T 1258/15 (Giesecke+Devrient / Personalisierung elektronischer Datenträger) 27-10-2021
Download und weitere Informationen:
Verfahren zur Personalisierung elektronischer Datenträger und Personalisierungsautomat dafür
Einspruchsgründe - mangelnde Patentierbarkeit (ja)
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (nein)
I. Gegen das europäische Patent 1852807 wurde Einspruch eingelegt. Die Einspruchsabteilung hat das Patent widerrufen, da die Erfindung gemäß einem Hauptantrag der Patentinhaberin (Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, d.h. Zurückweisung des Einspruchs) nicht neu sei. Vor der Einspruchsabteilung eingereichte Hilfsanträge 1 und 2 wurden wegen mangelnder Neuheit oder mangelnder erfinderischer Tätigkeit als nicht gewährbar angesehen. Ein Hilfsantrag 3 wurde im Einspruchsverfahren nicht berücksichtigt, da darin vorgenommene Änderungen nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst worden seien.
II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt. Sie beantragt die Aufhebung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung, somit die Zurückweisung des Einspruchs (Hauptantrag), oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in eingeschränkter Fassung mit Anspruchssätzen gemäß Hilfsanträgen 1 oder 2, die zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden.
III. Außerdem beantragt die Patentinhaberin festzustellen, dass die Dokumente E8 bis E11, die aufgrund ihrer Nennung in der Beschreibung des Streitpatents von der Einspruchsabteilung in der Entscheidung (Anträge und Sachverhalt, Punkt 2) zitiert sind "weder von der Einsprechenden adressiert noch in der Entscheidung aufgegriffen werden, also insgesamt nicht im Einspruchsverfahren sind".
IV. In der Beschwerdeerwiderung beantragt die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Beide Parteien haben zunächst hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.
VI. Zusammen mit einer Ladung zur mündlichen Verhandlung legte die Kammer ihre vorläufige Meinung in einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK dar.
VII. Mit einem Schriftsatz vom 12. April 2021 reichte die Patentinhaberin neue Hilfsanträge 1 bis 4 ein und argumentierte hinsichtlich Basis für vorgenommene Änderungen in den ursprünglichen Unterlagen und hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit.
VIII. Mit einem weiteren Schriftsatz nahm die Patentinhaberin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und teilte mit, dass für die Patentinhaberin niemand an der Verhandlung teilnehmen würde.
IX. Daraufhin sagte die Kammer die mündliche Verhandlung ab.
X. Anspruch 1 des Hauptantrags der Patentinhaberin (Patent in erteilter Fassung) lautet:
Verfahren zur Personalisierung elektronischer Datenträger (3) in einem Personalisierungsautomaten, umfassend die Schritte:
- Transportieren mindestens eines elektronischen Datenträgers (3) mittels eines Werkstückträgers (1) und
- Übertragen von Personalisierungsdaten (M) von einem zentralen Verwaltungssystem (4) des Personalisierungsautomaten über den Werkstückträger (1) in einen Speicher des elektronischen Datenträgers (3), wobei ein Übertragen der Personalisierungsdaten von dem Werkstückträger (1) auf den elektronischen Datenträger (3), als ein Teilschritt (D) des Übertragens der Personalisierungsdaten, vom Werkstückträger (1) autonom gesteuert wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
ein Übertragen der Personalisierungsdaten von dem zentralen Verwaltungssystem (4) des Personalisierungsautomaten zu dem Werkstückträger (1), als ein weiterer Teilschritt (B) des Übertragens der Personalisierungsdaten, vom Werkstückträger (1) autonom gesteuert wird.
XI. Anspruch 22 definiert einen Personalisierungsautomaten mit entsprechenden Merkmalen.
XII. Im Hilfsantrag 1 wird im unabhängigen Anspruch 1 der Oberbegriff angepasst, indem das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1 des Hauptantrags aufgenommen wird und zusätzlich definiert ist:
... wobei die Personalisierung auf einer Mehrzahl von Werkstückträgern (1) sich zeitlich überlappend parallel durchgeführt wird ...
Das kennzeichnende Merkmal wird neu definiert:
... dass
der elektronische Datenträger (3) mittels des - als transportabler Werkstückträger ausgestalteten - Werkstückträgers (1) transportiert wird, welcher durch die Fertigungslinie des Personalisierungsautomaten transportiert wird, und der Werkstückträger (1) aus der Fertigungslinie ausgekoppelt wird und mit dem Datenträger (3) in die Fertigungslinie wieder eingekoppelt wird.
Entsprechende Änderungen wurden im unabhängigen Anspruch 21 für einen Personalisierungsautomaten vorgenommen.
XIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dadurch, dass die zusätzliche Definition im Oberbegriff hinsichtlich der zeitlichen Überlappung nicht vorgenommen wird. Außerdem ist der kennzeichnende Teil des Anspruchs verändert worden, der lautet:
... dass
der elektronische Datenträger (3) mittels des - als transportabler Werkstückträger ausgestalteten - Werkstückträgers (1) transportiert wird, welcher durch die Fertigungslinie des Personalisierungsautomaten transportiert wird, und
eine Mehrzahl der Werkstückträger (1) aufeinanderfolgend in der Fertigungslinie von einem Beschickungsort (A) zu einem Entladeort (B) transportiert wird, der ggf. mit dem Beschickungsort (A) zusammenfällt, und der Werkstückträger (1) aus der Fertigungslinie ausgekoppelt wird, wenn die Übertragung der Personalisierungsdaten auf den zugehörigen elektronischen Datenträger (3) bei Erreichen des Entladeortes (B) noch nicht abgeschlossen ist, und mit dem elektronischen Datenträger (3) wieder eingekoppelt wird.
Der unabhängige Anspruch 21 für einen Personalisierungsautomaten ist ebenfalls entsprechend angepasst.
XIV. Im Hilfsantrag 3 sind die unabhängigen Ansprüche 1 und 21 gegenüber dem Hilfsantrag 2 dahingehend ergänzt, dass im letzten Merkmal definiert ist (mit Hervorhebung durch die Kammer):
... und nach Vollendung der Personalisierung mit dem elektronischen Datenträger (3) wieder eingekoppelt wird.
XV. Im Hilfsantrag 4 sind die unabhängigen Ansprüche 1 und 21 gegenüber dem Hilfsantrag 3 dahingehend ergänzt, dass zusätzlich definiert ist, dass (mit Hervorhebung durch die Kammer):
... der Werkstückträger (1) aus der Fertigungslinie ausgekoppelt und in eine Wartestation oder Warteschleife überführt wird, wenn die Übertragung der Personalisierungsdaten auf den zugehörigen elektronischen Datenträger (3) bei Erreichen des Entladeortes (B) noch nicht abgeschlossen ist ...
Hauptantrag der Patentinhaberin
1. Der Hauptantrag der Patentinhaberin zielt auf die Zurückweisung des Einspruchs.
2. Die Kammer versteht die Argumentation der Patentinhaberin in der Beschwerdebegründung (Abschnitt "2. Hauptantrag") dahingehend, dass das Merkmal des Anspruchs 1 "Transportieren mindestens eines elektronischen Datenträgers (3) mittels eines Werkstückträgers" nicht im Dokument E1 offenbart und daher neu sei.
3. Die Kammer stimmt allerdings der Einsprechenden zu, dass Dokument E1 (DE-A-196 41 892) in Figur 1 mit dem "Programmierteller (2)" einen solchen Werkstückträger offenbart, der eine Transportfunktion hat ("Karten [...] werden [...] auf dem Programmierteller 2 gesetzt und dort entsprechend der Pfeilrichtung erneut schrittweise weitergeführt.", Spalte 2, Zeilen 25 bis 28) und auch die anspruchsgemäße autonome Programmiervorrichtung aufweist ("mehrere autonome Prozessrechner 22", beispielsweise Spalte 4, Zeilen 8 bis 12).
4. Die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 22 sind nicht neu gegenüber Dokument E1.
Hilfsantrag 1 der Patentinhaberin
5. Hilfsantrag 1 ist identisch zum Hilfsantrag 2 vor der Einspruchsabteilung. Diese befand, dass dessen Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
6. Die Gegenargumentation der Beschwerdeführerin beruht darauf (Beschwerdebegründung, Abschnitt 3), dass das seitens der Einspruchsabteilung als Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Lehre des Dokuments E1 angesehene Merkmal "der Werkstückträger (1) aus der Fertigungslinie ausgekoppelt wird und mit dem Datenträger (3) in die Fertigungslinie wieder eingekoppelt wird" sich nicht ausgehend von Dokument E1 in naheliegender Weise durch Kombination mit dem Dokument E2 (DE-A-198 42 752) ergeben würde. Dort sei nicht offenbart, dass der Werkstückträger mit dem Datenträger in die Fertigungslinie wieder eingekoppelt werde.
7. Auch diesbezüglich stimmt die Kammer allerdings der Einsprechenden zu (Beschwerdeerwiderung, Seite 5, 1. vollständiger Absatz), dass ein solches Aus- und Einkoppeln in eine Fertigungslinie ("Hauptfahrstrecke 7") über eine "Nebenfahrstrecke 8" in E2 offenbart ist (Figur 1, Spalte 4, Zeilen 52 bis Spalte 5, Zeile 12). Da an der "Nebenfahrstrecke 8" eine Bearbeitungsstation vorgesehen ist, ist auch offenbart, dass das Werkstück zusammen mit dem Werkstückträger aus- und wieder eingekoppelt wird.
8. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 2 der Patentinhaberin - Basis für die Änderungen
9. Mit dem am 12. April 2021 neu eingereichten Hilfsantrag 2 unternimmt die Patentinhaberin augenscheinlich den Versuch, die in der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15(1) VOBK vorgetragenen Bedenken gegen den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 2 auszuräumen.
10. Der neu eingereichte Hilfsantrag 2 gibt allerdings prima facie Anlass zu neuen Einwänden und wird daher nicht im Beschwerdeverfahren berücksichtigt (Artikel 13(1) VOBK).
11. Entgegen der Ansicht der Patentinhaberin (Schriftsatz vom 12. April 2021, Seite 3, Abschnitt 2.1.3) ist der Begriff "Fertigungslinie" nicht identisch mit der im ursprünglichen Anspruch 7 enthaltenen Formulierung "kontinuierlicher Prozess". Die ursprüngliche Patentanmeldung verwendet den Begriff "kontinuierlicher Prozess" ausschließlich im Anspruch 7 (der identisch zum erteilten Anspruch 7 ist). Die ursprüngliche Anmeldung bietet somit keinen Hinweis auf eine Identität von "kontinuierlicher Prozess" mit "Fertigungslinie".
12. Daher kann der ursprüngliche Anspruch 7 nicht als Basis für die vorgenommenen Änderungen in Frage kommen.
13. Die Patentinhaberin führt auch aus (Schriftsatz vom 12. April 2021, Abschnitt 2.1.2), dass eine Offenbarung für das geänderte Merkmal in der ursprünglich eingereichten Beschreibung zu finden sei (beispielsweise im Absatz [0011] der veröffentlichten Fassung; das entspricht Seite 5, Zeilen 1 bis 16 der ursprünglich eingereichten Fassung, Anmerkung der Kammer).
14. In diesem Abschnitt der Beschreibung ist allerdings das vorübergehende Auskoppeln aus der Fertigungslinie damit verknüpft, dass "die elektrische Personalisierung auf dem Weg des Werkstückträgers durch die Personalisierungsstation nicht vollständig durchgeführt worden ist". Dieses Merkmal ist so nicht vollständig mit in den Anspruch 1 aufgenommen worden. Die Formulierung weist nämlich darauf hin, dass bereits "auf dem Weg" durch die Personalisierungsstation mit der Personalisierung begonnen wurde. Dieses Merkmal wird allerdings erst im Anspruch 2 definiert ("2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Schritt des Übertragens der Personalisierungsdaten auf den Datenträger (3) zumindest teilweise während des Schritts des Transportierens des Datenträgers (3) erfolgt"), fehlt also im Anspruch 1. Dieser umfasst somit auch den Fall, dass die gesamte Personalisierung während der Auskopplung von der Fertigungslinie erfolgt. Ein solches Ausführungsbeispiel ist allerdings der ursprünglichen Anmeldung nicht zu entnehmen.
15. Auch in der ursprünglichen Beschreibung der Figur 4 ist ein Aus- und Einkoppeln des Werkstückträgers in die Fertigungslinie gezeigt (eingereichte Fassung Seite 14, Zeile 11 bis Seite 15, Zeile 9), allerdings ebenfalls mit zusätzlichen Anforderungen: "Während des Transports baut der Werkstückträger 1 einen Kontakt zum zentralen Verwaltungssystem 4 auf, in dem die individuellen Personalisierungsdaten Mals Datensätze 5 vorliegen, und fordert die Personalisierungsdaten M selbstständig an." Seite 14, Zeilen 17-20) und "an eine frühere Stelle innerhalb der Fertigungslinie wieder in die Fertigungslinie eingekoppelt", (Seite 14, Zeile 26 bis 28). Weder der Kontakt zum zentralen Verwaltungssystem während des Transports noch das Einkoppeln an eine frühere Stelle sind in den Anspruch 1 aufgenommen worden. Auch demgegenüber stellt also die Neuformulierung des Anspruchs 1 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.
16. Die vorgenommenen Änderungen geben somit prima facie Anlass zu neuen Einwänden nach Artikel 123(2) EPÜ.
17. Daher wird der Hilfsantrag 2 nicht im Beschwerdeverfahren berücksichtigt.
Hilfsanträge 3 und 4 der Patentinhaberin
18. Die Formulierungen der unabhängigen Ansprüche 1 der neu eingereichten Hilfsanträge 3 und 4 ändern nichts an den obigen Einwänden hinsichtlich Hilfsantrag 2, da ebenfalls nicht spezifiziert ist, dass die Personalisierung bereits vor dem Auskoppeln der Werkstückträger beginnt.
19. Daher geben auch die Hilfsanträge 3 und 4 Anlass zu neuen Einwänden nach Artikel 123(2) EPÜ und werden ebenfalls nicht im Beschwerdeverfahren berücksichtigt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.