T 2206/17 18-05-2021
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ZUSAMMENSETZUNGEN ENTHALTEND WASSERSTOFFPEROXID ODER WASSERSTOFFPEROXID FREISETZENDE SUBSTANZEN
Neuheit - implizite Offenbarung
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (ja)
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 2 598 435 unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.
II. Im Rahmen des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens wurden folgende für die vorliegende Entscheidung relevante Dokumente eingereicht:
D4 |US 2006/0009371 |
D5 |US 6,083,422 |
D7 |WO 98/21299 |
D8 |WO 99/53006 |
D10|EP 0 751 213 A1 |
D12|Sokolan® CP types; BASF; Datenblatt|
D13|Technical Report, 17. März 2017 |
D14|Experimental Report, 16. März 2020 |
III. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikel 100(a) und 100(b) EPÜ wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und mangelnder Ausführbarkeit angegriffen worden.
In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass die Ansprüche des geänderten Hauptantrags die Erfordernisse der Artikel 123, 83 und 84 EPÜ erfüllten. Neuheit gegenüber den zitierten Dokumenten D7, D8 und D10 sei gegeben und die Ansprüche beruhten ausgehend von D4 oder D5 als nächstem Stand der Technik auch auf erfinderischer Tätigkeit.
IV. In der Beschwerdeschrift und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, der Gegenstand der Ansprüche in der aufrechterhaltenen Fassung sei nicht neu gegenüber D7, D8, und insbesondere D10, das zwei Ausführungsbeispiele zeige, die unter die Ansprüche fielen. Des weiteren seien die beanspruchten Zusammensetzungen sowohl gemäss der aufrechterhaltenen Fassung wie auch aller im Verfahren vorgelegter Hilfsanträge dem Fachmann ausgehend von D4 oder D5 in Kombination mit D7 oder D8 nahegelegt. Auch ausgehend von D10 mangele es den Ansprüchen aller Anträge an erfinderischer Tätigkeit. Im übrigen seien einige der Hilfsanträge, insbesondere Hilfsantrag 1, als verspätet nicht ins Verfahren zuzulassen und verstießen gegen Regel 80 EPÜ.
Der im Einspruchsverfahren vorgebrachte Einwand unter Artikel 83 EPÜ wurde im Beschwerdeverfahren nicht weiterverfolgt und ist nicht Gegenstand der Beschwerde.
V. Die Beschwerdegegnerin brachte in ihrer Beschwerdeerwiderung und im weiteren Verfahren im wesentlichen vor, die angeführten Ausführungsbeispiele der D10 offenbarten nicht das in Anspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung definierte Polymer mit verdickenden Eigenschaften. Ebenso wenig nähmen D7 oder D8 den Anspruch neuheitsschädlich vorweg. Ein Fachmann hätte die Lehre der D7/D8 auch nicht mit D4/D5 kombiniert, und wäre daher ausgehend von diesen Dokumenten nicht auf naheliegende Weise zum Gegenstand des Anspruchs gelangt. D10 sei als nächster Stand der Technik ungeeignet. Der Inhalt der Ansprüche des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung, umso mehr der der Hilfsanträge, sei daher neu und erfinderisch gegenüber dem zitierten Stand der Technik. Im übrigen seien die Hilfsanträge 1-6 zwar erst mit Schreiben vom 16. Januar 2020 eingereicht worden; die Hilfsanträge 1-4 enthielten aber gegenüber deren Version aus dem Einspruchsverfahren, auf die in der Beschwerdeerwiderung Bezug genommen worden war, nur unwesentliche Korrekturen.
VI. Mit Ladung vom 8. Oktober 2019 wurden die Parteien für den 18. Juni 2020 zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Der Verhandlungstermin wurde im weiteren Verlauf wegen der andauernden Corona-Pandemie auf den 18. Mai 2021 verlegt.
VII. Die Kammer erließ am 5. November 2019 eine Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK, in der die Parteien über deren vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage informiert wurden. Die Kammer war der vorläufigen Ansicht, Neuheit gegenüber D7 und D8 sei gegeben. Neuheit des Hauptantrags gegenüber D10 sei zweifelhaft; dieser Punkt müsse in der Verhandlung diskutiert werden. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D4/D5 würde ebenfalls Gegenstand der Verhandlung sein.
