T 0807/17 22-02-2021
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Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
In dieser hat die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass
- das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann
- der Gegenstand der Ansprüche neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
In eine Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer die vorläufige Auffassung geäußert, dass
- das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann
- der Gegenstand der Ansprüche neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
II. Am 22. Februar 2021 fand in Anwesenheit aller Parteien eine mündliche Verhandlung vor der Kammer als Videokonferenz statt.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1, 1a, 2, 2a, 3, 3a, 4, 4a, 5, 6, 6a und 7, von denen die Hilfsanträge 1 - 6 bereits im Einspruchsverfahren und erneut mit Beschwerdeerwiderung vom 29. August 2017 vorgelegt worden sind, die Hilfsanträge 1a - 6a und 7 mit Schreiben vom 30. Oktober 2020.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage (10), wobei die Windenergieanlage (10) einen Rotor (11) mit einer Rotorachse und wenigstens ein am Rotor (11) angeordnetes Rotorblatt (15, 15') aufweist, wobei das Rotorblatt (15, 15') um eine Rotorblattachse mit einem vorbestimmten Rotorblattverstellwinkel einstellbar ist oder eingestellt wird, wobei das wenigstens eine Rotorblatt (15, 15') in eine Ruheposition gedreht wird, nach Erreichen einer ersten vorbestimmten Drehposition des Rotorblatts (15,15') die Drehung des Rotorblatts (15, 15') gebremst wird, dadurch gekennzeichnet, dass die in Folge des Bremsvorgangs erreichte Stillstandsposition des Rotorblatts (15, 15') erfasst wird."
V. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
E1: DE 10 2005 034 899 A1
E2: Heier, Siegfried "Windkraftanlagen,
Systemauslegung, Netzintegration und Regelung",
Wiesbaden: Teubner, 2005, Ed. 4,
ISBN: 3-519-36171-X, Seiten 320 - 328
E3: DE 101 27 454 A1
E4: Betriebsanleitung ENERCON E-66 / 18.10,
Version 1, Oktober 1999
E5: Eidesstattliche Versicherung Georg Edens
vom 13. Oktober 2016
E6: Heier, Siegfried "Windkraftanlagen,
Systemauslegung, Netzintegration und Regelung",
Wiesbaden: Teubner, 2005, Ed. 4, ISBN:
3-519-36171-X, Seiten 61, 87 - 91, 359 - 372
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann es ausführen könnte. Ferner sei es nicht neu und/oder beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Patent betrifft ein Verfahren zum Abschalten einer Windenergieanlage, bei dem die Rotorblätter in eine Ruhe-oder Fahnenstellung gedreht werden. Nach Erreichen einer bestimmten Drehposition wird die Drehung gebremst, um zu vermeiden, dass ein Rotorblatt durch den Wind dreht, also nicht in Fahnenstellung mit geringster Angriffsfläche verbleibt, sondern auf der gegenüberliegenden Rotorblattseite vom Wind erfasst und in entgegengesetzte Rotationsrichtung gedreht wird. Das ist grundsätzlich aus der "gattungsgemäßen" E1 bekannt (siehe Absatz [0041] der Patentschrift, Oberbegriff des Anspruchs 1).
Der Unterschied zur E1 soll nun darin liegen, dass die in Folge des Bremsvorgangs erreichte Stillstandsposition erfasst wird (kennzeichnender Teil des Anspruchs 1).
Erst aus den abhängigen Ansprüchen geht hervor, dass diese Stillstandsposition zu einem bestimmten Zweck erfasst wird, nämlich um sie mit einer Soll-Position zu vergleichen und eine Abweichung anzuzeigen, insbesondere bei Sicherheitstests bzw. Probe-Abschaltungen.
3. Hauptantrag - Auslegung von Anspruch 1
3.1 Laut Duden bedeutet "bremsen" allgemein "die Geschwindigkeit von etwas [bis zum Stillstand] verlangsamen" (https://www.duden.de/rechtschreibung/bremsen). Der Begriff "bremsen" impliziert also nicht notwendigerweise das Betätigen und damit das Vorhandensein einer Bremse: Eine durch einen regelbaren Pitch-Motor induzierte Drehung eines Rotorblattes könnte beispielweise durch eine veranlasste Verringerung der Motordrehzahl verlangsamt bzw. "gebremst" werden.
