T 1396/17 (Wipak/Verpackung) 18-10-2021
Download und weitere Informationen:
Verfahren zum Haltbarmachen von Waren in einer Kunststoff-Folienverpackung
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Patentansprüche - Klarheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 733 871 auf der Grundlage des Hauptantrags, der mit Schreiben vom 27. Juni 2016 eingereicht wurde, aufrechtzuerhalten.
II. Mit ihrer Beschwerdebegründung focht die Einsprechende die Entscheidung an und machte geltend, dass die Erfindung angesichts des Dokuments D2 (A. López-Rubio et al, "Effect of high pressure treatments on the properties of EVOH-based food packaging materials", Innovative Food Science and Emerging Technologies 6 (2005), 51-58), das als nächstliegender Stand der Technik angesehen wird, nicht erfinderisch sei.
III. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin die Beschwerde zurückzuweisen oder hilfsweise das Patent auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 7, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, aufrechtzuerhalten.
IV. In der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung, dass der Hauptantrag sowie Hilfsanträge 1 und 2 gegenüber der Lehre der D2 nicht erfinderisch seien, dass es unklar sei ob Hilfsantrag 3 die Erfordernisse des Artikels 56 erfüllte, und dass Hilfsantrag 4 erfinderisch sei.
V. Mit Schreiben vom 16. September 2021 reichte die Patentinhaberin neue Hilfsanträge 1 bis 9 und 2a bis 9a ein, die die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 7 ersetzen sollten.
VI. Mit Schreiben vom 28. September 2021 beantragte die Einsprechende diese neue Hilfsanträge ins Verfahren nicht zuzulassen. Außerdem kündigte sie an, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
VII. Am 18. Oktober 2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Im Laufe dieser Verhandlung erklärte die Patentinhaberin den Hilfsantrag 6 zum neuen Hauptantrag (des Weiteren als "Hilfsantrag 6" bezeichnet) und nahm die höherrangigen Anträge zurück.
Die unhabhängigen Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags 6 lauten:
"1. Verfahren zum Keimarm- oder Keimfreimachen von Waren in einer Kunststoff-Folienverpackung, wobei die Ware rundum in eine Verpackung eingesiegelt und anschließend unter Hochdruck behandelt und dabei keimarm oder keimfrei gemacht wird und wobei eine mehrschichtige Polymerfolie als Verpackungsfolie verwendet wird, dadurch gekennzeichnet, dass die mehrschichtige Polymerfolie i) wenigstens eine Schicht aus jeweils bi- oder monoaxial orientiertem Polypropylen (PP), Polyethylenterephthalat(PET) oder Polyamid (PA) oder aus mit oder zwischen diesen Polymeren gebildeten Mischungen oder Copolymeren und ii) wenigstens an ihrer zur Ware weisenden Oberfläche eine Siegelschicht enthält, wobei die Schichten innerhalb der mehrschichtigen Polymerfolie durch Kaschieren vorgefertigter Einzelfolien aus diesen Schichten verbunden sind und die Siegelschicht eine wenigstens dreischichtig coextrudierte Siegelschicht mit zwei bezüglich der Siegelschicht jeweils außenliegenden Siegelschichtlagen aus einem heißsiegelbaren Material und einer innenliegenden Gasbarriereschicht ist, wobei die Außenschicht nicht über 80 mym dick ist und die wenigstens eine polymere Gasbarriereschicht mit einer gemäß DIN 53380 gemessenen Gasdichtigkeit von unter 10 (cm**(3)/m**(2) d bar 02) >= 2 mym dick ist."
"13. Verpackungseinheit aus einer durch Heißversiegeln abgeschlossenen Kunststoff-Folienverpackung und einer darin durch Hochdruckbehandlung keimfrei oder keimarm gemachten Ware, dadurch gekennzeichnet, dass die Kunststoff-Folienverpackung eine mehrschichtige Polymerfolie enthält, die i) wenigstens eine Schicht aus jeweils bi- oder monoaxial orientiertem Polypropylen (PP), Polyethylenterephthalat (PET) oder Polyamid (PA) oder aus mit oder zwischen diesen Polymeren gebildeten Mischungen oder Copolymeren und ii) wenigstens an ihrer zur Ware weisenden Oberfläche eine Siegelschicht enthält, wobei die Schichten innerhalb der mehrschichtigen Polymerfolie durch Kaschieren vorgefertigter Einzelfolien aus diesen Schichten verbunden sind und die Siegelschicht eine wenigstens dreischichtig coextrudierte Siegelschicht mit zwei bezüglich der Siegelschicht jeweils außenliegenden Siegelschichtlagen aus einem heißsiegelbaren Material und einer innenliegenden Gasbarriereschicht ist, wobei die Außenschicht
nicht über 80 mym dick ist und die wenigstens eine polymere Gasbarriereschicht mit einer gemäß DIN 53380 gemessenen Gasdichtigkeit von unter 10(cm**(3)/m**(2) d bar 02) >= 2 mym dick ist."
