T 0290/17 02-12-2020
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Automatische Schiebetüranlage
dormakaba Deutschland GmbH (Einsprechende 1)
Agtatec ag (Einsprechende 2)
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin 1) und die Einsprechende 2 (Beschwerdeführerin 2) legten Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Am 2. Dezember 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
III. Am Ende der mündlichen Verhandlung lauteten die Anträge der Parteien wie folgt:
Die Beschwerdeführerin 1 (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge:
Hilfsantrag 1 eingereicht mit der Beschwerdebegründung, Hilfsantrag 2 entsprechend Hilfsantrag 1 vor der Einspruchsabteilung, Hilfsantrag 3 eingereicht mit Schreiben vom 17. Oktober 2017.
Die Beschwerdeführerin 2 (Einsprechende 2) und die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 1) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IV. Die folgenden Entgegenhaltungen werden in der vorliegenden Entscheidung verwendet:
D7: DE 32 02 784 C2
D8: Richtlinie über automatische Schiebetüren in Rettungswegen (AutSchR) - Fassung Dezember 1997, Mitteilungen DIBt 5/1998, Seiten 120-121.
V. Die unabhängigen Ansprüche lauten:
a) Hauptantrag (die Merkmalsgliederung wurde von der Kammer hinzugefügt)
"(A) Verfahren zum Betrieb einer automatischen Schiebetüranlage (1) mit mindestens einem Schiebeflügel (2), der mittels einer durch eine elektronische Steuerungseinrichtung angesteuerten Antriebseinrichtung (4) antreibbar ist,
(B) wobei die Schiebetüranlage (1) in einem Flucht- und Rettungsweg einsetzbar ist, indem die Antriebseinrichtung (4) so ausgebildet ist, dass der Schiebeflügel (2) nach Ansteuerung der Steuerungseinrichtung vollständig geöffnet wird, und
(C) wobei ein Überwachungsbereich (6), welcher beim Öffnen des Schiebeflügels (2) von einer vertikalen Nebenschließkante des Schiebeflügels (2) passiert wird, durch eine Sensoreinrichtung (5) überwacht wird,
(C1) indem die Sensoreinrichtung (5) beim Vorhandensein eines Hindernisses in diesem Überwachungsbereich (6) ein diesen Zustand anzeigendes Signal an die Steuerungseinrichtung abgibt,
(C2) so dass der Schiebeflügel (2) nach dem Durchlaufen der Beschleunigungsphase (s1) und einer verkürzten Hochgeschwindigkeitsphase (s4) in einer Bremsphase (s5), auf eine geringere Niedriggeschwindigkeit (v1) abgebremst wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
(D) sich die Bremsphase (s5) früher als beim Geschwindigkeitsverlauf (7) der hindernisfreien Bewegung an die Hochgeschwindigkeitsphase (s4) anschließt,
(E) jedoch derart dass die Beschleunigungsphase (s1), die verkürzte Hochgeschwindigkeitsphase (s4) und die Bremsphase (s5) so bemessen sind, dass innerhalb einer vorgebbaren Maximalzeit eine vorgebbare Mindestöffnungsweite (X1) erreicht wird."
b) Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 spezifiziert Merkmal E wie folgt weiter:
(E) "jedoch derart dass die Beschleunigungsphase (s1), die verkürzte Hochgeschwindigkeitsphase (s4) und die Bremsphase (s5) so bemessen sind, dass innerhalb einer vorgebbaren Maximalzeit von 3 Sekunden eine vorgebbare Mindestöffnungsweite (X1) von 80% der vollständigen Öffnungsweite erreicht wird."
c) Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 fordert gegenüber dem Hauptantrag das zusätzliche Merkmal
(F) "wobei der Schiebeflügel (2) beim Vorhandensein eines Hindernisses im Überwachungsbereich (6) der Sensoreinrichtung (5) nach Erreichen der Mindestöffnungsweite (X1) in einer Niedriggeschwindigkeitsphase (s6) bis zur vollständigen Öffnungsweite (X2) mit der geringeren Niedriggeschwindigkeit (v1) angetrieben wird."
d) Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 kombiniert die Merkmale von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2.
