Ehrung für Pionierin auf dem Gebiet der Gewebezüchtung: Gordana Vunjak-Novakovic als Finalistin für Europäischen Erfinderpreis 2021 nominiert
- Serbisch-amerikanische Wissenschaftlerin Gordana Vunjak-Novakovic für Preis des Europäischen Patentamts (EPA) für ihr Lebenswerk in Biomedizintechnik nominiert
- Herausragender Beitrag: Vunjak-Novakovic entwickelte neues Verfahren, das einen Bioreaktor nutzt, um die Umgebungsbedingungen des Körpers zu imitieren und es ermöglicht, anatomisch präzisen Gewebeersatz aus den Zellen eines Patienten zu züchten
- Als eine der weltweit meistzitierten Biomedizinerin hat Vunjak-Novakovic mit ihrem Lebenswerk in der regenerativen Medizin völlig neue Chancen geschaffen, um abgenutztes oder krankes Gewebe und Organe von Patienten zu ersetzen
München, 4. Mai 2021 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt bekannt, dass die serbisch-amerikanische Wissenschaftlerin Gordana Vunjak-Novakovic für ihre herausragenden Leistungen auf dem Gebiet der Biomedizintechnik als Finalistin des Europäischen Erfinderpreises 2021 nominiert worden ist. Sie widmete ihre jahrzehntelange Karriere der Entwicklung eines Ex-vivo-Verfahrens zur Gewebezüchtung, das eine sichere und präzise Kultivierung von Skelett-, Herz-, Lungen- und Gefäßgewebe für Transplantationen, die Modellierung von Krankheitsverläufen oder die Erprobung von Medikamenten ermöglicht.
Als eine von drei Finalisten in der prestigeträchtigen Kategorie „Lebenswerk" hat Vunjak-Novakovic mit ihrer Arbeit die komplexen Herausforderungen gelöst, die mit dem Ersatz von geschädigtem Gewebe verbunden sind. Bevor sie ihre Technik entwickelte, war der Austausch von Gewebe entweder mit einem schmerzhaften Transplantat aus dem Körper eines Patienten verbunden oder barg das Risiko einer Immunabstoßung, sofern Transplantate verwendet wurden, die von Verstorbenen stammten. Vunjak-Novakovics bahnbrechende Erfindung löst dieses Problem, indem biologische Transplantate ex vivo aus den eigenen Zellen eines Patienten gezüchtet werden.
„Gordana Vunjak-Novakovic hat im Laufe ihres Lebens einen großen Beitrag auf dem Gebiet der Gewebezüchtung geleistet, einer der vielversprechendsten Möglichkeiten, das Leben von Patienten zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern", sagte EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2021. „Ihre Innovation in der Wissenschaft, ihr Unternehmergeist und nicht zuletzt ihre patentierten Erfindungen bieten die Aussicht auf eine sichere rehabilitative Medizin bei Erkrankungen des Bewegungsapparats, des Herzens und der Lunge und läuten eine neue Ära in der regenerativen Medizin ein."
Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden am 17. Juni 2021 ab 19 Uhr im Rahmen einer Galaveranstaltung bekannt gegeben, die in diesem Jahr als digitales Event für ein weltweites Publikum neu konzipiert wurde.
Kontrollierte Umgebung
Im Feld der Biomedizin galt das Ersetzen von beschädigtem oder abgenutztem Gewebe bereits seit langer Zeit als erklärtes Ziel von Wissenschaftlern. Als Vunjak-Novakovic ihre Karriere in den 1980er-Jahren begann, sah der geläufige Ansatz so aus, dass eine Kombination aus Zellen und Biomaterialien in den Körper transplantiert wurde, um mit diesem Transplantat einen Weg zur Regeneration von Gewebe zu finden. Die Forscherin, die bereits als Kind von den herausragenden wissenschaftlichen Leistungen ihres serbischen Landsmanns Nikola Tesla inspiriert wurde, leistete Pionierarbeit, um dafür eine Alternative zu finden: Die Züchtung von Zellen im Labor durch sorgfältige Kontrolle der äußeren Umgebung - Temperatur, pH-Wert, Nährstoffe, Sauerstoff, Wachstumsfaktoren und physikalische Kräfte - um die Art des Gewebes, zu dem sie sich entwickeln, zu beeinflussen und dieses anschließend in den Körper zu implantieren. „Man kann den Zellen nichts vormachen", sagt Vunjak-Novakovic. „Man muss ihnen die gesamte Bandbreite der Bedingungen bieten, die sie auch in der Natur vorfinden."