VIII. Am Ende der Debatte waren die Anträge der Parteien wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte schriftlich, das Patent vollständig zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 6, eingereicht mit Schreiben vom 16. September 2021.
1. Hilfsantrag 6 - Zulassung
1.1 Die Ansprüche 1 bis 16 des vorliegenden Antrags sind im Wesentlichen identisch mit dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 4, mit dem einzigen Unterschied, dass die Definitionen der Verstärkungsschicht und der Heißsiegelschicht jeweils mit den Zeichen "i)" und "ii)" gegliedert wurden.
1.2 Nach Ansicht der Kammer, stellt die Hinzufügung der Gliederungszeichen nur eine geringfügige Änderung des Layouts zur Verbesserung der Lesbarkeit der Ansprüche dar. Der Gegenstand dieses Antrags wurde somit bereits mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht, so dass seine Zulassung durch Artikel 12(4) VOBK 2007 geregelt ist.
1.3 Der vorliegende Antrag entspricht keinem der vor der ersten Instanz diskutierten Anträge, insbesondere weil das Merkmal "dreischichtig [coextrudierte Siegelschicht]" in den damals diskutierten Anträgen immer als "zweischichtig" definiert war.
Die Kammer sieht in dieser Änderung keine willkürliche oder überraschende Entwicklung, sondern vielmehr eine Einschränkung in einem wesentlichen Aspekt der Erfindung. Dies ergibt sich insbesondere aus der Tatsache, dass beide Ausführungsbeispiele des Patents eine dreischichtige Heißsiegelfolie definieren (die im Anspruch definierte "Dreischicht" entspricht in der Tat den in den Ausführungsbeispielen beschriebenen fünf Schichten, umfassend drei Polymerschichten verbunden mit zwei Haftvermittlerschichten).
1.4 Die Kammer ist daher der Ansicht, dass der Antrag eine legitime Einschränkung der Erfindung darstellt, die insbesondere als Reaktion auf die mit der Beschwerde-begründung eingereichten Patentierbarkeitseinwände zu sehen ist. Folglich macht die Kammer keinen Gebrauch von ihrem Ermessen nach Artikel 12(4) VOBK 2007, diesen Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen.
2. Hilfsantrag 6 - Erfinderische Tätigkeit
Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ sind aus folgenden Gründen erfüllt.
2.1 Nächstliegender Stand der Technik
2.1.1 Dokument D2 (Punkt 2.1 auf Seite 52) offenbart eine dreischichtige coextrudierte Folie aus PP(100 mym)/EVOH(10 mym)/PP(100 mym) (PP = Polypropylen und EVOH = Ethylen-Vinyl-Alkohol), sowie eine dreischichtige Folie von oPP/EVOH/PE (oPP = orientierte Polypropylen, EVOH = Ethylen-Vinyl-Alkohol und PE = Polyethylen) (D2, Punkt 3.1 auf Seite 54).
Gemäß D2 (Seite 52, linke Spalte) sind diese mehrschichtigen Polymerfolien zum Verpacken von Lebensmittel bestimmt, insbesondere als Verpackungen, die Hochdruckbehandlungen standhalten können. D2 (siehe Punkt 3, Seite 53) beschreibt außerdem Tests, die an den oben genannten Folien durchgeführt wurden, um sicherzustellen, dass die EVOH-Schicht bei Hochdruck ihre Gasbarriereeigenschaften beibehält, bzw. dass sie nicht physikalisch beschädigt wird.
Nach Auffassung der Kammer, stellt die Folie PP(100 mym)/EVOH(10 mym)/PP(100 mym) in Punkt 2.1 der D2 den nächstliegenden Stand der Technik dar, da sie als eine coextrudierte dreischichtige Heißsiegelschicht mit einer Gasbarrieredicke >= 2 mym (10 mym) im Sinne der Erfindung angesehen werden kann.
2.1.2 Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 unterscheidet sich somit vom Inhalt der D2 darin, dass die Folie eine aufkaschierte Verstärkungsschicht aus bi- oder monoaxial orientiertes PP, PET oder PA umfasst, und dass die Außenschicht der Heißsiegelschicht nicht über 80 mym dick ist.
2.2 Aufgabe der Erfindung
2.2.1 Gemäß Absatz [0013] des angefochtenen Patents liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, die "bei Hochdruckbehandlung typischerweise ergebende Probleme zu vermeiden".
2.2.2 Dokument D2 offenbart, dass sowohl die PP/EVOH/PP- (Punkt 2.1) als auch die oPP/EVOH/PE-Folien (Punkt 3.1) in der Lage sind, Hochdruckbehandlungen standzuhalten (Punkt 3 auf Seite 53). Das oben erwähnte Problem scheint daher bereits in Dokument D2 gelöst zu werden.
