T 2284/16 03-03-2021
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Bindenprodukt, Verfahren zum Herstellen eines Hygieneproduktes und Vorrichtung zum Herstellen eines Hygieneproduktes
Einspruchsgründe - Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 7 (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 8 (ja)
I. Die Beschwerdeführerinnen (Patentinhaberin und Einsprechende) haben jeweils Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, in der festgestellt wurde, dass das Europäische Patent 2 497 451 in geänderter Fassung die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
In der Folge wird auf die Bezeichnung "Beschwerdeführerin" verzichtet. Die Parteien werden nur in ihrer Eigenschaft als Patentinhaberin und Einsprechende bezeichnet.
II. Auf folgende Dokumente aus dem Einspruchsverfahren wird Bezug genommen:
D2: US 5 494 622,
D6: US 4 960 477.
III. Mit ihrer Beschwerdebegründung verfolgte die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, hilfsweise in geänderter Fassung auf Grundlage der gleichzeitig eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5, wobei Hilfsantrag 5 der für gewährbar befundenen Fassung entspricht.
IV. Die Einsprechende begründete ihren Antrag auf Widerruf des Patents im Hinblick auf die von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung mit Einwänden gegen den unabhängigen Anspruch 1 unter Artikel 83, 123(2) und 56 EPÜ, gegen den unabhängigen Anspruch 8 unter Artikel 56 EPÜ, gegen den unabhängigen Anspruch 11 unter Artikel 54 und 56 EPÜ, sowie gegen die jeweils von ihnen abhängigen Ansprüche 2-7, 9, 10, 12 und 15 unter Artikel 54 bzw. 56 EPÜ.
V. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung reichte die Patentinhaberin Hilfsanträge 1.1-5.1, 6, 6.1 und 7-9 ein.
Die am gleichen Tag eingegangene Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden enthielt Einwände gegen den Hauptantrag und die unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 1 bis 4.
VI. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer geladen.
VII. In einer Mitteilung vom 29. April 2020 forderte die Beschwerdekammer die Einsprechende auf, zu den Hilfsanträgen 1.1-5.1, 6, 6.1 und 7-9 Stellung zu nehmen.
VIII. Nach Eingang der Antwort der Einsprechenden erließ die Kammer eine Mitteilung nach Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020), mit der die Parteien über die vorläufige Beurteilung der Sache durch die Beschwerdekammer informiert wurden.
IX. Als Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer reichte die Patentinhaberin mit ihrem Schreiben vom 29. September 2020 weitere Hilfsanträge 1.2-6.2 ein. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 reichte auch die Einsprechende eine weitere Stellungnahme ein.
X. Die mündliche Verhandlung fand am 3. März 2021 mit Zustimmung der Parteien in Form einer Videokonferenz statt, in deren Verlauf die Patentinhaberin einen geänderten Hilfsantrag 7 einreichte, der den mit ihrer Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 7 ersetzte. Außerdem nahm sie die zuvor eingereichten Hilfsanträge 1-6, 1.1-6.1 und 1.2-6.2 zurück.
XI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
XII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage folgender Anträge, in der angegebenen Reihenfolge:
neuer Hilfsantrag 7,
Hilfsantrag 8,
Hilfsantrag 9,
wobei der neue Hilfsantrag 7 in der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2021 und Hilfsanträge 8 und 9 mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden.
XIII. Die unabhängigen Ansprüche des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) haben folgenden Wortlaut:
"1. Bindenprodukt mit
einem streifenförmigen Kern (2) aus einem Airlaid, Vlies oder einem anderen flexiblen Material aus natürlichen und/oder künstlichen Fasern und
einem im Kern (2) auf einer Vielzahl kleiner Flächen, die einen Abstand voneinander haben, verteilten Superabsorber (3), der in einen [sic] Zentralbereich (4) des Kerns (2) eine höhere Konzentration als in mindestens einem Seitenbereich (5, 6) des Kerns (2) aufweist, der in Längsrichtung des Kerns (2) außerhalb des Zentralbereiches (4) angeordnet ist."
"9. Verfahren zum Herstellen eines Hygieneproduktes, bei dem
auf die Oberseite einer Materialbahn (25) aus einem Airlaid, Vlies oder einem anderen flexiblen Material aus natürlichen und/oder künstlichen Fasern flüssigkeitsabsorbierenden Material [sic] lose Teilchen eines Superabsorbers (3) aufgebracht werden,
an die Unterseite der Materialbahn (25) in voneinander beabstandeten Bereichen ein Unterdruck angelegt wird, sodass sich der aufgebrachte Superabsorber (3) auf die Bereiche konzentriert, an die ein Unterdruck angelegt wird,
bei dem die Materialbahn (25) auf einem Transportband (20) mit einem Lochmuster (21) unterhalb der Bereiche der Materialbahn (25), in denen der Superabsorber (3) aufkonzentriert werden soll, über eine Einrichtung zum flächigen Anlegen eines Vakuums (17) geführt wird, und der Superabsorber (3) durch Anlegen eines Vakuums an die Unterseite des Transportbandes (20) in den Bereichen der Materialbahn (25) oberhalb der Lochmuster (21) konzentriert wird, und
die Materialbahn (25) zwischen den Bereichen, auf die der Superabsorber konzentriert ist, in streifenförmige Kerne (2) aus flüssigkeitsabsorbierendem Material zerteilt wird."
"13. Vorrichtung zum Herstellen eines Hygieneproduktes mit
einem Vakuumtisch (17),
einem über Umlenkungen (18, 19) geführten Transportband (20) mit mehreren voneinander beabstandeten Lochmustern (21), das mit einem oberen Transportbandabschnitt (20.1) über die Oberseite des Vakuumtisches (17) geführt ist,
Mitteln zum Zuführen (23, 24) einer Materialbahn (25) aus einem Airlaid, Vlies oder einem anderen flexiblen Material aus natürlichen und/oder künstlichen Fasern in Laufrichtung des Transportbandes (20) auf die Oberseite des oberen Transportbandabschnittes (20.1),
Mitteln zum Aufgeben eines Superabsorbers (27) auf die Oberseite der Materialbahn (25) auf dem oberen Transportbandabschnitt (20.1) des Transportbandes (20) und
Mitteln zum Anlegen eines Vakuums an den
Vakuumtisch (17)."
