T 0345/15 20-03-2019
Download and more information:
ECKVERBINDUNG zwischen zwei SPUNDBOHLEN
Hauptantrag: unzulässige Erweiterung, mangelhafte Offenbarung (nein)
Hauptantrag: Neuheit, erfinderische Tätigkeit (ja)
Verletzung des rechtlichen Gehörs der Einsprechenden (nein)
Verspätetes Vorbringen im Beschwerdeverfahren: Beweismittel nicht öffentlich zugänglich, unberücksichtigt
Anonyme Einwendungen Dritter im Beschwerdeverfahren: nicht berücksichtigt
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 15. Dezember 2014, mit der der Einspruch gegen das Patent Nr. EP-B- 1 328 686 zurückgewiesen wurde.
Insbesondere stellte die Einspruchsabteilung fest, dass die beanspruchte Eckverbindung gemäß dem erteilten Patent ausreichend offenbart sei, keine unzulässige Erweiterung beinhalte und dass sie gegenüber dem zitierten Stand der Technik neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. Die Beschwerde wurde von der Einsprechenden (im Folgenden: Beschwerdeführerin) am 17. Februar 2015 eingelegt. Die Beschwerdegebühr wurde am 18. Februar 2015 entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 27. April 2015 eingegangen.
III. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent in geänderter Fassung auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 7, eingereicht mit dem Schreiben vom 20. Oktober 2014, aufrechtzuerhalten.
IV. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
[mit hinzugefügter Merkmalsgliederung]
a) Eckverbindung zwischen zwei Spundbohlen
b) in welcher ein Verbindungsprofil (10) mit einem ersten Anschlussschloss (12) in ein hakenförmiges Bohlenschloss (112) der ersten Spundbohle und mit einem zweiten Anschlussschloss (12') in ein hakenförmiges Bohlenschloss (112') der zweiten Spundbohle eingreift,
c) wobei die beiden Anschlussschlösser (12,12') asymmetrisch am Verbindungsprofil (10) angeordnet sind;
dadurch gekennzeichnet, dass
d) das Verbindungsprofil einen ersten, zweiten und dritten Arm (16,18,20) aufweist, die sich von einem gemeinsamen Mittelpunkt (O) in drei Richtungen erstrecken um die beiden Anschlussschlösser (12,12') auszubilden,
e) der erste Arm (16) an seinem freien Ende ein erstes Hakenelement (22) aufweist,
f) das in Richtung des zweiten Arms (18) ausgerichtet ist, derart dass es mit dem zweiten Arm (18) eine Schlosskammer (24) des ersten Schlosses (12) ausbildet,
g) wobei eine Schlossöffnung (26) durch einen Abstand der Spitze (28) des ersten Hakenelements (22) zum zweiten Arm (18) festgelegt ist;
h) der zweite Arm (18) an seinem freien Ende ein zweites Hakenelement (22') aufweist,
i) das in Richtung des dritten Arms (20) ausgerichtet ist, derart dass es mit dem dritten Arm (20) eine Schlosskammer (24') des zweiten Schlosses (12') ausbildet,
j) wobei eine Schlossöffnung (26') durch einen Abstand der Spitze (28') des zweiten Hakenelements (22') zum dritten Arm (20) festgelegt ist; und
k) der dritte Arm (20) kein Hakenelement aufweist.
V. Vorgebrachte Dokumente
a) bereits im Einspruchsverfahren berücksichtigt:
E2a: DE 197 25 143 A1;
E3: DE 297 18 052 U1;
E9: Eine Seite DIN A4, Ausdruck der Internetseite http://www.duden.de/rechtschreibung/Arm [von der Einspruchsabteilung eingeführt];
b) mit der Beschwerdebegründung erstmals vorgebracht:
A12: Faxschreiben vom 16. Juni 1997 der British Steel Deutschland GmbH, Düsseldorf, an Herrn Wall von der ISH Handels GmbH, München;
A13: Handschriftlich ergänzte Version der Seite 2 von A12.
