Neuartige Impfstoffe durch Genomanalyse: Rino Rappuoli als Finalist für Europäischen Erfinderpreis 2017 nominiert
- Italienischer Mikrobiologe Rino Rappuoli für seine Verdienste in der Impfstoffentwicklung in der Kategorie „Lebenswerk" nominiert
- Hohe spezifische Wirkung, keine Nebenwirkungen: Neue Impfstoffgeneration mit Hilfe von Genomanalyse entwickelt
- Neuartiges Verfahren: Rappuoli ist Vorreiter der „umgekehrten Impfstoff-Forschung" - eine schnellere und sichere Methode, Impfstoffe herzustellen
- Rappuolis Impfstoffe werden jährlich Millionen Menschen verabreicht und haben so schwerwiegende Infektionen wie Diphterie, bakterielle Meningitis und Keuchhusten in den Industrieländern eliminiert
- EPA-Präsident Battistelli: „Rappuoli hat mit seinen Impfstoffen die Möglichkeiten der Genomik auch für das öffentliche Gesundheitswesen nutzbar gemacht und Millionen von Menschenleben vor ehemals tödlichen Infektionen wie Diphterie, bakterieller Meningitis und Keuchhusten bewahrt"."
München, 26. April 2017 - Infektionskrankheiten, die früher Millionen das Leben kosteten - darunter Pocken, Tuberkulose und Kinderlähmung - kann mit der Injektion einfacher Impfstoffe vorgebeugt werden. Bis in die späten 1990er Jahre waren manche Krankheitserreger nur schwer mit Impfstoffen bekämpfbar. Hier sorgte der bahnbrechende Einsatz des italienischen Mikrobiologen Rino Rappuoli (65) für einen Paradigmenwechsel: Seine Genom-basierten Impfstoffe bieten einen wirksamen Schutz gegen Infektionen wie Diphtherie, bakterielle Meningitis und Keuchhusten, und rotteten eine Menge tödlicher Erkrankungen praktisch aus.
Für diese Leistung ist Rino Rappuoli als einer von drei Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie „Lebenswerk" nominiert. Am 15. Juni wird die Auszeichnung vom EPA im Rahmen eines Festakts in Venedig zum zwölften Mal verliehen.
„Rappuoli hat mit seinen Impfstoffen die Möglichkeiten der Genomik auch für das öffentliche Gesundheitswesen nutzbar gemacht und den Weg für eine effizientere Bekämpfung von pandemischen Infektionen bereitet", sagte EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2017. „Die neue Generation der Impfstoffe hat zu einem Paradigmenwechsel geführt und Millionen von Menschenleben vor ehemals tödlichen Infektionen wie Diphtherie, bakterieller Meningitis und Keuchhusten bewahrt. Seine Impfstoffe werden heute als Standardimmunisierung an Millionen Menschen weltweit verabreicht und haben das Potential, Infektionen in weniger entwickelten Regionen wirksam zu bekämpfen."
Neue Impfstoff-Generation
Rappuolis bahnbrechender Ansatz liegt in der Entwicklung von Impfstoffen aus Zellbausteinen: 1993 gelang es ihm, die ersten sogenannten konjugierten Impfstoffe herzustellen, die im Wesentlichen aus einer Verbindung („Konjugation") bestimmter Zuckermoleküle aus der Bakterienhülle mit Trägerproteinen bestehen. Diese Impfstoffe erzeugen im Körper eine sehr spezifische, im Vergleich zu den herkömmlichen Immunisierungen auch stärkere und länger anhaltende Immunantwort. Impfstoffe gegen Diphterie, Keuchhusten und viele weitere Infektionskrankheiten wurden nach diesem Prinzip entwickelt. Vor dieser Erfindung wurden abgeschwächte Formen der tatsächlich infektiösen Organismen, z.B. Bakterien, geimpft. Dieses Verfahren, das auf Louis Pasteur aus den 1880er Jahren zurückgeht, hatte jedoch seine Grenzen: Aufgrund ihrer Beschaffenheit konnte das Immunsystem die Bakterien nicht immer als schädlich erkennen. Deshalb wurden Antikörper nicht spezifisch genug ausgebildet und die Impfung verfehlte ihre Wirkung.