VIII. Am 18. Mai 2020 fand die mündliche Verhandlung statt, die mit Einverständnis der Parteien wegen der noch andauernden Corona-Pandemie als Videokonferenz durchgeführt wurde.
IX. Die für die entscheidungsrelevanten Fragen vorgebrachten Argumente der Parteien sind im Detail in den Entscheidungsgründen aufgeführt und abgehandelt.
X. Die Schlussanträge der Parteien waren die folgenden:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 598 435.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder, hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht mit Schreiben vom 16. Januar 2020.
XI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:
"Zusammensetzung enthaltend
a) eine oder mehrere Substanzen ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Wasserstoffperoxid und Wasserstoffperoxid freisetzenden Substanzen.
b) Wasser,
c) ein oder mehrere Polymere mit verdickenden Eigenschaften und
d) eine oder mehrere Substanzen ausgewählt aus Verbindungen der Formel (I) und deren Salzen
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
worin R1 H oder ein C1-C4 Alkylrest und R2 H, ein unsubstituierter oder mit Halogen substituierter, verzweigter oder unverzweigter C1-C20-Alkylrest, ein unsubstituierter oder mit Halogen substituierter C5-C8 Cycloalkylrest, ein unsubstituierter oder mit Halogen substituierter C6-C10 Arylrest oder ein unsubstituierter oder mit Halogen substituierter, verzweigter oder unverzweigter C7-C20 Aralkylrest ist"
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lautet:
"Zusammensetzung enthaltend
a) eine oder mehrere Substanzen ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Wasserstoffperoxid und Wasserstoffperoxid freisetzenden Substanzen.
b) Wasser,
c) ein oder mehrere Polymere mit verdickenden Eigenschaften und
d) eine oder mehrere Substanzen ausgewählt aus Verbindungen der Formel (I) und deren Salzen
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
worin R1 H oder ein C1-C4 Alkylrest und R2 H, ein unsubstituierter oder mit Halogen substituierter, verzweigter oder unverzweigter C1-C20-Alkylrest, ein unsubstituierter oder mit Halogen substituierter C5-C8 Cycloalkylrest, ein unsubstituierter oder mit Halogen substituierter C6-C10 Arylrest oder ein unsubstituierter oder mit Halogen substituierter, verzweigter oder unverzweigter C7-C20 Aralkylrest ist,
wobei die Zusammensetzung die eine oder die mehreren Substanzen der Komponente d) in Mengen von 0,5 bis 1000 ppm enthält, bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung."
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
2.1 D10 offenbart wässrige Bleichzusammensetzungen. Die Ausführungsbeispiele V und VIII der Tabelle auf Seiten 10 und 11 enthalten Wasserstoffperoxid, Wasser, sowie 2-Hydroxypyridin-N-oxid, eine Verbindung gemäß Formel (I) der vorliegenden Ansprüche in tautomerer Schreibweise. Dies entspricht den vorliegenden Anspruchsmerkmalen a), b) und d).
Des weiteren enthalten diese Zusammensetzungen ein als MA/AA bezeichnetes Polymer, das laut Legende der Tabelle ein Copolymer aus Malein- und Acrylsäure (MA/AA) mit einem Molekulargewicht von ungefähr 70000 ist.
Dies war unstrittig.
2.2 Strittig war, ob dieses Polymer ein Polymer mit verdickenden Eigenschaften im Sinne des Merkmals c) des Anspruchs darstellt.
2.2.1 Die Beschwerdeführerin hat auf das Patent selbst verwiesen, das in Absatz [0017] beschreibt, welche Polymere als Polymer mit verdickenden Eigenschaften im Sinne des Anspruchs zu verstehen sind. Darunter fallen solche Polymere, die ein Molekulargewicht oberhalb von 5 000 g/mol besitzen und in einem Gewichtsanteil von bis zu 30% eine etwa 30 %ige Erhöhung der Viskosität der beschriebenen wässrigen Lösungen hervorrufen. Gemäß Absatz [0020] sind dies insbesondere Polymere auf der Basis von etwa Acrylsäure. Das MA/AA-Copolymer mit einem Molekulargewicht von 70000 sei daher ein Polymer mit verdickenden Eigenschaften. Verdickende Eigenschaften eines solchen Polymers seien auch in dem Testbericht D13 gezeigt.