XIV. Der unabhängige Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 7 basiert auf dem Wortlaut des erteilten Anspruchs 9, dem das Merkmal
", und bei dem mindestens ein seitlicher Bahnbereich der Materialbahn (25) nach dem Aufbringen und Konzentrieren des Superabsorbers (3) auf die Bereiche über die Oberseite des zentralen Bahnbereichs der Materialbahn (25) gefaltet wird"
am Ende hinzugefügt wurde.
Der unabhängige Anspruch 4 beruht auf dem erteilten Anspruch 13, dem das Merkmal
"und bei der beidseitig des Transportbandes Leitbleche (31, 32) zum Umlenken von seitlichen Bahnbereichen der Materialbahn (25) auf die Oberseite eines zentralen Bahnbereiches der Materialbahn (25) vorhanden sind"
am Ende hinzugefügt wurde.
XV. Der einzige unabhängige Anspruch 1 von Hilfsantrag 8 ist identisch mit dem unabhängigen Anspruch 4 nach Hilfsantrag 7. Hilfsantrag 9 ist für die Entscheidung nicht relevant, so dass die Wiedergabe des unabhängigen Anspruchs nicht erforderlich ist.
XVI. Die Argumente der Patentinhaberin können wie folgt zusammengefasst werden.
Hauptantrag - Artikel 100 (c) EPÜ
Der zweite Absatz auf Seite 5 der ursprünglich eingereichten Beschreibung bilde die Grundlage für die vor der Erteilung des Streitpatents vorgenommenen Änderungen in Anspruch 1. Er offenbare verschiedene, voneinander unabhängige Ausführungsformen. Dies ergebe sich aus der Satzbildung, dem Wortlaut, insbesondere den verwendeten Bindewörtern und den dadurch vermittelten funktionellen und strukturellen Bezügen. Insbesondere führe Satz 3 eine andere Funktionalität ein, die unabhängig von der zuvor in den Sätzen 1 und 2 beschriebenen Funktion zu sehen sei. Sätze 4 und 5 wiederum offenbarten Ausführungsformen zur Funktionalität nach Satz 3, die aber jeweils voneinander unabhängige Ausführungsformen darstellten. Dies ergebe sich aus der Verwendung des Ausdrucks "vorzugsweise". Das in Satz 5 vorangestellte "[w]eiterhin [vorzugsweise...]" deute auf eine Alternative zu der Ausführungsform nach Satz 4 hin. Die genannten Eigenschaften gelten auch für andere flexible Materialien aus natürlichen und/oder künstlichen Fasern. Das im Satz 7 verwendete Pronomen "es" beziehe sich auf die zuvor in Satz 6 beschriebene Verteilung, bzw. auf die durch Kapillarität zwischen den Superabsorber-Partikeln erhöhte Absorptionskapazität. Darüber hinaus ergebe sich auch aus der Kernaussage der Anmeldung im 3. Absatz von Seite 2 und den auf Seiten 9 und 11 offenbarten Herstellungsverfahren sowie der dafür vorgesehenen Vorrichtung, dass die Materialien des Kerns im Anspruch 1 offenbart seien.
Hilfsantrag 7 - Artikel 56 EPÜ
Das Verfahren nach Anspruch 1 unterscheide sich von dem aus D2 bekannten Verfahren durch die Merkmale im zweiten Gliederungspunkt, wonach durch den angelegten Unterdruck der aufgebrachte Superabsorber (3) auf die Bereiche konzentriert werde, und im dritten Gliederungspunkt, wonach der Superabsorber in den Bereichen der Materialbahn oberhalb der Lochmuster konzentriert werde, sowie durch das hinzugefügte Merkmal am Ende des Anspruchs. In D2 hingegen würden durch den Unterdruck erst Taschenbereiche in der Trägermaterialbahn erzeugt, siehe Spalte 2, Zeilen 4-17, Spalte 3, Zeilen 56-63. Das eigentliche Aufkonzentrieren des Superabsorbers aus der über der Trägermaterialbahn in der Kammer 30 aufstehenden Produktsäule aus Superabsorbermaterial werde erst durch das in Spalte, 2, Zeilen 21-25 und Spalte 8, Zeile 28 bis Spalte 9, Zeile 14 beschriebene Abwischen überschüssiger Superabsorber-Partikel von den Bereichen der Trägermaterialbahn zwischen den Taschenbereichen erreicht. Die Gesamtheit der unterscheidenden Merkmale erlaube eine höhere Produktionsgeschwindigkeit, da die Aufkonzentration des Superabsorbers nur durch Unterdruck erhalten werde, so dass keine Taschen für die Konzentration des Superabsorbers ausgebildet werden müssten und der zusätzliche Verfahrensschritt des Abwischens entfallen könne. Mittels des letzten Anspruchsmerkmals verringere sich die Verschmutzung durch Superabsorber-Partikel, was zu mehr Prozesssicherheit führe. Aufgabe sei es also, ein Verfahren mit erhöhter Prozessgeschwindigkeit und höherer Prozesssicherheit bei gleichzeitig verringertem Aufwand bereitzustellen. Weder D2 allein noch D6 könne die anspruchsgemäße Merkmalskombination nahelegen. Das Umklappen von Randbereichen in D6 sei nur für die dort angestrebte spezielle und typische Kontur einer Windel im Schrittbereich erforderlich. D6 beschäftige sich insbesondere nicht mit dem Aufkonzentrieren von Superabsorbern und gebe keinen Hinweis auf die Lösung der Aufgabe. Die Komponenten zum Umklappen der Randbereiche der Materialbahn erfordern darüber hinaus eine aufwendige Synchronisation, was der zu lösenden Aufgabe entgegenstehe.
Hilfsantrag 8 - Artikel 56 EPÜ
Die Vorrichtung nach Anspruch 1 unterscheide sich von der aus D2 bekannten Vorrichtung durch einen Vakuumtisch und das hinzugefügte Merkmal am Ende des Anspruchs. Diese Merkmale erlaubten höhere Prozessgeschwindigkeiten, so dass die objektive Aufgabe in der Steigerung der Leistung der Vorrichtung zu sehen sei.