3.2 Der Oberbegriff des Anspruchs 1 definiert ein zweistufiges Verfahren für das Drehen eines Rotorblatts in eine Ruhestellung. Zunächst wird das Rotorblatt bis zum Erreichen einer ersten vorbestimmten Drehposition mit einer bestimmten (höheren) Dreh- oder Verstellgeschwindigkeit gedreht, danach wird die Drehung des Rotorblatts "bewusst" gebremst, also die Dreh- oder Verstellgeschwindigkeit des Rotorblatts aktiv verringert (siehe oben Punkt 3.1).
Dabei spielt es zunächst keine Rolle, auf welche Art und Weise der Bremsschritt vollzogen wird, ob mittels Ansteuerung einer Bremse, Drehzahlsteuerung oder Motorbremsen mit dem Pitch-Motors, solange dabei die Drehgeschwindigkeit kontrolliert derart verringert wird, dass "in Folge des Bremsvorgangs" eine "Stillstandsposition" erreicht wird (siehe Kennzeichen des Anspruchs).
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein reines Abschalten des Pitch-Motors mit anschließendem Leerlauf, auf das hin die Drehung des Rotorblatts aufgrund von Reibung bis zu einem Stillstand "ausläuft", nicht unter den beanspruchten Bremsvorgang fällt.
3.3 Das Erfassen einer (Stillstands-)Position, z.B. durch einen Positionssensor, schließt nicht automatisch eine Weiterleitung der erfassten Position an eine Auswerteeinheit und eine Auswertung der erfassten Position mit ein. Entsprechend enthalten erst die abhängigen Ansprüche 4 - 6 und 11 solche weiteren optionalen Schritte.
Die Kammer geht davon aus, dass ein aktiver Anstell- oder Drehwinkelsensor ständig Positionen oder zumindest Positionsänderungen des Rotorblatts erfasst, somit zwangsläufig auch dessen Stillstandsposition (z.B. als letzte Änderung). Der Sensor selbst mag nicht "wissen", dass es sich bei einer bestimmten erfassten Position um die Stillstandsposition handelt. Eine solche Art von Zuordnung oder Identifikation ist in Anspruch 1 aber auch nicht ausdrücklich verlangt. Es genügt, dass die Stillstandsposition faktisch erfasst wird.
4. Hauptantrag - Ausführbarkeit
4.1 Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung nur kursorisch auf ihre Ausführungen zur Ausführbarkeit im Einspruchsverfahren verwiesen und in der mündlichen Verhandlung auf weiteren Sachvortrag hierzu verzichtet.
Die Kammer hat deshalb keinen Anlass, von ihrer in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK unter Punkt 3 geäußerten Ansicht abzugehen, die nachfolgend wiedergegeben ist.
4.2 "Die Kammer kann derzeit keine Schwierigkeiten erkennen, die folgenden beiden Verfahrensschritte im Oberbegriff des Anspruchs 1 auszuführen:
wobei das wenigstens eine Rotorblatt (15, 15') in eine Ruheposition gedreht wird,
nach Erreichen einer ersten vorbestimmten Drehposition des Rotorblatts (15, 15') die Drehung des Rotorblatts [also die Drehung in die Ruheposition] gebremst wird.
Ob zwischen beiden Schritten ein weiteres "wobei" oder ein "und" eingefügt ist oder nicht, scheint eher eine Frage des sprachlichen Stils zu sein, jedoch nichts an deren Inhalt und Bedeutung zu ändern.
Abgesehen davon, dass die beiden Schritte für sich allein genommen bereits so deutlich definiert erscheinen, dass sie ausführbar sind, gehören sie offensichtlich zu dem Stand der Technik, von dem das Verfahren nach Anspruch 1 abgegrenzt ist.