VI. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin 2 (Einsprechende 2) und der weiteren Verfahrensbeteiligten (Einsprechende 1), im Folgenden zusammengefasst als "die Einsprechenden", lauten im Wesentlichen folgendermaßen:
a) Hauptantrag und Hilfsantrag 1
D7 offenbare ein Verfahren zum Betrieb einer automatischen Schiebetüranlage mit einer Überwachung des Fahrwegs der Schiebeflügel beim Öffnen, wobei beim Erkennen eines Hindernisses eine sofortige Notbremsung auf eine Niedriggeschwindigkeit eingeleitet werde.
Anspruch 1 unterscheide sich hiervon durch Merkmal E. Dieses verlange zusätzlich, dass die Notbremsung so auszuführen sei, dass innerhalb einer vorgebbaren Maximalzeit eine vorgebbare Mindestöffnungsweite erreicht werde.
Dabei sei der Begriff "vorgebbar" als "vorgegeben" zu verstehen. In Anspruch 1 bleibe offen, inwiefern, also durch wen, wann und auf welche Weise, die Werte "vorgebbar" seien. Üblich sei, dass ein Bauplaner Spezifikationen für die Fertigung vorgebe oder ein Techniker beim Einbau der Anlage die Geschwindigkeitsprofile des Schiebeflügels festlege. In beiden Fällen seien die Werte während des beanspruchten Verfahrens jedoch fest "vorgegeben", und es seien keine besonderen Empfangsmittel oder Berechnungen seitens der Steuerungseinrichtung vonnöten.
Die Mindestöffnungsbedingung von Merkmal E löse die Aufgabe, eine Schiebetüranlage bereitzustellen, die einen normgemäßen Einsatz in einem Rettungsweg ermögliche. Zur Lösung dieser Aufgabe hätte der Fachmann die einschlägige Richtlinie D8 herangezogen und ihr entnommen, dass (bei einer lichten Türbreite bis zu 2 Metern) innerhalb einer Maximalzeit von 3 Sekunden eine Mindestöffnungsweite von 80% erreicht werden müsse (Abschnitt 3.2.5).
Bei der Umsetzung der Vorschrift der D8 im Verfahren der D7 hätte der Fachmann deren erfindungsgemäße Hindernisüberwachung möglichst beibehalten. Es sei hierzu keine gesonderte Lehre im Stand der Technik nötig gewesen, wie sich die Notbremsung der D7 mit der Mindestöffnungsbedingung der D8 vereinbaren lasse. Zur Erfüllung von Merkmal E genüge es beispielsweise, beide Anforderungen nacheinander umzusetzen, also zunächst das vollständige Erreichen der Mindestöffnungsweite abzuwarten, bevor eine eventuelle Notbremsung eingeleitet wird. Auf diese Weise wäre der Fachmann, ohne erfinderisch tätig zu werden, zu einem Gegenstand gelangt, der unter den Wortlaut von Anspruch 1 des Hauptantrags fällt.
Daher beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Da die D8 auch die konkreten Wertangaben für die Mindestöffnungsweite und die Maximalzeit von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 offenbare, beruhe auch dessen Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
b) Hilfsanträge 2 und 3
Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 unterscheide sich von der Türanlage der D7 zusätzlich durch Merkmal F, wonach der Schiebeflügel im Hindernisfall "nach Erreichen der Mindestöffnungsweite" bis zur vollständigen Öffnungsweite mit niedrigerer Geschwindigkeit angetrieben werde.
