Melkroboter für glücklichere Kühe und nachhaltige Milchviehhaltung: Alexander van der Lely und Karel van den Berg als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2019 nominiert
- Die niederländischen Ingenieure Alexander van der Lely und Karel van den Berg sind für das von ihnen entwickelte vollautomatisierte Melksystem für den Preis des Europäischen Patentamts (EPA) nominiert
- Der Roboter ermöglicht es Kühen, eigenständig und im Einklang mit ihrem natürlichen Verhalten zu entscheiden, wann und wie oft sie gemolken werden, ohne dass menschliches Zutun erforderlich ist
- Das weltweit eingesetzte System unterstützt damit das Wohlergehen der Tiere, verbessert deren Milchleistung und hilft Landwirten dabei, ihre Betriebe effizienter zu managen
München, 7. Mai 2019 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung der niederländischen Ingenieure Alexander van der Lely und Karel van den Berg für den Europäischen Erfinderpreis 2019 bekannt. Sie sind nominiert in der Kategorie „Industrie”. Damit wird ihre Erfindung eines vollautomatisierten Melksystems gewürdigt, das gleichermaßen Vorteile für Tiere wie Landwirte bietet.
Das Familienunternehmen, das van der Lely als CEO führt und bei dem van den Berg, der Erfinder des Melksystems, das Innovationsmanagement leitet, vertreibt das System weltweit. Heute zählt das Unternehmen zu den Marktführern für automatisierte Melksysteme und arbeitet mit Landwirten in mehr als 40 Ländern zusammen.
„Das von dem niederländischen Duo entwickelte Melksystem zeigt, wie sehr der Agrarsektor von High-Tech-Technologie in Sachen Nachhaltigkeit profitieren kann“, sagte EPA-Präsident António Campinos anlässlich der Bekanntgabe der Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2019. „Durch die Patentierung der Technologie wurde der Marktrollout des Systems klar verbessert und damit der Aufbau eines global wettbewerbsfähigen Unternehmens ermöglicht.“
Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden 2019 im Rahmen einer Galaveranstaltung am 20. Juni in Wien bekannt gegeben.
Effizienzsteigerung durch „kuhfreundliche“ Automatisierung
Die weltweite Nachfrage nach Milchprodukten steigt stetig. Herkömmliches Melken kann für die Kühe jedoch anstrengend sein, da der Landwirt entscheidet, wann die Tiere gemolken werden und nicht die Kühe selbst. Die Niederländer Alexander van der Lely und Karel van den Berg verfolgen mit ihrer Erfindung einen neuen Ansatz, der auf eine „tierfreundliche“ Automatisierung setzt und die Landwirtschaft gleichzeitig effizienter macht.
Van den Berg, der Elektrotechnik in Rotterdam studiert hat, wuchs auf einem Bauernhof auf. Ihm war deshalb bewusst, dass Kühe erst das Melken durch den Roboter akzeptieren müssen, damit das neue Melksystem überhaupt funktionieren konnte. „Ich ging von dem Grundsatz aus, dass die Kuh im Melkstift Freiheit braucht. Sie soll nicht fixiert oder festgehalten werden“, sagt er und fügt hinzu: „Wenn es der Kuh gut geht, sie keinen Stress empfindet und ihr alles, was sie braucht, angeboten wird – dann produziert sie die meiste Milch.“
Das Hauptmerkmal der Erfindung von van den Berg ist, dass die Kühe in den Melkstift gehen können, wann immer sie sich danach fühlen. Der Melkstift ähnelt einem großen Kasten. Auf einer Seite sind Metallstäbe angebracht. Ein Roboterarm, der sich unter der im Melkstift stehenden Kuh befindet, steuert den gesamten Melkvorgang. Sein Arm enthält Sensoren, die dafür sorgen, dass sich die Melkmaschine von selbst an den Euter legt, damit die Kuh gemolken werden kann. Durch das vorherige Scannen des Tiers werden unnötige spätere Armbewegungen zur Justierung vermieden. Dieses System wird Astronaut genannt: Die Kühe sind an die High-Tech-Maschine angeschlossen und können sich dennoch frei bewegen – wie ein Astronaut auf Weltraumspaziergang.
Konkret heißt das, dass ein Betrieb mit 120 Kühen eine zusätzliche Produktionskapazität von mehr als 1 Liter pro Kuh pro Tag erreichen kann, wenn zweimal täglich mit dem Lely-Astronauten gemolken wird. Das Unternehmen schätzt, dass sich die Anschaffungskosten für das Melksystem durch die bessere Milchproduktion in zwei bis drei Jahren amortisiert haben.
Der Nutzen des Astronauten geht über das reine Melken hinaus. Er bietet Landwirten auch ein wertvolles Instrument zur Datenerfassung und -analyse. Das System scannt die Kuh am Halsband und speichert relevante Daten wie Milchproduktion und Futtergewohnheiten. Diese werden in ein Programm eingespeist und dort analysiert und ausgewertet. Das hilft Landwirten, ihre Herden effizienter zu überwachen und zu verwalten – beispielsweise um festzustellen, wenn eine Kuh erkrankt ist.
