T 2505/16 24-02-2021
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Schalldämpfungshülse zum Aufsetzen auf ein Druckwellengerät
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des (damaligen) 1. Hilfsantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, haben beide Parteien Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents nicht neu gegenüber D14 (EP-A-2 181 730) und der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 10 des (damaligen) 1. Hilfsantrags neu und erfinderisch hinsichtlich D14 sei.
III. Am 24. Februar 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
Die Beschwerdeführerin 1 (nachfolgend "die Patentinhaberin") beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung vom 20. Januar 2017 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5.
Die Beschwerdeführerin 2 (nachfolgend "die Einsprechende") beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IV. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 11 des erteilten Patents (Hauptantrag) lauten wie folgt:
"1. Gerät zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers durch mechanische Druckwellen mit
einem beweglichen Schlagteil (13),
einem Prallkörper (9), wobei die Druckwellen durch Beschleunigen und Aufprallen des Schlagteils (13) auf den Prallkörper (9) erzeugbar und in den Körper einkoppelbar sind,
und einem Gehäuse (1), in dem das Schlagteil (13) und der Prallkörper (9) montiert sind, und
einer Schalldämpfungshülse (21),
wobei die Schalldämpfungshülse (21) für eine Anlage außenseitig an dem Gehäuse (1) ausgelegt ist und dabei in Einkoppelrichtung (24) eine Länge hat, die mindestens 20% der in derselben Richtung genommenen Länge eines sich innerhalb des Gehäuses (1) erstreckenden Teils des Prallkörpers (9) beträgt,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Schalldämpfungshülse (21) als rohrförmiger Körper mit offenen Enden ausgebildet ist."
"11. Verwendung einer Schalldämpfungshülse (21) zum Aufsetzen auf ein Gerät, welches Gerät
einen beweglichen Schlagteil (13),
einen Prallkörper (9), wobei die Druckwellen durch Beschleunigen und Aufprallen des Schlagteils (13) auf den Prallkörper (9) erzeugbar und in den Körper einkoppelbar sind,
und ein Gehäuse (1), in dem das Schlagteil (13) und der Prallkörper (9) montiert sind, umfasst,
wobei die Schalldämpfungshülse (21) außenseitig an dem Gehäuse (1) anliegt und dabei in Einkoppelrichtung (24) eine Länge hat, die mindestens 20% der in derselben Richtung genommenen Länge eines sich innerhalb des Gehäuses (1) erstreckenden Teils des Prallkörpers (9) beträgt,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Schalldämpfungshülse (21) als rohrförmiger Körper mit offenen Enden ausgebildet ist."
Ansprüche 2 bis 10 und 12 bis 14 des erteilten Patents sind abhängige Ansprüche.
V. Die von der Patentinhaberin vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Es sei vereinfacht und willkürlich, grundsätzlich jeder Form von Gehäuse eine schalldämpfende Funktion zuzuweisen. Je nach Dimensionierung, Wandstärke, eingeschlossenen Luftvolumina, etc. könnten Gehäuse auch als Resonanzkörper wirken und werden in bestimmten Situationen eigens zu diesem Zweck vorgesehen, etwa als Klangkörper bei Saiteninstrumenten. Beim Aufprall des Schlagteils auf den Prallkörper im Gerät von Figur 1 von D14 würde sich der erzeugte Schall im Prallkörper ausbreiten und dann über das Kopfteil an die äußeren metallischen Hülsen weitergeleitet. Dabei sei es durchaus möglich, dass die metallischen Hülsen als ein Resonanzkörper wirkten, der den erzeugten Schall besonders verstärkt abstrahlt, ähnlich einer Stimmgabel, die auf eine Fläche aufgesetzt und damit lauter wahrgenommen wird. Es sei auch allgemein bekannt, dass die Schallausbreitung eines nahenden Zuges über die Gleise lauter wahrzunehmen sei, als über die Luft. Dass sich die D14 zu akustischen Eigenschaften des äußersten Rohrstücks nicht äußert, stehe außer Frage. Folglich sei es nicht möglich, die Eigenschaft der Schalldämmung der äußeren Hülsen unmittelbar und eindeutig festzustellen. Daher sei der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 des erteilten Patents neu.