Das Merkmal schließe nicht aus, dass die Niedriggeschwindigkeitsphase bereits vor Erreichen der Mindestöffnungsweite beginne. Ebenso wenig schließe der Wortlaut von Merkmal F aus, dass die Phase niedrigerer Geschwindigkeit erst zu einem zeitlich "nach Erreichen der Mindestöffnungsweite" liegenden Zeitpunkt beginne. Es sei lediglich beansprucht, dass der Schiebeflügel zumindest ab einem Zeitpunkt "nach Erreichen der Mindestöffnungsweite" bis zur vollständigen Öffnung mit einer konstanten Niedriggeschwindigkeit angetrieben werde.
Daher falle die oben dargelegte naheliegende Lösungsmöglichkeit, die Notbremsung erst nach Erreichen der Mindestöffnungsweite zuzulassen, nach wie vor unter den Anspruchswortlaut.
Daher beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VII. Die relevanten Argumente der Beschwerdeführerin 1 können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Hauptantrag und Hilfsantrag 1
Anspruch 1 unterscheide sich von D7 durch Merkmal E. Dieses sei so zu verstehen, dass die Notbremsung im Hindernisfall erst verzögert eingeleitet werde, und zwar derart, dass der abgebremste Schiebeflügel gerade die Mindestöffnungsbedingung einhalte.
Um innerhalb einer "vorgebbaren" Maximalzeit eine "vorgebbare" Mindestöffnungsweite zu erreichen, müsse die Steuerungseinrichtung dazu ausgebildet sein, vor dem Betrieb entsprechende Einstellungen zu empfangen und die Phasen entsprechend zu bemessen. Während des beanspruchten Betriebsverfahrens lägen die Maximalzeit und die Mindestöffnungsweite dann als "vorgegeben" fest.
Der Fachmann erkenne, dass Merkmal E eine für den Notöffnungsbetrieb in Rettungswegen vorgeschriebene Anforderung betreffe, wie in Absatz [0012] des Patents angegeben. Die objektive technische Aufgabenstellung laute daher wie in der angefochtenen Entscheidung: bei einer Flucht- und Rettungstür zum einen einen ausreichend großen Flucht- und Rettungsweg zu gewährleisten und zum anderen die Verletzungsgefahr von Personen beim Öffnen der Schiebetür zu begrenzen.
D8 offenbare zwar die Anforderung für Schiebetüren in Rettungswegen, bis zu einer lichten Breite von 2 Metern innerhalb von 3 Sekunden eine Mindestöffnungsweite von 80% zu erreichen, und wäre als relevante Richtlinie vom Fachmann zur Lösung der Aufgabe herangezogen worden.
Die Richtlinie gebe aber keinen Hinweis darauf, wie das schnelle Erreichen der Mindestöffnungsweite mit einer Hindernisüberwachung des Fahrwegs des Schiebeflügels beim Öffnen und einer möglichen Notbremsung vereinbar wäre. Die D8 lehre weder, wie sich die Tür vor oder nach dem Erreichen der Mindestöffnungsweite verhalten solle, noch, wie die Bewegungsphasen im Hindernisfall zu steuern beziehungsweise zu "bemessen" seien. Daher habe der Fachmann im Stand der Technik keine Anleitung zur erfindungsgemäßen Lösung gefunden.
Stattdessen seien alternative Lösungsmöglichkeiten für den Schutz von Personen vor Verletzungen durch den sich öffnenden Schiebeflügel verfügbar gewesen, wie zum Beispiel mechanische Blenden oder Taschen zur Aufnahme der Schiebetürflügel. Auch wäre es denkbar gewesen, einen ausreichend großen Rettungsweg anders als in der D8 angegeben zu realisieren, zum Beispiel in Form einer "Break-out"-Funktion, bei der sich die Schiebetüranlage im Notfall beiseite schwingen lässt. Diese einfach realisierbaren Alternativen hätten den Fachmann daher vom Gegenstand von Anspruch 1 weggeführt.