Da beide Unterscheidungsmerkmale, nämlich die Verwendung einer Verstärkungsschicht und die Bereitstellung einer dünneren Außenschicht, Auswirkungen auf die Widerstandsfähigkeit der Folie gegenüber Hochdruckbehandlungen haben dürften, ist für die Kammer offensichtlich, dass die Erfindung und D2 das Problem der Gewährleistung einer guten Beständigkeit gegen Hochdruckbehandlung jeweils auf eine andere Weise lösen. Insbesondere löst das Dokument D2 dieses Problem mit dicken Heißsiegelschichten, während die Erfindung es durch Hinzufügen einer zusätzlichen Verstärkungsschicht löst.
Die Kammer ist daher der Ansicht, dass die Aufgabe, die durch die Erfindung gelöst wird, nicht einfach darin besteht, eine allgemeine Alternative bereitzustellen, sondern vielmehr ein alternatives Verfahren (Anspruch 1) bzw. eine alternative Verpackungseinheit (Anspruch 13) vorzuschlagen, die Hochdruckbehandlungen standhalten.
2.3 Naheliegen der vorgeschlagenen Lösung
2.3.1 Die Einsprechende argumentierte, dass die Bereitstellung zusätzlicher Schichten üblich sei und verwies dabei auf den Hinweis im Dokument D2 (erste Seite, rechte Spalte), dass es üblich war, EVOH in mehrschichtigen Strukturen "zwischen mindestens zwei Schichten" einzuschließen.
2.3.2 Für die Kammer ist jedoch nicht ersichtlich, wie der Fachmann in naheliegender Weise ausgehend von Dokument D2 zu diesem Gegenstand gelangen würde.
Wie die Einsprechende zutreffend ausgeführt hat, offenbart D2 dreischichtige Heißsiegelfolien, zum Beispiel in Punkt 2.1 eine PP/EVOH/PP-Folie. Diese Folie enthält jedoch keine Verstärkungsschicht im Sinne der Erfindung. Weiterhin, während die Außenschicht gemäß der Erfindung nicht dicker als 80 mym ist, beträgt die Dicke 100 mym in der aus D2 bekannten PP/EVOH/PP Folie.
Um ausgehend von Dokument D2 zu dem Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 zu gelangen, müsste der Fachmann also erkennen, dass die Hinzufügung einer orientierten PP-, PET- oder PA-Verstärkungsschicht die Widerstandsfähigkeit erhöhen und somit eine erhebliche Verringerung der Dicke der Außenschicht ermöglichen würde.
Die Kammer sieht in dem zitierten Stand der Technik jedoch keinen impliziten oder expliziten Hinweis, dass diese Modifikationen zu Folien mit einer hohen Widerstandsfähigkeit gegen Hochdruckbehandlung führen würden. Infolgedessen ist der jeweilige Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 im Hinblick auf das Dokument D2 und den übrigen zitierten Stand der Technik nicht naheliegend und somit als erfinderisch anzusehen.
2.4 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt.
2.5 Die Ansprüche 2 bis 12 sowie 14 bis 16 hängen jeweils von den Ansprüchen 1 und 13 ab, und erfüllen daher ebenfalls die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
3. Hilfsantrag 6 - Artikel 83, 84 und 123 EPÜ
3.1 Obwohl die Einsprechende keine Einwände unter diesen Artikeln erhoben hat, hat die Kammer in Anbetracht der Tatsache, dass dieser Antrag im erstinstanzlichen Verfahren nicht erörtert wurde, von Amts wegen geprüft, ob die zusätzlichen Erfordernisse des EPÜ erfüllt sind.
3.2 Die Erfindung ist ausreichend offenbart, da die Merkmale der Verfahrens- und Produktansprüche in Bezug auf bekannte Polymere (PA, PET, PP), Verfahrensschritte (Laminierung und Coextrusion) und Parameter (Gasdurchlässigkeit und Dicke) definiert sind. Die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ sind somit erfüllt.
3.3 Die Kammer sieht keinen Anlass zu der Schlussfolgerung, dass eines der in den Ansprüchen definierten Merkmale zu Abgrenzungsproblemen oder zu einer Erfindung führen würde, die nicht durch die Beschreibung gestützt wird. Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ sind daher erfüllt.
3.4 Anspruch 1 basiert auf einer Kombination der Ansprüche 1, 7, 10 und 11 und Anspruch 13 auf einer Kombination der Ansprüche 16, 18, 7 und 11 der ursprünglich eingereichten Fassung. Der Gegenstand dieser Ansprüche geht daher nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und erweitert auch nicht den Umfang der Erfindung in der erteilten Fassung. Die Voraussetzungen der Artikel 123(2) und (3) EPÜ sind daher erfüllt.
4. In Anbetracht der Tatsache, dass der Hilfsantrag 6 den Erfordernissen des EPÜ entspricht, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das Patent auf der Grundlage dieses Antrags aufrechterhalten werden kann.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 16 gemäß Hilfsantrag 6, eingereicht mit Schreiben vom 16. September 2021, und nach einer noch erforderlichen Anpassung der Beschreibung, aufrechtzuerhalten.