2.2.2 Die Beschwerdegegnerin hat eingewandt, nicht alle Acrylatpolymere hätten verdickende Eigenschaften. Dies hänge von der Löslichkeit des Polymers und dem pH-Wert der Zusammensetzung ab, wie auch in Absatz [0003] des Patents beschrieben. In D10 sei nicht beschrieben, welches Polymer genau verwendet werde, so dass die Daten in D13 nicht aussagekräftig seien; es sei ja nicht klar, ob in D13 dasselbe Polymer verwendet worden sei, wie in D10. D10 erwähne keine verdickenden Eigenschaften des Polymers. Nicht die Beschwerdegegnerin müsse nachweisen, dass solche Eigenschaften tatsächlich nicht vorhanden seien, vielmehr liege die Beweislast auf Seiten der Beschwerdeführerin. Im Ergebnis enthalte die D10 keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung einer Zusammensetzung gemäß Anspruch 1.
2.2.3 Nach Ansicht der Kammer offenbart D10 sehr wohl unmittelbar und eindeutig Zusammensetzungen wie vorliegend beansprucht. Die MA/AA-Copolymere in Beispielen V und VIII sind Polymere mit verdickenden Eigenschaften gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags.
Die Beschwerdeführerin hat zurecht darauf hingewiesen, dass MA/AA-Polymere wie in D10 beschrieben unter die generische Definition der verdickenden Polymere im Patent selbst fallen, siehe Absatz [0017]. Ein gegenteiliges Vorbringen der Beschwerdegegnerin hätte hier durch Daten oder schlüssige Argumente untermauert werden müssen. Zudem wurde in D13 gezeigt, dass eine zweiprozentige Lösung eines solchen Polymers in einer den Beispielen der D10 entsprechenden Zusammensetzung zu einer Erhöhung der Viskosität um etwa 80% führt.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, es sei nicht klar, welches Polymer genau in D10 verwendet wurde, ist nicht überzeugend. Die Beschwerdeführerin hat in D13 nachgewiesen, dass ein MA/AA-Copolymer mit einem Molekulargewicht von 70000 verdickende Eigenschaften hat. Insofern hat die Beschwerdeführerin ihrer Beweispflicht genüge getan. Dass manche MA/AA-Copolymere mit dem offenbarten Molekulargewicht möglicherweise auch nicht verdickend wirken könnten, ist eine unbelegte Behauptung der Beschwerdegegnerin. Sie wäre insofern in der Pflicht gewesen, nachzuweisen, dass diese Situation in D10 vorliegen kann.
Der Verweis der Beschwerdegegnerin auf die in Absatz [0003] des Patents beschriebenen problematischen Verdickungseigenschaften von Polyacrylaten in saurem Milieu geht schon deshalb ins Leere, weil der vorliegende Anspruch keinen pH-Wert definiert, bei dem solche Eigenschaften vorliegen müssten. Im übrigen haben die getesteten Zusammensetzungen in D13 einen leicht sauren pH-Wert von ca. 6, genauso wie das entsprechende Beispiel V in D10, was offenbar einer Verdickung der Lösungen nicht entgegensteht.
2.2.4 Die Parteien waren sich uneins, ob das in D10 offenbarte MA/AA-Copolymer dem Markenprodukt Sokalan CP5 entspricht, das in D10 auf Seiten 5, Zeilen 34/35 als besonders bevorzugtes MA/AA-Copolymer genannt ist. Für dieses Polymer ist in dem Datenblatt D12 beschrieben, dass es verdickend wirkt. Da dem vorliegenden Anspruch aber bereits aus den oben angegebenen Gründen Neuheit abgesprochen werden muss, ist dies für die Entscheidung unerheblich.
