T 1956/17 04-05-2021
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VERFAHREN ZUR TROCKNUNG VON FEUCHTEM POLYMERPULVER UND DAFÜR GEEIGNETE VORRICHTUNG
Thyssenkrupp Industrial Solutions AG
Vinnolit GmbH & Co. KG
Erfinderische Tätigkeit - allgemeines Fachwissen
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Kombination bekannter Merkmale
Erfinderische Tätigkeit - Kombinationserfindung (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja)
I. Das europäische Patent Nr. 2 686 629 (im Folgenden: das Patent) betrifft ein "Verfahren zur Trocknung von feuchtem Polymerpulver und dafür geeignete Vorrichtung".
II. In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass kein Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht, und hat daher den Einspruch zurückgewiesen.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
IV. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerinnen (Patentinhaberinnen) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des neuen ersten Hilfsantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, aufrechtzuerhalten.
Der neue erste Hilfsantrag entspricht dabei dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 4.
V. Der unabhängige Anspruch 1 wie erteilt (Hauptantrag) hat folgenden Wortlaut:
Verfahren zur Trocknung von Polymerpulvern in einer Trockenvorrichtung (1) mit den Schritten:
i) Behandlung eines Polymerpulvers mit einem erhitzten Gas (6a) in einer mit Einlass (2) und Auslass (3) für das Polymerpulver und mit im Innenraum (4) angebrachten Wärmeregister (5) ausgestatteten Trockenvorrichtung (1),
ii) Zuführung von erhitztem Gas (6a) durch Leitungen (7) in den Innenraum (4) der Trockenvorrichtung (1),
iii) Erhitzen von Gas (6) in Wärmetauschern (9) zur Erzeugung von erhitztem Gas (6a), wobei
iv) das Beheizen der Wärmetauscher (9) durch ein heißes Fluid (5a, 10,19) erfolgt, das mit thermischer Energie erhitzt worden ist, die aus einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan (15) und/oder zur Herstellung von Vinylchlorid aus 1,2-Dichlorethan stammt, und
v) Wärmeregister (5) von Heisswasser als heißem Fluid (5a) durchströmt wird, das mit thermischer Energie erhitzt worden ist, die aus einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan (15) und/oder zur Herstellung von Vinylchlorid aus 1,2-Dichlorethan stammt.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des neuen ersten Hilfsantrags hat folgenden Wortlaut (im Vergleich zum Hauptantrag geänderte Merkmale sind fett hervorgehoben):
Verfahren zur Trocknung von Polymerpulvern in einem Wirbelschichttrockner (1) mit den Schritten:
i) Behandlung eines Polymerpulvers mit erhitzter Luft (6a) in einem mit Einlass (2) und Auslass (3) für das Polymerpulver und mit im Innenraum (4) angebrachten Wärmeregister (5) ausgestatteten Wirbelschichttrockner (1),
ii) Zuführung von erhitzter Luft (6a) durch Leitungen (7) in den Innenraum (4) des Wirbelschichttrockners (1),
iii) Erhitzen von Luft (6) in Wärmetauschern (9) zur Erzeugung von erhitzter Luft (6a),
wobei
- das Beheizen der Wärmetauscher (9) dadurch erfolgt, dass in die Wärmetauscher (9) flüssiges EDC als heißes Fluid (5a, 10, 19) aus den Destillationskolonnen einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan (15) eingeleitet wird, so dass die Abwärme des flüssigen 1,2-Dichlorethan zum Beheizen der Luft (6) genutzt wird,
- Wärmeregister (5) von Heißwasser als heißem Fluid (5a) durchströmt wird,
- auf der unteren Seite des Wirbelschichttrockners (1) erhitzte Luft (6a) durch Luftleitungen (7) in den Innenraum (4) eingeleitet wird, wodurch ein Verwirbeln des Polymerpulvers erfolgt,
- die Wärmeregister (5) durch Heißwasser (5a) beheizt werden, und
- das Heißwasser (5a) durch Wärmetauscher (13) und durch Verwendung eines weiteren heißen Fluids beheizt worden ist, wobei das weitere heiße Fluid aus der Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan (15) stammt, und als abgekühltes Wasser (5b) das Wärmeregister (5) verlässt und Wärmetauscher (13) wieder zugeführt wird, so dass Wasser zwischen Wärmeregistern (5) und Wärmetauscher (13) zirkuliert wird.
