Bildgebung per MRT in Echtzeit: Jens Frahm als Finalist für Europäischen Erfinderpreis 2018 nominiert
- Der deutsche Biophysiker Jens Frahm nominiert für bahnbrechende Innovationen auf dem Gebiet der modernen Magnetresonanztomographie (MRT)
-
Entscheidende Verbesserung der MRT-Bildgebungsgeschwindigkeit durch
seine FLASH-Technik - Erfindung etabliert MRT als klinisches Hilfsmittel: Weltweit über 100 Millionen Verfahren pro Jahr, die auf der Technik des deutschen Erfinders beruhen
- Folgeerfindung ermöglicht die allerersten „MRT- Filme" von menschlichen Körperfunktionen in Echtzeit
- EPA-Präsident Battistelli: „Frahms Arbeit hat das diagnostische Potenzial der Magnetresonanztomographie für die öffentliche Gesundheitsversorgung erschlossen und damit in den letzten Jahrzehnten Millionen von Patienten geholfen."
München, 24. April 2018 - Die Magnetresonanztomographie (MRT) gehört heute zu den sichersten medizinischen Diagnoseverfahren mit weltweit mehr als 100 Millionen Untersuchungen pro Jahr. Bei den ersten MRT-Scannern in den späten 1970er Jahren mussten Patienten noch mehrere Minuten völlig still liegen, bis auch nur ein einziges der Schichtbilder erstellt war - ein großer Nachteil gegenüber Röntgen- oder Ultraschallaufnahmen, und zugleich ein Hindernis für den Markterfolg. Die entscheidende Technik, die das Bildgebungsverfahren beschleunigte und damit MRT überhaupt der medizinischen Praxis zugänglich machte, hat der deutsche Biophysiker Jens Frahm 1985 am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie in Göttingen entwickelt: die FLASH-Technik (Fast Low Angle Shot). Maßgeblich dabei war die Reduzierung der MRT-Bildgebungszeiten von Minuten auf wenige Sekunden. Frahms kontinuierliche Weiterentwicklung von FLASH machte schließlich sogar die ersten „MRT-Filme" von menschlichen Körperfunktionen in Echtzeit möglich.
Für diese Leistung wurde Jens Frahm als einer von drei Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie „Forschung" nominiert. Die Auszeichnung wird am 7. Juni im Rahmen eines Festakts in Paris, Saint-Germain-en-Laye verliehen.
„Frahms Arbeit hat das diagnostische Potenzial der Magnetresonanztomographie für die öffentliche Gesundheitsversorgung erschlossen und damit in den letzten Jahrzehnten Millionen von Patienten geholfen," sagte EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2018. „Diese Erfindung unterstreicht die Führungsrolle europäischer Wissenschaftler und Erfinder in der Medizintechnik, zu der Forschungsinstitute einen bedeutenden Beitrag leisten."
Beschleunigung der MRT-Scanner
MRT macht sich die magnetischen Eigenschaften der Wasserstoffkerne zunutze, die in Wassermolekülen überall im menschlichen Körper vorhanden sind. Im Tomographen richten sie sich zunächst parallel zum starken Magnetfeld des Geräts aus und werden dann durch einen kurzen Radiowellenimpuls ausgelenkt. Beim Zurückschwingen geben sie ein eigenes Signal ab. Das ist das eigentliche Magnetresonanzsignal, aus dem erstmals in den 1970er Jahren ein Bild gewonnen werden konnte. Die erste MRT-Aufnahme eines Menschen wurde 1977 gemacht: Sie dauerte vier Stunden und 45 Minuten, da für ein einzelnes, zwei-dimensionales MRT-Bild 200 Einzelmessungen - Ausrichtungen der Wasserstoffkerne auf das Magnetfeld - notwendig waren, um ein Körpersegment vollständig abzubilden, ursprünglich sogar mit Wartezeiten zwischen den Messungen. Damit war das Verfahren für den Klinikalltag viel zu langsam.
