Schnittstelle zwischen Gehirn und Maschine revolutioniert die Mobilität im Rollstuhl: Tunesisches Team als Finalistinnen des Young Inventors Prize 2024 ausgewählt
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Junge tunesische Erfinderinnen haben das System MOOVOBRAIN entwickelt, das Rollstühle über Signale des Gehirns, Sprachbefehle, das Mienenspiel oder per Touchpad steuern kann.
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Diese Technologie könnte Millionen Menschen weltweit, die an den Rollstuhl gefesselt sind, ein Stück Unabhängigkeit zurückgeben.
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Die Tunesierinnen treten am 9. Juli im Young Inventors Prize gegen ein niederländisches und ein ukrainisches Team an.
München, 4. Juni 2024 – Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mindestens 80 Millionen Menschen weltweit (das entspricht 1 % der Weltbevölkerung) im Laufe ihres Lebens auf einen Rollstuhl angewiesen. Viele Betroffene besitzen nicht mehr die volle Kontrolle über ihren Oberkörper und benötigen daher Pflegekräfte, um mobil zu sein. Ein Team tunesischer Ingenieurinnen im Alter zwischen 27 und 28 Jahren möchte dies ändern. Khaoula Ben Ahmed (28), Ghofrane Ayari (27), Souleima Ben Temime (28) und Sirine Ayari (28) haben das intelligente Rollstuhl-Steuersystem MOOVOBRAIN entwickelt, eine Technologie, die eine Steuerung des Rollstuhls über Sprache, Signale des Gehirns, den Gesichtsausdruck oder ein Touchpad ermöglicht. Diese Innovation gibt Personen, denen konventionelle Unterstützungstechnologien nicht helfen können, einen gewissen Grad von Autonomie zurück. Das MOOVOBRAIN-System des Teams wurde für den Young Inventors Prize im Rahmen des Europäischen Erfinderpreises 2024 nominiert, da es zwei der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) unterstützt. Die jungen Erfinderinnen wurden aus über 550 Bewerberinnen und Bewerbern der diesjährigen Auflage ausgewählt.
Diversität und Inklusion großgeschrieben
Das System MOOVOBRAIN arbeitet mit einem neuen Verfahren für die Rollstuhlsteuerung, das für die Bedürfnisse des jeweiligen Benutzers maßgeschneidert ist. Es verfügt über vier intuitive Antriebsarten: Der Voice Driving Mode wird per Sprachbefehl bedient, der Brain Driving Mode über ein spezielles Headset, das Signale des Gehirns erkennen kann, der Grimace Driving Mode über das Mienenspiel und der Manual Driving Mode über ein Touchpad oder eine Smartphone-App-Schnittstelle für Personen, die noch ihre Hände bewegen können. Das System wird von GEWINNER, dem Startup der Erfinderinnen, hergestellt. Es soll weltweit die Lebensqualität von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen verbessern und ihre Barrierefreiheit und Unabhängigkeit sicherstellen. Die vier Antriebsarten sind auf unterschiedliche Bedürfnisse, Behinderungen und körperliche Konstitutionen ausgelegt. Das System ist eine Vierfachlösung für Menschen, die sprechen können, ebenso wie für Stumme, das dadurch in mehrfacher Hinsicht Unterstützung leisten kann. Es kann sogar in herkömmlichen Rollstühlen nachgerüstet werden.
Für Assistenten und Pflegekräfte verfügt das MOOVOBRAIN-System außerdem über eine spezielle Schnittstelle mit Funktionen wie Rollstuhl-Tracking und Überprüfung des Benutzer-Handyakkus in Echtzeit. Dieser umfassende Ansatz soll bei einem breiten Spektrum an Behinderungen unterstützen und legt besonderen Wert auf Unabhängigkeit, Sicherheit und Konnektivität der betroffenen Personen.
"Wir reden ständig mit Rollstuhlfahrern, um unser System immer weiter zu verbessern – damit sie unabhängiger werden, indem sie sich ohne Hilfe anderer bewegen können. Wir möchten ihnen eine Lösung geben, mit der sie sich nicht im Haus eingesperrt fühlen müssen oder ständig auf andere angewiesen sind, um irgendwohin zu kommen", so Khaoula Ben Ahmed, CEO und Mitbegründerin von GEWINNER.
Mit Erfindungen Leben verändern
Während ihres Studiums am Institut Supérieure des Technologies Médicales de Tunis entwickelte das junge Team MOOVOBRAIN, nachdem jemand in der Familie eines Teammitglieds plötzlich auf einen Rollstuhl angewiesen war. Da erkannten sie, wie dringend flexiblere Unterstützungstechnologien benötigt werden.
