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T 1899/17 22-06-2021
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LADEEINRICHTUNG FÜR LANDWIRTSCHAFTLICHES TRANSPORTGUT
Priorität - Grundlage im Prioritätsdokument (ja)
Priorität - dieselbe Erfindung (ja)
Neuheit - (ja)
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2672805 nach Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass keiner der erhobenen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht.
In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen zitiert:
D1: DE 92 08 389 U1
D4: Geräteprogramm 2010/2011 Fliegl-Agro-Center
D5: Detailansichten des Abschiebewagens ASW 268,
Baujahr 2008
D9: Testbericht bzgl. "Brantner Power-Push" in der
Zeitschrift "Profi", Ausgabe 11/2007
III. Mit Mitteilung vom 19. Februar 2020 gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2021 teilte die Beschwerdeführerin-Einsprechende mit, dass sie in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten sein wird. Dabei hat sie zur Mitteilung der Kammer nicht Stellung genommen.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2021 teilte auch die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) mit, dass sie in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten sein wird.
Daraufhin wurde der für 23. Juni 2021 anberaumte Termin für die mündliche Verhandlung aufgehoben.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
V. Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang eines der Hilfsanträge 1-5, die mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung erneut eingereicht wurden.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags (erteilte Fassung) hat den folgenden Wortlaut:
"Ladeeinrichtung für landwirtschaftliches Transportgut, insbesondere für Schüttgut, mit einer Schaufelvorrichtung (10), die zur Bildung eines Laderaums, einen eine vordere Ladekante (19) aufweisenden Ladeboden (16) und zwei seitlich hieran angrenzende Wangen (12, 14) sowie eine als Schiebeschild ausgebildete Rückwand (18) aufweist, die zwischen einer der Ladekante (19) abgewandten Ausgangsstellung und einer der Ladekante (19) zugewandten Ablagestellung an den gegenüberliegenden Wangen (12, 14) mittels eines Schiebemechanismus (30) verschiebbar geführt, dadurch gekennzeichnet, dass der Schiebemechanismus (30) zumindest zwei im Wesentlichen parallel zum Ladeboden (18) ausgerichtete und mit ihren Zylinderabschnitten unmittelbar miteinander gekoppelte Hydraulikzylinder (32, 34) aufweist, die zueinander entgegengerichtet ausgerichtet sind und wobei die Kolbenstange (36) eines Hydraulikzylinders (32) mit einem Traggestell (46) und die Kolbenstange (38) des anderen Hydraulikzylinders (34) mit einer dem Ladeboden (16) abgewandten Seite der Rückwand (18) gekoppelt ist."
VII. Die Beschwerdeführerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Prioritätsanspruch für Anspruch 1 des Hauptantrags sei ungültig, da das auf die Kopplung der Kolbenstange eines Hydraulikzylinders mit dem Traggestell und der Kolbenstange des anderen Hydraulikzylinders mit einer dem Ladeboden abgewandten Seite der Rückwand gerichtete Merkmal nur bei einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung aus dem Prioritätsdokument hervorgehe. Das Dokument D4 gehöre daher zum Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ und offenbare alle Merkmale von Anspruch 1. Das Merkmal "Schaufel-vorrichtung" in Anspruch 1 sei nicht auf eine Eigenbewegung der Vorrichtung in Relation zum Transportgut gerichtet, so dass Anspruch 1 auch gegenüber den in D5 oder D9 offenbarten Abschiebewägen nicht neu sei. Zudem beruhe sein Gegenstand ausgehend von D1 in Zusammenschau mit jedem der Dokumente D5 oder D9 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
VIII. Die Beschwerdegegnerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Prioritätsanspruch sei gültig, so dass D4 nicht zum Stand der Technik gehöre. Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu und beruhe gegenüber dem angezogenen Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Die Erfindung betrifft eine Ladeeinrichtung für landwirtschaftliches Transportgut mit einer Schaufelvorrichtung. Ein Laderaum der Schaufelvorrichtung wird durch einen Ladeboden mit einer vorderen Ladekante und zwei seitlich hieran angrenzende Wangen sowie eine als Schiebeschild ausgebildete Rückwand gebildet. Die Rückwand ist zwischen einer der Ladekante abgewandten Ausgangsstellung und einer der Ladekante zugewandten Ablagestellung an den gegenüberliegenden Wangen mittels eines Schiebemechanismus verschiebbar geführt. Dieser Schiebemechanismus weist zumindest zwei im Wesentlichen parallel zum Ladeboden ausgerichtete und mit ihren Zylinderabschnitten unmittelbar miteinander gekoppelte Hydraulikzylinder auf. Dabei sind die Hydraulikzylinder zueinander entgegengerichtet ausgerichtet, und die Kolbenstange des einen Hydraulikzylinders ist mit einem Traggestell gekoppelt, während die Kolbenstange des anderen Hydraulikzylinders mit der Seite der Rückwand gekoppelt ist, die dem Ladeboden abgewandt ist. Dadurch kann eine besonders platzsparende Anordnung des gesamten Schiebemechanismus erreicht werden (Patentschrift, Absatz 0016).