Schließlich ist eine spezifische Ausführung dieser Schritte in den Absätzen [0044] und [0045] der Patentschrift detailliert beschrieben."
4.3 Demnach ist das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann es ausführen kann, Artikel 100b) EPÜ.
5. Hauptantrag - Neuheit
5.1 Unstreitig offenbart E3 ein Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage, die einen Rotor mit einem Rotorblatt aufweist. Das Rotorblatt ist durch einen Pitch-Antrieb um seine Rotorblattachse mit einem vorbestimmten Rotorblattverstellwinkel einstellbar und wird beim Abschalten der Windenergieanlage in die Fahnenstellung als eine Ruheposition gedreht, siehe Absatz [0060], Ansprüche 24 - 27.
In einer bestimmten Drehposition wird der Pitch-Antrieb "abgeschaltet".
5.2 Von einem aktiven Bremsvorgang ist nicht die Rede, noch nicht einmal von einer Feststellbremse, die das Rotorblatt in einer bestimmten Drehposition fixiert.
E3 beschäftigt sich vielmehr hauptsächlich mit Nocken-Schaltern, deren Präzision gesteigert werden soll (Absätze [0001] - [0006]). Im konkreten Beispiel des Rotorblatts, bei dem der Nockenschalter die Abschaltung des Pitch-Antriebs triggert, bedeutet das, dass der Antrieb möglichst präzise bei Erreichen der Fahnenstellung deaktiviert werden soll.
E3 scheint offensichtlich davon auszugehen, dass das Rotorblatt in der präzise erreichten Fahnenstellung neutral im Wind steht und folglich darin auch verbleibt, solange die Windrichtung sich nicht schnell ändert. Deshalb soll der Pitch-Antrieb nach Ansprechen des Nockenschalters bzw. Kompaktendschalters 2 von der Steuervorrichtung 6 weiterhin so gesteuert werden, "dass eine Beschädigung des Rotorblatts unterbleibt" (Spalte 7, Zeilen 50-53), also die Fahnenstellung ggf. nachjustiert wird. Wäre eine Feststellbremse vorgesehen, müsste diese von der Steuervorrichtung vor jeder Nachjustierung gelöst werden, worauf E3 jedoch keinen Hinweis gibt.
5.3 Die Position des Rotorblatts wird nach E3 stets erfasst (Absatz [0044]), also auch in einer Fahnen- und Ruhestellung und unabhängig von der Betätigung des Kompaktendschalters (Absatz [0013]). Anders würde die vorher beschriebene Nachjustierung auch nicht funktionieren.
5.4 Zusammenfassend unterscheidet sich das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 somit dadurch von dem der E3, dass beim Drehen des Rotorblatts in die Ruheposition nach Erreichen einer ersten vorbestimmten Drehposition des Rotorblatts die Drehung des Rotorblatts gebremst wird, wobei es in Folge des Bremsvorgangs eine Stillstandsposition erreicht. Folglich ist das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 neu im Sinne des Artikels 54(1), (2) EPÜ gegenüber der Offenbarung der E3.
5.5 In ihrem schriftliche Vorbringen hat die Beschwerdeführerin auch den Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit gegenüber der Offenbarung der E1 und der E2 vorgebracht. In der mündlichen Verhandlung hat sie einen Angriff ausgehend von E1 explizit zurückgezogen, und zu E2 nichts weiter vorgetragen.
Die Kammer bleibt deshalb bei ihrer in der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) EPÜ unter Punkt 4.2 geäußerten Meinung, wonach E2 "keine Verringerung der Verstellgeschwindigkeit eines Rotorblatts bei Erreichen einer bestimmten Drehposition und damit kein gattungsgemäßes zweistufiges Verfahren nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1" offenbart.
Das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 ist demnach neu im Sinne des Artikels 54(1), (2) EPÜ gegenüber der Offenbarung der E2.
6. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
6.1 Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin überein, dass die zu lösende Aufgabe darin gesehen werden kann, ein Rotorblatt zuverlässig in eine gewünschte Stillstandsposition zu bewegen und dort zu halten.