VII. Folgende Entgegenhaltungen waren für die vorliegende Entscheidung relevant:
D6: |Optimal Operation of an Industrial PVC Dryer, Antonio C. B. de Araújo et al., Drying Technology: An International Journal, Volume 29, Issue 1, 2010 (December 2010)|
D9: |WO 2010/034392 A1 |
D10: |US 4672142 A |
D11: |US 6911185 B1 |
D12: |US 4798914 A |
D13: |DE 31 47 310 A1 |
D14: |Catoxid for chlorinated products, James S. Benson, Environmental Management (October 1979) |
D15: |Optimum Energy and By-Product Recovery in Chlorinated Hydrocarbon Disposal Systems, Joseph J. Santoleri, Trane Thermal |
D15a:|Internetauszug, bibliographische Daten von D15, 28. Juli 2020 |
D16: |By-Product Recycle, European Vinyls Corporation |
VIII. Die Kammer hat am 17. Juli 2020 eine Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassen.
IX. Die mündliche Verhandlung wurde im Weg der Videokonferenz (unter Verwendung der Zoom-Applikation) am 4. Mai 2021 mit der Zustimmung der Beteiligten durchgeführt. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
X. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
a) Zulassung der Dokumente D10-D16
D10 bis D16 seien als Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingereicht worden, um zu belegen, dass dem Fachmann die Verwendung thermischer Energie in Form von heißem Dampf aus Anlagen zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan an verschiedenen Stellen der PVC- Produktionskette bekannt gewesen sei. Dies sei bereits dem im Einspruchsverfahren zitierten Dokument D9 als allgemeinem Fachwissen zu entnehmen gewesen, auch wenn dieses Dokument in seiner weiteren Lehre die Verwendung von heißem Wasser als Quelle thermischer Energie als vorteilhaft ansehe. Da die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung und in ihrer Entscheidung überraschend die Lehre des Dokuments D9 als auf die Verwendung von thermischer Energie in Form von heißem Wasser beschränkt gesehen habe, habe die Beschwerdeführerin zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren ihr bereits im Einspruchsverfahren vorgebrachtes Argument durch die Einreichung der Dokumente D10-D16 weiter belegt. Diese seien daher in das Verfahren zuzulassen.
b) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
D6 sei als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Lehre der D6 darin, das zum einen eine Mehrzahl an Wärmetauschern zum Erhitzen des heißen Gases für die Trockenvorrichtung verwendet würden, und zum anderen dass als Quelle des in D6 zu verwendenden heißen Dampfes eine Anlage zur Herstellung von 1,2- Dichlorethan und/oder zur Herstellung von Vinylchlorid aus 1,2-Dichlorethan verwendet werde. Beide Unterscheidungsmerkmale seien voneinander unabhängig und daher getrennt auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit zu untersuchen. Wie durch die Dokumente D10-D16 - insbesondere D10 und D12 - belegt, sei die weitere Nutzung der in den genannten chemischen Anlagen freiwerdenden thermischen Energie in Form von heißem Dampf bekannt und daher naheliegend. Auch die Verwendung eines oder mehrerer Wärmetauscher sei eine übliche Dimensionierungsaufgabe und fachmännische Routine. Die von der Beschwerdegegnerin angeführte, bei mehreren Wärmetauschern mögliche Beschickung mit energiereichen Medien unterschiedlichen Aggregatzustands sei nicht zu berücksichtigen, da weder beansprucht, noch in einem der Ausführungsbeispiele realisiert. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit nicht erfinderisch.
c) Neuer erster Hilfsantrag - Erfinderische Tätigkeit
Auch die zusätzlichen Merkmale des ersten Hilfsantrags könnten keine erfinderische Tätigkeit begründen. Der Anspruch umfasse nämlich auch die indirekte Erwärmung der Luft durch flüssiges EDC, also einen Prozess, bei dem zunächst mit flüssigem EDC eine Flüssigkeit erwärmt (oder Dampf erzeugt) und die in dieser Flüssigkeit gespeicherte thermische Energie dann zum Erwärmen der Luft genutzt werde. Eine solches Verfahren sei in D10 offenbart, und der beanspruchte Gegenstand somit aus den bereits diskutierten Gründen ausgehend von D6 naheliegend.
d) Neuer erster Hilfsantrag - Anpassung der Beschreibung
Die Ansprüche des neuen ersten Hilfsantrags seien nicht durch die Beschreibung gestützt.