3. Priorität, Stand der Technik
3.1 Die angegriffene Entscheidung bejahte die Gültigkeit des Prioritätsanspruchs von Anspruch 1 des Hauptantrags (erteilte Fassung), siehe Punkt 2 der Entscheidungsgründe. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet diesen Befund der Entscheidung. In ihrer Mitteilung vom 19. Februar 2020, Abschnitt 2, hat die Kammer dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"Die Merkmale der in Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchten Erfindung scheinen in Kombination miteinander im Prioritätsdokument DE 10 2011 010 788.6 offenbart zu werden. Die Gründe sind die Folgenden:
2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags beruht unbestritten auf einer Kombination der Ansprüche 1 und 6 des Prioritätsdokuments. Im Hinblick auf das Merkmal 1.6 ("die Kolbenstange eines Hydraulikzylinders mit einem Traggestell und die Kolbenstange des anderen Hydraulikzylinders mit einer dem Ladeboden abgewandten Seite der Rückwand gekoppelt ist") ist jedoch strittig, ob dieses Merkmal aus Anspruch 5 hervorgeht, oder ob es auf unzulässige Weise aus den Figuren zwischenverallgemeinert wurde.
2.2 Aus Sicht der Kammer gehört es zum allgemeinen Fachwissen, dass ein Hydraulikzylinder einen Zylinderabschnitt und eine Kolbenstange aufweist, so dass die beiden Endabschnitte eines Hydraulikzylinders durch seine Kolbenstange bzw. durch seinen Zylinderabschnitt gebildet werden. Anspruch 5 des Prioritätsdokuments scheint auf keine bestimmte Art der Koppelung der Endabschnitte des mindestens einen Hydraulikzylinders mit dem Traggestell bzw. mit der dem Ladeboden abgewandten Seite der Rückwand beschränkt zu sein, so dass Anspruch 5 neben der unmittelbaren Koppelung eines Endabschnitts auch eine mittelbare Koppelung eines Endabschnitts zu umfassen scheint. Bei einer mittelbaren Koppelung könnte z.B. der Zylinderabschnitt eines ersten Hydraulikzylinders mit dem Zylinder-abschnitt eines zweiten Hydraulikzylinders gekoppelt und erst über diesen zweiten Hydraulikzylinder mit dem Traggestell oder der dem Ladeboden abgewandten Seite der Rückwand gekoppelt sein. Der wegen seines Rückbezugs von Anspruch 5 abhängige Anspruch 6 des Prioritätsdokuments scheint dieses Beispiel einer mittelbaren Koppelung weiterzubilden, indem die Orientierung der Zylinderabschnitte der beiden Hydraulikzylinder festgelegt wird. Daher scheinen die Ansprüche 5 und 6 - im Gegensatz zum Befund in der angegriffenen Entscheidung - nicht inkompatibel zu sein. Stattdessen scheint die in Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchten Erfindung durch eine Kombination der Ansprüche 1, 5 und 6 des Prioritätsdokuments offenbart zu werden.
2.3 Aus diesen Gründen scheint der Prioritätstag 9. Februar 2011 als Anmeldetag der dem Streitpatent zugrunde liegenden europäischen Patentanmeldung zu gelten, so dass insbesondere D4 nicht zum Stand der Technik nach Art 54(2) EPÜ zu gehören scheint (Beschwerdebegründung, Seite 15, dritter Absatz)."
3.2 Die Beschwerdeführerin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Somit hält sie an ihrer Meinung fest, wonach der Prioritätsanspruch für Anspruch 1 des Hauptantrags gültig ist. Das Dokument D4 gehört daher nicht zum Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ, so dass es für die nachfolgend diskutierte Frage der Neuheit nicht relevant ist.