VI. Die von der Einsprechenden vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 des erteilten Patents seien durch D14 vorweggenommen. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich des Hauptantrags sei richtig, die in der Beschwerdebegründung mit violett oder gelb gekennzeichneten Hülsen (Hülse 4 und die sich rechts daran anschließende wulstförmige Hülse) nicht zum Teil des Gehäuses zu zählen. Entscheidend sei, dass gemäß Streitpatent das Merkmal des Gehäuses so breit formuliert sei, dass es ein Gehäuse sei, in dem das Schlagteil und der Prallkörper montiert sei. Durch die Zeichnungen und die Beschreibung sei klar, dass das mit blau gekennzeichnete Gehäuse (innerhalb der Hülse 4) diese Funktion erfülle und die um dieses Gehäuse angeordneten Hülsen nicht dafür notwendig seien. Ferner habe die Einspruchsabteilung auch zutreffend festegestellt, dass jedes Material schalldämpfend sei. Es handele sich somit um ein inhärentes Merkmal eines jeden Bauteils. Es sei somit zwingend erforderlich, dass auch die violett und gelb gekennzeichneten äußeren Hülsen eine gewisse Schalldämpfungsfunktion haben. Es sei ferner gar nicht möglich, dass die äußeren Hülsen als Resonanzkörper wirken können. Allein durch die bewegliche Lagerung des Kopfteils in der wulstförmigen Hülse wäre die Schallleitung in die Hülse beeinträchtigt oder gar unterbrochen.
1. Die Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Gerät zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers mit mechanischen Druckwellen. Es umfasst im Wesentlichen ein bewegliches Schlagteil (13), das zur Erzeugung von Druckwellen auf einen Prallkörper (9) aufprallt, wobei das Schlagteil und der Prallkörper in einem Gehäuse (1) montiert sind, und einer Schalldämpfungshülse (21 in Figur 4), die als rohrförmiger Körper mit offenen Enden ausgebildet und für eine Anlage außenseitig an dem Gehäuse (1) ausgelegt ist. Die in dem Prallkörper erzeugten Druckwellen werden in den zu behandelnden Körper eingekoppelt. Durch die Schalldämpfungshülse wird die Geräuschbelästigung für den Behandelnden und den Patienten aufgrund des Aufprallens des Schlagteils auf den Prallkörper reduziert (Absatz [0012] und [0013] des Patents).
2. Neuheit
2.1 Dokument D14 offenbart ein Gerät zur Behandlung des Körpers mit mechanischen Druckwellen (Spalte 7, Zeilen 15 bis 24), das in Figur 1 wie folgt dargestellt wird:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
In diesem Gerät prallt ein bewegliches Schlagteil (10) auf einen Prallkörper (Übertragungselement 2) zur Erzeugung von Druckwellen, die in den zu behandelnden Körper eingekoppelt werden (Spalte 7, Zeilen 52 bis 56), wobei das Schlagteil und der Prallkörper in einem Gehäuse montiert sind. Auf Spalte 8, Zeilen 1 bis 3 wird offenbart, dass die äußere Hülse 4, die D14 als Gehäuse bezeichnet, einen Kopfteil 5 aufweist, das für ein Auswechseln des Übertragungselements 2 abschraubbar ist. Das Kopfteil 5 ist in axialer Richtung (gegen die Druckfeder 31) bewegbar (Spalte 14, Zeilen 15 bis 23).