VI. Die Beschwerdeführerin stützt sich im Wesentlichen auf folgende Argumente bezüglich des Hauptantrags:
a) Rechtliches Gehör
Die Einspruchsabteilung habe während der mündlichen Verhandlung völlig überraschend das nachveröffentlichte Dokument E9 zur Einschätzung der Offenbarung des Dokuments E2a in Bezug auf das Merkmal d) des erteilten Anspruchs 1 im Rahmen der Debatten zur Neuheit eingeführt und sich zur Entscheidungsfindung darauf gestützt. Dieses Dokument sei jedoch weder dem Ladungsbescheid zur mündlichen Verhandlung beigefügt noch während der Verhandlung vorgelegt worden, so dass der Einsprechenden jegliche Möglichkeit verwehrt worden sei, den Inhalt bzw. die Relevanz dieses Dokumentes zu prüfen und in angemessener Form zu reagieren.
Dies habe zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne von Artikel 113 (1) EPÜ geführt.
b) Mangelnde Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)
Ein wesentlicher Aspekt des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents beziehe sich laut Merkmal d) auf einen Mittelpunkt (O), von welchem sich ein erster, zweiter und dritter Arm des Verbindungsprofils in drei unterschiedliche Richtungen erstreckten. Zur geometrischen Definition eines derartigen Mittelpunkts fänden sich jedoch keine näheren Angaben im Streitpatent, sei es im Anspruch 1 oder in der Beschreibung.
In den Figuren des Streitpatents finde sich gleichfalls keine Lehre, wie der beanspruchte Mittelpunkt überhaupt zu schaffen sei, zumal der in Figur 1 mit dem Bezugszeichen "O" dargestellte Punkt zu dem aus der Geometrie der Arme resultierenden Schnittpunkt der drei Erstreckungsrichtungen versetzt sei und daher mit dem Mittelpunkt der drei Arme des Eckverbindungsprofils nicht übereinstimmen könne.
Somit offenbare das Streitpatent den beanspruchten Gegenstand nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen könne (Artikel 100 b) EPÜ).
c) Unzulässige Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ)
Das Ersetzen des ursprünglich offenbarten Begriffs "Eckverbindung von zwei Spundbohlen" durch das spezifischere Merkmal a), nämlich "Eckverbindung zwischen zwei Spundbohlen" stelle eine unzulässige Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ), zumindest eine nicht offenbarte Zwischenverallgemeinerung der in den beiden letzten Absätzen auf Seite 9 der ursprünglich eingereichten Anmeldung definierten Ausführungsform mit zwei im 90° Winkel zueinander stehenden Bohlen dar.
d) Mangelnde Neuheit (Artikel 54(1), 100 a) EPÜ)
Die Neuheit der beanspruchten Eckverbindung sei durch den in E2a offenbarten Stand der Technik vorweggenommen, da die in der angefochtenen Entscheidung als neu betrachteten Merkmale d), f), g), i), j) und k) ebenfalls aus E2a bekannt seien. Im Gegensatz zur Würdigung durch die Einspruchsabteilung des in E2a offenbarten Stands der Technik erkenne der Fachmann ohne Weiteres, dass der Vorsprung 6 im mittleren Bereich der zentralen Stegleiste 2 durchaus einen Arm darstelle, und folglich dass das bekannte Verbindungsprofil gleichwohl drei Arme umfasse, die sich von einem gemeinsamen Mittelpunkt in drei Richtungen erstreckten und zwei Anschlussschlösser bildeten.
Außerdem sei die beanspruchte Eckverbindung gleichfalls aus den zwischen zwei Mitgliedern der Öffentlichkeit ausgetauschten Faxschreiben A12 und A13 neuheitsschädlich bekannt.
e) Mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 56,
100 a) EPÜ)
Ausgehend von E2a stelle sich die Aufgabe, eine Eckverbindung zu schaffen, bei welcher ein Herausspringen einer anzuschließenden Spundbohle aus der Hakenleiste vermieden werden könne.
Der Fachmann erhalte von E3 die Lehre, den Vorsprung der aus E2a bekannten Eckverbindung in seiner Dimensionierung und Abmessung abzuwandeln und im Ergebnis in der Gestalt eines Arms auszubilden.
