Computer Vision für höhere Verkehrssicherheit: Amnon Shashua und Team als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2019 nominiert
- Der israelische Erfinder Amnon Shashua und sein Team bei Mobileye sind für ihr Fahrerassistenzsystem für den Europäischen Erfinderpreis nominiert
- Die Erfindung nutzt eine einzelne Kamera und künstliche Intelligenz, um Fahrer vor möglichen Gefahren zu warnen
- Das Mobileye-System ist in über 40 Millionen Autos weltweit in Gebrauch und hat für die lebensrettende Fahrassistenz-Technologie einen breiten Markt erschlossen.
München, 7. Mai 2019 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung des israelischen Computer-Vision-Experten Amnon Shashua zusammen mit seinem Team - Erez Dagan, Yoram Gedalyahu, Gaby Hayon, Elchanan Rushinek, Shai Shalev-Shwartz und Gideon Stein - für den Europäischen Erfinderpreis 2019 bekannt. Damit wird ihr Fahrzeugsicherheitssystem gewürdigt, welches mittels einer Kamera und Bilderkennungssoftware Fahrzeuge Situationen erfassen, interpretieren und auf Gefahren im Straßenverkehr reagieren lässt.
Der Mitbegründer und CEO von Mobileye wurde mit seinen Kollegen in der Kategorie „Nicht-EPO-Staaten" für die Erfindung des ersten Fahrerassistenzsystems nominiert, das Fahrzeuge, Fußgänger, Fahrradfahrer, Fahrbahnmarkierungen und Verkehrszeichen erkennen kann. Da dieses System, für welches das Team Pionierarbeit geleistet hat, einfacher funktioniert und wirtschaftlicher ist als Konkurrenzsysteme, gelangt es größeren Zahlen von Autos zum Einsatz, sodass viel mehr Menschen von der höheren Sicherheit profitieren.
Vermarktet wird die Technologie von Mobileye, einem Unternehmen, das Shashua 1999 in Israel mit gegründet hat und das inzwischen eine Tochter von Intel ist. Bis heute wurde das System in mehr als 40 Millionen Fahrzeugen von nahezu allen namhaften Automobilherstellern verbaut - vom Kleinwagen bis zum Luxus-Modell.
„Professor Shashua und seine Kollegen haben mit der Nutzung von künstlicher Intelligenz eine einfache, aber smarte Lösung für Fahrerassistenzsysteme geschaffen, die einen großen gesellschaftlichen Nutzen bietet", sagte EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2019. „Die Erfindung hat nicht nur enorme Auswirkungen auf den Automobilmarkt, sondern rettet auch unzählige Leben."
Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden 2019 im Rahmen einer Galaveranstaltung am 20. Juni in Wien bekannt gegeben.
Vom menschlichen Sehen inspiriert
Statistiken der World Health Organization (WHO) zufolge sterben jedes Jahr mehr als eine Million Menschen bei Verkehrsunfällen. Zu den häufigsten Ursachen zählen das Abkommen von der Fahrbahn, Auffahrunfälle und Geschwindigkeitsüberschreitungen - alles Gefahren, die mit Hilfe elektronischer Vorrichtungen, die als Fahrerassistenzsysteme (FAS; englisch: Advanced Driver Assistance Systems, ADAS) bekannt sind, heute vermieden werden können. In den letzten Jahrzehnten konnten FAS auf den Fortschritten bei Sensoren, der Rechenleistung und der künstlichen Intelligenz aufbauen, um Autos autonom zu überwachen, die Fahrer zu warnen, Fahrzeuge abzubremsen und sie aus der Gefahrenzone zu manövrieren. Zuvor jedoch gelangte bei FAS Hardware wie Doppelkamera-Systeme zum Einsatz, die auf das Sammeln stereoskopischer Bilder ausgerichtet waren, oder Sender von Radar-ähnlichen Impulsen verwendeten, die umliegende Objekte abbildeten. Diese Lösungen waren teuer, kompliziert und umständlich.