Jens Frahm entwickelte in den frühen 1980er Jahren jedoch
im Rahmen seiner Arbeit im MRT-Forschungsteam am MPI für biophysikalische
Chemie in Göttingen den Fast Low Angle Shot, kurz FLASH. Durch das Senden ultrakurzer
Signalimpulse in 2 bis 10 Millisekunden-Intervallen in einem flachen Winkel
konnte er die Wartezeiten eliminieren und den Prozess radikal beschleunigen -
und dies ohne Verlust an Bildqualität. Alle notwendigen Aufnahmen für ein
dreidimensionales MRT-Bild wurden so in wenigen Minuten erstellt. Frahm ließ seine
Erfindung patentieren und veröffentlichte die Ergebnisse 1985 im medizinischen
Fachblatt The Lancet. Dies kam einem
Durchbruch gleich: Führende Hersteller übernahmen FLASH schon innerhalb weniger
Monate nach der Veröffentlichung und die Anzahl neu installierter MRT-Scanner verzeichnete
weltweit einen schnellen Anstieg.
„Blitzschnelle" Veränderung der klinischen Praxis mit FLASH
Frahms Fortentwicklung in der Echtzeit-Bildgebung heißt FLASH 2 und ist ein weiterer Grund für seine Nominierung für den Europäischen Erfinderpreis. Diese Methode aus dem Jahr 2010 verbindet das FLASH-Prinzip mit heutiger Computerbildrekonstruktion und erreicht Aufzeichnungsgeschwindigkeiten von bis zu 100 Bildern pro Sekunde. Dabei wird ein genialer Trick genutzt: Da die einzelnen Filmbilder nur minimal verschieden sind, werden jeweils nur wenige Aufnahmen mit etwa 5 bis 15 Messungen erstellt. Rekonstruktionsalgorithmen berechnen dann die Unterschiede zwischen den Bildern und füllen die fehlenden Informationen aus, um übergangslos bewegte Aufnahmen zu erzeugen.
„Im Grunde wandeln wir die MRT von einem fotografischen
in ein filmisches Bildgebungsverfahren um. Wir haben eine neue Methode
entwickelt, mit der man erstmalig direkt beliebige physiologische Vorgänge im
Körper - jede Art von Körperfunktionen - abbilden bzw. filmen kann", sagt Jens
Frahm.
Aktuell erstellt FLASH 2 in klinischen Studien in Deutschland, Großbritannien und den USA bis zu 6.000 Bilder in einer Minute. Das Verfahren ermöglichte die allerersten MRT-Filme von schlagenden Herzen, Gelenken in Bewegung und komplexen Prozessen wie Schlucken und Sprachbildung.
Laut Frahm werden Patienten auch von FLASH 2 profitieren, da detaillierte Untersuchungen von Artikulations- und Sprechstörungen wie Stottern oder Schluckproblemen in Echtzeit und ohne Unannehmlichkeiten möglich werden. Bei der kardialen MRT können Ärzte in viel kürzerer Zeit das schlagende Herz auf eine neue Weise umfassend kardiologisch begutachten. „Die Patienten, die man untersuchen will, sind zum Großteil Patienten mit Arrhythmien, die einen völlig unregelmäßigen Herzschlag haben, der mit der konventionellen Technik eigentlich nicht richtig untersucht werden kann", sagt der Erfinder.
Im medizinischen Alltag wurden Magnetresonanztomographen dank der FLASH-Technologie schnell zum neuen Standard in der diagnostischen Bildgebung. Sie liefern hochauflösende, dreidimensionale Darstellungen von sensiblen Bereichen wie Gehirn, Herz und Bauch ohne schädliche Strahlung wie beispielsweise bei Röntgenaufnahmen. „Mit der FLASH Technik haben wir die Wartezeiten eliminiert. Und das hat im Grunde die gesamte moderne MRT eingeleitet", sagt Frahm.
Heute wird der Einsatz von MRT weltweit als ein Indikator für qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung angesehen. Ihre Nutzung verzeichnet in den letzten Jahrzehnten in allen Ländern eine Zunahme. Erhielten etwa in Deutschland im Jahr 2000 noch 38,4 von 1.000 Einwohnern eine MRT-Untersuchung in der ambulanten Versorgung, waren es im Jahr 2014 mit 108,2 fast dreimal so viele. Die Anzahl der MRT-Geräte stieg von 2,7 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2010 auf 3,4 im Jahr 2015. 2016 wurde der weltweite Markt für MRT-Systeme auf 4,7 Milliarden EUR geschätzt und dürfte bis 2021 voraussichtlich 6 Milliarden EUR erreichen.