Im Ergebnis werde ein Herausspringen einer anzuschließenden Spundbohle aus der Hakenleiste des zweiten Schlosses verhindert.
Die aus E3 bekannten und zu diesem Zweck einzusetzenden technischen Maßnahmen entsprächen den Merkmalen d) bis k) des erteilten Anspruchs 1.
Der beanspruchte Gegenstand beruhe daher auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
VII. Die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin zum Hauptantrag kann wie folgt zusammengefasst werden:
Die im Anspruch 1 definierte Erfindung stelle keine unzulässige Erweiterung dar und sei so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Der beanspruchte Gegenstand sei gegenüber E2a neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Insbesondere habe der Fachmann keinen Anlass E3 heranzuziehen. In E3 sei auch keine Anregung erhalten, die aus E2a bekannte Eckverbindung derart zu ändern, dass das somit erreichte Endprodukt sämtliche Merkmale d) bis k) des Anspruchs 1, welche die Unterscheidung gegenüber E2a darstellten, aufweisen würde.
Die von der Beschwerdeführerin mit ihrer Begründung vorgebrachten Anlagen A12 und A13 seien unberücksichtigt zu lassen.
VIII. In einer Mitteilung vom 15. Juni 2018 nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer ihre vorläufige Meinung kundgetan, dass die Einwände nach Artikel 100 a), b) und c) EPÜ und die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten entsprechenden Begründungen der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht im Wege stünden. Zudem hat die Kammer ihren vorläufigen Standpunkt mitgeteilt, dass das Heranziehen des Dudenauszugs E9 zur Auslegung des Begriffs "Arm" und damit zur Entscheidungsfindung das rechtliche Gehör der Einsprechenden/Beschwerdeführerin nicht verletzt habe.
Daraufhin hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 4. Juli 2018 mitgeteilt, dass sie an der für den 30. August 2018 anberaumten mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht teilnehmen werde. Zur Sache hat die Beschwerdeführerin nicht weiter vorgetragen.
Mit Mitteilung vom 31. Juli 2018 hat die Kammer die mündliche Verhandlung aufgehoben.
IX. Mit einer Mitteilung vom 26. Oktober 2018 hat die Geschäftstelle der Kammer die per Fax am 22. Oktober 2018 eingereichten Einwendungen eines anonymen Dritten den Beteiligten zur Kenntnis gebracht.
Die Beschwerdegegnerin hat mit Schreiben vom 27. Dezember 2018 beantragt, diese Einwendungen in Anbetracht des Dispositionsprinzips - mit Hinweis auf die Entscheidung T 1756/11 - im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt zu lassen.
Per Fax am 27. Februar 2019 wurden neue Einwendungen eines anonymen Dritten eingereicht; diese wurden in einer Mitteilung der Geschäftstelle vom 5. März 2019 den Beteiligten ebenfalls zur Kenntnis gebracht.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anonyme Einwendungen Dritter: nicht berücksichtigt
Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe 8. Auflage 2016, III.N.2.4) werden zu einem sehr späten Zeitpunkt eingegangene anonyme Einwendungen Dritter formal nicht berücksichtigt, um versteckten Verfahrensmissbrauch seitens der beteiligten Parteien auszuschließen, vgl.
T 1756/11, Punkt 2. der Begründung (Seiten 6 bis 10) und T 1439/09, Punkte 1.6 bis 1.8 der Begründung (Seite 14).Diese Begründung trifft in vorliegender Sache um so mehr zu, als die per Fax am 22. Oktober 2018 bzw. am 27. Februar 2019 eingereichten Einwendungen anonymer Dritten nach Artikel 115 EPÜ sogar nach der amtlichen Mitteilung vom 31. Juli 2018 eingegangen sind, mit welcher die Kammer den am 30. August 2018 angesetzten Termin für die mündliche Verhandlung aufgehoben hat.
Die Kammer sieht keinen Grund von der ständigen Rechtsprechung abzuweichen und lässt daher die am 22. Oktober 2018 und am 27. Februar 2019 eingegangenen anonymen Einwendungen Dritter unberücksichtigt.
