Für eine grünere und längere Lebensdauer: Reifen, die sich selbst erneuern Agnès Poulbot und Jacques Barraud† als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2018 nominiert
- Französische Forscher Agnès Poulbot und Jacques Barraud haben Technologie eines Reifenprofils entwickelt, das sich selbst erneuert - Nominierung für Preis des Europäischen Patentamts (EPA)
- Reifenprofil-Design per 3D-Druck: Verbesserte Leistung von gebrauchten Reifen über ihre Lebensdauer und in allen Jahreszeiten bei bedeutender Verringerung von Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß
- EPA-Präsident Battistelli: „Einen guten Ausgleich zwischen Transportbedarf und den damit einhergehenden Umweltbelastungen zu finden, ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Die innovative Technologie von Poulbot und Barraud hat das Potential, den Ausbau nachhaltiger Mobilität erheblich zu steigern. "
München, 24. April 2018 - Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor werden genutzt, um Menschen und Güter von Ort zu Ort zu bringen. Die Folgen für Umwelt und Gesundheit sind allerdings gravierend, stoßen sie dabei doch große Mengen an Schadstoffen aus: Autos, Lastwagen und andere Fahrzeuge sind für mindestens 20 Prozent der weltweit von Menschen verursachten CO2-Emissionen verantwortlich. Ganz zu schweigen von Feinstaub-Ausstoß und potenziell schädlichen Stickoxiden. Eine Reihe von Innovationen - von Elektromotoren über alternative Kraftstoffe bis hin zu autonomen Fahrzeugen - eröffnen Perspektiven, die verkehrsbedingten Schadstoffe künftig zu reduzieren. Dank der Erfindung der französischen Forscher Agnès Poulbot und Jacques Barraud lassen sich CO2- und andere Emissionen jedoch mit einem einfachen Reifenwechsel eindämmen. Ihr patentiertes 3D-Reifenprofil macht es möglich, dass sich Reifen von schweren Nutzfahrzeugen während der Fahrt selbst erneuern und dabei über die gesamte Lebensdauer hinweg gleichbleibenden Halt und Leistung gewährleisten. Das Konzept verlängert nicht nur die Haltbarkeit von Reifen, sondern trägt auch dazu bei, den Kraftstoffverbrauch und den damit verbundenen CO2-Ausstoß zu verringern.
Für diese Erfindung wurden Agnès Poulbot und Jacques Barraud als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie „Industrie" nominiert. Der Innovationspreis des EPA wird am 7. Juni 2018 im Rahmen eines Festakts in Paris, Saint-Germain-en-Laye verliehen.
„Einen guten Ausgleich zwischen Transportbedarf und den damit einhergehenden Umweltbelastungen zu finden, ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Die innovative Technologie von Poulbot and Barraud hat das Potential, den Ausbau nachhaltiger Mobilität erheblich zu steigern", sagte EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2018. „Erfindungen leben häufig davon, dass man sich vertrauten Probleme mit einem völlig neuen Blick nähert. Genau das haben diesen beiden Erfinder getan."
Ein unkonventioneller Ansatz
Als Mathematikerin und Expertin für 3D-Modelle an Michelins Innovationszentrum hat Agnès Poulbot zwar das Rad nicht neu erfunden. Sie hat jedoch den Reifen neu erdacht. Anstatt auf den klassischen Ansatz ihrer Industrie zu setzen und ein Profildesign mit einer Schicht und einem spezifischen Muster und Tiefe zu entwickeln, hat sie den Reifen als solchen genauer betrachtet.
Auf diese Idee kam sie, als ihr ein Transportunternehmer im Kundengespräch die Frage stellte, warum gebrauchte Reifen energetisch wirksamer seien als neue. Ein Phänomen, das man aus dem Rennsport kennt, wo Rennslicks so entworfen sind, dass sie die Traktion maximieren und mit ihrer glatten Oberfläche den Rollwiderstand minimieren. Allerdings verliert diese Art der Reifen entscheidend an Bodenhaftung, sobald es regnet: Viel Regen kann zu Aquaplaning führen, weil sich Wasser zwischen dem Reifen und der Straße sammelt - damit geht ein gefährlicher Kontrollverlust für den Fahrer einher.
