T 2170/16 (HERSTELLUNG VON DIREKT TABLETTIERBAREM delta-MANNIT / MERCK PATENT) 21-05-2021
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VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON DIREKT TABLETTIERBAREM delta-MANNIT
I. Die vorliegende Beschwerde der Anmelderin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 11 784 604.8, eingereicht als internationale Patentanmeldung PCT/EP2011/005801, zurückzuweisen.
II. Grundlage für die angefochtene Entscheidung war als einziger Antrag ein während der mündlichen Verhandlung im Prüfungsverfahren am 18. Januar 2016 eingereichter Hauptantrag. Dieser Hauptantrag enthielt 16 Ansprüche. Der unabhängige Anspruch lautete wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von direkt tablettierbarem Mannit mit einem Gehalt an delta-Modifikation von mehr als 90 %, dadurch gekennzeichnet,dass
a) in einem ersten Schritt als Edukt eine wässrige D-Mannit-Lösung, Sprühgas, pulverförmiges delta-Mannit und Heißgas
zusammengeführt werden,
b) das entstehende granulatförmige Produkt in ein Wirbel- oder Fließbett fällt, aufgenommen, fluidisiert und weitertransportiert wird,
und anschließend
c) kontrolliert ein Teil des gebildeten Produkts, gegebenenfalls nach vorherigem Vermahlen auf eine geringere Partikelgrösse, in den Prozess zurückgeführt wird,
wobei das staubförmige delta-Mannit, das in der Leitung (9A) der Anlage anfällt, aus der Pulverdosieranlage als pulverförmiges delta-Mannit durch Steuerung der Drehzahl der Zellradschleuse (10 A) in die Sprühtrocknung (Schritt a)) über den Ventilator (E), der sowohl als Förderorgan für die Feststoffrückführung als auch zum Vermahlen und Zerkleinern des Feststoffs zu Pulver dient, rückgeführt wird
und
die der Anlage zugeführte Luft auf eine Temperatur im Bereich von 45 - 120 °C vorgewärmt wird und die zugeführte Zuluftmenge im Bereich von 1000 - 2000 m3/m2 pro Stunde zugeführt wird, wodurch sich die Ablufttemperatur im Bereich von 30 - 50 °C einstellt,
mit der Maßgabe, dass als Staubanteil anfallendes delta-Mannit mit einer durchschnittlichen Partikelgröße kleiner 20 mym, insbesondere mit durchschnittlicher Partikelgröße im Bereich von etwa 1 bis 20 mym, vorzugsweise im Bereich von 3 bis 15 mym, aus der Produktaustragszone des Prozessors in den Schritt a) rückgeführt wird, wodurch das Gleichgewicht des Prozesses hin zur Bildung von delta-Mannit verschoben wird
und dass nach Einstellung des Gleichgewichts ein Produkt mit einem Gehalt an delta-Mannit von mehr als 95 %, insbesondere mehr als 98 % erhalten wird."
III. In ihrer Entscheidung kam die Prüfungsabteilung zu folgenden Ergebnissen:
a) Der Anspruch 1 dieses Antrags erfülle die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht, weil eines der eingeführten Merkmale ursprünglich nur in Kombination mit weiteren Merkmalen offenbart gewesen sei, wobei letztere im geänderten Anspruch 1 nicht übernommen worden seien.
b) Der vorliegende Antrag erfülle die Erfordernisse der Artikel 84, 83 und 54 EPÜ.