3. Anlagen A12 und A13: nicht berücksichtigt
Die Dokumente A12 und A13 sind mit der Beschwerdebegründung erstmals eingereicht und sind somit grundsätzlich verspätet vorgebracht worden.
Ihre Einführung in das Beschwerdeverfahren liegt somit im Ermessen der Kammer gemäß Artikel 114 (2) EPÜ bzw. Artikel 12 (4) VOBK.
Die Beschwerdeführerin hat auf Seite 16 der Beschwerdebegründung zu A12 und A13 behauptet, dass sie zwischen Mitgliedern der Öffentlichkeit ausgetauschte Faxschreiben beträfen und folglich zum Stand der Technik gehörten.
Die Kammer teilt diesbezüglich die Einwände der Beschwerdegegnerin, dass es seitens der Beschwerdeführerin nicht dargelegt wurde, warum eine Korrespondenz zwischen zwei Geschäftspartnern, die an einem gemeinsamen Entwicklungsprojekt arbeiten, der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag des Streitpatentes tatsächlich unbeschränkt zugänglich gemacht wurde.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den Umständen der öffentlichen Zugänglichmachung war insoweit nicht ausreichend substantiiert. Zudem liegt der Kammer keinerlei Nachweis solcher Umstände vor, die auf eine öffentliche Zugänglichkeit der Dokumente A12 und A13 schließen ließen.
Daher stellen diese Dokumente keinen Stand der Technik im Sinne von Artikel 54(2) EPÜ dar.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum diese Dokumente nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht wurden.
Die Dokumente A12 und A13 sowie der darauf gestützte Einwand mangelnder Neuheit bleiben demnach unberücksichtigt bzw. werden nicht zugelassen (Artikel 114(2) EPÜ; Artikel 12 (4) VOBK).
4. Vorbemerkung - Ablauf des Beschwerdeverfahrens
Keine der Verfahrensbeteiligten hat nach Erhalt der Mitteilung der Kammer und ihrer vorläufigen Würdigung des zu entscheidenden Falles ihren schriftlichen Vortrag durch weitere Eingaben ergänzt.
Die Beschwerdegegnerin hat lediglich zu den spät vorgebrachten und anonymen Einwendungen Dritter Stellung genommen (s. supra).
Die Kammer hat nach der Aufhebung der mündlichen Verhandlung über die verschiedenen zu entscheidenden Punkte beraten und ist zum Ergebnis gelangt, dass keine Veranlassung vorliegt, ihre den Beteiligten mitgeteilte Meinung zum entscheidenden Sachverhalt zu ändern.
Folglich beruht die folgende, das Patent in der erteilten Fassung betreffende Begründung im Wesentlichen auf der mitgeteilten vorläufigen Würdigung des vorliegenden Sachverhalts.
5. Artikel 100 b) EPÜ
5.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass das Streitpatent keine Angaben zur geometrischen Definition des Mittelpunkts offenbare, sodass der Fachmann die Erfindung nicht ausführen könne.
Auch wenn die Definition des Mittelpunkts im erteilten Patent relativ vage bleibt, ist die Lehre des Streitpatents durchaus ausreichend, um die Erfindung ausführen zu können.
Der Fachmann entnimmt z.B. der Angabe im Absatz [0020] des Streitpatents, dass als Mittelpunkt der Bereich zu verstehen ist, von dem sich die drei Arme sternförmig in drei Richtungen erstrecken. Dieser Mittelpunkt entspricht also einem gemeinsamen geometrischen Ursprung für die Arme und ist weder in rein abstrakter Weise auszulegen, noch mathematisch exakt zu bestimmen.
5.2 Die Kammer ist somit der Auffassung, dass die Vorschriften des Artikels 100 b) EPÜ nicht verletzt sind.
5.3 Der Konsistenz halber wird die Kammer das Verständnis des Begriffs "Mittelpunkt" bei der vorgenommenen Vergleichsanalyse mit dem zitierten Stand der Technik zur Bewertung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit ähnlich breit auslegen.
