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J 0011/80 (Zurücknahme einer europäischen Patentanmeldung) 25-03-1981
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Zurücknahme einer europäischen Patentanmeldung
Zurücknahmeerklärung/Vorbehalte
Zurücknahmeerklärung/Bedingung bei
Sachverhalt und Anträge
I. Am 26. Januar 1979 reichte die Beschwerdeführerin eine europäische Patentanmeldung ein; sie beanspruchte dafür die Priorität einer nationalen deutschen Patentanmeldung vom 22. April 1978.
II. Entsprechend der im Amtsblatt EPA 1978, S. 312 mitgeteilten Praxis des EPA galten die Vorbereitungen für die Veröffentlichung der Anmeldung 10 Wochen vor dem Ablauf des 18. Monats nach dem Prioritätstag, also am 13. August 1979, als abgeschlossen.
III. Am 27. September 1979 ging beim Amt ein Schreiben der Beschwerdeführerin vom 20. September 1979 ein, das im wesentlichen aus folgenden zwei Sätzen bestand: "Wir ziehen die obengenannte Patentanmeldung hiermit zurück. Die Offenlegung der Anmeldeunterlagen soll unterbleiben."
IV. Am 12. Oktober 1979 teilte die Eingangsstelle der Beschwerdeführerin mit, daß die Anmeldung am 31. Oktober 1979 gemäß Artikel 93 EPÜ veröffentlicht würde und daß die Zurücknahme der Anmeldung im Europäischen Patentblatt bekanntgemacht würde. Die Anmeldung wurde auch tatsächlich am 31. Oktober 1979 veröffentlicht und die Zurücknahme der Anmeldung am 12. Dezember 1979 bekanntgemacht.
V. Am 18. Oktober 1979 ging beim Amt ein Antrag auf Weiterbehandlung der Anmeldung nach Artikel 121 EPÜ ein. Die Weiterbehandlungsgebühr wurde rechtzeitig entrichtet.
VI. Am 28. November 1979 erließ die Eingangsstelle die angefochtene Entscheidung, mit der der Antrag auf Weiterbehandlung als unzulässig zurückgewiesen wurde, weil der Sachverhalt nicht der Weiterbehandlung unterliege und weil die Anmeldung ohne Bedingung zurückgenommen worden sei.
VII. Am 18. Januar 1980 legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 16. Januar 1980 Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und festzustellen, daß die Patentanmeldung noch in Kraft sei. Die Beschwerdegebühr wurde rechtzeitig entrichtet.
VIII. In der am 27. März 1980 eingereichten Begründung machte die Beschwerdeführerin geltend, daß die Anmeldung auch ohne Weiterbehandlungsbeschluß in Kraft sei. Entgegen der Auffassung der Eingangsstelle sei die Anmeldung nicht wirksam zurückgenommen worden, weil die Zurücknahmeerklärung erkennbar an einen Vorbehalt geknüpft gewesen sei. Die Beschwerdeführerin bezog sich auf die nationalen Rechte der Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens, wonach eine Absichtserklärung so auszulegen, sei, daß der wirkliche Wille der Person, die die Erklärung abgegeben habe, verwirklicht werde. Die Beschwerdeführerin führte insbesondere eine Entscheidung des deutschen Bundespatentgerichts (BPatGE 15, 160) an, in der das Gericht einen ähnlichen Fall zu entscheiden hatte.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Artikel 121 (1) EPÜ sieht vor, daß ein Antrag auf Weiterbehandlung eingereicht werden kann, wenn die europäische Patentanmeldung nach Versäumung einer vom Europäischen Patentamt bestimmten Frist zurückzuweisen ist oder zurückgewiesen worden ist oder als zurückgenommen gilt.
3. Keine dieser Voraussetzungen liegt in diesem Fall vor. Die Anmeldung war nicht zurückzuweisen, sie war nicht zurückgewiesen worden, und sie galt auch nicht als zurückgenommen wegen der Versäumung einer vom Amt bestimmten Frist. Die Anmeldung war entweder ohne Vorbehalt zurückgenommen worden, was von der Eingangsstelle angenommen worden war, oder sie war nicht zurückgenommen worden, weil die von der Beschwerdeführerin aufgestellte Voraussetzung nicht erfüllt war. Die Voraussetzungen für einen Antrag auf Weiterbehandlung lagen daher in keinem Fall vor; die Eingangsstelle hatte ihn zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.
4. Es ist jedoch die Frage zu prüfen, ob die Anmeldung tatsächlich zurückgenommen worden ist oder ob sie noch in Kraft ist. Das aus zwei Sätzen bestehende Schreiben der Beschwerdeführerin vom 20. September 1979 war an das Europäische Patentamt gerichtet. Die Beschwerdeführerin konnte davon ausgehen, daß dessen Bediensteten die wirtschaftlichen Überlegungen bekannt sind, die mit der Frage zusammenhängen, ob eine Anmeldung weiterverfolgt oder fallengelassen werden soll. Nach Auffassung der Kammer hat die Beschwerdeführerin eindeutig angegeben, daß sie ihre Anmeldung unter der nicht unüblichen Voraussetzung zurücknehmen wollte, daß der Inhalt der Anmeldung der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben werde. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß die Aufteilung der Erklärung in zwei selbständige Sätze zu der unrichtigen Auslegung beigetragen hat und daß es bei einer grammatikalisch eindeutigeren Formulierung nicht zu der angefochtenen Entscheidung gekommen wäre.
5. Die Eingangsstelle hätte das Schreiben der Beschwerdeführerin in der von der Kammer angegebenen Art und Weise auslegen sollen. Auf jeden Fall hätte die Eingangsstelle die Beschwerdeführerin in Verbindung mit dem Hinweis, daß die Veröffentlichung nicht mehr verhindert werden könne, fragen sollen, ob sie bei dieser Sachlage die Anmeldung weiterverfolgen wolle. Einem Antrag auf Zurücknahme der Anmeldung sollte ohne Rückfrage nur dann stattgegeben werden, wenn der Antrag keinerlei Vorbehalte enthält und eindeutig ist.
6. In dem vorliegenden Fall ist es nicht notwendig, die in der Beschwerdebegründung aufgeführten komplexen Fragen eines Vergleichs der verschiedenen nationalen Rechte weiterzuverfolgen.
7. Die Anmeldung ist noch in Kraft, da sie niemals wirksam zurückgenommen worden ist. Da die angegriffene Entscheidung jedoch die Feststellung enthält, daß die Anmeldung zurückgenommen ist, muß sie insoweit aufgehoben werden.
8. Da somit keine Veranlassung bestand, die Weiterbehandlung der Anmeldung zu beantragen und eine Weiterbehandlungsgebühr zu zahlen, ist diese Gebührenzahlung rückgängig zu machen.
9. Es ist kein Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ gestellt worden; der hier vorliegende Sachverhalt würde eine solche Maßnahme auch nicht rechtfertigen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 28. November 1979 wird insoweit aufgehoben, als in ihr festgestellt wird, daß die europäische Patentanmeldung der Beschwerdeführerin zurückgenommen worden ist; es wird festgestellt, daß die europäische Patentanmeldung Nr. 79 100 230.6 in Kraft ist und immer in Kraft war.
2. Es wird bestimmt, daß die Mitteilung im Europäischen Patentblatt über die Zurücknahme der europäischen Patentanmeldung Nr. 79 100 230.6 berichtigt wird.
3. Es wird bestimmt, daß die Weiterbehandlungsgebühr an die Beschwerdeführerin zurückgezahlt wird.