Das von Shashua und seinen Kollegen entwickelte System unterscheidet sich von den Vorgängersystemen darin, dass es der menschlichen visuellen Wahrnehmung nachempfunden ist, für die sich der israelische Ingenieur, der in Hirn- und Kognitionswissenschaften am Massachusetts Institute of Technology promovierte, seit langem interessiert.
Seit 1996 ist er Mitglied der Fakultät der Hebräischen Universität in Jerusalem, wo er derzeit als Sachs Professor für Informatik tätig ist. Er hat mehr als 120 wissenschaftliche Publikationen in den Bereichen maschinelles Lernen und Computer Vision veröffentlicht.
Laut Shashua bedeutet Computer Vision, „Maschinen beizubringen, ihre Umgebung wie ein Mensch - mittels seiner Augen - wahrzunehmen." Dementsprechend lautete die Gründungsphilosophie für Mobileye: Wenn es Menschen möglich ist, ein Auto allein durch die Fähigkeit, sehen zu können, zu lenken, kann das ein Computer auch.
Als Shashua und sein Team feststellten, dass Menschen, die nur auf einem Auge sehen, Fahrbahnen exakt wahrnehmen können, wollten sie beweisen, dass auch eine Kamera mit nur einer Linse als Hauptsensor für FAS und zukünftiges autonomes Fahren geeignet ist: „Genauso wie unsere Augen es uns ermöglichen, die Welt zu sehen und unsere Umwelt nur mit Hilfe des Sehvermögens zu verstehen, glaubten wir, dass ein Computer mittels der Verwendung von Sensortechniken in einer monokulare Kamera dasselbe erreichen könne. Die Herausforderung bestand darin, einem Computer das Sehen und Verstehen einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern, Markierungen und Umgebungen beizubringen, um menschliche Fehler angemessen auszugleichen."
Eine intelligentere Lösung für die größten Herausforderungen in Automobilen
Einer der ersten Kunden von Mobileye - ein großer Automobilhersteller - fragte nach einem System, das Fahrbahnen erkennen um dadurch Kollisionen zu vermeiden. Im Gegensatz zu anderen FAS-Anbietern pochten Shashua und sein Team darauf, das Problem mit einer einzelnen Kamera zu lösen: „Wir wussten, dass auf Vision basierte FAS die Verkehrssicherheit revolutionieren könnten. Wir waren entschlossen, das System mit einer einzigen Kamera zu perfektionieren, weil wir das Veränderungspotenzial dieses völlig anderen Ansatzes erkannten. Tatsächlich stützt sich das menschliche visuelle System auf eine Vielzahl von Signalen, die monokularer Natur sind, wie Perspektive, Bewegung, Schattierung und Kontext. Obwohl es nicht intuitiv klingt, eine einzige Kamera bei Prozessen einzusetzen, die das menschliche Gehirn nachahmen, wird das System damit nicht nur kostengünstiger, sondern funktioniert auch besser als mit einer Stereokamera, die sich hauptsächlich auf geometrische Triangulation stützt", erklärt Shashua.
In dem von Shashua und seinem Team entwickelten System scannt eine in die Windschutzscheibe des Autos integrierte, nach vorne gerichtete Kamera mit einer einzigen Linse die Straße und überträgt die Aufnahmen an einen maßgeschneiderten Computerprozessor im Fahrzeug, dessen Software mit künstlicher Intelligenz Straßeneigenschaften erkennt. Ausgefeilte Algorithmen in der Hardware vergleichen Veränderungen der verhältnismäßigen Größe und Position von nahegelegenen Objekten alle 27 Millisekunden, um ihre Geschwindigkeit und Bahn zu kalkulieren. Die Technologie nutzt diese Daten, um Gefahren während der Fahrt in Echtzeit vorherzusagen und Warnungen an den Fahrer oder Sicherheitsbefehle für eine automatische Reaktion direkt an das Fahrzeug zu senden.
Innerhalb des ersten Jahres nach der Unternehmensgründung hatten sich die Mobileye-Mitarbeiter Erfindungen zum Berechnen von Kollisionszeiten und zum Reduzieren von Messstörungen patentieren lassen. Als das Unternehmen mit immer mehr Automobilherstellern zusammenarbeitete, sah es sich vor größere Herausforderungen gestellt, die es mit Hilfe von Computer Vision zu lösen galt.
