Energie für biomedizinische Geräte: Esther Sans Takeuchi als Finalistin für den Europäischen Erfinderpreis 2018 nominiert
- US-amerikanische Erfinderin Esther Sans Takeuchi entwickelte Lithium/Silber-Vanadiumoxid-Batterie - Nominierung für Preis des Europäischen Patentamts (EPA)
- Ihre Batterie ermöglichte die großflächige Einführung implantierbarer Kardioverter-Defibrillatoren (ICDs) und erhöhte Komfort und Sicherheit für die Anwender des Geräts
- EPA-Präsident Battistelli: „Sans Takeuchis innovative Arbeit im Bereich Energiequellen und der Speicherung von Energie ermöglicht lebensrettende Technologien, von denen Millionen Patienten profitieren."
München, 24. April 2018 - Für Patienten mit hohem Herzinfarktrisiko sind Herzschrittmacher lebenswichtig. Heutzutage werden besonders häufig hochentwickelte implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren (ICDs) eingesetzt. Diese Geräte erkennen und korrigieren Unregelmäßigkeiten im Herzrhythmus und schützen dadurch Millionen Leben. Das Implantieren des Gerätes sowie der Tausch der Batterien sind jedoch mit chirurgischen Eingriffen und den damit einhergehenden Risiken verbunden. Die US-amerikanische Erfinderin Esther Sans Takeuchi hat eine Batterie mit einer fast fünffachen Lebensdauer entwickelt, welche die Häufigkeit solcher Operationen für ICD-Träger stark verringert. Dies hat nicht nur zu einem Fortschritt in der Batteriechemie, sondern auch zu einer breiteren Akzeptanz der lebensrettenden ICDs und einer signifikanten Verbesserung des Wohlbefindens der Patienten geführt.
Für diese Leistung wurde Esther Sans Takeuchi für den Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie „Nicht-EPO-Staaten" nominiert. Die Auszeichnung wird am 7. Juni 2018 in Paris, Saint-Germain-en-Laye, verliehen.
„Sans Takeuchis innovative Arbeit im Bereich Energiequellen und der Speicherung von Energie ermöglicht lebensrettende Technologien, von denen Millionen Patienten mit Herzinsuffizienz profitieren", sagte EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2018. „Ihre Entwicklungen auf dem Gebiet der Batterietechnologie haben sie außerdem zu einer der produktivsten US-amerikanischen Erfinderinnen gemacht."
Die Energie hinter implantierbaren Kardioverter-Defibrillatoren
Die Materialwissenschaftlerin und Chemieingenieurin Esther Sans Takeuchi widmete ihre Karriere der Elektrochemie und insbesondere der Batterietechnologie. Ihre Arbeit konzentrierte sich auf die Entwicklung von Batterien, die ein hohes Maß an Energie liefern können und gleichzeitig eine möglichst lange Lebensdauer erreichen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit hatten weitreichende Wirkung: Sans Takeuchis Erfindung der kompakten Lithium/Silber-Vanadiumoxid-Batterie ermöglichte die breite Einführung moderner implantierbarer Kardioverter-Defibrillatoren (ICDs). Rund 300.000 dieser Geräte werden jedes Jahr weltweit implantiert - damit sind sie im wahrsten Sinne des Wortes Lebensretter. ICDs setzen mittels Elektroschock das Herz bei einem unregelmäßigen Herzschlag zurück und verhindern dadurch einen plötzlichen Tod von Hochrisikopatienten, die besonders anfällig für einen Herzstillstand sind.
Der erste Defibrillator wurde 1980 implantiert. Die zugrundeliegende Technologie erhielt rund fünf Jahre später die erforderliche Zulassung der FDA in den USA. Das Problem: Die Batterien, die in den ersten Machbarkeitsstudien zum ICD-Design verwendet wurden, waren sehr groß und nur 12 bis 18 Monate funktionsfähig. Herzpatienten mussten sich deshalb für den Batteriewechsel oft potenziell riskanten Operationen unterziehen. Die Herausforderung habe darin bestanden, eine Batterie zu entwickeln, die klein genug ist, um implantiert zu werden und gleichzeitg eine beträchtliche Lebensdauer aufweist. Außerdem müsse sie eine sehr hohe Leistung bieten, um ausreichend Energie zu liefern, damit Patienten mit Hilfe des Geräts behandelt werden können, erklärt Sans Takeuchi.