Absatz [0027] spreche von einer "weiteren bevorzugten Verfahrensvariante", obwohl das dort beschriebene Beheizen des Wärmeträgerkreislaufs mit der Abwärme der Destillationskolonnen gerade die in Anspruch 1 definierte Erfindung darstelle.
Zudem falle die in Figur 2 gezeigte Anlage nicht unter den Umfang des Anspruchs 1, da weder gezeigt sei, dass das flüssige heiße EDC aus den Destillationskolonnen stamme, noch dass eine Mehrzahl von Wärmetauschern (13) vorhanden sei. Figur 2 werde daher fälschlich als Variante des erfindungsgemäßen Verfahrens bezeichnet.
XI. Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten im Wesentlichen wie folgt:
a) Zulassung der Dokumente D10-D16
D10 bis D16 sollten wegen verspäteten Vorbringens nicht in das Verfahren zugelassen werden, da sie prima facie nicht relevant seien, schon im Einspruchsverfahren hätten vorgelegt werden können und müssen, und nicht über den Offenbarungsgehalt der bereits im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen hinausgingen.
b) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Bezüglich des nächstliegenden Stands der Technik und der Unterscheidungsmerkmale werde der Beschwerdeführerin im Prinzip zugestimmt. Die Benutzung einer Mehrheit von Wärmetauschern zur Erzeugung erhitzten Gases ermögliche es jedoch, flexibel auf energiereiche Medien unterschiedlichen Aggregatzustands als Wärmequelle zurückzugreifen. Dies erweitere die Einsatzmöglichkeiten der Anlage und sei im Stand der Technik nicht bekannt. Bereits aus diesem Grunde sei der beanspruchte Gegenstand erfinderisch.
c) Neuer erster Hilfsantrag - Erfinderische Tätigkeit
Die direkte Nutzung von flüssigem EDC als heißem Fluid in einem Wärmetauscher für das Erhitzen von Luft zur Einleitung in den Innenraum eines Wirbelschichttrockners verringere die Energieverluste und löse somit die Aufgabe, die Energieeffizienz des Verfahrens zu erhöhen. Dieses unterscheidende Merkmal und seine Vorteile seien im Stand der Technik nicht offenbart. Insbesondere offenbare D10 lediglich eine indirekte Nutzung der thermischen Energie vermittels eines Sekundärfluids, welches zuvor in einem Wärmetauscher in der Anlage zur Herstellung von EDC mittels flüssigem EDC erwärmt wurde.
d) Neuer erster Hilfsantrag - Anpassung der Beschreibung
Absatz [0027] stehe nicht im Widerspruch zur Anspruchsformulierung, da zusätzliche vorteilhafte Merkmale des beanspruchten Verfahrens beschrieben seien.
Das Ausführungsbeispiel von Figur 2 gehöre außerdem zum Anspruchsumfang. Die Figur 2 stelle nur eine schematische Ansicht dar und müsse daher nicht alle Merkmale bis in das letzte Detail wiedergeben. Im Übrigen sei das Merkmal "durch Wärmetauscher (13) ...beheizt" im Deutschen durchaus mit dem Vorhandensein nur eines derartigen Wärmetauschers (13) vereinbar.
1. Zulassung der Dokumente D10 bis D16
1.1 D10 bis D15 - Zulassung in das Verfahren
1.1.1 Die Dokumente D10 bis D15 werden in der Beschwerdebegründung genannt und ausführlich diskutiert. Derartiges Vorbringen ist von der Kammer zu berücksichtigen, wobei ein Ermessen besteht, Tatsachen oder Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können (Artikel 12(4) VOBK 2007 i.V. mit Art. 25 VOBK 2020).
Die zunächst nicht der Beschwerdebegründung beigefügten Dokumente wurden in Antwort auf eine entsprechende Aufforderung der Kammer in einer Mitteilung gemäß Regel 100(2) EPÜ umgehend und fristgerecht nachgereicht. Hier besteht ein Ermessen der Kammer gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 (i.V. mit Artikel 25 VOBK 2020). Die Einreichung räumt den angesprochenen Mangel, nämlich die Nicht-Einreichung der Dokumente selbst, in offensichtlicher Weise aus und gibt keinen Anlass zu neuen Einwänden. Gegenteiliges wurde auch von den Beschwerdegegnerinnen nicht vorgebracht. Die Kammer ist der Ansicht, dass Artikel 13(1) VOBK 2020 in diesem Fall keinen über das unter Artikel 12(4) VOBK 2007 bestehende Ermessen hinausgehenden strengeren Maßstab begründet.