Fahrbahnen zu erkennen war dabei nur der Anfang. Als Reaktion auf die Nachfrage der Kunden nach mehr Funktionen, welche die Sicherheit der Fahrer weiter erhöhen, hat das Team die Erkennungsfunktionen seines kundenspezifischen Ein-Chip-Systems, dem EyeQ®, verbessert. Mit dem Ziel, als Erster neue Sicherheitsfunktionen zu entwickeln, liess Mobileye ebenfalls Lösungen zur Erkennung von Verkehrsteilnehmern wie Motorradfahrern und Fußgängern sowie Verkehrszeichen patentieren.
Dank Verbesserungen in der Software, höherer Rechenleistung und leistungsfähigeren Kameras entwickelte das Mobileye-Team die Technologie weiter. So vergrößerte es beispielsweise die Entfernung, aus der das System Fahrzeuge und Fußgänger erkennen kann. Die Ingenieure entwickelten auch die Erkennung von freiem Raum, die semantische Hinweise über einfache Fahrbahnmarkierungen hinaus nutzt, um detaillierte Informationen über den befahrbaren Platz zu liefern.
Diese Fortschritte ebneten dem Unternehmen auch den Weg, eine führende Position in der Entwicklung von Technologie für völlig autonome Fahrzeuge einzunehmen. Beim EPA stieg die Zahl der Patentanmeldungen in diesem Bereich in den letzten sieben Jahren um 330 Prozent. Bis 2030 wird der Markt voraussichtlich ein Volumen von bis zu 62 Milliarden Euro erreichen. Mehr als ein Dutzend Automobilhersteller haben sich für eine Zusammenarbeit mit Intel und/oder Mobileye für ihre autonomen Fahrzeugprogramme entschieden.
Mobileye hat international bisher rund 150 Patente angemeldet. Diese waren besonders wichtig dafür, dem Unternehmen Kunden in der Automobilindustrie zu sichern, da diese Unternehmen ihre Reputation zu wahren haben und Streitigkeiten über geistiges Eigentum aus dem Weg gehen.
Hin zu einer Zukunft ohne Unfälle
Durch die Verlagerung der Schlüsselkomponente der FAS von schwerer Hardware auf smarte Software gelang es den israelischen Erfindern, die Kosten der Technologie zu senken und ihren Wirkungsgrad zu verbessern. Die Kosteneinsparungen führten dazu, dass der Einsatz der Technologie von ihrem ursprünglichen Markt der Luxusfahrzeuge auf Mittelklasse- und Kleinwagen ausgeweitet werden konnte und nunmehr Millionen Fahrer weltweit von ihren Sicherheitselementen profitieren können.
Mobileye kontrollierte 2017 rund 70 Prozent des Weltmarkts für Hinderniserkennungssoftware. Das Unternehmen arbeitet mit rund 25 führenden Automobilherstellern, darunter BMW, die Volkswagen Gruppe, Ford und General Motors, und versorgt dort Sicherheitsfunktionen wie die automatische Notbremsung und Spurhalteassistenz.
2017 erweckte die Innovationskraft von Mobileye erstmals globales Interesse, als Intel das Unternehmen für 13,5 Milliarden Euro erwarb - die bislang größte Übernahme eines israelischen Unternehmens. Seither hat die Firma ihre Belegschaft verdoppelt und beschäftigt nun mehr als 1 000 Mitarbeiter. Sie debütierte 2014 an den Aktienmärkten, als Mobileye an der New Yorker Börse gelistet wurde - der bislang größte Börsengang eines israelischen Unternehmens in den USA. Derzeit ist Shashua Senior Vice President bei der Intel Corporation sowie Präsident und Chief Executive Officer von Mobileye. Zu dem Team, das für den Europäischen Erfinderpreis 2019 nominiert wurde, gehören auch: Erez Dagan, Executive Vice President für Produkte und Strategie im Unternehmen und Vizepräsident bei Intel, Yoram Gedalyahu, Vizepräsident für Lokalisierung und Kartierung, Gaby Hayon, Geschäftsführender Vizepräsident F&E bei Mobileye und Vizepräsident bei Intel; Elchanan Rushinek, Geschäftsführender Vizepräsident Engineering bei Mobileye und Vizepräsident bei Intel; Shai Shalev-Shwartz, Technikvorstand (CTO), und Gideon Stein, Chief Research Scientist des Unternehmens.