6. Artikel 100 c) EPÜ
Die Kammer kann zwischen der Formulierung "Eckverbindung von zwei Spundbohlen" und der jetzigen Bezeichnung des beanspruchten Gegenstands als "Eckverbindung zwischen zwei Spundbohlen" keinen nennenswerten Bedeutungsunterschied erkennen.
Zudem wird der Erfindungsgegenstand in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen unterschiedlich definiert, nicht nur als Eckverbindung "von" zwei Spundbohlen, sondern auch als Verbundprofil "für" Spundbohlen (Titel auf Seite 1) und sogar als Verbindungsprofil "zwischen" zwei Spundbohlen (Würdigung des Stands der Technik, Seite 1, Zeile 7).
Ergänzend gilt, dass die Aufnahme in den Anspruch 1 des Begriffs "Eckverbindung zwischen zwei Spundbohlen", der im letzten Absatz auf Seite 9 (Zeilen 19 bis 21) der ursprünglich eingereichten Anmeldung wortwörtlich offenbart ist, keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt, weil der fachkundige Leser dieser Textstelle nämlich keineswegs entnimmt, dass das Konzept einer Eckverbindung "zwischen" zwei Spundbohlen nur und notwendiger Weise in Zusammenwirkung mit der zusätzlichen Angabe des Wertes "90°" für den Winkel der Verbindung definiert bzw. zu verstehen ist.
Die Kammer gelangt somit zum Ergebnis, dass der erteilte Anspruch 1 nicht gegen Artikel 100 c) EPÜ verstößt.
7. Neuheit gegenüber E2a - Rechtliches Gehör
7.1 Das Verbindungselement nach E2a weist im Querschnitt die Form eines Seepferdchens auf mit einer zentralen Stegleiste 2, mit an deren beiden Längskanten angebrachten Hakenleisten (obere Hakenleiste 3 und untere Hakenleiste 4) und mit einem den unteren Bereich der oberen Hakenleiste 3 begrenzenden Vorsprung 6 (Spalte 2, Zeilen 32 bis 43).
Die in Figur 1 dargestellte strichpunktierte Linie 12 gibt die Richtung des Vorsprungs 6 an, die senkrecht auf dem ebenen Bereich der zentralen Stegleiste 2 steht (vgl. Einschub nachstehend).
Der untere Teil der in Figur 1 dargestellten zentralen Stegleiste zusammen mit der Hakenleiste 4 bildet einen ersten Arm, und der obere Bereich mit der Hakenleiste 3 einen weiteren, zweiten Arm.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
7.2 Die Kammer vertritt die Auffassung, dass der Fachmann den in Figur 1 von E2a dargestellten wulstförmigen Vorsprung 6 mit einem Arm im üblichen Sinne nicht gleichstellen würde.
7.2.1 Die Kammer teilt die Analyse der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Auslegung des Begriffs "Arm" und stimmt der resultierenden Begründung in der angefochtenen Entscheidung zu. Der im technischen Gebiet der Verbindungsprofile tätige Fachmann versteht unter dem Begriff "Arm" stets einen länglichen, sich von einem Grundkörper weg erstreckenden Körper.
Der in Figur 1 von E2a wulstartig bzw. nasenförmig dargestellte Vorsprung 6 des Verbindungsprofils fällt eindeutiger Weise nicht unter diese Definition.
Aber selbst wenn man der Argumentation halber von der Annahme ausgehen wollte, dass der Vorsprung 6 bei dem in E2a offenbarten Gegenstand einen dritten "Arm" des Verbindungsprofils darstellt, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, wäre die Neuheit der beanspruchten Eckverbindung gegenüber E2a immer noch zu bejahen.
Die im Anspruch 3 bzw. in Spalte 2, Zeile 59 bis 62 der E2a detaillierte Beschreibung der Gestalt des Vorsprungs 6 (dritten Arms) träfe immer noch zu, nämlich dass der Vorsprung/Arm 6 entlang der strichpunktierten Linie 12 und senkrecht zum zentralen Stegbereich 2 wegweisen soll. Im Ergebnis befände sich dann der Mittelpunkt, von welchem die drei Arme sich wegerstrecken, notwendiger Weise auf der Linie 12 und nicht, wie auf Seite 8 der Beschwerdebegründung schematisch dargestellt, unterhalb der Linie.