1.1.2 Die Beschwerdegegnerinnen sind im Hinblick auf die Verwendung der Dokumente D10 bis D15 erst in der Beschwerdeinstanz der Ansicht, dass sie schon im Einspruchsverfahren hätten vorgelegt werden müssen, da die Diskussion um die Nutzung der thermischen Energie in Form von heißem Dampf schon während des Einspruchsverfahrens stattgefunden habe. Außerdem seien die Dokumente prima facie nicht relevant. Bezüglich D15 sei zudem das Veröffentlichungsdatum nicht belegt.
1.1.3 Die Kammer teilt diese Meinung nicht.
Die Einspruchsabteilung argumentierte in Punkt 12.11 der angefochtenen Entscheidung, dass D9 lediglich die Erwärmung von Kesselspeisewasser mit der aus einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan abfallenden Energie offenbare. Eine Kombination von D6 mit D9 sei daher für den Fachmann nicht naheliegend, da die Wärmetauscher der D6 nur für die Erhitzung mittels "heißem Dampf" geeignet seien.
Die Beschwerdeführerin begegnet diesem Argument mit der Einreichung der Dokumente D10 bis D15, die die Erzeugung von Dampf mit der aus einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan abfallenden Energie als bekannt offenbaren. In der Tat findet sich eine das entsprechende Argument stützende Aussage - wie von den Beschwerdegegnerinnen vorgebracht - auch schon in D9, Seite 1, zweiter Absatz, wurde aber in der Entscheidung nicht berücksichtigt (Punkt 12.1. der Entscheidung). Die Beschwerdeführerin hatte somit Veranlassung, ihr bereits im Einspruchsverfahren vorgebrachtes Argument durch weitere Beweismittel zu untermauern. Dies erfolgte bei erster Gelegenheit, d.h. mit der Beschwerdebegründung.
Die Dokumente D10 bis D15 offenbaren die Erzeugung und weitere Nutzung von Dampf mit der aus einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan oder zur Herstellung von Vinylchlorid aus 1,2-Dichlorethan abfallenden Energie. Sie sind daher prima facie relevant.
Von den Beschwerdegegnerinnen geäußerte Zweifel an der Veröffentlichung der D15 konnten von der Beschwerdeführerin durch Verweis auf die Veröffentlichung in den zu der entsprechenden Konferenz erschienenen "Proceedings" (D15a) ausgeräumt werden.
Die Kammer sieht daher keinen Grund, die Dokumente D10-D15 nicht zu berücksichtigen.
1.2 D16 - keine Zulassung in das Verfahren
Die Beschwerdeführerin erkennt an, dass D16 nicht datiert ist. Für die als Zeitmarke angeführte Änderung des Namens der Firma EVC am 1. Juli 2005 wurde kein Beleg vorgebracht. Angesichts des nicht belegten Veröffentlichungsdatums macht die Kammer daher von ihrem Ermessen Gebrauch, das Dokument D16 nicht im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.
2. Hauptantrag, Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit
2.1 Nächstliegender Stand der Technik
Dokument D6 stellt unstreitig den nächstliegenden Stand der Technik dar.
