Personalisierte Therapie mit Mini-Organen aus dem Labor: Hans Clevers ist Finalist für den Europäischen Erfinderpreis 2017
- Niederländischer Molekulargenetiker Hans Clevers nominiert für Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie „Forschung"
- Im Labor gezüchtete Mini-Organe ermöglichen sichere Behandlungstests außerhalb des menschlichen Körpers
- Mini-Versionen von menschlichen Organen werden nun in der Arzneimittelentwicklung, Krebsforschung und der personalisierten Medizin eingesetzt
- Die patentierte Erfindung bietet eine praktikable Alternative zu Tierversuchen in der Arzneimittelforschung und verkürzt die Zyklen der Medikamentenentwicklung
- Benoît Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamtes: „ Clevers Erfindung bietet eine sichere und nachhaltigere Grundlage für medizinische Untersuchungen und Medikamentenentwicklung."
München, 26. April 2017 - Arzneimittel sind eng mit dem medizinischen Fortschritt verbunden und ein wichtiger Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung von Krankheiten. Wie genau Medikamente bei Patienten wirken, lässt sich trotz umfangreicher Tests nicht absolut sicher vorhersagen - denn die Ausprägung der Krankheiten und individuelle Reaktionen des Körpers variieren enorm. Das gilt insbesondere bei starken Arzneimitteln gegen schwere Krankheiten. Hans Clevers entwickelte gemeinsam mit seinen Teams am Hubrecht-Institut und am Universitätsklinikum (UMC) Utrecht ein Verfahren, mit dem sich aus adulten menschlichen Stammzellen Mini-Organe züchten lassen. An diesen so genannten Organoiden ist die spezifische Wirkung von Medikamenten für jeden einzelnen Patienten im Labor nachvollziehbar.
Für diese Erfindung wurde Hans Clevers als einer von drei Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie „Forschung" nominiert. Am 15. Juni wird die Auszeichnung vom EPA im Rahmen eines Festakts in Venedig zum zwölften Mal verliehen.
„Die Aussicht auf die Entwicklung von Mini-Organen, um sichere medizinische Tests durchführen zu können, ist dank Clevers wissenschaftliche Realität geworden", so EPA-Präsident Benoît Battistelli. „Seine Erfindung bietet nicht nur eine sichere und nachhaltigere Grundlage für medizinische Untersuchungen und Medikamentenentwicklung. Sie erschließt zudem einen personalisierten medizinischen Therapieansatz, der es Gesundheitsdienstleistern ermöglicht, die Auswirkungen von Arzneimitteln für jeden einzelnen Patienten zu messen."
Gezielte Therapiepläne und Alternativen zur Organtransplantation
Eine bahnbrechende Entdeckung: An diesen Organoiden lassen sich Tests ohne Risiken und Nebenwirkungen für den Patienten durchführen. Clevers kultiviert im Labor neben Organen unter anderem auch Krebsgeschwüre. Diese werden genutzt, um die Wirkungen potenzieller Therapien zu testen - in einer sicheren Umgebung außerhalb des menschlichen Körpers. Ein Hoffnungsschimmer speziell für Menschen mit ähnlich schweren oder seltenen Erkrankungen, die sich häufig aggressiven Therapien unterziehen müssen. Mit Clevers' Erfindung lassen sich Medikamente vorab und sicher an den Mini-Organen, die aus den Zellen des Patienten gezüchtet werden, außerhalb des Körpers erproben. Die wirkungsvollsten Arzneimittel fließen anschließend in einen personalisierten Therapieplan ein, mit dem Behandlungserfolge deutlich verbessert werden.
In den Mini-Organen steckt außerdem Potenzial, die Zahl der Organtransplantationen zu senken. „Mein Ziel ist es, dass wir wie eine Blutbank auch eine Bank mit Organoiden haben", so Clevers. Langfristig ist es sogar vorstellbar, mit der Unterstützung von Bioingenieuren Verfahren zu entwickeln, in denen sich ganze Organe per 3D-Druck replizieren lassen - individuell angepasst an den Patienten.