c) Ausgehend von D1 oder D2 als nächstliegendem Stand der Technik beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 des vorliegenden Antrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
IV. Die Beschwerdeführerin legte Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte sie einen neuen Hauptantrag ein. Dieser Hauptantrag enthielt 18 Ansprüche. Der Inhalt des unabhängigen Anspruchs 1, auf dem die vorliegende Entscheidung basiert, lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von direkt tablettierbarem Mannit mit einem Gehalt an delta-Modifikation von mehr als 90 %, dadurch gekennzeichnet,dass
a) ein Wirbelbett aus sehr feinteiligem beta-Mannitpulver hergestellt wird, indem DC-beta-Mannit als Bett im Prozessor vorgelegt wird,
b) als Edukt eine wässrige D-Mannit-Lösung, Sprühgas, pulverförmiges Mannit und Heißgas zusammengeführt werden,
c) das entstehende granulatförmige Produkt in ein Wirbel- oder Fließbett fällt, aufgenommen, fluidisiert und weitertransportiert wird,
wobei
d) das Gas im Kreislauf geführt wird (Klappe (H) geschlossen, Klappe (J) geöffnet) und das im Kreislauf geführte Gas durch Filter von Partikeln befreit wird, im Kondensator getrocknet, gegebenenfalls aufgeheizt, und erneut den Sprühdüsen zugeführt und in das Fließbett eingeführt wird bis sich im Bett ein delta-Mannit-Gehalt von wesentlich über 50%,besser ein Gehalt von 60 - 70% gebildet hat,
und anschließend
e) kontrolliert ein Teil des gebildeten Produkts, gegebenenfalls nach vorherigem Vermahlen auf eine geringere Partikelgröße, in den Prozess zurückgeführt wird (Klappe (H) geöffnet, Klappe (J) geschlossen), wobei durch gezielte Einstellung und Regelung der Drehzahlen der Zellradschleusen 10A und 10B anfallendes grobkörniges Produkt im Ventilator (E) auf eine durchschnittliche Partikelgröße von kleiner 75 mym gemahlen und in die Sprühtrocknung rückgeführt wird,
wodurch
f) das Gleichgewicht des Prozesses hin zur Bildung von delta-Mannit verschoben wird, so dass nach Einstellung des Gleichgewichts ein Produkt mit einem Gehalt an delta-Mannit von mehr als 95 %,insbesondere mehr als 98 % erhalten wird."
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 erläuterte die Kammer unter anderem ihre vorläufige Einschätzung, dass die Ansprüche 1, 5 und 7 des vorliegenden Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllen.
VI. Mit Schreiben vom 22. April 2021 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie an der am 30. Juni 2021 stattfindenden mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde und bat, nach Aktenlage im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.
VII. Die mündliche Verhandlung wurde aufgehoben.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt,die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten geänderten Antrags zu erteilen.
IX. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der geänderte Anspruch 1 basierte auf dem ursprünglichen Anspruch 1, wobei die Merkmale der ursprünglichen abhängigen Ansprüche 2, 12, 13 sowie 16 zusätzlich aufgenommen wurden. Dank der ursprünglichen Abhängigkeit dieser Ansprüche voneinander war der entsprechende vorliegende Gegenstand ursprünglich beansprucht. Ferner wurde in der ursprünglichen Beschreibung die Verfahrensdurchführung beschrieben, bei der zu Beginn des Verfahrens ein Wirbel- oder Fließbett vorgelegt wurde, das aus beta-Mannit aufgebaut war, wobei kein kristallines delta-Mannit im Prozessor vorhanden war (siehe S.9, Zeilen 6 bis 34 sowie Abbildung 3) und worin durch gezielte Einstellung der Stoffströme, einschließlich der Luftströme und der übrigen Parameter das Gleichgewicht in der Anlage zur Bildung von delta-Mannit verschoben wurde. Daher war die Aufnahme der Merkmale des Anspruchs 13 ebenfalls durch die ursprüngliche Beschreibung gedeckt.
Der vorliegende Anspruch 1 genüge somit den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.
Hauptantrag
1. Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
1.1 Der vorliegende Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von direkt tablettierbarem Mannit mit einem Gehalt an delta-Modifikation von mehr als 90% ausgehend von beta-Mannitpulver.
1.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass der geänderte Anspruch 1 auf einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1, 2, 12, 13 und 16 basierte sowie auf der ursprünglichen Beschreibung (siehe Seite 9 und Abbildung 3).
1.3 Die Kammer ist der Meinung, dass diese ursprünglichen Ansprüche keine entsprechende Stütze für den vorliegenden Anspruch 1 darstellen können. Der ursprüngliche unabhängige Anspruch 1 richtet sich auf ein Verfahren zur Herstellung von direkt tablettierbarem Mannit mit einem Gehalt an delta-Modifikation von mehr als 90% ausgehend einzig von delta-Mannitpulver. Auch die ursprünglichen Ansprüche 2, 12 und 16 definieren kein Verfahren ausgehend von beta-Mannitpulver. Im ursprünglichen abhängigen Anspruch 13 wird zwar ein Verfahren, in dem zum Aufbau des Wirbelbetts beta-Mannitpulver benutzt wurde, definiert. Durch die Abhängigkeit des ursprünglichen Anspruchs 13 vom ursprünglichen Anspruch 1 wird jedoch im Schritt a) des Verfahrens zusätzlich delta-Mannitpulver verwendet. Ein solches Verfahren (beta- und delta-Mannitpulver im Schritt a)) entspricht nicht dem im geänderten Anspruch 1 definierten Verfahren (ausschließlich beta-Mannitpulver im Schritt a)). Die Kombination mit weiteren Merkmalen aus den abhängigen Ansprüchen 2, 12 und 16 und aus der Beschreibung (besonderer Ablauf je nach delta-Mannit-Gehalt im Wirbelbett) ist ferner nicht unmittelbar und eindeutig ursprünglich offenbart.