Die weitere Folge wäre dann, dass der Mittelpunkt der derartig bestimmten drei Arme, bei objektiver Betrachtung, zwangsläufig oberhalb der Hakenleiste 4 des ersten Arms läge.
Diese logische Kette würde dann zum Ergebnis führen, dass die Hakenleiste 4 des ersten Arms nicht in Richtung des zweiten Arms (mit Hakenleiste 3), sondern gegen einen eigenen geraden Abschnitt ausgerichtet wäre (ungleich Merkmal f)).
Die Hakenleiste des ersten Arms könnte dann aber mit dem zweiten Arm keine Schlosskammer mehr bilden, so dass das Merkmal g) des Anspruchs 1, wonach eine erste Schlossöffnung durch einen Abstand der Spitze des ersten Hakenelements 4 zum zweiten Arm 3 festzulegen ist, nicht mehr erfüllt wäre.
Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen (s. supra Punkt 7.2) gelangt die Kammer zum Ergebnis, dass das aus E2a bekannte Eckverbindungsprofil nur zwei Arme aufweist, und dass somit sämtliche, den dritten Arm betreffende Merkmale des erteilten Anspruchs 1 gegenüber E2a als neu im Sinne von Artikel 54(1) EPÜ gelten müssen.
Der Vollständigkeit halber stellt die Kammer zudem fest, dass die Neuheit der beanspruchten Eckverbindung gegenüber E2a selbst bei der Annahme, dass der Vorsprung 6 einen dritten Arm darstellt, gegeben wäre, wenn auch nur in beschränkter Weise durch die unterscheidenden Merkmale f) und g).
7.2.2 "Rechtliches Gehör"
Hierzu wurde in der Beschwerdebegründung die Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs in Zusammenhang mit dem Dudenauszug E9 aufgeworfen. Mit dem letzten Satz auf Seite 6 der Beschwerdebegründung ("Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.") scheint die Beschwerdeführerin vorzutragen, dass es sich um einen "wesentlichen Verfahrensfehler" handele.
Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkte 1.3 und 4.8, ist jedoch zu entnehmen, dass im Rahmen der Debatten bezüglich der Auslegung des Begriffs "Arm" der Inhalt des Dudenauszugs E9 diskutiert wurde. Ebenso geht aus dem Protokoll hervor, dass der Vorsitzende der Einspruchsabteilung bei der Meinungsverkündung über die Neuheit den Auszug E9 ausdrücklich herangezogen hat.
Die Beschwerdeführerin (damalige Einsprechende) hat daraufhin jedoch keine Reaktion gezeigt und insbesondere sich nicht zu Wort gemeldet, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend zu machen.
Ergänzend stellt die Kammer fest, dass die Einsprechende/Beschwerdeführerin keine betreffende Berichtigung des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung beantragt hat.
In Anbetracht dieses Sachverhalts ist die Kammer der Auffassung, dass das Heranziehen eines Dudenauszugs zum Nachweis der Definition bzw. des allgemeinen Verständnisses des Begriffs "Arm" das rechtliche Gehör der Einsprechenden/Beschwerdeführerin nicht verletzt und somit auch keinen wesentlichen Verfahrensfehler verursacht hat.
8. Erfinderische Tätigkeit gegenüber E2a und E3
Zuerst ist bei Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes die Aufgabe zu definieren auf der Grundlage der Unterscheidungsmerkmale des Anspruchs 1 gegenüber dem in E2a dargestellten nächstliegenden Stand der Technik, wenn auch nur auf der alleinigen Grundlage der Merkmale f) und g) (siehe supra).
Die Kammer geht im Folgenden der Argumentation halber von der kleinsten Anzahl unterschiedlicher Merkmale aus und folgt insoweit der Annahme der Beschwerdeführerin, dass der Vorsprung 6 von E2a einen dritten Arm des Eckverbindungsprofils bildet.