Poulbot klärte ihren Kunden darüber auf, dass bei Reifenprofilen gewissermaßen ein Tauschgeschäft besteht zwischen tieferen Profilen, um Wasser abfließen zu lassen, und flachen, die den Rollwiderstand verringern. „Die tieferen Rillen von neuen Reifen - [die erforderlich sind, um Wasser bei Nässe vom Reifen abzuführen] - sind anfälliger für Biegung und Verformung, was den Rollwiderstand des Reifens erhöht. Wenn diese Rillen durch den Gebrauch abgenutzt sind, reduziert sich die Biegung des Profilkörpers und die Leistung des Reifens verbessert sich."
„Aber das hat mich zum Nachdenken gebracht", erzählt sie weiter. „Was wäre, wenn ich einen Reifen mit mehreren flachen und übereinander gelegten Profilen entwerfe?"
Nach sorgfältiger Berechnung und akribischer Modellierung am Computer lieferte sie das Ergebnis: ein Reifenkonzept, das auf übereinander liegenden, vertikal geschichteten Laufflächenprofilen beruht. Wenn die Reifen zum ersten Mal aufgezogen werden, ist nur die erste, äußere Traktionsschicht sichtbar. Im Laufe der Zeit nutzt diese sich ab und ein neues, zuvor verdecktes Profil - speziell positionierte Rillen und Lamellen - kommt darunter zum Vorschein. Die zweite Schicht nutzt sich ebenfalls nach einiger Zeit ab, um eine dritte freizulegen. Der Reifen erneuert sich also selbst, während er abgefahren wird. Das Reifenprofil ist auf minimalen Energieverlust und reduzierten Rollwiderstand ausgerichtet, um die bestmögliche Leistung über die gesamte Lebensdauer hinweg sicherzustellen.
Ein unkonventionelles Design benötigte jedoch auch eine unkonventionelle Herstellungsmethode. Gemeinsam mit Jacques Barraud, der bis zu seinem Tod 2016 bei Michelin als Senior Expert im Bereich Reifendesign und Produktion für schwere Nutzfahrzeuge tätig war, hat Agnès Poulbot eine spezielle Form entwickelt, um die Profilmuster dreidimensional herstellen zu können. Dies macht die Produktion in einer Größe für ganze Flotten von schweren Nutzfahrzeugen möglich.
Mehrere Schichten für ein „Triple-A" Rating
Neben dem geringeren Rollwiderstand und der höheren Kraftstoffeffizienz bietet Poulbots und Barrauds Technologie weitere Vorteile. So geht die Effizienz beim Verbrauch mit einer signifikanten Senkung der Fahrzeugemissionen einher. Die Europäische Kommission schätzt, dass Schwerlastfahrzeuge für rund ein Viertel der gesamten CO2-Emissionen des Straßenverkehrs verantwortlich sind und etwa fünf Prozent der gesamten EU-Treibhausgasemissionen produzieren. Insgesamt sind Autos, Busse, Transporter und Lastwagen für rund 20 Prozent des menschgemachten CO2-Ausstoßes auf Europas Straßen verantwortlich. Dies entspricht auch weitestgehend globalen Durchschnittswerten.
Weil der Einsatz von Reifen mit geringerem Rollwiderstand ein geeigneter Weg ist, Emissionen zu senken, hat die EU 2012 mit der Einführung eines neuen Reifenlabels begonnen, den Druck auf die Automobilindustrie zu erhöhen. Laut Michelin reduziert das sich selbst erneuernde Profildesign - welches als RegenionTM Technologie vermarktet wird - die CO2-Emissionen eines Reifensets über die gesamte Lebensdauer im Vergleich zu seinen Vorläufern um 3.724 Kilogramm. Würde das Unternehmen alle Michelin PL Reifen mit ihrem Profildesign ausstatten, so Agnès Poulbot, könnte dies jährlich etwa so viel CO2 einsparen wie die Stadt Paris in einem Monat erzeugt. Zudem hat das Unternehmen ausgerechnet, dass Lkw-Flottenbetreiber aufgrund der höheren Laufleistung durch die Technologie von einer 15 bis 20 Prozent längeren Reifen-Lebensdauer ausgehen können.
Das Reifenprofil-Design wird in verschiedenen Produktlinien seit 2013 für schwere Nutzfahrzeuge und seit 2016 für Personenkraftwagen vermarktet. Alle Modelle haben beim EU-Reifenlabel ein AAA-Rating erzielt und sind in Bezug auf Kraftstoffeffizienz und Bremsweglänge bei Nässe mit Höchstnoten bewertet worden. Zudem helfen die Reifen, die Lärmbelastung zu reduzieren, weil sie geräuschärmer abrollen, als dies seit 2016 vorgeschrieben ist.