Somit wäre der Fachmann ausgehend von der D7 im Hinblick auf die D8 nicht ohne erfinderisch tätig zu werden zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gelangt.
Dies gelte entsprechend auch für Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, der nur durch die Festlegung der aus D8 bekannten Werte für die Mindestöffnungsbedingung weiter eingeschränkt sei.
b) Hilfsanträge 2 und 3
Das zusätzliche Merkmal F schreibe eine Niedriggeschwindigkeitsphase vor, die mit dem Erreichen der Mindestöffnungsweite beginne und sich bis zum vollständigen Öffnen der Schiebetür erstrecke. Damit lege es den Anspruchsgegenstand auf eine bestimmte Umsetzung von Merkmal E fest, nämlich auf die mit dem in Figur 2 des Streitpatents gezeigten Geschwindigkeitsprofil 8. Hierdurch werde der Verletzungsschutz optimiert.
Diese spezifische Lösung sei dem Stand der Technik nicht zu entnehmen und daher nicht naheliegend. Folglich beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Hauptantrag
1.1 D7 offenbart unstreitig ein Verfahren zum Betrieb einer automatischen Schiebetüranlage mit den Merkmalen A bis D von Anspruch 1.
Beim Auftreten eines Hindernisses im Überwachungsbereich der sich öffnenden Schiebetür wird die Hochgeschwindigkeitsphase des Schiebeflügels abgebrochen und sofort eine Notbremsung auf eine geringere Niedriggeschwindigkeit eingeleitet (Spalte 2, Zeile 64 bis Spalte 3, Zeile 10). Anschließend wird der Schiebeflügel in "Schleichfahrt" mit der Niedriggeschwindigkeit bis zur vollständigen Öffnungsweite aufgefahren (Spalte 2, Zeilen 36-38).
1.2 Anspruch 1 unterscheidet sich hiervon durch das Merkmal E, wonach die Notbremsung im Hindernisfall nicht unbedingt sofort eingeleitet wird, sondern "die Beschleunigungsphase, die verkürzte Hochgeschwindigkeitsphase und die Bremsphase so bemessen sind, dass innerhalb einer vorgebbaren Maximalzeit eine vorgebbare Mindestöffnungsweite erreicht wird."
1.2.1 Die Parteien waren sich einig, dass die in Merkmal E als "vorgebbar" bezeichneten Werte der Maximalzeit und der Mindestöffnungsweite während des beanspruchten Betriebsverfahrens als "vorgegeben" festliegen.
1.2.2 Wie von der Beschwerdeführerin 1 vorgetragen, bedeutet "vorgebbar", dass die Steuerungseinrichtung dazu ausgebildet sein muss, vor dem Betrieb zumindest einmalig entsprechend eingestellt zu werden.
1.2.3 Anspruch 1 verlangt jedoch nicht, dass die Steuerungseinrichtung selbst eine Bemessung der Bewegungsphasen in Abhängigkeit der vorgebbaren Werte vornimmt. Wie von den Einsprechenden argumentiert, könnten die Phasen bereits durch die erwähnte einmalige Einstellung wie beansprucht "bemessen sein". Beispielsweise könnte die Einstellung in der Vorgabe des - bei bekannter Geschwindigkeit - frühest möglichen Zeitpunkts für eine Notbremsung bestehen. Damit wären die Phasen wie beansprucht "bemessen", ohne dass eine Berechnung durch die Steuerungseinrichtung nötig wäre.
1.2.4 Merkmal E fordert demnach, dass die Notbremsung im Hindernisfall so modifiziert wird, dass die Schiebetüranlage nach entsprechender Einstellung innerhalb einer vorgegebenen Maximalzeit eine vorgegebene Mindestöffnungsweite erreicht.