2.2 Offenbarung von D6
D6 offenbart ein Verfahren zur Trocknung von Polymerpulvern (PVC) in einer Trockenvorrichtung (siehe Figur 1, die im Folgenden wiedergegeben wird) mit den Schritten:
i) Behandlung eines Polymerpulvers (PVC) mit einem erhitzten Gas (siehe Figur 1: "hot air") in einer mit Einlass (siehe Figur 1: "PVC intake") und Auslass (siehe Figur 1: "Dry PVC") für das Polymerpulver und mit im Innenraum angebrachten Wärmeregister (siehe Figur 1: "Heating elements") ausgestatteten Trockenvorrichtung,
ii) Zuführung von erhitztem Gas (Luft; siehe Figur 1: "Hot air") durch Leitungen (siehe Figur 1: "Legs of the dryer") in den Innenraum der Trockenvorrichtung,
iii) Erhitzen von Gas ("Hot air") in einem Wärmetauscher (siehe Figur 1, unterer Wärmetauscher) zur Erzeugung von erhitztem Gas ("Hot air"), wobei
iv) das Beheizen des Wärmetauschers durch ein heißes Fluid (Dampf; "Steam") erfolgt, und
v) Wärmeregister ("Heating elements") von Heißwasser (siehe Figur 1: "Hot water") als heißem Fluid durchströmt wird, das mit thermischer Energie erhitzt worden ist.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
2.3 Unterscheidungsmerkmale:
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich unstreitig von der Offenbarung der D6 dadurch, dass
A - mehr als ein Wärmetauscher für das Erhitzen des Gases benutzt wird; und
B - die thermische Energie für das Erhitzen des Gases und des Heißwassers aus einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan (15) und/oder zur Herstellung von Vinylchlorid aus 1,2-Dichlorethan stammt.
Die unterscheidenden Merkmale bewirken - ebenfalls unstreitig - unabhängige technische Effekte und betreffen unterschiedliche Aufgaben.
2.4 Unterscheidungsmerkmal A (mehrere Wärmetauscher für das Erhitzen des Gases)
2.4.1 Die Beschwerdegegnerinnen argumentieren, dass die Anwesenheit von mehr als einem Wärmetauscher für das Erhitzen des Gases eine Anpassung zur bestmöglichen Nutzung der thermischen Energie durch energiereiche Medien in unterschiedlichen Aggregatzuständen ermögliche. Dieser Effekt sei für den Fachmann aus den Ausführungsbeispielen der Figuren 2 und 3 des Patents ersichtlich.
Die objektive zu lösende Aufgabe bestehe daher darin, die Flexibilität der Anlage zu erhöhen.
2.4.2 Diese Argumente sind nicht überzeugend.
Anspruch 1 verwendet zwar den Begriff Wärmetauscher (zum Erhitzen von Gas) im Plural, legt jedoch nicht fest, wie den mehreren Wärmetauschern zur Erhitzung von Gas die zu übertragende thermische Energie zugeführt wird, d.h. ob sie mit dem gleichen oder mit unterschiedlichen Medien oder sogar mit Medien in unterschiedlichen Aggregatzuständen gespeist werden. Auch in den Ausführungsbeispielen gibt es keinen Hinweis, dass die Wärmetauscher (9) in den Abbildungen 1 und 2 (Abbildung 3 zeigt nur einen einzigen Wärmetauscher (9)) durch unterschiedliche Medien oder Medien in unterschiedlichen Aggregatzuständen beschickt würden. Bezüglich Figur 1 verweist die Beschreibung auf ein "heißes Fluid", bezüglich Figur 2 auf "flüssiges EDC", allerdings jeweils in Verbindung mit beiden gezeigten Wärmetauschern. Der angebliche technische Effekt kann somit weder dem Unterscheidungsmerkmal zugeordnet noch der Anmeldung entnommen werden.
Die Kammer sieht den technischen Effekt des unterscheidenden Merkmals A deshalb darin, dass die erforderliche Wärmeaustauschoberfläche auf zwei (oder mehr) kleinere Wärmetauscher verteilt wird. Die objektive zu lösende Aufgabe besteht daher in einer Dimensionierung der Wärmetauscher nach den gegebenen Umständen (z.B. den räumlichen Einschränkungen).
2.4.3 Es ist dem Fachmann jedoch bekannt, die benötigte Größe einer bestimmten Wärmeaustauschoberfläche je nach den Umständen entweder mit einem einzigen größeren Wärmetauscher oder mit mehreren kleineren Wärmetauschern herzustellen.
Unterscheidungsmerkmal A kann daher keine erfinderische Tätigkeit begründen
2.5 Unterscheidendungsmerkmal B (Ursprung der thermischen Energie)
2.5.1 Der technische Effekt des Unterscheidungsmerkmals B ist, dass keine zusätzliche Energiequelle benötigt wird.
Die Kammer stimmt den Beteiligten zu, dass die objektive zu lösende technische Aufgabe in dem Erreichen einer höheren Energieeffizienz zu sehen ist (siehe auch Absatz [0015] des Patents).