6.2 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin findet der Fachmann ausgehend von E3 bereits mithilfe seins Fachwissens in naheliegender Weise die beanspruchte Lösung auf.
Entweder würde er mithilfe von Motorbrems- oder Drehzahlregelung des Pitch-Antriebs eine gewünschte Stillstandsposition möglichst exakt ansteuern, was eine Verlangsamung der Drehbewegung im Sinne eines anspruchsgemäßen Bremsens bei Annäherung an die gewünschte Stillstandsposition geradezu voraussetze. Oder er würde bei Ansprechen des Kompaktendschalters nicht nur den Pitch-Antrieb stromlos schalten, sondern gleichzeitig eine implizit vorhandene oder zumindest naheliegende Feststellbremse betätigen, die das verbleibende Rest-Drehmoment des Rotorblatts bis zu dessen vollständigem Stillstand abfängt.
6.3 Der Kammer scheinen beide Optionen beim Verfahren der E3 nicht auf der Hand zu liegen.
Eine akkurate Positionsansteuerung mit Drehgeschwindigkeits-Verlangsamung benötigt keinen Kompaktendschalter mehr, der aber als Kern der Lehre der E3 eine präzisere, positionsgenauere Abschaltung des Antriebs sicherstellen soll, siehe oben Punkt 5.2. Ferner beinhaltet eine solche gesteuerte Verlangsamung nicht bereits inhärent das weitere beanspruchte Merkmal, bei Erreichen einer vorbestimmten Drehposition zu verlangsamen bzw. zu bremsen.
Der Einsatz einer Feststellbremse im Verfahren der E3, um das Rotorblatt in einer erreichten Stillstandsposition zu sichern, kann per se wohl als übliche fachmännische Maßnahme betrachtet werden. Allerdings gilt dies wiederum nicht für den beanspruchten Zeitpunkt des Einsatzes, nämlich in einer vorbestimmten Drehposition des Rotorblatts, und auch nicht für dessen Zweck, nämlich um eine Stillstandsposition überhaupt erst zu erreichen. Feststellbremsen werden üblicherweise erst bei bzw. nach Stillstand betätigt.
6.4 Daher beruht das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von E3 unter Berücksichtigung von Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
7. Zulassung von E4 und E5
7.1 Die Einspruchsabteilung hat E4 und E5 nicht zum Verfahren zugelassen. Die Kammer kann im Ergebnis keine fehlerhafte Ausübung des Ermessens nach Artikel 114(2) EPÜ durch die Einspruchsabteilung feststellen.
7.2 Hierbei muss die Einspruchsabteilung zum einen den Grad der Verspätung, zum anderen die prima facie Relevanz berücksichtigen.
E4 und E5 sind sechs Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingegangen. Soweit sie gegen die Hilfsanträge angezogen werden, kann sich die Beschwerdeführerin darauf berufen, dass sie eine legitime und zeitnahe Reaktion auf deren Einreichung innerhalb der von der Einspruchsabteilung gesetzten Frist nach Regel 116(1) EPÜ seien. Soweit sie gegen den Hauptantrag angezogen werden, sind sie als verspätet zu betrachten und die Anforderungen an ihre prima facie Relevanz sehr hoch. Es muss unmittelbar erkennbar sein, dass sie einer Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang entgegenstehen (ihre von der Beschwerdegegnerin bestrittene Offenkundigkeit zunächst einmal vorausgesetzt).
Nach Ansicht der Einspruchabteilung war weder E4, noch E5 relevanter als die im bereits Verfahren befindliche E3, weil keines der drei Dokumente das Merkmal "Erfassen der Stillstandsposition" offenbart.
Dabei ist es unerheblich, ob die Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Meinung im Ladungszusatz noch davon ausgegangen ist, dass E3 dieses Merkmal zeigt. Dies bedeutet lediglich, dass sie E4 und E5 zum Zeitpunkt ihrer Einreichung möglicherweise als weit weniger relevant als die E3 erachtet hat, in der mündlichen Verhandlung jedoch zu dem Schluss kam, E4 und E5 seien zumindest nicht relevanter.