4. Neuheit
4.1 Die Neuheit wurde gegenüber jedem der Dokumente D5 und D9 bestritten. In ihrer Mitteilung vom 19. Februar 2020, Abschnitt 3, hat die Kammer dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags scheint gegenüber dem Stand der Technik nach Art 54(2) EPÜ neu zu sein, da D5 oder D9 keine Schaufelvorrichtung zu offenbaren scheinen:
3.1 Nach Meinung der Kammer scheint eine Schaufelvorrichtung eine Vorrichtung zu sein, die zum Schaufeln geeignet ist. Die Kammer versteht unter Schaufeln die Aufnahme und den Transport von Material, wobei zur Aufnahme eine Relativbewegung zwischen Transportgut und der Schaufel(vorrichtung) erfolgt (siehe zur Relativbewegung die Absätze 31, 40 und 48 der Patentschrift). Unabhängig von der in Absatz 51 der Patentschrift genannten Beladung mittels einer Streu- und Fördereinheit scheint die dort beschriebene Schaufelvorrichtung nach wie vor zum Schaufeln - also zu einer Relativbewegung gegenüber dem Transportgut - geeignet sein zu müssen.
3.2 Die Dokumente D5 und D9 beschreiben unbestritten Abschiebewagen. Es wurde nicht behauptet, dass ein Abschiebewagen zur Aufnahme von Ladegut durch eine Relativbewegung gegenüber dem Ladegut geeignet sei, und das ist auch aus Sicht der Kammer nicht der Fall. Daher scheinen D5 und D9 keine Schaufelvorrichtungen zu offenbaren. Deswegen scheint die Zugehörigkeit der D5 zum Stand der Technik nicht geklärt werden zu müssen."
4.2 Die Beschwerdeführerin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Somit gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, das der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags neu gegenüber jedem der Dokumente D5 und D9 ist. Die Frage der Zugehörigkeit von D5 zum Stand der Technik kann dahingestellt bleiben.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Die erfinderische Tätigkeit ist ausgehend von D1 in Zusammenschau mit D5 oder D9 angegriffen worden. In Abschnitt 4 ihrer Mitteilung vom 19. Februar 2020 hat die Kammer dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags scheint durch eine Kombination von D1 und D9 (oder D5, deren Zugehörigkeit zum Stand der Technik strittig ist) nicht nahegelegt zu werden:
4.1 D1 offenbart unbestritten den Oberbegriff von Anspruch 1 des Hauptantrags, so dass die objektive technische Aufgabe in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin darin gesehen werden kann, eine Ladeeinrichtung für landwirtschaftliches Transportgut mit vereinfachtem Aufbau und kompakter Bauform bereitzustellen.
4.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Beurteilung der Frage, ob der beanspruchte Gegenstand eine naheliegende Lösung für eine objektive technische Aufgabe darstellt, danach zu fragen, ob der Fachmann in der Erwartung, die Aufgabe zu lösen, die Lehre der nächstliegenden Entgegenhaltung angesichts anderer Lehren des Stands der Technik so abgewandelt hätte, dass er zu der beanspruchten Erfindung gelangt wäre (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.5 "Could-would approach").
Im vorliegenden Fall teilt die Kammer die - auch von der Beschwerdegegnerin nicht bestrittene - Sichtweise der Beschwerdeführerin, dass dem Fachmann anhand seines Fachwissens ein z.B. in D9 gezeigter Abschiebewagen bekannt ist.
4.3 In Anwendung des "Could-would"-Ansatzes ist aber nicht danach zu fragen, ob der Fachmann die mit einer Schaufelvorrichtung ausgestattete Ladeeinrichtung aus D1 mit der in D9 offenbarten Anordnung der Hydraulikzylinder hätte ausrüsten können, sondern ob er diese Änderung in D1 vorgenommen hätte, um einen vereinfachten Aufbau und eine kompakte Bauform zu erzielen. Die Kammer ist davon nicht überzeugt, da D9 einen großvolumigen und schweren Abschiebewagen offenbart, dessen Hydraulikzylinder jeweils 280 cm Hub haben (Seite 2, linke Spalte; Tabelle, rechter Spalte). Bereits wegen ihrer Abmessungen scheinen die Hydraulikzylinder der D9 nicht für die in D1 offenbarte Ladeschaufel eines Radladers oder Schleppers geeignet zu sein. Zudem scheinen die in D1 im Bereich der Rückwand 5 einzig vorhandenen und lediglich oben bzw. unten angeordneten Querstreben 14 und 15 nicht dazu geeignet zu sein, als Tragegestell für die linke Kolbenstange der in D9 offenbarten Hydraulikzylinderanordnung zu dienen (D9, Seite 20, untere rechte Figur).
4.4 Eine analoge Argumentation gilt für den in D5 beschriebenen Abschiebewagen, so dass die Zugehörigkeit der D5 zum Stand der Technik nicht geklärt werden muss."
5.2 Die Beschwerdeführerin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Somit gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, das der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags auch auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem angezogenen Stand der Technik beruht.
6. Somit bestätigt die Kammer den Befund der angegriffenen Entscheidung, dass keiner der erhobenen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht (Artikel 101(2) EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.