In den eigenen Worten der Erfinderin: „ Die Defibrillator-Batterie muss 1 Million Mal mehr Energie als eine Schrittmacher-Batterie liefern. Wir brauchten eine Batterie mit einer völlig neuen Chemie - nicht einfach die Schrittmacher-Batterie in millionenfacher Wiederholung."
Ihr Verfahren entwickelte sie während ihrer Zeit als Wissenschaftlerin in der Batterieforschung beim Medizingerätehersteller Greatbatch. Sie befasste sich vor allem mit den chemischen und elektrischen Eigenschaften dreier spezifischer Metalle: Aufgrund der hohen Energiedichte von Lithium wählte sie dieses Metall als Anode für die neue Batterie. Das Metall hatte fast ein Jahrzehnt zuvor seine Zuverlässigkeit bewiesen, als der Firmengründer Wilson Greatbatch die erste Lithium-Anoden-Batterie für Herzschrittmacher entwickelt hatte. Für die Katode ihrer Batterie benötigte Sans Takeuchi jedoch eine Substanz, die möglichst viel Strom und Spannung vom Lithium ableitet und beides über eine lange Nutzungsdauer aufrechterhält. Ihre Lösung war eine Lithium/Silber-Vanadiumoxid-Verbindung. Vanadium lieferte eine lange Lebensdauer und eine hohe Spannung. Das Silber sorgte für die hohe Stromstärke, die notwendig ist, um mit den ICDs Schocks zu erzeugen, die das Herz wieder in den richtigen Rhythmus bringen.
Großflächige Einführung
Sans Takeuchis Lithium/Silber-Vanadiumoxid-Batterie („Li/SVO") verlängerte die Lebensdauer der Stromquelle von ICDs auf ungefähr fünf Jahre und spielte eine wichtige Rolle bei der großflächigen Einführung, die in den späten 80er Jahren begann. Die Batterietechnologie wurde 1987 erstmals in einem implantierten ICD eingesetzt und von Greatbatch (seit 2016 in Integer Holdings umfirmiert) vermarktet. Seither stellt das Unternehmen ICD-Batterien auf Basis der Erfindung her und lizenziert die Technologie für zwei weitere Batterielieferanten. Li/SVO-Batterien sind die am häufigsten verwendeten Batterien in ICDs und wurden seither als eine der maßgeblichen Energiequellen in eine große Anzahl implantierbarer Geräte zum Herzrythmusmanagement integriert. Diese Geräte kombinieren ICD, Herzschrittmacher und andere Herzüberwachungsfunktionen.
Sans Takeuchis Li/SVO-Batterien dominieren mittlerweile den Markt für implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren. Allein in den USA betragen die Umsätze auf diesem Markt fast 5 Milliarden US-Dollar - mit mehr als 10.000 Implantaten pro Monat. Die Erfindung hat wesentlich dazu beigetragen, die lebensrettende ICD-Technologie für Millionen von Patienten zu einer attraktiven medizinischen Behandlungsmöglichkeit zu machen.
Die Nutzung von Patenten war von Anfang an eine gezielte Strategie von Greatbatch: Wir waren nur eine kleine Gruppe. Um konkurrenzfähig zu bleiben, mussten wir schlau sein," sagt Sans Takeuchi. „ Wir nutzten also eine Strategie mit der wir Patentschutz nicht nur für die von uns entwickelteTechnolgie erwarben, sondern ebenso für alternative Lösungsansätze des Problems."
Sans Takeuchi spielte auch bei zahlreichen zusätzlichen Verbesserungen des Systems eine aktive Rolle und optimierte es zu einer Hochleistungsbatterie für ICDs. In zwei weiteren ihrer patentierten Erfindungen fügte sie dem Silber-Vanadiumoxid in der Kathode Kohlenstoffmonofluorid hinzu. So gelang es, eine ähnliche, aber noch kleinere Batterie herzustellen. Sie ermöglichte die Entwicklung von kompakteren ICDs, die trotz ihres geringeren Volumens sicher anwendbar sind. Die Patente von Sans Takeuchi stehen auch hinter Batterien, welche Neurostimulatoren, Pumpen und andere implantierte Geräte versorgen.