XVII. Die Argumente der Einsprechenden können wie folgt zusammengefasst werden.
Hauptantrag - Artikel 100 (c) EPÜ
Die in Sätzen 4 und 5 im zweiten Absatz auf Seite 5 der Beschreibung beschriebenen Ausführungsformen seien nicht unabhängig voneinander und insbesondere nicht unabhängig von den in Satz 1 genannten Materialeigenschaften des Kerns offenbart, die im Übrigen bereits auf Seite 2 der Beschreibung als Merkmale des Kerns des Bindenprodukts offenbart seien. Diese weiteren Materialeigenschaften seien nicht notwendigerweise in jedem aus einem Airlaid bestehenden Kern eines Bindenprodukts realisiert. Satz 7 mache darüber hinaus deutlich, dass sich alle zuvor genannten Eigenschaften auf einen Kern mit den in Satz 1 genannten Materialien beziehen.
Hilfsantrag 7 - Zulassung in das Verfahren
Der Antrag sei verspätet vorgelegt und nicht in das Verfahren zuzulassen. Die ihm vorausgehende Version dieses Hilfsantrags 7, die mit der Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin vorgelegt worden war, sei nicht substantiiert worden. Als Folge ihres Einwands gegen den nicht substantiierten Anspruch 1 dieser vorherigen Version sei die Einsprechende durch die jetzt vorliegende weiter geänderte Version des Hilfsantrags 7 und die dabei erfolgte Erweiterung des Schutzbereichs von Anspruch 1 schlechter gestellt.
Hilfsantrag 7 - Artikel 56 EPÜ
Anspruch 1 unterscheide sich von dem aus D2 bekannten Verfahren nur durch das am Ende hinzugefügte Merkmal. Die von der Patentinhaberin behaupteten weiteren Unterschiede bestünden nicht, da das Aufkonzentrieren der Superabsorber-Partikel auf der Materialbahn in D2 ebenfalls durch einen Unterdruck und oberhalb des Lochmuster erfolge, siehe z.B. Spalte 4, Zeilen 3-6 oder Spalte 8, Zeile 5. Die pneumatisch ausgeführten Mittel zum Abwischen dienten der Aufrechterhaltung des Drucks, bzw. Unterdrucks in der Kammer. Bei dem Verfahren nach Anspruch 1 sei außerdem nicht ausgeschlossen, dass Superabsorber-Partikel auch in den Bereichen der Materialbahn zwischen den offenen, luftdurchlässigen Bereichen des Lochmusters deponiert werden. Es gebe keine Hinweise, dass die von der Patentinhaberin genannten Vorteile und Wirkungen erreicht werden. Die für das hinzugefügte Merkmal behaupteten Effekte seien ebenfalls nicht glaubwürdig. Aufgabe könne daher nur sein, das Verfahren so weiterzubilden, dass das Materialband auf eine alternative Art gestaltet wird. Mittel zum Auffalten seien aus D6 bekannt, siehe Spalte 4, Zeilen 16-19 und Spalte 10, Zeilen 64-68. Ebenso wie D2 insbesondere die Herstellung von Windeln betreffe, siehe Spalte 3, Zeilen 34-36, gehe es auch in D6 um die Herstellung von Windeln. Darüber hinaus sei der Herstellungsprozess in D6 dem aus D2 sehr ähnlich, siehe z.B. D6, Spalte 3, Zeilen 55-58 oder Spalte 4, Zeilen 52-62. Die aus D6 bekannten Mittel und den damit verbundenen Verfahrensschritt würde der Fachmann daher zur Lösung der Aufgabe offensichtlich auch bei einem Verfahren nach D2 anwenden.
Hilfsantrag 8 - (Nicht-) Berücksichtigung im Verfahren
Die Einsprechende berief sich in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen auf die Gründe, die sie zuvor hinsichtlich des Hilfsantrags 7 vorgetragen hatte. Sie beruhten auch für den Hilfsantrag 8 auf der fehlenden Substantiierung des Hilfsantrags bei seiner Einreichung mit der Beschwerdeerwiderung. Insbesondere seien nach den in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, V.A.4.12.5), entwickelten Kriterien, unsubstantiierte Hilfsanträge nicht zu berücksichtigen.
Hilfsantrag 8 - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Vorrichtungsanspruchs unterscheide sich von der aus D2 bekannten Vorrichtung nur durch das hinzugefügte Merkmal der Leitbleche zum Zwecke des Umfaltens der seitlichen Bahnbereiche. Die Aufgabe sei es daher, eine Vorrichtung mit Mitteln auszustatten, die eine andere Konfiguration der Materialbahn erlaubten. Aus D6 sei bereits die dort in Figuren 10 bis 12 gezeigte Vorrichtung bekannt. Diese unterscheide sich zwar von den beanspruchten Mitteln durch ihre Realisierung mittels Leitdrähten anstelle des anspruchsgemäßen Leitblechs. Allerdings sei dieser Unterschied naheliegend, da es sich nur um eine gut bekannte äquivalente Alternative handele. Der hier vorzunehmende zusätzliche Schritt bei der Kombination des Standes der Technik aus D2 und D6 sei naheliegend, weil er aus einer naheliegenden Lösung einer entsprechenden Teilaufgabe resultiere.
Hauptantrag - Artikel 100 (c) EPÜ
1. Die Kammer ist zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
1.1 Verglichen mit Anspruch 1 in seiner ursprünglich eingereichten Fassung wurden dem Anspruch folgende Merkmale hinzugefügt:
"Vlies oder einem anderen flexiblen Material aus natürlichen und/oder künstlichen Fasern"
und
"[einem] im [Kern] auf einer Vielzahl kleiner Flächen, die einen Abstand voneinander haben".
1.2 Als Grundlage für diese Änderungen hat die Patentinhaberin insbesondere den zweiten Absatz auf Seite 5 der Beschreibung genannt (Satznummerierung in eckigen Klammern von der Kammer hinzugefügt):
"[1] Bei dem Bindenprodukt ist besonders vorteilhaft, dass der Kern aus einem Airlaid oder aus einem ähnlich weichen und geschmeidigen, flüssigkeitsabsorbierenden Material besteht. [2] Dies ermöglicht es, Binden herzustellen, die sich besonders gut an den Körper der Trägerin anschmiegen. [3] Harte Stellen durch Materialanhäufungen auf dem Kern sowie Falten können vermieden werden. [4] Vorzugsweise übersteigt hierfür die Schichtdicke des auf den Kern aufgetragenen Superabsorbers nicht 2mm. [5] Weiterhin vorzugsweise ist hierfür der Superabsorber auf einer Vielzahl kleiner Flächen, die voneinander einen Abstand haben, aufgetragen. [6] Bevorzugt handelt es sich hierbei um eine Vielzahl kreisförmiger oder elliptischer oder mehreckiger Flächen. [7] Darüber hinaus hat dies den Vorteil, dass es eine eigene Absorptionskapazität aufweist, die zur Absorptionsfähigkeit des SAP hinzukommt. [8] Bevorzugt ist das Hygieneprodukt eine Slipeinlage, Dünnbinde oder Ultrabinde."