1.3 Die Mindestöffnungsbedingung von Merkmal E betrifft unstreitig eine für den Notöffnungsbetrieb in Rettungswegen vorgeschriebene Anforderung (vgl. Absatz [0012] der Patentschrift). Merkmal E zielt daher auf die Kombination des normgemäßen Notöffnungsbetriebs mit der in D7 offenbarten Hindernisschutzfunktion beim Öffnen ab. Folglich ist die objektive technische Aufgabenstellung als die Bereitstellung eines Verfahrens zum Betrieb einer automatischen Schiebetüranlage zu fassen, bei der bei einem Einsatz als Flucht- und Rettungstür ein ausreichend großer Flucht- und Rettungsweg gewährleistet wird, wobei die Begrenzung der Verletzungsgefahr von Personen beim Öffnen der Schiebetür beibehalten wird.
1.4 Zwischen den Parteien war unstreitig, dass der Fachmann die einschlägige Richtlinie über automatische Schiebetüren in Rettungswegen (AutSchR; D8) zur Lösung der Aufgabe herangezogen hätte. Diese fordert für den Einsatz von Schiebetüren mit bis zu 2 Metern lichter Breite in Rettungswegen, dass innerhalb einer Maximalzeit von 3 Sekunden eine Mindestöffnungsweite von 80% erreicht wird (Abschnitt 3.2.5). Also, dass innerhalb einer vorgegebenen Maximalzeit eine vorgegebene Mindestöffnungsweite erreicht wird.
1.5 Die in D7 sichergestellte Begrenzung der Verletzungsgefahr sieht ein vorzeitiges Abbremsen der Tür vor, während die Richtlinie zum Einsatz in Fluch- und Rettungswegen eine möglichst schnelle Öffnung verlangt. Somit war der Fachmann bei der Lösung der gestellten Aufgabe vor zwei möglicherweise widersprüchliche Bedingungen gestellt.
1.6 Bereits aufgrund der Aufgabenstellung war dem Fachmann jedoch vorgegeben, dem Einhalten der Mindestöffnungsbedingung im Zweifel Vorrang einzuräumen, da dieser Aspekt als unabdingbar ("gewährleisten"), der Verletzungsschutz jedoch nur als nachrangig ("wobei") und relativ ("Begrenzung") vorgegeben war, und die Schiebetüranlage sonst entgegen der Aufgabenstellung gar nicht in einem Flucht- und Rettungsweg hätte betrieben werden dürfen.
Daher wäre es für den Fachmann naheliegend gewesen, zuerst vorrangig und ohne Rücksicht auf den Verletzungsschutz das sichere Erreichen der Mindestöffnungsweite von 80% zu gewährleisten. Erst im Anschluss hätte er im Hindernisfall eine sofortige Notbremsung realisiert, um die Verletzungsgefahr soweit möglich zu begrenzen. Diese Vorgehensweise, die Anforderungen unabhängig voneinander, nacheinander umzusetzen ist anhand der hinzugefügten, mittleren Kurve (grau gestrichelt) in der folgenden Reproduktion von Figur 2 des Streitpatents veranschaulicht.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Auf diese Weise hätte der Fachmann die gesamte Aufgabenstellung gelöst und wäre dabei auch ohne ausdrückliche Lehre im Stand der Technik auf naheliegende Weise zu einem Verfahren gemäß Anspruch 1 gelangt.
1.7 Zwar kämen für den Fachmann, wie von der Beschwerdeführerin 1 vorgetragen, grundsätzlich auch alternative Möglichkeiten für die Realisierung des Verletzungsschutzes in Betracht, wie zum Beispiel mechanische Lösungen zum Schutz des Fahrbereichs des Schiebetürflügels. Auch wäre es denkbar gewesen, die Eignung für den Einsatz in Flucht- und Rettungswegen anders als in der D8 zu realisieren, zum Beispiel in Form einer "Break-out"-Funktion, bei der sich die Schiebetüranlage im Notfall beiseite schwingen lässt. Diese Alternativen sind jedoch auch mit Nachteilen verknüpft, nicht zuletzt weil sie im Gegensatz zur rein steuerungstechnischen Lösung aufwendige und kostenintensive zusätzliche konstruktive Maßnahmen erfordern. Vor allem aber lassen die genannten Alternativen die oben dargelegte Lösungsmöglichkeit nicht weniger naheliegend erscheinen.