Talentiert, konzentriert, produktiv
Die Tochter lettischer Emigranten rechnet ihren Eltern hoch an, dass sie ihr schon in jungen Jahren eine starke Arbeitsmoral vermittelt und ihr Interesse an der Wissenschaft geweckt haben. „Mein Vater glaubte nicht, dass die Schule Mathematik adäquat lehrt und brachte mir deshalb abends Algebra bei", sagt Sans Takeuchi. „Meine Eltern waren beide der Meinung, dass eine wissenschaftliche Ausbildung sehr wichtig ist." Sans Takeuchis akademisches Studium lieferte ihr das Rüstzeug für ihre spätere Karriere. Sie erwarb 1975 einen Bachelor-Abschluss in Chemie und Geschichte an der University of Pennsylvania und promovierte 1981 an der Ohio State University in organischer Chemie. Anschließend arbeitete sie von 1982 bis 1983 als wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) am Fachbereich Elektrochemie an der University of North Carolina in Chapel Hill, von 1983 bis 1984 an der State University of New York in Buffalo. Direkt im Anschluss fand sie ihre berufliche Heimat bei Greatbatch Inc., wo sie als Wissenschaftlerin, leitende Wissenschaftlerin und schließlich als Direktor für Forschung und Entwicklung im Bereich der Batterieforschung und -entwicklung tätig war.
2007 kehrte Sans Takeuchi zu ihren akademischen Wurzeln zurück und nahm eine Professur an der State University of New York in Buffalo an. Seit 2012 ist sie dort Distinguished Professor in der Abteilung für Materialwissenschaften und Ingenieurwesen sowie leitende Wissenschaftlerin des Direktoriums für Energiewissenschaften am Brookhaven National Laboratory.
Sans Takeuchi ist bei 39 europäischen Patenten und 150 US-Patenten als Erfinderin genannt. Damit gilt sie hinsichtlich der Patentanzahl als eine der produktivsten weiblichen Erfinderinnen in den USA. 2009 wurde sie von US-Präsident Barack Obama mit der National Medal of Technology and Innovation für ihre Erfindung der Li/SVO-Batterie ausgezeichnet und 2011 in die National Inventor Hall of Fame aufgenommen. 2013 erhielt sie den E.V. Murphree Award in Industrial and Engineering Chemistry der American Chemical Society. Sans Takeuchi ist Mitglied der United States National Academy of Engineering, Mitglied des American Institute for Medical and Biological Engineering sowie der Electrochemical Society, für die sie von 2011 bis 2012 als Präsidentin tätig war.
Medien- und Servicepaket:
Laden Sie unsere App " Innovation TV " auf Ihren Smart-TV und schauen Sie sich Videoportraits aller Finalisten auf Ihrem TV-Bildschirm an.
Der Blick auf die Patente: EP1768203, EP1215175, EP1816692 EP1156541, EP0630065 , EP0618630
Implantierbare Erfindungen
Der erste implantierbare Herzschrittmacher (1958) und der Kardioverter-Defibrillator (1980) sind Meilensteine auf dem Weg in eine neue Epoche medizinischer Möglichkeiten, in der Medizinprodukte im menschlichen Körper platziert werden, um die Lebenserwartung und das Wohlbefinden von Menschen zu verbessern. Die am häufigsten verwendeten Implantate - Augenlinsen und Paukenröhren - kommen zwar nicht an Science-Fiction-Versprechungen heran, können aber oft lebensverbessernde Ergebnisse erzielen. Weitere Beispiele, wie Implantate Leben verändern können, sind die maßgeschneiderten Herzschrittmacher, die ein niederländisches Team entwickelte und die für den Europäischen Erfinderpreis 2007 nominiert waren. Ein Team aus französischen Wissenschaftler, die 2014 als Finalisten nominiert waren, haben eine implantierbare Brennstoffzelle entwickelt, die Glukose aus dem körpereigenen Blut des Patienten zur Stromversorgung von Herzschrittmachen verwendet. Die österreichischen Elektroingenieure Erwin und Ingeborg Hochmair zählten 2014 ebenfalls zu den Finalisten. Sie entwickelten Cochlea-Implantate, die hunderttausenden Patienten ihr Gehör zurückgegeben haben.
Pressekontakt:
Jana Mittermaier
Direktorin Externe Kommunikation
Rainer Osterwalder
Pressesprecher
EPO Press
Desk
Tel. +49
(0)89 2399 1833
Mobil: +49
(0)163 8399527
press@epo.org