1.3 Der Einwand der Einsprechenden basiert darauf, dass die dem Satz 5 entnommenen Merkmale nicht ohne die in den Sätzen 1 und 4 genannten Merkmale offenbart sind. Für die Auslassung der in diesen Sätzen offenbarten Merkmale, z.B. "ähnlich weichen und geschmeidigen, flüssigkeits-absorbierenden", gebe es keine Grundlage. Die Kammer folgt diesem Argument.
1.4 Die Patentinhaberin hat nicht bestritten, dass ein aus einem "Airlaid, Vlies oder einem anderen flexiblen Material aus natürlichen und/oder künstlichen Fasern" bestehender Kern eines Bindenprodukts nicht notwendigerweise die zuvor genannten, ausgelassenen Materialeigenschaften, gemäß Satz 1 des zweiten Absatzes auf Seite 5, aufweisen muss. Die weiteren in Satz 1 genannten Merkmale bzw. Materialeigenschaften sind also nicht implizit im Gegenstand des Anspruchs 1 enthalten.
1.5 Das zentrale Argument der Patentinhaberin, wonach die Merkmale in den Sätzen 4 und 5 jeweils unabhängig voneinander und von den in Satz 1 genannten Merkmalen vom Fachmann verstanden würden, überzeugt die Kammer nicht. Vielmehr wird der Fachmann den Inhalt des zweiten Absatzes, allein schon durch die Gliederung der Absätze auf dieser und allen anderen Seiten der Beschreibung, nicht in voneinander unabhängige Themen aufteilen. Eine gedankliche bzw. technisch zwingend vorliegende Trennung zwischen den Sätzen 1 und 2 und den Sätzen 3 bis 6 ist nicht erkennbar. Vielmehr liest der Fachmann alle Sätze, und damit die darin jeweils offenbarten Merkmale, dieses Absatzes im Zusammenhang. Insbesondere im Zusammenhang mit den in Satz 1 vorausgeschickten Materialeigenschaften des Kerns.
Dies verdeutlicht auch Satz 7. Das Pronomen "es" in diesem Satz kann nur vertretend für "das Airlaid" oder "das Material" in Satz 1 verstanden werden. Andere sächliche Substantive werden zwischen Satz 1 und 7 dieses Absatzes nicht genannt. Eine Auslegung stellvertretend für die Anordnung des Superabsorbers in einer Vielzahl kleiner (geometrisch bestimmter) Flächen, auf die sich nach Meinung der Patentinhaberin das Pronomen bezieht, wäre grammatikalisch falsch. Auch technisch macht nur diese Auslegung Sinn, da es nur das Airlaid oder das Material sein kann, auf das Superabsorber in einer Vielzahl kleiner Flächen aufgebracht wird und was zusätzlich zur Absorptionskapazität des Superabsorbers eine "eigene Absorptionskapazität" aufweist. Eine "Verteilung in einer Vielzahl kleiner (geometrisch bestimmter) Flächen" weist an sich keine zusätzliche Absorptionskapazität auf, die zu der des darauf verteilten Superabsorbers hinzukommt. Für das weitere Argument der Patentinhaberin, dass die hier gemeinte zusätzliche Absorptionskapazität durch die Kapillarität zwischen den Superabsorber-Partikeln bereitgestellt sei, wurde kein Beleg in den Anmeldungsunterlagen erbracht.
1.6 Dieser Auslegung des zweiten Absatzes von Seite 5 steht auch nicht die übliche Bedeutung der Begriffe "(besonders) vorteilhaft" oder "vorzugsweise" als auf eigenständige Ausführungsformen hinweisend entgegen. Auch wenn die Materialien in Satz 1 als "besonders vorteilhaft" eingeführt werden, so können die im Anschluss, insbesondere in Sätzen 3, 4 und 5 offenbarten Merkmale, nur als bevorzugte Ausführungsformen der in Satz 1 offenbarten Merkmale verstanden werden.
Das einleitende Wort "[w]eiterhin" im Satz 5 kann darüber hinaus nicht nur im Sinne einer Alternative zur bevorzugten Ausführungsform nach Satz 4 verstanden werden, wie die Patentinhaberin argumentiert hat. Nach Überzeugung der Kammer kann es ebenso dahingehend verstanden werden, dass das Merkmal in Satz 5 eine Ausführungsform betrifft, die diejenige nach Satz 4 weiter bevorzugt ausgestaltet. Das Erfordernis einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung (G 2/10, EPO OJ 2012, 376) für das Merkmal in Satz 5 ohne das Merkmal nach Satz 4 liegt somit auch nicht vor.
1.7 Auch die weitere Argumentationslinie der Patentinhaberin, aufbauend auf der Kernaussage der Anmeldung im dritten Absatz auf Seite 2 der Beschreibung und der damit im Zusammenhang zu sehenden Beschreibung des Herstellungsverfahrens und der dafür vorgesehenen Vorrichtung, überzeugt die Kammer nicht. Auf Seite 2 unten wird bereits, wie auch von der Einsprechenden hervorgehoben, das erfindungsgemäße Bindenprodukt offenbart. Demnach werden die als fehlend bemängelten Merkmale des Materials des Kerns auch auf Seite 2, im letzten Absatz beschrieben. Dass der Fachmann dieser Beschreibung des auch im Anspruch 1 definierten Bindenprodukts gegenüber der Beschreibung des Herstellungsverfahrens und der dafür vorgesehenen Vorrichtung auf Seiten 9 und 11 eine geringere Bedeutung beimessen sollte, ist für die Kammer nicht erkennbar und begründet in jedem Fall keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung des beanspruchten Gegenstands.
1.8 Andere Offenbarungsquellen für den Gegenstand von Anspruch wurden von der Patentinhaberin nicht genannt. Die Kammer hat ebenfalls keine gefunden.
2. Aus dem Vorhergehenden folgt, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 (c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht. Der Hauptantrag der Patentinhaberin ist daher nicht gewährbar.