2.5.2 In Abwesenheit von Gegenargumenten der Beschwerdegegnerinnen bleibt die Kammer bei der bereits in der vorläufigen Meinung geäußerten Einschätzung:
So offenbart beispielsweise die von der Beschwerdeführerin diskutierte D12, dass eine Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan bzw. von Vinylchlorid aus 1,2-Dichlorethan benutzt werden kann, um Dampf aus der abfallenden thermischen Energie zu erzeugen (siehe Spalte 7, Zeile 7 bis 50). Dieser Dampf kann an weiteren Stellen ("elsewhere in the vinyl chloride production process") der Produktionskette von Vinylchlorid eingesetzt werden, an denen thermische Energie benötigt wird (siehe Spalte 7, Zeilen 7-11 und 39 bis 50, oder Spalte 9, Zeile 35 bis 38).
Der Fachmann würde erkennen, dass die Nutzung der Abwärme eines Prozesses für einen anderen, typischerweise in räumlicher Nachbarschaft durchgeführten Prozess, sich günstig auf die Energieeffizienz der gesamten Anlage auswirkt. Er würde daher zur Lösung der gestellten Aufgabe der Lehre der D12 folgend den für den Trockner der D6 benötigten Dampf aus einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan verwenden, und würde auf diese Weise einen Prozess wie in Unterscheidungsmerkmal B definiert erhalten.
2.6 Schlussfolgerung
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit angesichts der Kombination von D6 mit D12 und dem allgemeinen Fachwissen (Artikel 56 EPÜ).
3. Neuer erster Hilfsantrag
3.1 Erfinderische Tätigkeit, Anspruch 1
3.1.1 Unterscheidendes Merkmal "flüssiges EDC als heißes Fluid"
Der Gegenstand von Anspruch 1 des neuen ersten Hilfsantrags unterscheidet sich von D6 zumindest dadurch,
(Merkmal C) dass das Beheizen der Wärmetauscher für das Erhitzen von Luft dadurch erfolgt, dass in die Wärmetauscher flüssiges EDC (1,2-Dichlorethan) aus den Destillationskolonnen einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan als heißes Fluid eingeleitet wird.
Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, dass Anspruch 1 auch eine indirekte Verwendung des flüssigen EDCs umfasse, also das Erhitzen zunächst eines Zwischenfluids unter Verwendung von flüssigem EDC, gefolgt von der eigentlichen Erhitzung der Luft mittels diesem, durch Verwendung von flüssigem EDC erhitzen Fluids.
Anspruch 1 definiert allerdings explizit, dass die Luft in den Wärmetauschern erhitzt wird, in welchen das flüssige EDC eingeleitet wird (Anspruch 1, erster Spiegelstrich). Ein Zwischenfluid, das die thermische Energie des flüssigen EDCs aufnimmt, und diese erst in einem weiteren Wärmetauscher an die Luft weitergibt, fällt deswegen nicht unter den Gegenstand des Anspruchs 1.
3.1.2 Durch die direkte Verwendung des flüssigen 1,2-Dichlorethans zum Beheizen der Luft werden Energieverluste minimiert.
Die objektive zu lösende Aufgabe besteht somit darin, wie bereits beim Unterscheidungsmerkmal B, eine höhere Energieeffizienz zu erreichen.
3.1.3 Merkmal C ist in keiner der angeführten Dokumente offenbart, auch nicht in der von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich angeführten D10.
D10 offenbart zwar, dass flüssiges EDC in einen Wärmetauscher eingeleitet werden kann (siehe Anspruch 1, Stufe (b): "passing one of these partial streams through a heat exchanger"), um thermische Energie zu gewinnen, und dass diese thermische Energie außerhalb des 1,2-Dichlorethan Herstellungsverfahrens benutzt werden kann, entweder für Erhitzungszwecke oder um Dampf zu erzeugen (siehe Anspruch 9). D10 offenbart aber nicht, das flüssige EDC selbst in eine benachbarte Anlage zur Trocknung von Polymeren zu leiten, um dort direkt als Wärmemedium in einem Wärmetauscher verwendet zu werden. D10 kann somit allenfalls die indirekte Erwärmung der Luft vermittels eines Zwischenfluids nahelegen, die aber nicht unter den Anspruch fällt (s.o.).