„Umgekehrte Impfstoff-Forschung": ein neuartiges Verfahren
Nicht nur neue Impfstoffe wurden von Rappuoli auf den Weg gebracht, sondern auch ein neuartiges Verfahren, diese gezielter und schneller herzustellen. Grundlage für seine Arbeit war die vom amerikanischen Biotechnologen Craig Venter entwickelte Genom-Entschlüsselung. Rappuoli ließ sich 1997 von Venter die Genome des Bakterienstamms Meningokokkus B (Erreger der Hirnhautentzündung) entschlüsseln, um Erbinformationen aus dem Zellkern zu lesen und diese gezielt zu verändern. Bis zu diesem Zeitpunkt war es niemandem gelungen, mit herkömmlichen Mitteln einen Impfstoff gegen die Meningokokken-B-Bakterien zu entwickeln. Mit Hilfe der Gen-Sequenzierung des Bakterienstamms lag jedoch die Erbinformation offen und Rappuoli konnte den „Code" knacken. Er konnte die richtigen Moleküle (Proteine) identifizieren, an welche die Impfmoleküle andocken müssen um die Meningitis-B-Bakterien zu zerstören. Auf diese Weise entstand 1999 die „umgekehrte Impfstoff-Forschung" (reverse vaccinology), aus der die erste Genom-basierte Impfung hervorging.
Rappuoli hat nicht nur mit der Entwicklung und Patentierung der ersten Impfstoffe für jeden Strang der Meningokokken-Meningitis (A, B, C, Y und W-135) Geschichte geschrieben. Er hat auch eine neue Praxis in der Labortechnologie etabliert. „Impfstoffe basieren seitdem nicht mehr auf gezüchteten Labor-Bakterien, sondern werden mittels Gen-Sequenzierung am Computer entworfen", sagt Rappuoli. Das Serum enthält nur noch gezielt die Bestandteile, die zur Immunisierung nötig sind. Dadurch können gravierende Nebenwirkungen vermieden werden.
Der Vater der modernen Impfstoffentwicklung
Es war die Wand der Kathedrale in seiner Heimatstadt Siena, die den jungen Rappuoli dazu brachte, sich der Bekämpfung von Infektionskrankheiten zuzuwenden: Das unfertige Gebäude erinnert an das Jahr 1348, als die Pest die Bevölkerungszahl von Siena innerhalb von drei Monaten von 100.000 auf 30.000 Menschen reduzierte. „Das hatte die gesamte technologische und künstlerische Entwicklung der Stadt ausgelöscht. So etwas soll nie wieder passieren", sagt Rappuoli. „Deshalb habe ich mich entschieden, mein ganzes Leben der Entwicklung von Impfstoffen zu widmen." Rino Rappuoli erhielt 1978 den Doktortitel in Biowissenschaften an der Universität Siena. Während seiner Forschungsaufenthalte an der Rockefeller-Universität und an der Havard Medical School kam er bereits als junger Forscher mit der Zellbiologie und modernsten Verfahren der Gentechnik in Berührung, die er später für seinen eigenen Durchbruch nutzte.
Heute arbeitet der Mitbegründer der zellulären Mikrobiologie und Inhaber von rund 150 europäischen Patentfamilien als Chef-Wissenschaftler bei dem global tätigen Pharmahersteller GlaxoSmithKline Vaccines. In wirtschaftlich armen Ländern, in denen Immunisierungssysteme noch nicht angewendet werden, sind viele Infektionskrankheiten noch nicht eingedämmt. Beispielsweise verursacht die invasive Meningokokken-Erkrankung (IMD) immer noch mindestens 1,2 Millionen Infektionen jährlich, die unbehandelt zu einer hohen Sterblichkeitsrate bei Patienten führen. Angesichts dieses Problems hat Rappuoli das Global Health Institute in Siena gegründet - eine gemeinnützige Organisation, die bezahlbare Impfstoffe in Entwicklungsländern zur Verfügung stellt. „Impfstoffe können die Kluft zwischen armen und reichen Ländern verkleinern. Wir müssen diese Kluft schließen", sagt Rappuoli über seine Mission.