2.3 Anspruch 1 des Hauptantrags ist daher nicht neu gegenüber D10. Die anderen vorgebrachten Neuheitseinwände gegenüber D7 und D8 können somit unbeachtet bleiben.
Hilfsantrag 1
3. Zulässigkeit
3.1 Die Beschwerdeführerin hat darauf hingewiesen, dass der Hilfsantrag 1 in der vorliegenden Fassung erst am 16. Januar 2020 eingereicht wurde. Insbesondere wurde im Vergleich zur im Einspruchsverfahren vorgelegten Version des ersten Hilfsantrags, auf den die Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung Bezug nahm, der abhängige Anspruch 15 geändert. Dort wurde die Mengenangabe der Komponente d) von 0,1 ppm bis 2 Gew.% auf 1 bis 100 ppm geändert, um im Bereich der in Anspruch 1 definierten Mengenangabe zu bleiben.
Die Beschwerdeführerin war daher der Auffassung, der Hilfsantrag 1 sei verspätet und dürfe unter Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht mehr ins Verfahren zugelassen werden.
Außerdem sei eine Änderung nur in einem abhängigen Anspruch zur Behebung eines Klarheitsmangels unter Regel 80 EPÜ nicht erlaubt, da dies keinen Einspruchsgrund ausräume.
3.2 Die Kammer kann sich diesem Vorbringen nicht anschließen.
3.2.1 Artikel 12(4) VOBK 2007 stellt es ins Ermessen der Kammer, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im Einspruchsverfahren eingereicht hätten werden können oder dort nicht zugelassen wurden.
Im vorliegenden Fall wurde bei dem im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsantrag 1 offenbar versäumt, den abhängigen Anspruch 15 an den geänderten Anspruch 1 anzupassen. Dies fiel weder den Parteien noch der Einspruchsabteilung auf; der Antrag war im Einspruchsverfahren letztlich auch nicht entscheidungsrelevant. Die Kammer sieht kein Problem darin, dieses Versäumnis im Beschwerdeverfahren nachzuholen, denn an der Substanz des Antrags ändert sich dadurch nichts.
3.2.2 Regel 80 EPÜ bezieht sich auf Änderungen des erteilten Patents im Einspruchsverfahren und ist gemäß Regel 100(1) EPÜ auch im Beschwerdeverfahren anwendbar. Sie regelt die Zulässigkeit von Änderungen des Patents im Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahrens. Änderungen des Patents sind zulässig, solange sie durch einen Einspruchsgrund veranlasst sind, selbst wenn dieser von der Einsprechenden nicht vorgebracht wurde.
Im Vergleich zum erteilten Patent wurde in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 eine Beschränkung eingeführt, indem der Anteil der Komponente d) definiert wurde. Zudem wurde auch der zweite unabhängige Anspruch 20 beschränkt, indem ein Rückbezug auf Zusammensetzungen des Anspruchs 1 eingeführt wurde. Diese Beschränkungen der unabhängigen Ansprüche sind durch einen Einspruchsgrund veranlasst, nämlich durch mangelnde Neuheit unter Artikel 100(a) EPÜ, und daher zulässig. Dass dabei abhängige Ansprüche entsprechend angepasst werden müssen, ist selbstverständlich, da ansonsten das Patent nicht unter Artikel 101(3)(a) EPÜ aufrechterhalten werden könnte. Gemäß G 3/14 (Abl. 2015, A102) wäre ein solcher durch die Änderung nur des Hauptanspruchs hervorgerufener Widerspruch im Anspruchssatz ein Klarheitsmangel, der im Einspruchverfahren zu prüfen und gegebenenfalls zu beheben wäre.
Regel 80 EPÜ regelt das Verhältnis zwischen dem erteilten Patent und im Einspruchsverfahren gemachten Änderungen, nicht das Verhältnis verschiedener geänderter Fassungen untereinander. Regel 80 EPÜ steht daher der Zulässigkeit des vorgelegten ersten Hilfsantrags nicht entgegen.
3.3 Der Hilfsantrag 1 wird daher ins Verfahren zugelassen.
4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 verlangt, dass die Komponente d) der Zusammensetzung, also die Verbindung der Formel (I), in Mengen von 0,5 bis 1000 ppm bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung enthalten ist.