Seit der Gründung 2019 ist GEWINNER nach dem Startup Act Label von Tunesien für seinen innovativen Beiträge anerkannt, stellte bereits auf namhaften Technologiemessen wie der VivaTech Paris aus und erhielt mehrere Auszeichnungen für seine Technologie. Das Team erhielt außerdem ein Mentorship über ein Programm der Europäischen Investitionsbank, die ihre Expertise in Sachen Finanzierung und Geschäftsplanung beitrug.
Das MOOVOBRAIN-System trägt direkt zu den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) 3, Gesundheit und Wohlergehen, und 10, weniger Ungleichheiten, bei. Als innovative Lösung zur Verbesserung der Mobilität und Unabhängigkeit verbessert die Erfindung die Gesundheit und das Wohlergehen eines wesentlichen Teils der Weltbevölkerung, der wegen Mobilitätseinschränkungen täglich mit großen Herausforderungen zu kämpfen hat. Da es durch seine verschiedenen Betriebsarten bei unterschiedlichen Behinderungen einsetzbar ist, bietet MOOVOBRAIN mehr Möglichkeiten für Mobilität und Teilhabe.
Rückblickend auf die Entwicklung und Motivation zur Weiterentwicklung von MOOVOBRAIN erklärt Souleima Ben Temime: "Es ist toll zu sehen, was wir in unserer Gesellschaft bewirken. Das treibt uns bei unserem Projekt weiter an, besonders weil die Arbeit mit fortschrittlichen Technologien nicht einfach ist in einem globalisierten Markt, in dem wir mit vielen Menschen Kontakt halten, Messen besuchen und rund um die Welt reisen müssen."
Die tunesischen Erfinderinnen des innovativen Systems wurden unter die drei Finalistenteams für den Young Inventors Prize beim diesjährigen Europäischen Erfinderpreis nominiert, mit dem herausragende Erfinder unter 30 Jahren gewürdigt werden. Die anderen Finalisten sind die Niederländerin Rochelle Niemeijer, deren tragbares Testkit zur schnellen Identifizierung von bakteriellen Infektionen im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen von entscheidender Bedeutung sein könnte, und der Ukrainer Valentyn Frechka, der eine Methode zur Verarbeitung von Laub in wiederverwertbares Papier entwickelt hat, wodurch die Abholzung von Wäldern verringert und die CO2-Emissionen gesenkt werden. Die Bekanntgabe der Gewinnerinnen und Gewinner des Europäischen Erfinderpreises 2024 und des Young Inventors Prize erfolgt bei der Preisverleihung, die am 9. Juli 2024 per Livestream aus Malta übertragen wird.
Weitere Informationen über die Auswirkungen der Erfindung, die Technologie und Näheres zu den Erfinderinnen und Erfindern finden Sie hier.
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Young Inventors Prize
Das Europäisches Patentamt rief den Young Inventors Prize 2021 ins Leben, um die nächste Generation von Erfinderinnen und Erfindern zu inspirieren. Dieser Preis richtet sich an innovative Menschen im Alter von bis zu 30 Jahren aus aller Welt, in Anerkennung von Initiativen, die mittels Technologie zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen beitragen. Dem Gewinner winkt ein Preisgeld in Höhe von 20 000 EUR. Der Zweitplatzierte erhält 10 000 EUR und der Finalist, der auf dem dritten Platz landet, bekommt 5 000 EUR. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury aus früheren Finalistinnen und Finalisten des Europäischen Erfinderpreises und des Young Inventors Prize ausgewählt. Das EPA überreicht die Preise bei der Hybrid-Preisverleihung des Europäischen Erfinderpreises 2024 am 9. Juli. Im Gegensatz zu den traditionellen Kategorien des Europäischen Erfinderpreises müssen die Preisträger kein europäisches Patent erhalten haben. Hier erfahren Sie mehr über die Qualifikations- und Auswahlkriterien des Young Inventors Prize.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise in Europa. Mit dem 2006 vom EPA ins Leben gerufenen Preis werden Einzelpersonen und Teams ausgezeichnet, die Lösungen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben. Die Jury des Europäischen Erfinderpreises besteht aus Erfindern, die allesamt ehemalige Finalistinnen und Finalisten sind. Bei der Beurteilung der Vorschläge stützt sich die unabhängige Jury auf ihr umfangreiches Fachwissen in den Bereichen Technik, Wirtschaft und geistiges Eigentum. Im Jahr 2024 hat Wolfgang M. Heckl den Vorsitz der Jury inne. Alle Erfinder müssen für ihre Erfindung ein europäisches Patent erhalten haben. Weitere Informationen zu den verschiedenen Kategorien und Preisen, den für die Auswahl geltenden Kriterien und zur Preisverleihungszeremonie am 9. Juli 2024 in Malta, die im Livestream verfolgt werden kann.
Über das EPA
Mit 6 300 Beschäftigten ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das Amt, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinderinnen und Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 45 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Das EPA ist zudem weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.