Für seine bahnbrechenden Arbeiten in Impfstoffdesign und Genforschung wurde Rappuoli unter anderem mit dem Paul Ehrlich und Ludwig Darmstaedter Preis (1991), der Italian Gold Medal for Public Healthcare (2005) sowie der Albert B. Sabin Gold Medal (2009) ausgezeichnet. Im Rahmen des Terrapinn World Vaccine Congress 2013 wurde er zur dritt-einflussreichsten Persönlichkeit im Bereich Impfstoffe gewählt und erhielt im Jahr 2015 ein Forschungsstipendium von der Londoner Imperial College Faculty of Medicine.
Hoher sozialer und wirtschaftlicher Nutzen
Die unmittelbare Auswirkung von Rappuolis Impfstoffen ist bedeutend: Millionen von Menschen haben seine Impfungen gegen Krankheiten wie Diphterie, Meningokokken-Meningitis und Keuchhusten als Teil von Routine-Impfprogrammen bekommen. 1993 brachte das kalifornische Biotechnologie-Unternehmen Chiron Rappuolis Impfstoff gegen Keuchhusten auf den Markt. Innerhalb von 24 Monaten war diese Erkrankung in Italien eliminiert. In den späten 1990ern wurde Meningitis C in das britische nationale Immunisierungsprogramm aufgenommen und rottete die Krankheit innerhalb von zwei Jahren aus. 2015 wurde Meningitis B ebenfalls in das britische Immunisierungsprogramm aufgenommen. Public Health England schätzt die Wirksamkeit der Impfung auf 95 Prozent.
Der Anti-Meningitis-Impfstoff Bexsero erwies sich als Blockbuster-Medikament für Lizenzinhaber GlaxoSmithKline: Im Jahr 2016 erreichte der Umsatz 464,8 Mio. EUR, ein fast vierfacher Anstieg zum Stand im Vorjahr (136,19 Mio. EUR). In Großbritannien und anderen europäischen Ländern wird die konjugierte Pneumokokken-Impfung (PVC) routinemäßig an Kinder verabreicht. In den USA erhielten 2014 82,9 Prozent der Kinder zwischen 19 und 35 Monaten konjugierte Impfstoffe gegen Pneumokokken. Die Experten von Transparency Market Research bewerteten den weltweiten Meningokokken-Impfstoff-Markt mit 1,36 Mrd. EUR im Jahr 2013 und prognostizieren ein Wachstum von 4 Mrd. EUR pro Jahr bis 2022. In diesem Markt machen konjugierte Impfstoffe, und mittels umgekehrter Impfstoff-Forschung entwickelte Vakzine rund 71% des Gesamtumsatzes aus. Bis 2022 wird das Volumen auf 2,8 Mrd. EUR geschätzt.
Weiterführendes Informationsmaterial
- Video- und Fotomaterial
- Erfahren Sie mehr über die Erfinder
- Der Blick auf die Patente: EP1379272, EP0632727, EP2470204 und viele weitere
Auf zukünftige Pandemien vorbereiten
Der wissenschaftliche Fortschritt hat zwar große Schritte in der Eindämmung der Ausbreitung von Infektionskrankheiten gemacht. Dennoch bleiben Rino Rappuoli und andere Wissenschaftler besorgt über zukünftige Seuchen, insbesondere über die Pandemiestämme der Grippe (Influenza). In unserer global vernetzten Welt können sich neue Krankheiten alarmierend schnell verbreiten: Jüngste Ausbrüche wie die Vogelgrippe verbreiten sich wegen des Luftverkehrs innerhalb weniger Tage. Im 14. Jahrhundert benötigte die Pest hierzu noch Jahre. Glücklicherweise sind Wissenschaftler in der Lage, neue Impfstoffe so schnell wie nie zuvor herzustellen. Auch dank der grundlegenden Einblicke und neuen Labortechniken, die Rappuoli beigesteuert hat. Lesen Sie mehr über die medizinischen Technologien, die die Zukunft der Medizin verändern.
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