Führt das EPA eine Recherche hinsichtlich älterer nationaler Rechte durch?
Seit dem 1. September 2022 führt das EPA systematische abschließende Recherchen durch, um ältere nationale Rechte in allen EPÜ-Vertragsstaaten zu ermitteln und deren prima facie-Relevanz zu beurteilen. Der neue Service steht kostenlos zur Verfügung und erfordert keinen Antrag des Anmelders.
EPA-Prüfer führen eine Recherche hinsichtlich etwaiger weiterer kollidierender europäischer Patentanmeldungen durch, die unter Artikel 54 (3) EPÜ fallen, sofern dies noch nicht im Rahmen des europäischen Recherchenberichts geschehen ist. Bei der abschließenden Recherche des EPA werden neben Dokumenten nach Artikel 54 (3), die zum Zeitpunkt der ursprünglichen Recherche noch nicht verfügbar waren, unter anderem potenziell relevante Dokumente zum Stand der Technik berücksichtigt, die andere Patentämter Anmeldungen entgegengehalten haben, die derselben Patentfamilie wie die vom EPA zu prüfende Anmeldung angehören. Eine solche Recherche muss daher für jede Akte zu Beginn und am Ende der Prüfung durchgeführt werden (siehe Richtlinien für die Prüfung im EPA, C-IV, 7.1).
Nach Artikel 139 (2) EPÜ haben eine nationale Patentanmeldung und ein nationales Patent in einem Vertragsstaat gegenüber einem europäischen Patent, soweit dieser Vertragsstaat benannt ist, die gleiche Wirkung als älteres Recht wie gegenüber einem nationalen Patent. Damit gemeint sind nationale Anmeldungen eines oder mehrerer in der europäischen Anmeldung benannter Staaten, deren Anmeldetag vor dem Anmelde- oder Prioritätstag der europäischen Anmeldung liegt und die an oder nach diesem Tag als nationale Anmeldungen oder Patente veröffentlicht worden sind.
Ältere nationale Rechte gehören nicht zu dem Stand der Technik, der vom EPA bei der Prüfung auf Patentierbarkeit zu berücksichtigen ist (Artikel 54 EPÜ). Nach Artikel 139 (2) EPÜ können jedoch nach der Erteilung des europäischen Patents ältere nationale Rechte als Nichtigkeitsgrund in nationalen Verfahren geltend gemacht werden. Deshalb können Anmelder unterschiedliche Anspruchssätze für Länder einreichen, in denen ältere nationale Rechte festgestellt werden (Regel 138 EPÜ).
Ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung (“Einheitspatent“) ist ein europäisches Patent, das vom EPA nach den Vorschriften und Verfahren des EPÜ erteilt wird und auf Antrag des Patentinhabers auf den Gebieten der EU-Mitgliedstaaten, die an der Verstärkten Zusammenarbeit zur Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes teilnehmen und das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) ratifiziert haben, einheitliche Wirkung entfaltet. Damit für ein europäisches Patent einheitliche Wirkung eingetragen werden kann, muss es mit den gleichen Ansprüchen für alle 25 teilnehmenden Mitgliedstaaten erteilt worden sein (s. Artikel 3 (1) der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012).
Seit dem 1. September 2022 hilft das EPA Anmeldern bei der Entscheidung, ob sie gesonderte Anspruchssätze einreichen, indem es sie in einer Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ unverbindlich über ältere nationale Rechte informiert, die für prima facie relevant befunden wurden. Da dieser Service kein Erfordernis nach dem EPÜ ist, sondern eine zusätzliche Qualitätsmaßnahme des EPA, die den Nutzern kostenlos zur Verfügung gestellt wird, seien die Anmelder daran erinnert, dass sie selbst die Verantwortung dafür tragen, ältere nationale Rechte sorgfältig zu prüfen und gesonderte Anspruchssätze einzureichen (siehe Richtlinien für die Prüfung im EPA, G-IV, 6).
Nähere Informationen siehe auch die FAQ „Welche Erfordernisse sind zu erfüllen, um ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung (Einheitspatent) zu erlangen?“