Pionier der genetischen Forschung
Der Schlüssel Clevers zu Erfolg liegt in einer seltenen Kombination von Berufen, denn er ist sowohl Arzt als auch Laborwissenschaftler. 1985 promovierte er an der Universität Utrecht in Immunologie. Parallel dazu hatte er Medizin studiert und seine Promotion in diesem Fach 1984 abgeschlossen. Er beschloss, sich der Laborforschung zu widmen, und arbeitete unter anderem vier Jahre, von 1986 bis 1989, als Postdoktorand am Dana-Farber-Cancer Institute der Universität Harvard, wo er sich mit Molekular- und DNA-Technologien beschäftigte.
Nach seiner Rückkehr nach Utrecht 1991 gründete Clevers sein eigenes Labor für genetische Forschung und arbeitete bis 2002 als Professor für Immunologie an der dortigen Universität. Anschließend war er als Direktor des Hubrecht-Instituts für Stammzellforschung am Utrecht-Wissenschaftspark der Universität sowie als Präsident der Royal Netherlands Academy of Arts and Sciences (KNAW) tätig. Seit 2015 ist Hans Clevers Professor an der Universität Utrecht und Forschungsdirektor des Princess Máxima Centre für Pädiatrische Onkologie. Er bekleidet verschiedene Beratungs-, Redaktions- und Regierungsstellen.
Clevers ist Autor von mehr als 540 Publikationen (H-Index-Wert von 132) und als internationale Autorität im von ihm gegründeten Bereich der Mini-Organe anerkannt. Seine Erfindungen sind vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Louis Jeantet Prize (2004), dem Heineken-Preis für Medizin (2012) und dem Breakthrough-Preis in Life Sciences (2013).
Kleine Organe - großes Marktpotenzial
Clevers' Organoide haben das Potenzial, sowohl die Kosten als auch die Ausfallraten bei der Arzneimittelentwicklung deutlich zu senken. Die Hälfte aller klinischen Misserfolge wird erst in der späten Phase III festgestellt - in jene Phase also, in der Medikamente bereits an einer großen Probandengruppe getestet werden. Nur eine von 10.000 Entwicklungen erlangt Marktreife. Zudem trägt Hans Clevers' Erfindung durch die Nutzung adulter menschlicher Stammzellen dazu bei, Tierversuche und die damit verbundene ethische und finanzielle Belastung zu reduzieren. Dies gilt insbesondere für Tierversuche, welche die Toxizität einer chemischen Komponente messen, indem sie die tödliche Dosierung bestimmen, die notwendig ist, um die Hälfte einer Probenpopulation von Testtieren zu töten. Der Weltmarkt für dreidimensionale Zellkulturen, zu denen Clevers' Forschungen zählen, erzielte im Jahr 2014 einen Umsatz von 560,8 Mio. EUR. Bei einer jährlichen Wachstumsrate (compound annual growth rate, CAGR) von 30,1% prognostiziert BBC Research für das Jahr 2019 ein Marktvolumen von rund 2,07 Mrd. EUR.
Medien- und Servicepaket:
- Videomaterial und Fotos
- Über den Erfinder
- Der Blick auf die Patente: EP0972037, EP2795322, EP2393917
Die Zukunft laborkultivierter Organe
In naher Zukunft könnten genetisch abgestimmte Spenderorgane außerhalb des menschlichen Körpers generiert und für medizinische Fälle bereitgehalten werden, in denen die Notwendigkeit einer Transplantation besteht. Der Erfinder ist ebenfalls optimistisch, dass Menschen künftig durch Transplantationen mit Hilfe von Organoiden geheilt werden können: Clevers und Team konnten mit gesunden, im Labor kultivierten Zellen bereits erfolgreich Darmkrebs bei Mäusen behandeln. Er glaubt, dass die Verpflanzung dieser Organoide innerhalb etwa fünf Jahren Realität werden könnte. Lesen Sie die ganze Geschichte über die Zukunft der personalisierten Medizin.
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