Wachsender Markt für grüne Innovationen
Auch wenn Innovationen im Profildesign und bei Materialen von Reifen weniger im öffentlichen Interesse stehen als Erfindungen in anderen Transporttechnologien, so ist der Bereich dennoch von technischen Entwicklungen geprägt. Poulbots und Barrauds Patente vergrößern ein bereits breit gefächertes Patent-Portfolio bei Michelin. So zählt das Unternehmen kontinuierlich zu den führenden französischen Unternehmen bei europäischen Patentanmeldungen und ist gleichzeitig einer der größten Patentanmelder im Bereich Transporttechnologie. Diese lange Tradition in der Forschung und Entwicklung, die zurückreicht bis zum ersten Patent im Jahr 1891, bildet die Grundlage für den Aufstieg der Firma zu einem der weltweit führenden Reifenhersteller.
Berichte zeigen, dass das französische Unternehmen im Jahr 2017 rund 170.000 Reifen-Einheiten mit der Erfindung von Poulbot und Barraud ausgestattet hat. Laut Prognose des Unternehmens wird es bis 2019 rund 670.000 PL Einheiten verkauft haben, was rund 15 Prozent des gesamten Absatzes von Schwerlastreifen entspräche. Bis 2022 dürften laut Michelin 30 Prozent der verkauften Schwerlastreifen über die 3D-Technologie verfügen.
Der Markt für Lkw-Reifen hat dem letzten Marktbericht der Beratungsgesellschaft Smithers Rapra zufolge ein Volumen von rund 91 Milliarden Euro. Dabei wird eine jährliche Wachstumsrate von etwa 3,5 Prozent für die nächsten zehn Jahre erwartet. Die Marktforscher gehen von einer steigenden Nachfrage nach energieeffizienteren Reifen aus, und begründen dies mit der zunehmenden Regulierung und erhöhtem Druck durch die Automobilhersteller.
Eine Leidenschaft für Rätsel
Agnès Poulbot wurde 1967 in Paris geboren und hat Mathematik und Informatik in Grenoble studiert. Nach ihrer Promotion in Angewandter Mathematik an der Universität Grenoble im Jahr 1993 war sie bei der CEA (Atomenergie-Kommission) in Grenoble tätig, wo sie an der Entwicklung eines Bildrekonstruktions-Algorithmus für die medizinische Tomographie beteiligt war. 1996 begann Poulbot ihre Karriere bei Michelin. Dort ist sie aktuell Senior Expertin in der Vorentwicklung und fortgeschrittenen Forschung im Bereich Reifen-Design für Lkw und Bus für den europäischen Markt. Die Mutter von fünf Kindern liebt es, in ihrer Freizeit gemeinsam mit ihrer Familie Logikrätsel zu lösen.
Jacques Barraud wurde 1958 in Cholet im Westen von Frankreich geboren. Er war seit 1979 als Ingenieur, Ausbilder und Projektleiter für Michelin tätig, bevor er 2016 verstarb. Er coachte Poulbot, als sie 1996 bei Michelin einstieg. Am Innovationszentrum der Firma in Clermont-Ferrand gingen die beiden häufig joggen, während sie gemeinsam vier Jahre an der Entwicklung des sich selbsterneuernden Reifenprofils arbeiteten.
Zusätzliches Material
Über das Patent: EP2379352
Die Macht der Mathematik für Innovation:
Eine wachsende Zahl Erfindungen basiert auf komplexer Mathematik. Wer nach herausragenden Beispielen sucht, braucht nur einen Blick auf das multinationale Team zu werfen, das komplexe Signalmodulationstechniken für „Galileo", das europäische Satelliten-Navigationssystem der nächsten Generation, erfunden hat. Diese Arbeit brachte dem Team den Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie Forschung ein. Andere Finalisten und Gewinner, deren Erfindungen auf echter Zahlenarbeit beruhen, sind beispielsweise Joan Daemen und Pierre-Yvan Liardets Kryptographie-Technik, die Bankkarten sicher macht (2016; Finalisten in der Kategorie Industrie) und Carles Puentes Fraktal-Antennen, die das mobile Internet möglich machen (2014; Finalist in der Kategorie KMU).
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