1.8 Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des erteilten Patents ausgehend von D7 in Kombination mit D8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2. Hilfsantrag 1
Da der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lediglich durch die konkreten, in D8 genannten Werte für die Maximalzeit und die Mindestöffnungsweite ergänzt ist, die der Fachmann der Norm wie oben dargelegt in naheliegender Weise entnommen hätte, beruht auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3. Hilfsanträge 2 und 3
3.1 Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 ist gegenüber dem Hauptantrag und dem Hilfsantrag 1 jeweils durch das zusätzliche Merkmal F eingeschränkt, welches verlangt, dass "der Schiebeflügel beim Vorhandensein eines Hindernisses im Überwachungsbereich der Sensoreinrichtung nach Erreichen der Mindestöffnungsweite in einer Niedriggeschwindigkeitsphase bis zur vollständigen Öffnungsweite mit der geringeren Niedriggeschwindigkeit angetrieben wird."
3.2 Unstreitig war, dass in Merkmal F eine "Phase" von einer gewissen Dauer verlangt wird, in der die geringere Niedriggeschwindigkeit am Ende des Bremsvorgangs im wesentlichen konstant und bis zum Erreichen der vollständigen Öffnungsweite aufrechterhalten bleibt. Streitig war hingegen, welche Bedeutung der Ausdruck "nach Erreichen der Mindestöffnungsweite" besitzt, und ab welchem Zeitpunkt die Niedriggeschwindigkeitsphase daher anspruchsgemäß beginnt.
3.2.1 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin 1 bringe Merkmal F das in Figur 2 gezeigte Geschwindigkeitsprofil 8 zum Ausdruck, bei dem die Niedriggeschwindigkeitsphase gerade mit dem Erreichen der Mindestöffnungsweite beginne und sich bis zum vollständigen Öffnen der Schiebetür erstrecke. Der Ausdruck "nach Erreichen der Mindestöffnungsweite" sei daher im Kontext des Streitpatents so zu verstehen, dass der Schiebeflügel genau "ab" dem Erreichen der Mindestöffnungsweite mit einer konstanten Niedriggeschwindigkeit angetrieben werde.
3.2.2 Wie von den Einsprechenden vorgetragen schließt der Wortlaut "nach Erreichen der Mindestöffnungsweite" jedoch nicht aus, dass die Niedriggeschwindigkeitsphase bereits vor Erreichen der Mindestöffnungsweite beginnt.
3.2.3 Die zeitliche Bestimmung "nach Erreichen der Mindestöffnungsweite" kann zudem sowohl einen Zeitraum (der mit dem Erreichen der Mindestöffnungsweite beginnt) als auch einen Zeitpunkt (welcher nach dem Erreichen der Mindestöffnungsweite liegt) beschreiben. Merkmal F umfasst daher auch den Fall, dass die Niedriggeschwindigkeitsphase erst zu einem Zeitpunkt "nach" dem Erreichen der Mindestöffnungsweite und nicht bereits "ab" dem Erreichen der Mindestöffnungsweite beginnt.
3.3 Aufgrund dieser Breite von Merkmal F weist Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 keine erkennbaren zusätzlichen Vorteile auf und umfasst nach wie vor auch die in der obigen Figur grau gestrichelt eingezeichnete Kurve. Da deren Realisierung bereits für den Hauptantrag als naheliegende Lösung der Aufgabenstellung festgestellt wurde, beruht auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.4 Dasselbe trifft auch auf den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 zu, der wiederum lediglich die konkreten, aus D8 bekannten Werte für die Maximalzeit und die Mindestöffnungsweite hinzunimmt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.