Hilfsantrag 7 - Artikel 13 (1) VOBK 2020
3. Die Beschwerdekammer hat ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 7 in das Verfahren zuzulassen. Dass die Kammer dabei dem von der Einsprechenden vorgetragenen Widerspruch nicht gefolgt ist, bedarf für die Zwecke dieser Entscheidung keiner weiteren Begründung. Hilfsantrag 7 hat nämlich in der Sache keinen Erfolg, wie im Folgenden dargelegt wird.
Hilfsantrag 7 - Artikel 56 EPÜ
4. Die Kammer ist zu dem Schluss gekommen, dass das Verfahren nach Anspruch 1 von Hilfsantrag 7, ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik, durch D6 nahegelegt ist.
4.1 Hinsichtlich der strittigen unterscheidenden Merkmale von Anspruch 1 gegenüber dem aus D2 bekannten Verfahren ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass nur das hinzugefügte Merkmal nicht in D2 offenbart ist. Die anderen Merkmale aus dem zweiten und dritten Gliederungspunkt begründen entgegen der Meinung der Patentinhaberin keinen Unterschied.
4.1.1 D2 offenbart ein Verfahren zum Herstellen eines Hygieneproduktes, welches anhand der Herstellung einer absorbierenden Struktur für eine Windel (Spalte 3, Zeilen 33-36) beschrieben wird. Unbestritten ist, entsprechend dem Merkmal im ersten Gliederungspunkt von Anspruch 1, dass auf die Oberseite einer Gas-durchlässigen Materialbahn aus einem faserförmigen Vlies, z.B. aus Zellulose (26 in Fig. 1, Spalte 5, Zeilen 33-52), lose Superabsorber-Teilchen aufgebracht werden (Spalte 3, Zeile 48-50, Spalte 4, Zeilen 24/25). Dazu wird, entsprechend dem unbestrittenen Teil des Merkmals im zweiten Gliederungspunkt des Anspruchs, an die Unterseite der Materialbahn in voneinander beabstandeten Bereichen ein Unterdruck angelegt (Spalte 3, Zeilen 56-63). Die Materialbahn wird dabei über ein mit einem Lochmuster (44) versehenes Formmittel (42) geführt, das als Endlosband ausgebildet sein kann (Spalte 5, Zeilen 54 bis 57). Unbestritten bildet dieses gelochte Formmittel das im dritten Gliederungspunkt von Anspruch 1 bezeichnete Transportband mit einem Lochmuster. Unterhalb des Formmittels befindet sich eine Einrichtung zum flächigen Anlegen eines Vakuums, was dem Teilmerkmal im dritten Gliederungspunkt von Anspruch 1 entspricht. Dies bewirkt im laufenden Verfahren einen kontrollierten Gasstrom durch die Materialbahn und das Formmittel (z.B. Spalte 2, Zeilen 13-17 oder Spalte 3, Zeilen 56-63).
Damit wird ein kontrollierter Superabsorber-Partikelstrom mittels einer oberhalb der Materialbahn angeordneten Kammer 30 auf die Materialbahn aufgebracht (Spalte 4, Zeilen 3-6). Aus Spalte 3, Zeilen 60-63, Spalte 5, Zeilen 36-40, Spalte 7, Zeilen 26-31 sowie insbesondere Spalte 8, Zeilen 5-7 ist für den Fachmann unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass die Superabsorber-Partikel mittels des durch den Unterdruck erzeugten Gasstroms, der die Partikel mitführt ("gas entrained materials"), auf die Bereiche der Materialbahn konzentriert werden, an denen der Unterdruck anliegt. Somit ist das von der Patentinhaberin bestrittene Teilmerkmal aus dem zweiten Gliederungspunkt in D2 offenbart. Denn diese Bereiche, an denen der Unterdruck an der Materialbahn anliegt, sind die offenen Bereiche des mit dem Lochmuster versehenen Formmittels. Notwendigerweise werden dabei weniger Superabsorber-Partikel auf die Materialbahn in die Bereiche mitgeführt, die über den geschlossenen Bereichen des unter der Materialbahn liegenden gelochten Formmittels liegen, so dass daraus eine (höhere) Konzentration von Superabsorber-Partikeln auf der Materialbahn oberhalb der offenen Bereiche des Formmittels resultiert. Folglich ist auch das von der Patentinhaberin bestrittene Teilmerkmal am Ende des dritten Gliederungspunkts offenbart. Zumindest ist nicht erkenntlich, worin diesbezüglich ein technischer Unterschied zwischen dem beanspruchten Verfahrensmerkmal und dem aus D2 bekannten Verfahren bestehen könnte.
4.1.2 Für die von der Patentinhaberin behauptete Ausbildung einer Superabsorber-Partikelsäule in der Kammer 30, die als kompakte Masse oberhalb der Materialbahn aufstehen würde, findet sich in D2 nirgends eine Offenbarung. Die zuvor zitierten Passagen der D2 offenbaren im Gegenteil konsistent einen Gasstrom durch die Materialbahn (26) und das Formmittel, notwendigerweise in seinen durch das Lochmuster bedingten offenen Bereichen. Auch für ihre Behauptung, dass die erwähnten Gasströme den Strom zwischen den kompakt liegenden Superabsorber-Partikeln bezeichne, hat die Patentinhaberin keine Grundlage in D2 benannt.
Ebensowenig kann die Kammer eine Offenbarung in den von der Patentinhaberin zitierten Passagen der D2 finden, dass es Ziel des Vakuums sei, in gewisser Weise vorab "Taschen" in der Materialbahn zu bilden. In der Tat ist es Ziel des Verfahrens, eine Materialbahn mit diskreten Taschenbereichen ("pocket regions"), die Superabsorber enthalten, zu formen (z.B. Spalte 2, Zeilen 4-17). Aber die Kammer findet keinen Hinweis, dass die Bildung diese Taschenbereiche in einem ersten Schritt die Ausbildung von Taschen mittels Vakuum in der Materialbahn erfordern und in einem zweiten Schritt die Belegung der Materialbahn mit Superabsorber.