2.2 Im Text von D14 ist das beanspruchte Merkmal einer Schalldämpfungshülse explizit nicht erwähnt.
Die Einsprechende war jedoch der Auffassung, dass eine derartige Schalldämpfungshülse in dem Gerät von D14 ebenfalls vorhanden sei, und zwar gebildet durch die äußere Hülse 4 und die sich in der Figur 1 rechts daran anschließende wulstförmige Hülse (ohne Bezugszeichen). Diese beiden äußersten Hülsen wurden in den Schreiben der Einsprechenden jeweils violett und gelb koloriert. Die Einsprechende argumentierte, dass diese Hülsen zwingend eine Schalldämpfungsfunktion hätten, da jedes Material schalldämpfend sei.
Das beanspruchte Merkmal des Gehäuses sah die Einsprechende durch die unmittelbar innerhalb der Hülse 4 liegenden weiteren Hülse und dem sich daran anschließenden Kopfteil 5 vorweggenommen (die in den Schreiben der Einsprechenden blau koloriert wurden).
2.3 Die Kammer ist nicht überzeugt, dass die äußere Hülse 4 und die sich rechts daran anschließende wulstförmige Hülse das beanspruchte Merkmal einer Schalldämpfungshülse vorwegnehmen.
Es ist zunächst unbestritten (und unbestreitbar), dass jedes Material einen Schallabsorptionskoeffizient besitzt und inhärent Schall absorbiert. Dennoch stellt sich die Frage, ob das Vorhandensein der besagten äußeren Hülse 4 und der sich rechts daran anschließenden wulstförmigen Hülse notwendigerweise eine Reduktion des Schalls bewirken, der beim Aufprall des Schlagteils 10 auf den Prallkörper (Übertragungselement 2) entsteht.
Einerseits propagiert der in dem Gerät erzeugte Schall nach außen, wobei er an den besagten äußeren Hülsen zu einem gewissen Teil reflektiert und absorbiert wird, was eine Schallreduktion bewirkt. Andererseits breitet sich der erzeugte Schall auch im Prallkörper 2 selbst aus und kann dann über das Kopfteil 5 an die besagten äußeren Hülsen weitergeleitet werden. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die äußeren Hülsen als ein Resonanzkörper wirken, der den erzeugten Schall besonders verstärkt abstrahlen, ähnlich einer Stimmgabel, die auf eine Fläche aufgesetzt und damit lauter wahrgenommen wird. Entgegen der Auffassung der Einsprechenden wird durch die bewegliche Lagerung des Kopfteils innerhalb der wulstförmigen Hülse die Schallleitung in die Hülsen nicht notwendigerweise beeinträchtigt. Falls die bewegliche Lagerung des Kopfteils beispielsweise als Gleitlager ausgebildet ist, würde der Kontakt des Kopfteils mit der wulstförmigen Hülse eine Schallleitung in die Hülsen ohne wesentliche Beeinträchtigung erlauben.
Da sich Dokument D14 zu akustischen Eigenschaften der äußeren Hülsen nicht äußert, ist es nicht möglich, unmittelbar und eindeutig festzustellen, ob die besagten äußeren Hülsen schalldämpfend wirken oder nicht. In Ermangelung der Vielzahl hierzu notwendiger Konstruktionsdetails des Geräts von D14 ist eine unmittelbare und eindeutige Feststellung der Schalldämpfungsfunktion der Hülsen nicht möglich.
2.4 Folglich kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das Gerät des Anspruchs 1 des erteilten Patents neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ ist.
2.5 Der unabhängige Anspruch 11 des erteilten Patents definiert die Verwendung einer Schalldämpfungshülse zum Aufsetzen auf ein Gerät, das im Wesentlichen die Merkmale des Anspruchs 1 enthält.
Somit ist aus den oben genannten Gründen die Verwendung des Anspruchs 11 neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.
3. Weitere Einwände gegen das erteilte Patent wurden nicht vorgetragen, so dass der Aufrechterhaltung des erteilten Patents in unveränderter Form nichts entgegen steht.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.