Marktreife eines synthetischen Wirkstoffes wird bis 2019 gerechnet. Der Autor von über 200 wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist an 14 Patenten beteiligt und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Hilda und Alfred Eriksson-Preis der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften (1998), dem Lars Werkö-Preis der schwedischen Herz-Lungen-Stiftung (2004, gemeinsam mit Co-Erfinder Robertson) und dem Chiesi-Preis für Exzellenz in der Neonatologie (2011).
Die lebensrettende Wirkung des Medikaments für Säuglinge auf der ganzen Welt hat ihn motiviert, die Arbeit fortzusetzen und seinen Ruhestand zu verschieben. Persönliche Begegnungen mit RDS- Überlebenden sind dabei besonders emotional gewesen, sagt Curstedt. „Ich hatte das Glück, den ersten Patienten kennenzulernen, der mit Curosurf außerhalb von Schweden behandelt worden war. Im Jahr 2005, während eines Seminars in Belfast, Nordirland, wurde ich von einem jungen Mann angesprochen, der gerade sein Studium begonnen hatte. Er bedankte sich und sagte 'ohne Sie wäre ich heute nicht am Leben'. Das hat mich sehr stark beeindruckt."
Curosurf - auch wirtschaftlich ein Riesenerfolg
Lebensretter für Hunderttausende von Frühgeborenen - aber auch ein riesiger wirtschaftlicher Erfolg: Curosurf hat heute einen Weltmarktanteil von 73 Prozent. Im Jahr 2014 hat das familiengeführte Unternehmen Chiesi (Parma, Italien), das von Anfang an die Vermarktung von Curosurf übernommen hatte, einen Umsatz mit dem Medikament von 175 Mio. EUR ausgewiesen. Das Unternehmen gehört zu Europas führenden Denkfabriken in der Entwicklung neuer Medikamente mit jährlichen Forschungsinvestitionen von rund EUR 237 Millionen. Im Wettbewerb mit den auf dem Markt erhältlichen natürlichen und synthetischen Medikamenten hat Curosurf bei Studien durchweg bessere Ergebnisse erzielt. Eine aktuelle Studie zu Frühgeborenen mit RDS belegt eine um nahezu 20 Prozent höhere Überlebenschance mit Curosurf im Vergleich zu den beiden wichtigsten Konkurrenzprodukten. Analysten schätzen den Markt in den USA auf rund 13 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Eine andere Studie, die ausschließlich die europäische Neugeborenenmedizin betrachtet, prognostiziert ein Marktvolumen von rund 1,5 Milliarden Euro bis 2019.
Weiterführendes Informationsmaterial
Erfahren Sie mehr über den Erfinder
Der Blick auf die Patente: EP2185588, EP2152288, EP2078038
Atemhilfe für Neugeborene
Über Jahrzehnte war das Atemnotsyndrom des Neugeborenen (Respiratory Distress Syndrome, RDS), eine Lungenfunktionsstörung, häufigste Todesursache insbesondere bei Frühgeburten vor der 30. Schwangerschaftswoche. Seit 1992 hat das Medikament Curosurf, das aus den Lungen von Schweinen extrahiert wird, dieses Bild nachhaltig verändert und die Sterblichkeitsraten erheblich gesenkt. Lesen Sie mehr über Europas führende Forschungseinrichtungen.
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