Auch das Argument, wonach die Konzentrierung der Superabsorber-Partikel nicht durch den Unterdruck erfolge, sondern erst durch das Abwischen überschüssiger Superabsorber-Partikel aus den Bereichen zwischen den zu erzeugenden "Taschenregionen" beim Austritt aus der Kammer 30, ist nicht überzeugend. Einerseits spricht Anspruch 1 des vorliegenden Antrags nur von "konzentrieren" und schließt damit nicht aus, das Superabsorber-Partikel auch in anderen Bereichen zumindest in geringem (und damit überschüssigem) Ausmaß vorhanden sind und durch gegebenenfalls geeignete Verfahrensschritte entfernt werden. Darüber hinaus führt die Ausbildung des Gasstroms in D2 durch die Materialbahn und die unter ihr liegenden offenen Bereiche des mit dem Lochmuster versehenen Transportbandes (Formmittel) unausweichlich zu einer höheren Konzentration von Superabsorber-Partikeln in diesen offenen Bereichen. Notwendigerweise ist der Superabsorber damit in den Bereichen der Materialbahn oberhalb der Lochmuster konzentriert. Für die gegenteilige Annahme (also eine trotzdem resultierende Gleichverteilung der Superabsorber-Partikel über die gesamte Materialbahn vor dem Abwischen) wurde keine technisch einleuchtende Begründung vorgetragen.
4.2 Da das Merkmal im vierten Gliederungspunkt von Anspruch 1 unbestritten in D2 offenbart ist (siehe z.B. Spalte 16, Zeilen 5-7), verbleibt, wie auch von der Einsprechenden argumentiert, als einziges unterscheidendes Merkmal das hinzugefügte Merkmal, "bei dem mindestens ein seitlicher Bahnbereich der Materialbahn nach dem Aufbringen und Konzentrieren des Superabsorbers auf die Bereiche über die Oberseite des zentralen Bahnbereichs der Materialbahn gefaltet wird".
4.3 Der in der Patentschrift angegebene Zweck einer Faltung seitlicher Bahnbereiche, siehe Absätze 49 und 77, zur Fixierung der Superabsorber-Partikel, wird mit diesem Merkmal nicht notwendigerweise erreicht. Dieser technische Effekt könnte nämlich nur unter der Annahme weiterer einschränkender Bedingungen erreicht werden, z.B. relativer Größenabmessungen des mindestens einen seitlichen Bahnbereichs im Vergleich zur Erstreckung der Superabsorber-Bereiche in transversaler Bahnrichtung. Entsprechende Merkmale sind aber im Anspruch nicht definiert.
Auch die von der Patentinhaberin behaupteten technischen Effekte aufgrund dieses unterscheidenden Merkmals sind nicht plausibel. Die merkmalsgemäße Faltung, in der Breite der Formulierung, bewirkt nicht notwendigerweise eine Verminderung der Verschmutzung der Produktionsvorrichtung und damit auch keine Erhöhung der Prozesssicherheit. Zum Beispiel ist der genaue Ort der Faltung im Anspruch nicht definiert, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass nach dem Aufbringen von Superabsorber und vor der Faltung noch eine Deckschicht aufgebracht werden könnte. Dem Anspruchswortlaut entsprechend ist damit die Faltung an sich nicht notwendigerweise ursächlich für eine geringere Superabsorber-Verschmutzung. Auch für eine Erhöhung der Prozessgeschwindigkeit oder verminderten Aufwand gibt es keine technisch plausible Erklärung. Die von der Patentinhaberin zugrundegelegte Annahme, dass das erfindungsgemäße Verfahren keine Taschen erzeugen müsse und kein Abwischen überschüssigen Superabsorber-Materials erfordere, findet im Anspruch im Vergleich zu dem aus D2 bekannten Verfahren keinen Ausdruck.
4.4 Folglich kann eine objektive Aufgabe in der Tat nur darin gesehen werden, das aus D2 bekannte Verfahren derart weiterzubilden, dass die Materialbahn in eine alternative Konfiguration gebracht wird.
4.5 Die Kammer kann den Argumenten der Einsprechenden folgen, dass D6 die anspruchsgemäße Lösung dieser Aufgabe nahelegt. D6 offenbart nämlich ebenfalls, wie D2 (s.o. Gründe 4.1.1), ein Verfahren zur Herstellung einer absorbierenden Struktur für eine Windel, siehe z.B. D6, Spalte 1, Zeile 12. Im Zusammenhang mit der in den Figuren 9 bis 13 beschriebenen Ausgestaltung einer Produktionsvorrichtung und des damit umgesetzten Herstellungsverfahrens für eine solche absorbierende Struktur werden in einer Bearbeitungsstation (178) seitliche Bahnbereiche (126) einer aus einem doppellagigen Faservlies (131,133) bestehenden Materialbahn über die Oberseite ihres zentralen Bahnbereichs gefaltet (siehe Figuren 10 bis 12). Die Faltung erfolgt dabei nach dem Aufbringen von Superabsorber auf eine der beiden Lagen des Faservlieses. Der Zweck der Faltung liegt in der Erhöhung der Absorptionskapazität des zentralen Bereichs der absorbierenden Struktur, siehe Spalte 10, Zeilen 64-68. Der Fachmann erkennt in dieser aus der Umfaltung resultierenden anderen Konfiguration der Materialbahn Vorteile, die auch für die mittels des Verfahrens nach D2 herzustellende absorbierende Struktur wünschenswert sind. Es ist daher für den Fachmann naheliegend, diesen Schritt der Umfaltung auch bei der Herstellung einer absorbierenden Struktur für eine Windel nach dem aus D2 bekannten Verfahren anzuwenden. Somit gelangt er ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1.
4.6 Das Argument der Patentinhaberin, wonach D6 nur die Herstellung von Windeln mit absorbierenden Strukturen in typischer Windelkontur betreffe, ist unerheblich. Zum einen, weil sich beide Dokumente mit eben der Herstellung von absorbierenden Strukturen für Windeln befassen. Zum anderen hat das Argument für den Gegenstand von Anspruch 1 keine Bedeutung, da das herzustellende Hygieneprodukt Windeln nicht ausschließt. Dass der Zweck der Faltung in D6 nichts mit dem Aufbringen eines Superabsorbers zu tun hat, kann ebenfalls nichts an obiger Schlussfolgerung ändern. Außer ihrer Durchführung nach dem Aufbringen und Konzentrieren des Superabsorbers auf die Bereiche der Materialbahn, ist im Anspruch kein weiterer funktioneller Zusammenhang zwischen der Faltung und den Superabsorber-Partikel angegeben (siehe oben Gründe 4.3) und die Faltung erfolgt in D6 eben auch nach dem Aufbringen des Superabsorbers. Dass zwischen diesen beiden Vorgängen (Superabsorber-Aufbringung und Faltung) noch weitere Schritte ausgeführt werden, ist unerheblich, da auch der Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 entsprechende Schritte nicht ausschließt. Einen möglicherweise durch die Faltung entstehenden größeren maschinellen und funktionellen Aufwand wird der Fachmann abwägen gegen die zu erwartenden Vorteile. Die von der Patentinhaberin behaupteten Vorteile des beanspruchten Verfahrens sind wie oben dargelegt nicht plausibel, stehen der naheliegenden Kombination von D2 und D6 also nicht entgegen.