Die FLASH-Plattform ist heute das profitabelste Patent
der Max-Planck-Gesellschaft und hat bisher einen Lizenzumsatz von 155 Millionen
Euro generiert. Die Lizenzgebühren von FLASH und FLASH 2 wurden zur Finanzierung
der Forschungsaktivitäten der Biomedizinischen NMR-Forschung GmbH verwendet -
ein Non-Profit-Unternehmen, das Jens Frahm 1993 am Göttinger MPI für
biophysikalische Chemie gründete und seitdem als Direktor leitet. Ziel ist es, die
FLASH-Forschung weiter auszubauen. Der aktuelle Forschungsschwerpunkt liegt auf
der diagnostischen Anwendung von Echtzeit-MRT-Bildern mittels FLASH 2.
Jens Frahms Passion: innere Körperfunktionen darstellbar machen
Als junger Physikstudent machte sich Jens Frahm an der Georg-August-Universität Göttingen daran, durch integrierte chemische und physikalische Forschung Prozesse im menschlichen Körper sichtbar zu machen. In seiner Doktorarbeit im Fach physikalische Chemie im Jahr 1977 untersuchte er die medizinische Anwendung eines neuartigen Verfahrens namens Kernspinresonanz (NMR) Spektroskopie. Dabei handelte es sich um die Schlüsseltechnologie der MRT.
Seine Leidenschaft lässt ihn auch in seiner Freizeit nicht los: Als ehemaliger Klarinettist, der seinen Unterricht am Oldenburger Staatstheater erhielt, nutzt er die FLASH 2-Technik sogar für die Musik. Um die Biomechanik hinter der Klangbildung in Blechblasinstrumenten wie dem Horn zu untersuchen, erstellte er Live-MRT-Filme von professionellen Musikern, darunter Mitgliedern der Berliner Philharmoniker. Dies brachte eine überraschende Erkenntnis: Die menschliche Zunge ist beim Spielen sogenannter „lippenstimulierter Instrumente" nicht passiv, wie bisher gedacht. Ganz im Gegenteil: Frahms MRT-Filme enthüllten die aktive Rolle der Zunge bei der Erzeugung der Klangqualität und der Modulationsgeschwindigkeit von Luftströmen. Auch musikalische Lehrbücher mussten daraufhin neu geschrieben werden.
Vier europäische Patente und zahlreiche Auszeichnungen
Jens Frahm ist als Erfinder in vier europäischen Patenten genannt. Er hat über 470 wissenschaftliche Publikationen verfasst, darunter die Veröffentlichungen über die grundlegenden Prinzipien von FLASH und FLASH 2. Seine bahnbrechenden Leistungen wurden bereits durch zahlreiche Auszeichnungen gewürdigt, u. a. durch den Gold Medal Award der International Society for Magnetic Resonance in Medicine (1991), den Europäischen Kernspintomographie-Preis der Deutschen Röntgen Gesellschaft (1989) und die Jacob-Henle-Medaille (2016). 2016 wurde Jens Frahm für seine Pionierarbeit in der MRT in die Hall of Fame der deutschen Forschung aufgenommen - eine Ehre, die er mit nur 20 weiteren Wissenschaftlern teilt, die Hälfte davon Nobelpreisträger.
Medien- und Servicepaket
Die Patente: EP0191431, EP2699926 , EP2550541
Laden Sie unsere App „Innovation TV" auf Ihren Smart-TV und schauen Sie sich Videoportraits aller Finalisten auf Ihrem TV-Bildschirm an.
Von der Erforschung des Weltraums bis zum medizinischen Durchbruch
Es ist eine wenig bekannte Tatsache, dass einige der heute am meisten verbreiteten medizinischen Diagnosewerkzeuge ihre Existenz Weltraumprogrammen verdanken. Sowohl die computergestützte Topographie (CAT) als auch die Magnetresonanztomographie (MRT) wurden von der NASA entwickelt und verfeinert, um die Oberfläche des Mondes zu untersuchen. Dank Spin-Off-Innovationen wurden die Grundprinzipien - etwa durch die FLASH-Methode von Jens Frahm - für die medizinische Praxis erschlossen.
Pressekontakt:
Jana Mittermaier
Direktorin Externe Kommunikation
Rainer Osterwalder
Pressesprecher
EPO Press
Desk
Tel. +49
(0)89 2399 1833
Mobil: +49
(0)163 8399527
press@epo.org