Das Hauptaugenmerk von Vunjak-Novakovic und EpiBone - eines der von ihr mitgegründeten Unternehmen - liegt auf der Gesichtschirurgie. Zur Schaffung künstlicher Gesichtsknochen wird der fehlende oder beschädigte Bereich gescannt, um die genaue Form des Defekts zu definieren. Mit Hilfe dieses Scans wird im Anschluss ein 3D-Modell des benötigten Knochenersatzes erstellt und in ein Mikrofabrikationsgerät eingespeist, um ein Stück Schweine- oder Rinderknochenmatrix in dieselbe Form zu schneiden und so ein Gerüst zu schaffen, in dem das neue Knochengewebe wachsen kann.
Das Gerüst wird mit Stammzellen aus dem eigenen Bauchfett des Patienten besiedelt und in einem Bioreaktor platziert, der die fein kalibrierten Bedingungen im menschlichen Körper nachahmt, sodass der Knochen wachsen kann. Da sich Knochengewebe ständig selbst erneuert, wird das tierische Gerüst schließlich durch den eigenen Knochen des Patienten ersetzt. Vunjak-Novakovic ist überzeugt, dass EpiBone das einzige Unternehmen ist, das den Knochen eines Patienten individuell an dessen Biologie und Anatomie anpassen kann.
2016 erhielt sie ein europäisches Patent für die von ihr entwickelte Knochenregenerationsmethode. Patente seien entscheidend für die kommerzielle Umsetzung ihrer Forschung gewesen, so Vunjak-Novakovic. „Wenn wir sehen, dass wir eine Technologie haben, die patentierbar ist - also etwas nicht Offensichtliches, das einen großen Unterschied in irgendeinem Bereich der Wissenschaft, Technik oder Medizin machen könnte", erklärt sie, „dann würden wir, bevor wir auf wissenschaftlichen Konferenzen über das Ergebnis sprechen oder eine Arbeit darüber veröffentlichen, immer eine vorläufige Patentanmeldung einreichen."
Vunjak-Novakovic hat auch ein Protokoll zur Herstellung von adultem Herzgewebe entwickelt, das derzeit von TARA Biosystems, einem weiteren von ihr mitgegründeten Unternehmen, vermarktet wird. Es erzeugt lebendes Herzgewebe für die biomedizinische Forschung, einschließlich In-vitro-Tests für neue Medikamente. Die Forscherin ist außerdem mitfederführend, wenn es darum geht, stark geschädigte Lungen für die Transplantation zu regenerieren. Dazu werden diese vor der Transplantation für einige Tage an den Kreislauf des Empfängers angeschlossen, was sich positiv auf den Erfolg von Lungentransplantationen auswirken kann. Denn gegenwärtig werden noch bis zu 80 % der Spenderlungen wegen schwerer, aber potenziell reversibler Verletzungen abgelehnt.
EpiBone beabsichtigt, sich in Zukunft auf künstliche Knochenprodukte für Kinder mit angeborenen Deformationen des Kopfes und des Gesichts zu konzentrieren. Derzeit müssen sich Kinder mit solchen Erkrankungen im Laufe der Jahre mehreren Operationen unterziehen, weil Ersatztransplantate benötigt werden, solange das Kind noch wächst.
Meisterin auf dem Gebiet der Gewebezüchtung
Mit mehr als 53 400 Zitaten und mehr als 420 Artikeln in Fachzeitschriften gehört Vunjak-Novakovic heute zu den weltweit meistzitierten Biomedizinerin und hat im Laufe ihrer Karriere zahlreiche Auszeichnungen und Anerkennungen erhalten. Im Jahr 2007 war sie die erste Biomedizinerin, die einen Vortrag an dem National Institutes of Health hielt, und im Jahr darauf wurde sie in die Women in Technology International Hall of Fame aufgenommen.