8.1.1 Die Kammer ist von keiner der bereits im Verfahren genannten Definitionen der objektiven technischen Aufgabe ausgehend von E2a überzeugt:
- das Verbindungsprofil nach E2a materialsparender herzustellen (Definition der Einspruchsabteilung);
- ein Herausspringen einer anzuschließenden Spundbohle aus der Hakenleiste zu vermeiden (Definition der Beschwerdeführerin);
- eine kompaktere und widerstandsfähigere Eckverbindung für Spundbohlen zu schaffen (Definition der Beschwerdegegnerin).
Das Eckverbindungsprofil gemäß E2a ist nämlich an sich selbst bereits kompakt, massiv und relativ materialsparend herzustellen. Deshalb sind sowohl die von der Einspruchsabteilung als auch die von der Beschwerdeführerin definierte Aufgabe ungeeignet für die Definition der objektiven technischen Aufgabe.
Was die Problematik des Herausspringens eines Hakenbohlenschlosses bei E2a angeht, gelangt die Kammer ebenfalls zum Ergebnis, dass diese Formulierung nicht zutrifft, da die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen hat, wieso ein ungewolltes Auflösen der Verbindung bei einem aus E2a bekannten Verbindungsprofil überhaupt vorkommen könnte.
8.1.2 Die Kammer sieht die objektive Aufgabe ähnlich wie im Absatz [0008] des Streitpatents definiert darin, ein Eckverbindungsprofil zu schaffen, welches zwei asymmetrisch angeordnete, gleichwertige Anschlussschlösser aufweist und dennoch eine kompakte Gestalt.
8.2 Stand der Technik in E3 - Lehre
8.2.1 Es ist nach Auffassung der Kammer bereits fraglich, aufgrund welcher Anregung der Fachmann überhaupt E3 herangezogen hätte, zumal D3 keine Eckverbindung zwischen zwei Spundbohlen betrifft, sondern ein Verbundschloss für eine Spundwand zum Gegenstand hat. Bei der Erfindung gemäß E3 geht es hauptsächlich darum, ein Verbundschloss zu entwickeln, das den Aufbau von Spundwänden aus Spundwandelementen mit unterschiedlichen Querschnittsenden erlaubt. Die Problematik einer flexiblen Eckverbindung zwischen zwei unter variablen Innenwinkeln stehenden Spundbohlen mittels einer Eckverbindung mit asymmetrischen, gleichwertigen Anschlussschlössern ist dem in E3 offenbarten Stand der Technik vollkommen fremd.
8.2.2 Zwar kann nicht verneint werden, dass eine bauliche Ähnlichkeit zwischen den Verbindungsprofilen in Figur 1 des Streitpatents und in Figur 1 von E3 auf dem ersten Blick besteht, so dass daher ein Teil der gegenüber E2a neuen Merkmale des Anspruchs 1 per se in E3 offenbart sind. Dies kann jedoch nicht als Nachweis dafür gelten, dass der Fachmann ausgehend von E2a mit Hilfe der E3 in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gefunden hätte.
8.2.3 Bei der Beurteilung eines naheliegenden Charakters einer technischen Lösung ist stets der Aufgabe-Lösungs-Ansatz anzuwenden, was in vorliegender Sache bedeutet, dass zunächst ein objektiv nachvollziehbarer Nachweis dafür hätte vorgebracht werden müssen, dass der vor die Aufgabe gestellte Fachmann den in E3 offenbarten Stand der Technik überhaupt herangezogen hätte. Dieser Nachweis wurde aktenkundig nicht vorgelegt.
8.3 Im Ergebnis gelangt die Kammer daher zur Überzeugung, dass allein schon die Zusammenschau von den zu unterschiedlichen Zwecken bestimmten Verbindungsprofilen, wie in E2a und E3 offenbart, auf einer rückschauenden Betrachtung in Vorkenntnis des Erfindungsgegenstands des Streitpatents beruht (ex post facto Analyse).
Folglich erfüllt der beanspruchte Gegenstand gemäß Hauptantrag auch die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
9. Das Patent in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag genügt somit den Erfordernissen des EPÜ. Eine Entscheidung über die nachrangigen Hilfsanträge 1 bis 7 ist daher entbehrlich.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.