7.3 Die Einspruchsabteilung hat folglich richtige Kriterien in vernünftiger Weise angewendet, und dies, wenn auch knapp, schlüssig und verständlich begründet.
Die Verwendung des offensichtlich nicht ganz korrekten Begriffs "Schaufelblatt" für "Rotorblatt" steht der Verständlichkeit der Begründung nicht entgegen. Da eine korrekte Begründung für die Ermessenssausübung gegeben wurde, kommt es nicht darauf an, dass das verspätete Vorbringen einer offenkundigen Vorbenutzung allein in der Regel kein hinreichendes Kriterium für deren Nicht-Zulassung ist.
7.4 Da die Kammer dem Schritt des Bremsvorgangs höhere Bedeutung für Neuheit und erfinderische Tätigkeit beimisst als der Erfassung der Stillstandsposition, ist die Frage der Zulassung, also die Relevanz von E4 und E5, noch einmal zu prüfen.
7.5 E4 offenbart, wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt, lediglich einen Pitch-Gleichstrommotor mit integrierter Bremse (Seite 65 oben), jedoch keinerlei Details zu einem Bremsvorgang, weder über Motorbremsen, noch über den Einsatz der integrierten Bremse, noch hinsichtlich einer Verringerung der Drehgeschwindigkeit des Rotorblatts.
7.6 Lediglich in Punkt 5 der E5 wird beschrieben, dass bei 87° ein Kompakt-Endschalter anspricht und den Strom für den Pitchmotor ausschaltet, "was gleichzeitig dazu führt, dass die Bremse zugeschaltet wird". Es bleibt also offen, ob die Bremse wirklich gleichzeitig im Sinne von zeitgleich zugeschaltet wird oder das Abschalten des Pitchmotor lediglich "gleichzeitig" im Sinne von zugleich dazu führt, dass zu einem späteren Zeitpunkt, z.B. wenn das Rotorblatt eine Stillstandsposition erreicht hat, die Bremse zugeschaltet wird.
Dies kann auch E4 nicht restlos aufklären, die zwar zum einen auf Seite 98 einen "Endschalter 87°" erwähnt, zum anderen aber auf Seite 33 im Zusammenhang mit "eingestellten" und kontrollierten Blattwinkeln einen Verstellbereich bis 88°, außerhalb dessen Endschalter ansprechen. Es ist also fraglich, ob das Rotorblatt bis 88° kontrolliert verstellt und vielleicht sogar kontrolliert gebremst wird, oder aber von allein nach Abschalten des Pitchmotors "dann erfahrungsgemäß, was auch vom Wind abhängt, etwa bei 88° stehen" bleibt, wie es allgemein in E5 heißt.
7.7 Zusammenfassend kann die Kammer in E4 und E5 keine kohärente Offenbarung eines zweistufigen Verfahrens sehen, bei dem eine Stillstandsposition aufgrund eines Bremsvorgangs erreicht wird, der wiederum genau bei Erreichen einer vorbestimmten Drehposition einsetzt.
Wegen dieser fehlenden Schritte kann weder die E4, noch die E5 in Zusammenschau mit der E4 prima facie zum Widerruf des Patents führen, so dass es beiden an der für eine Zulassung nötigen Relevanz fehlt.
Aufgrund dessen lässt die Kammer E4 und E5 in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zu.
8. Zulassung der E6
8.1 Die Kammer hat in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK bereits ihre Absicht bekundet, die mit Beschwerdebegründung erstmals eingereichte E6 in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zuzulassen, da sie kein zweistufiges Verfahren offenbare und nicht relevanter als E2 und E3 erscheine.
8.2 Die Beschwerdeführerin hat sich in der mündlichen Verhandlung nicht mehr hierzu geäußert und E6 auch nicht mehr aufgegriffen.
8.3 E6 wird folglich nicht zum Verfahren zugelassen.
9. Da keiner der geltend gemachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegensteht, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.