4.7 Da, wie zuvor begründet, der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) beruht, kann das Patent mit diesem Hilfsantrag nicht aufrechterhalten werden.
Hilfsantrag 8 - Berücksichtigung im Verfahren
5. Die Einsprechende hat einer Berücksichtigung des Hilfsantrags 8, der mit der Erwiderung der Patentinhaberin auf die Beschwerde der Einsprechenden, vorgelegt wurde, widersprochen. Ihr zentrales Argument beruht auf einer ihrer Meinung nach fehlenden Substantiierung des Hilfsantrags bei seiner Vorlage. Die Kammer ist diesem Antrag der Einsprechenden nicht gefolgt und hat den Hilfsantrag im Verfahren aus folgenden Gründen berücksichtigt.
5.1 Nach Artikel 12 (3) VOBK 2020, der entsprechend Artikel 25 (1) VOBK 2020 anwendbar ist und dessen wesentliche Elemente bereits in der früheren Fassung des entsprechenden Artikels 12 (2) VOBK 2007 enthalten waren, müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Dementsprechend müssen sie deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen; sie sollen ausdrücklich alle geltend gemachten Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl. z.B. T 764/03, Entscheidungsgründe 6.2) und nach dem Wortlaut von Artikel 12 (3) VOBK 2020 zählen hierzu auch Anträge.
Eine Sanktion ergibt sich aus Artikel 12 (3) VOBK 2020 noch nicht, sondern aus Artikel 12 (5) VOBK 2020. Auch Artikel 12 (4) VOBK 2007, der gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020 im vorliegenden Fall statt Artikel 12 (5) VOBK 2020 zur Anwendung kommt, bestimmt, dass das gesamte Vorbringen der Beteiligten von der Kammer berücksichtigt wird, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Artikel 12 (2) VOBK 2007 erfüllt.
5.2 Zunächst ist festzustellen, dass der Gegenstand des vorliegenden Vorrichtungsanspruchs 1 auf der Kombination der erteilten Ansprüche 13 und 16 beruht. Letztere entsprechen den Ansprüchen 11 und 14 des Hilfsantrags 2, der in der angefochtenen Zwischenentscheidung als gewährbar erachtet wurde. Die Grundlage der Änderung des Gegenstands von Anspruch 1 wurde bei Einreichung des Hilfsantrags für die Kammer und die Einsprechende nachvollziehbar angegeben, siehe Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin, Seite 2, dritter bis vierter Absatz.
5.3 Die Einsprechende hat in ihrer Beschwerdebegründung zwar den unabhängigen Vorrichtungsanspruch 11 der für gewährbar befundenen geänderten Fassung des Patents angegriffen (siehe Abschnitt 7 der Beschwerdegründe), ebenso die von ihm abhängigen Ansprüche 12 und 15 (siehe 8.9 und "6.10" auf Seite 12 der Beschwerdegründe), aber nicht den Gegenstand des abhängigen Anspruchs 14, der wie zuvor ausgeführt, die Grundlage der Änderung nach Hilfsantrag 8 bildet.
5.4 Aus dem zuvor geschilderten Umstand, dass der Gegenstand des erteilten abhängigen Anspruchs 16 (Anspruch 14 der für gewährbar befundenen Fassung) von der Einsprechenden gar nicht angegriffen wurde, wohingegen andere abhängige Ansprüche explizit angegriffen wurden, erscheinen die Gründe in diesem besonderen Fall bei Einreichung des Hilfsantrags 8 selbsterklärend dafür zu sein, dass dieser geänderte Gegenstand, die Bedingungen des EPÜ erfüllen soll. Die Kammer kann hier keinen Grund erkennen, ihr Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend auszuüben, Hilfsantrag 8 nicht im Verfahren zu berücksichtigen.
5.5 Die Patentinhaberin hat Hilfsantrag 8 bereits mit ihrer Beschwerdeerwiderung vom 24. April 2017 eingereicht. Nachdem die Einsprechende hierzu nicht Stellung genommen hat, hat sie die Beschwerdekammer in ihrer Mitteilung vom 29. April 2020 aufgefordert, zu den weiteren Hilfsanträgen der Patentinhaberin (einschließlich der Hilfsanträge 7 bis 9) vorzutragen. Die Einsprechende hat daher erstmals mit Schriftsatz vom 29. Juli 2020 unter anderem zu den Hilfsanträgen 7 bis 9 vorgetragen.
Ihren in diesem Schriftsatz schriftlich vorgetragenen Einwand gegen Hilfsantrag 8, der im wesentlichen auf die Behauptung einer naheliegenden und gut bekannten Äquivalenz bestimmter Merkmale beschränkt war, ohne z.B. eine objektive Aufgabe zu formulieren (siehe hierzu auch weiter unten), hat die Einsprechende erst in ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2020 und während der mündlichen Verhandlung weiter vervollständigt. Die Patentinhaberin hat ihrerseits in ihrem Schreiben vom 29. September 2020 und in der mündlichen Verhandlung zu diesen Argumenten der Einsprechen Stellung genommen.
5.6 Ungeachtet der Frage, ob die Ausführungen der Einsprechenden zum Gegenstand des erteilten abhängigen Anspruchs 16 neues Vorbringen im Sinne von Artikel 13 (1) VOBK 2020 darstellen, sieht die Kammer keine Veranlassung, das Vorbringen der Einsprechenden sowohl in ihren Schriftsätzen vom 29. Juli 2020 und vom 6. Oktober 2020 als auch in der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen und die Gegenargumente der Patentinhaberin nicht.