1.4 Eine weitere Basis für ein Verfahren zur Herstellung von direkt tablettierbarem Mannit mit einem Gehalt an delta-Modifikation von mehr als 90% ausgehend von beta-Mannitpulver ist folglich ausschließlich auf den Seiten 9-10 und 17 der ursprünglichen Beschreibung zu finden. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin entspricht das dort definierte Verfahren jedoch aus folgenden Gründen nicht dem Verfahren gemäß vorliegendem Anspruch 1:
a) Im in der Beschreibung definierten Verfahren wird einzig pulverförmiges beta-Mannit zum Aufbau des Wirbelbetts benutzt und kein weiteres pulverförmiges Mannit als Edukt zugefügt (s. Seite 9 Zeilen 6-34). Durch Rückführung des beta-Mannitpulvers zu Beginn des Verfahrens kann somit lediglich beta-Mannitpulver in die Sprühtrocknungseinheit eingeführt werden. Der vorliegende Anspruch 1 setzt hingegen fest, dass im Schritt b) "als Edukt eine wässrige D-Mannit-Lösung, Sprühgas,pulverförmiges Mannit und Heißgas zusammengeführt werden", d.h. das jedes beliebige pulverförmige Mannit zugegeben werden kann. Dieser Gegenstand scheint somit über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinauszugehen.
b) Das Verfahren ausgehend von beta-Mannitpulver wird in der ursprünglichen Beschreibung (s. Seite 9 Zeilen 12-21) in Kombination mit bestimmten Parametern des Anfahrprozesses (Temperatur im Prozessor, Sprühdruck, Rückführung von ungemahltem Pulver) offenbart. Da diese Parameter im vorliegenden Anspruch 1 nicht aufgenommen wurden, ergibt sich eine unzulässige Erweiterung.
c) Gemäß vorliegendem Anspruch 1 wird die kontrollierte Rückführung eines Teils des gebildeten Produkts erst eingeleitet, nachdem sich im Wirbelbett ein delta-Mannit-Gehalt von wesentlich über 50%, besser ein Gehalt von 60-70%, gebildet hat (Schritt d) und "anschließend" Schritt e)). Diese Rückführung erfolgt laut Anspruch durch Öffnen der Klappe H und Schließen der Klappe J. Solch ein Merkmal kann der ursprünglichen Beschreibung nicht entnommen werden. Auf der ursprünglichen Seite 17 Zeilen 22-25 (siehe auch Seite 10 Zeilen 3-6) wird tatsächlich offenbart, dass ab einem delta-Mannit-Gehalt im Wirbelbett von wesentlich über 50% die Zuluft des Mahlventilators durch Öffnen der Klappe H und Schließen der Klappe J von staubfrei auf staubbeladen umgestellt werden muss. Auch wenn diese Modifikation einen Einfluss auf die Menge an rückgeführtem Produkt haben kann, bedeutet dies nicht, dass die Rückführung eines Teils des Produktes erst dann stattfindet. Eine Rückführung des Produktes erfolgt bereits vorher sowohl vor als auch hinter dem Mahlventilator durch Einstellen der Zellradschleusen 10A und 10B (siehe z. B. Seite 9 Zeilen 18-20 und Seite 17 Zeilen 17-22).
1.5 Die vorliegenden abhängigen Ansprüche 5 und 7 basieren auf den ursprünglichen Ansprüchen 6 und 8 und betreffen u. a. die Rückführung von delta-Mannit im "Schritt a)". Wie bereits erwähnt, ist laut ursprünglicher Beschreibung (s. Seite 9 Zeilen 6-34) im vorliegenden geänderten Verfahren ausgehend von beta-Mannit kein delta-Mannit im anfänglichen Sprühtrocknungsschritt (was dem Schritt a) in den ursprünglichen Ansprüchen entspricht) anwesend. Es scheint folglich keine Basis für ein Verfahren gemäß vorliegendem Anspruch 1, in dem ferner delta-Mannit im anfänglichen Sprühtrocknungsschritt zurückgeführt wird, vorhanden zu sein.
1.6 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass die vorliegenden Ansprüche 1, 5 und 7 die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.