Eine direkte Nutzung des flüssigen EDC in dem Wärmetauscher für die Luft der Figur 1 von D6 würde eine massive Umkonstruktion nicht nur des Wärmetauschers, sondern auch der gesamten Produktionsanlage erfordern, die über eine dem Fachmann ohne weiteres zuordenbare Routinetätigkeit weit hinausgeht. Im Übrigen offenbart D10 bereits die Bereitstellung der Wärmeenergie vermittels heißen Dampfes, also genau vermittels des in D6 benötigten Mediums. Zu einer solchen Umkonstruktion bestünde also angesichts der Lehre der D10 auch gar kein Anlass.
3.1.4 Schlussfolgerung
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des neuen ersten Hilfsantrags beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf D6 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen und D10 (Artikel 56 EPÜ).
4. Angepasste Beschreibung
4.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert, die Ansprüche des neuen Hilfsantrags 1 seien nicht durch die Beschreibung gestützt. Insbesondere stünden Absatz [0027] und [0037] (Nummerierung wie im erteilten Patent) in Widerspruch zum beanspruchten Gegenstand, da in Absatz [0027] keine weitere Verfahrensvariante beschrieben werde, sondern die nunmehr beanspruchte Erfindung selbst, und da das Ausführungsbeispiel 2 nicht alle beanspruchten Merkmale aufweise und daher nicht erfindungsgemäß sei.
4.2 Beide Argumente überzeugen aus folgenden Gründen nicht:
4.2.1 Absatz [0027] beschreibt, dass "in einer weiteren bevorzugten Verfahrensvariante ... der Wärmeträgerkreislauf mit der Abwärme von Destillationskolonnen beheizt [wird]". Bei diesem Wärmeträgerkreislauf handelt es sich um das durch Wärmetauscher (1) und Wärmeregister (5) zirkulierende Heißwasser, für welches Anspruch 1 (letzter Spiegelstrich) verlangt, dass es durch Verwendung "eines weiteren heißen Fluids beheizt worden ist". Dafür die Abwärme von Destillationskolonnen zu verwenden ist in der Tat eine Variante, die im Anspruch selbst nicht definiert ist. Der Anspruch definiert zwar die Verwendung von EDC als heißes Fluid aus den Destillationskolonnen einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan, allerdings zum Beheizen der Luft im Wärmetauscher zum Erhitzen der Luft (Wärmetauscher 9), nicht im Wärmetauscher des Wärmeträgerkreislaufs (1). Die Formulierung "in einer weiteren bevorzugten Verfahrensvariante" in Absatz [0027] ist somit zutreffend.
4.2.2 Absatz [0037] offenbart, dass es sich bei der in Figur 2 gezeigten Verschaltung um eine Variante des erfindungsgemäßen Verfahrens handelt. Dieser Satz sei nach Ansicht der Beschwerdeführerin nicht korrekt, da der Abbildung nicht zu entnehmen sei, dass das flüssige EDC aus den Destillationskolonnen einer Anlage zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan stammt.
Der Einwand verkennt allerdings den schematischen Charakter der Figur 2 ("Skizze"). Referenzzeichen 15 bezeichnet eine EDC-Anlage, Referenzzeichen 14 EDC Dampf und Referenzzeichen 19 flüssiges EDC. Der Dampf wird oben aus der stilisierten Anlage abgeleitet, abgekühltes EDC-Kondensat (16) wird unten in die Anlage zurückgeführt, die Ausleitung des heißen, aber flüssigen EDC erfolgt zwischen diesen beiden Punkten. Eine detailliertere Darstellung der Destillationskolonnen ist bei dem schematischen Charakter der Zeichnung nicht zu erwarten. Die Kammer stimmt den Beschwerdegegnerinnen auch dahingehend zu, dass der Begriff "Wärmetauscher (13)" (letzter Spiegelstrich des Anspruchs) im Deutschen nicht unbedingt eine Mehrzahl solcher Wärmetauscher bezeichnen muss. Ein Widerspruch zwischen Anspruch und Beschreibung ist daher nicht erkennbar.
Die Ansprüche sind somit durch die Beschreibung gestützt, wie es Artikel 84 EPÜ verlangt.
5. Schlussfolgerung
Unter Berücksichtigung der von den Beschwerdegegnerinnen im neuen ersten Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen genügen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ, und das Patent kann in geänderter Fassung aufrechterhalten werden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Beschreibung Seiten 2 bis 5 wie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht
- Ansprüche 1 bis 2 des Hilfsantrags 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer
- Figuren 1 bis 3 wie erteilt und wie erneut eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.