Der globale Markt für FAS ist groß und wächst schnell. Zusätzlich zum florierenden Pkw-Markt geht Mobileye aufgrund von Gesetzesänderungen und zunehmend höheren Sicherheitsstandards von Betreibern von Flottenfahrzeugen auch von einer potenziell schnellen Akzeptanz von FAS in Nutzfahrzeugen aus. Neben den Vorteilen für die Verkehrssicherheit kann die Technologie auch zu kürzeren Reisezeiten führen und somit Kraftstoffeinsparungen für Autobesitzer bewirken und zur Senkung der CO2-Belastung beitragen.
Verkehrsunfälle zu verhindern bleibt dennoch eine Hauptmotivation für das Mobileye-Team. Fahrerassistenzsysteme haben das Potenzial, die Zahl der Verkehrsunfälle wesentlich zu senken - einer EU-Studie von 2016 zufolge um bis zu 46 Prozent. Shashua und seine Kollegen widmen sich der Weiterentwicklung der Technologie mit dem Ziel, die Zahl der Verkehrsopfer letztendlich auf Null zu bringen.
"Die technologischen Fortschritte der letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass die meisten Verkehrsunfälle vermieden werden können. Wir sind stolz darauf, dass unsere Entwicklungen zu einer neuen Realität bei Sicherheitssystemen in Autos beitragen. Wir werden in unseren Bemühungen auch nicht nachlassen bevor nicht alle Fahrzeuge mit der lebensrettenden FAS-Technologie ausgerüstet sind."
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise Europas. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt einzelne Erfinder und Erfinderteams, deren wegweisende Innovationen Antworten auf einige der größten Herausforderungen unserer Zeit geben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury bestehend aus internationalen Experten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Akademie und Forschung ausgewählt. Sie prüft die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur gesellschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa. Der Preis wird in fünf Kategorien bei einer Galaveranstaltung verliehen, die dieses Jahr am 20. Juni stattfindet. Der Gewinner des Publikumspreises wird von der Öffentlichkeit aus den 15 Finalisten im Vorfeld der Verleihung über ein Online-Voting ermittelt. Die Abstimmung auf der EPA-Website ist bis zum 16. Juni 2019 möglich.
Über das Europäische Patentamt
Das Europäische Patentamt (EPA) ist mit fast 7 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine der größten europäischen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes. Der Hauptsitz ist in München; Niederlassungen gibt es in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien. Das EPA wurde gegründet, um die Zusammenarbeit europäischer Staaten im Patentwesen zu fördern. Über das zentrale Erteilungsverfahren beim EPA können Erfinder auf der Grundlage einer einzelnen Patentanmeldung Patentschutz in bis zu 44 Ländern (mit einem Markt von rund 700 Millionen Menschen) erlangen. Das EPA gilt überdies als die weltweit bedeutendste Behörde für Patentrecherchen und Patentinformation.
Weiterführendes Material
Blick auf die Patente: EP1806595, EP1236126, EP1741079
Weitere Informationen, Fotos und Videos zum Europäischen Erfinderpreis 2019 sind in der EPA-Mediathek erhältlich. Smart TV-Nutzer können unsere App „Innovation TV" herunterladen und Videos zu allen Finalisten auf ihrem Fernseher anschauen. Die Verleihung am 20. Juni 2019 wird live auf „Innovation TV", der EPA-Website und der Facebook-Seite des EPA übertragen.
EPA-Pressekontakt
Jana Mittermaier
Direktor Externe Kommunikation
Rainer
Osterwalder
Pressesprecher
Pressestelle des EPA
Tel. +49 89 2399 1833
Mobile: +49 163 8399527
press@epo.org