5.7 Dem steht die von der Einsprechenden genannte Rechtssprechung der Beschwerdekammern nicht entgegen. Die Einsprechende bezog sich in ihrer Argumentation, Hilfsantrag 8 nicht im Verfahren zu berücksichtigen, im wesentlichen auf die in Abschnitt V.4.12.5 zusammengefassten Prinzipien in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (9. Auflage, 2019). Die daraus zitierten Passagen und Entscheidungen berücksichtigen aber die bestehenden Unterschiede zum vorliegenden Sachverhalt nicht. Keiner der zitierten Entscheidungen, T 217/10, T 1784/18 und T 687/15 liegt eine Sachlage zugrunde, die der hier zuvor in Gründen 5.3 dargelegten entspricht. Im hier vorliegenden Beschwerdeverfahren (siehe Gründe 5.4) war nämlich hinsichtlich des Gegenstands des einzigen unabhängigen Anspruchs von Hilfsantrag 8 objektiv erkennbar, dass die bestehenden von der Einsprechenden bis dahin erhobenen Einwände gegen die angegriffenen Gegenstände ausgeräumt wurden und zunächst keine weiteren Einwände gegen den nunmehr mit Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 beanspruchten Gegenstand bestanden. Solche Einwände wurden vielmehr erst in einem viel späteren Verfahrensstadium von der Einsprechenden erhoben und erst in der mündlichen Verhandlung präzisiert. Die Patentinhaberin hat darauf mit Gegenargumenten reagiert.
Hilfsantrag 8 - Artikel 56 EPÜ
6. Die Kammer ist zu dem Schluss gekommen, dass das Verfahren nach Anspruch 1 von Hilfsantrag 8, ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik, nicht durch D6 und das allgemeine Fachwissen nahegelegt wird.
6.1 Es ist unstreitig, dass sich die beanspruchte Vorrichtung zum Herstellen eines Hygieneproduktes von der in den Figuren 1 und 2 der D2 gezeigten Vorrichtung zumindest durch das folgende Merkmal unterscheidet:
"und bei der beidseitig des Transportbandes Leitbleche (31, 32) zum Umlenken von seitlichen Bahnbereichen der Materialbahn (25) auf die Oberseite eines zentralen Bahnbereiches der Materialbahn (25) vorhanden sind".
Wie sich aus der folgenden Erläuterung ergibt, kann es dahingestellt bleiben, ob der im Anspruch definierte Vakuumtisch ein weiteres unterscheidendes Merkmal gegenüber D2 bildet und ob dieses möglicherweise zur erfinderischen Tätigkeit beiträgt, wie die Patentinhaberin argumentierte.
6.2 Ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik und auf Grundlage des zumindest einen unterscheidenden Merkmals kann eine objektive Aufgabe darin gesehen werden, wie auch von der Einsprechende vorgetragen, die bekannte Vorrichtung derart weiterzubilden, dass sie die Materialbahn in eine alternative Konfiguration überführt.
6.3 Obwohl in D6 in der Tat das Umlenken seitlicher Bahnbereiche mittels der Arbeitsstation 178 offenbart ist, siehe oben Gründe 4.5, würde der Fachmann bei einer Verwendung dieser Merkmale nicht ohne weitere Überlegungen und Änderungen zur beanspruchten Merkmalskombination gelangen. Nach Überzeugung der Kammer fehlt es für die erforderlichen weiteren Änderungen an einem entsprechenden Hinweis. Das Fachwissen reicht nicht, um diese Lücke zu füllen. Die aus D6 bekannte Arbeitsstation 178 besteht nämlich entgegen dem hinzugefügten Merkmal im Anspruch 1 nicht aus beidseitig der Materialbahn angeordneten Leitblechen. Vielmehr wird in einem ersten Schritt mittels einer rotierenden Komponente 180 ein seitlicher Bahnbereich der Materialbahn hoch gestellt. Mittels zweier drahtartiger Führungskomponenten 182 und 184 wird anschließend das hochgestellte, d.h. nach oben umgelenkte Segment des seitlichen Bahnbereichs auf die Oberseite der Materialbahn weiter umgelenkt (D6, Figuren 10-12 und Spalte 19, Zeilen 1-4). Daher ist es für den Fachmann nicht ohne weiteres ersichtlich, dass ein Leitblech in seiner Funktion ein Äquivalent zu den rotierenden und drahtartigen Komponenten bildet. Aus welchem Grund der Fachmann also die aus D6 bekannte Arbeitsstation bei ihrer Integration in die aus D2 bekannte Vorrichtung weiter ändern würde, ob durch den Austausch nur eines Teils ihrer Komponenten oder ob durch einen vollständigen Ersatz durch Leitbleche, erschließt sich der Kammer nicht. Eine solche Motivation findet sich allein in Kenntnis der Erfindung.
6.4 Die Einsprechende hat dagegen vorgetragen, dass sich diese Motivation aus der Lösung eines weiteren Teilproblems ableite. Die Einsprechende geht nämlich von dem Unterschied aus, der zwischen der beanspruchten Vorrichtung und einer aus der Kombination von D2 und D6 gebildeten Vorrichtung bestehen bleibt. Die Formulierung eines weiteren Teilproblems in dieser Art widerspricht aber der oben formulierten objektiven Aufgabe und ihrer bereits erfolgten Lösung durch die Kombination der aus D2 und D6 bekannten Vorrichtungen. Im vorliegenden Fall hätte ein Teilproblem höchstens in Bezug auf die strittig gebliebene Offenbarung eines Vakuumtisches in D2 formuliert werden können. Es wurde nicht behauptet und es ist für die Kammer auch nicht erkennbar, dass diesbezüglich die Änderung der bei der Umlenkung wirkenden Komponenten 180, 182 und 184 aus D6 in Leitbleche nahegelegt sein könnte.
7. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 durch den aus D2 und D6 bekannten Stand der Technik sowie aus dem allgemeinen Fachwissen nicht nahegelegt ist. Da keine anderen Angriffe vorgetragen wurden, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ erfüllt ist.
8. Andere als die hier zuvor behandelten Einwände wurden gegen Hilfsantrag 8 nicht erhoben. Außer einer Anpassung der Beschreibung an die geänderten Ansprüche sind die Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Die Kammer hat im Rahmen ihrer Befugnisse nach Artikel 111 (1) EPÜ entschieden, die Sache zur Durchführung der Anpassung der Beschreibung an die geänderten Ansprüche an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten auf Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags 8, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, und einer noch anzupassenden Beschreibung.