Neben EpiBone, das derzeit 20 Mitarbeiter beschäftigt und mehr als 9,9 Millionen Euro an Fördergeldern erhalten hat, gründete Vunjak-Novakovic noch drei weitere Unternehmen mit. Dazu gehören TARA Biosystems, das herzähnliches Gewebe für den Einsatz im Medikamentenscreening entwickelt, Xylyx Bio, das gewebespezifische Substrate zur Unterstützung des Zellwachstums herstellt, und Immplacate Health, das mesenchymale Stammzellen zur Unterdrückung verschiedener Autoimmun- und Entzündungserkrankungen einsetzt. Derzeit untersucht sie, ob ihre Technologie durch Covid-19 geschädigte Lungen reparieren könnte und testet eine neue Behandlung, die auf einer Inhalationstherapie basiert. Die aktive Komponente des Medikaments besteht dabei aus einem von den Stammzellen abgesonderten Molekül.
Abgesehen von ihrem Einsatz als Unternehmerin und ihren herausragenden wissenschaftlichen Leistungen hat Vunjak-Novakovic auch beeindruckendes Engagement zur Unterstützung von Kollegen und der Förderung einer neuen Generation von Forschern gezeigt. Sie bildete über 150 Nachwuchswissenschaftler, klinische Stipendiaten, Post-Doktoranden sowie Medizinstudenten und Doktoranden aus, von denen heute viele entweder Fakultätsmitglieder an Universitäten in aller Welt oder Führungskräfte in der Biotechnologiebranche sind. Ihre Rolle als Mentorin betrachtet sie als eine der befriedigendsten Aufgaben ihrer Karriere: „Mentoring ist der beste und wichtigste Teil dessen, was wir in der akademischen Welt tun. Die Zukunft der biomedizinischen Technik ruht auf jungen Talenten, die sich mit wissenschaftlicher Forschung beschäftigen", sagt sie.
Hinweise an die Redaktionen
Über
die Erfinderin:
Die serbisch-amerikanische Biomedizinerin
Gordana Vunjak-Novakovic wurde 1948 in Belgrad, Serbien, geboren. Derzeit lebt
sie in New York, USA. Sie ist Universitätsprofessorin, der höchste akademische
Rang an der Columbia University, und damit die erste Biomedizinerin, die jemals
diese Auszeichnung erhielt. Sie ist außerdem Professorin der Mikati Foundation
für Biomedizinische Technik und Medizinische Wissenschaften, Professorin für
Zahnmedizin und Direktorin des Labors für Stammzellen und Gewebezüchtung an der
Columbia University, New York. Im Jahr 2008 wurde Vunjak-Novakovic in die Women
in Technology International Hall of Fame aufgenommen und erhielt zahlreiche
Auszeichnungen, darunter den Pritzker Award der Biomedical Engineering Society
und den Shu Chien Award des American Institute of Chemical Engineers. Im Jahr
2020 wurde sie mit dem Orden des Karađorđe-Sterns, der höchsten Auszeichnung
Serbiens, ausgezeichnet. Im Jahr 2021 erhielt sie den Pierre Galletti Award,
die höchste Auszeichnung, die das American Institute for Medical and Biological
Engineering vergibt. Sie wurde in die Academia Europaea, die Serbian Academy of Arts and
Sciences, die National Academy of Engineering, die National Academy of
Medicine, die National Academy of Inventors und die American Academy of Arts
and Sciences gewählt.
Vunjak-Novakovic Name wird in vielen Patenten genannt, darunter EP2408401 und EP1112348, die 2016 bzw. 2005 erteilt wurden und die Grundlage für ihre Nominierung als Finalistin für den Europäischen Erfinderpreis 2021 bilden.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische
Erfinderpreis ist einer der
renommiertesten Innovationspreise Europas. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben
gerufen und ehrt einzelne Erfinder und Erfinderteams, deren wegweisende
Innovationen Antworten auf einige der größten Herausforderungen unserer Zeit
geben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury bestehend aus internationalen Experten aus
Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Akademie und Forschung ausgewählt. Sie prüft
die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur
gesellschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung
von Arbeitsplätzen in Europa. Der Preis wird in fünf Kategorien (Industrie,
Forschung, KMU, Nicht-EPO Staaten und Lebenswerk) verliehen. Der Gewinner des Publikumspreises
wird von der Öffentlichkeit aus den 15 Finalisten über ein Online-Voting
ermittelt.
Über das EPA
Mit 6 400 Bediensteten ist das Europäische
Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das
seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag
und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den
Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des
zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen
Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund
700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den
Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
EPA-Pressekontakt
Luis
Berenguer Giménez
Hauptdirektor Kommunikation, Sprecher
Tel.: +49 89
2399 1203