Erfindung (für das) Agrarbusiness
Karel van den Berg und sein Ingenieursteam begannen 1985 mit der Entwicklung eines Robotermelksystems. Ein Jahr später reichte der Vater von Alexander van der Lely Patentanmeldungen für die ersten Erfindungen des automatisierten Melkens ein, von denen eine im gegenwärtigen System noch verwendet wird.
Alexander van der Lely studierte Produktions- und Management-Engineering in Zürich, bevor er 1995 in das Familienunternehmen wechselte mit dem Ziel, die technischen Leistungen des Robotermelksystems zu verbessern. Obwohl die ersten Astronautensysteme Mitte der 90er Jahre kommerziell vertrieben wurden, erinnert sich van der Lely daran, dass die Agrarbranche anfänglich Roboter nur zögerlich einsetze: „Ein Grund, warum diese Entwicklung so lange brauchte, bis sie am Markt angenommen wurde, war, dass wir die Maschine so entwickelt hatten, dass sie 24 Stunden am Tag einsatzbereit war. Dies ist ein großer Sprung für die Verwaltung einer Milchbetriebes. Außerdem brauchten wir die Zeit, um die Landwirte von der Automatisierung zu überzeugen und das notwendige Servicenetzwerk aufzubauen.“
Heute gilt das Unternehmen als Pionier beim Melken durch Roboter. Van der Lely ist in 47 europäischen Patenten im Bereich Melk- und Landwirtschaftsautomation als Erfinder genannt. Van den Berg wirkte im Verlauf seiner 35-jährigen Karriere an 267 europäischen Patenten als Erfinder mit, von denen viele auch in Nicht-EPO-Staaten Gültigkeit erlangten. Bei 25 dieser Patente teilt er sich die Erfindernennung mit Alexander van der Lely.
Um die Markteinführung der automatisierten Melksysteme zu beschleunigen, lizensierte das Unternehmen seine Technologie auch an Mitbewerber, wie Lely erklärt: „Patente sind für uns aus zwei Gründen sehr wichtig: Zum einen für den Schutz unserer Ideen, zum anderen aber auch, um den Markt für neue Erfindungen zu öffnen. Wir vergeben gerne eine Lizenz, damit wir gemeinsam Märkte erschließen können“, sagt van der Lely.
Diese Strategie hat dem Unternehmen dabei geholfen, sein Geschäft im Sektor für automatisierte Melksysteme auszubauen. Dieser soll von 1,06 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf 2,2 Milliarden Euro 2023 wachsen. Die Vorteile eines Melkroboters liegen auf der Hand: Geringere Abhängigkeit von manueller Arbeit und erhöhte Milcherträge durch häufigeres Melken. Etwa 30 000 Lely-Astronauten sind derzeit weltweit im Einsatz, was das Unternehmen zu einem Marktführer macht.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der prestigeträchtigsten Innovationspreise Europas. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt einzelne Erfinder und Erfinderteams, deren Erfindungen Lösungen für einige der drängendsten Probleme unserer Zeit darstellen. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury bestehend aus internationalen Größen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Akademie und Forschung ausgewählt, welche die Vorschläge auf deren Beitrag zum technischen Fortschritt, zur gesellschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa hin überprüft. Der Preis wird in fünf Kategorien bei einer Gala-Veranstaltung verliehen, die dieses Jahr am 20. Juni stattfinden wird. Der Gewinner des Publikumspreises fwird von der Öffentlichkeit aus den 15 Finalisten im Vorfeld der Verleihung über ein Online-Voting auf der EPA-Website gewählt. Abgestimmt werden kann bis zum 16. Juni 2019.
Über das Europäische Patentamt
Das Europäische Patentamt (EPA) ist mit fast 7 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine der größten europäischen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes. Der Hauptsitz ist in München; Niederlassungen gibt es in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien. Das EPA wurde gegründet, um die Zusammenarbeit europäischer Staaten im Patentwesen zu fördern. Über das zentrale Erteilungsverfahren beim EPA können Erfinder auf der Grundlage einer einzelnen Patentanmeldung Patentschutz in bis zu 44 Ländern (mit einem Markt von rund 700 Millionen Menschen) erlangen. Das EPA gilt überdies als die weltweit bedeutendste Behörde für Patentrecherchen und Patentinformation.
Weiterführendes Material
Blick auf die Patente: EP1188368, EP0951651, EP1221282, EP1163843
Weitere Informationen, Fotos und Videos zum Europäischen Erfinderpreis 2019 sind in der EPA-Mediathek erhältlich. Smart TV-Nutzer können unsere App "Innovation TV" herunterladen und Videos zu allen Finalisten auf ihrem Fernseher anschauen. Die Verleihung am 20. Juni 2019 wird live auf „Innovation TV“, der EPA-Website und der Facebook-Seite des EPA übertragen.
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