In Beispielen V und VIII der D10 ist 2-Hydroxypyridin-N-oxid in jeweils in einer Menge von 0,5 Gew.%, entsprechend 5000 ppm, enthalten.
Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, keine Neuheitseinwände gegen den Hilfsantrag 1 zu haben und auch die Kammer sieht solche nicht.
Neuheit ist daher gegeben.
5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Das Patent beschäftigt sich mit dem Problem, lagerstabile verdickte Peroxidbleichen herzustellen, siehe etwa Absätze [0009] bis [0011] der Beschreibung. Es soll vermieden werden, dass die Viskosität der Formulierungen mit der Zeit zu stark abnimmt.
5.1 Nächster Stand der Technik
Im Einspruchsverfahren wurden D4 und D5 als nächster Stand der Technik angesehen. Sowohl D4 (siehe etwa Absatz [0017]) als auch D5 (siehe etwa Spalte 4, "Summary of the invention") beschäftigen sich mit der Stabilisierung verdickter Peroxidlösungen und damit mit demselben Problem wie das Patent. Beide sind daher als nächster Stand der Technik geeignet.
Die Beschwerdeführerin hat auch D10 als nächsten Stand der Technik angeführt, da D10 neuheitsschädlich für die Ansprüche des Hauptantrags ist. Allerdings wird in D10 das Problem der Stabilität verdickter Lösungen nicht erwähnt; die Verdickung der Lösungen ist ja nur implizit offenbart. D10 wäre daher vom Fachmann nicht als Ausgangspunkt für die im Patent definierte Aufgabenstellung gewählt worden.
Der Unterschied der beanspruchten Zusammensetzungen im Vergleich zu denen der D4 und D5 war unstrittig und liegt in der als Komponente d) verwendeten 2-Hydroxypyrinin-N-oxide als Stabilisatoren. Die Zusammensetzungen der D4 verwenden hierfür ein System aus Stannaten, Phosphaten und aromatischen bzw. heteroaromatischen Verbindungen (siehe Anspruch 1), die unter anderem auch 2-Hydroxypyridine enthalten können (siehe Absatz [0027]). Diese Stabilisatoren führen zu rheologischer Stabilisierung (siehe Beispiele). D5 verwendet als Stabilisatoren substituierte Aromaten (siehe etwa Anspruch 1).
5.2 Aufgabe und Lösung
5.2.1 Bezüglich der ausgehend von D4/D5 von den beanspruchten Zusammensetzungen gelösten technischen Aufgabe waren die Parteien unterschiedlicher Meinung. Die Beschwerdegegnerin war der Ansicht, die beanspruchten Zusammensetzungen seien verglichen zu denen der D4/D5 weniger toxisch und hätten eine erhöhte rheologische Stabilität. Die Beschwerdeführerin war demgegenüber der Ansicht, solche verbesserten Eigenschaften seien nicht nachgewiesen und die technische Aufgabe sei daher lediglich, alternative stabilisierte Zusammensetzungen aufzufinden.
Die Kammer folgt in diesem Punkt der Beschwerdeführerin insofern, als sie ebenfalls keine durch die Verwendung der anspruchsgemäßen Stabilisatoren verursachte verbesserte Eigenschaften gegenüber D4/D5 bewiesen sieht. Schlüssige Vergleichstests liegen nicht vor; auch die Einspruchsabteilung war zu dieser Auffassung gelangt (siehe Punkt 5.3 der angefochtenen Entscheidung). Die technische Aufgabe kann zunächst nur darin gesehen werden, ausgehend von D4/D5 alternative rheologisch stabilisierte Zusammensetzungen aufzufinden. Da, wie im folgenden ausgeführt, die beanspruchte Lösung selbst dieser Aufgabe nicht naheliegend war, ist eine detaillierte Begründung für den nicht ausreichenden Nachweis verbesserter Eigenschaften gegenüber D4/D5 nicht notwendig.
Zusammenfassend bestand ausgehend von D4/D5 die technische Aufgabe darin, alternative rheologisch stabilisierte verdickte wasserstoffperoxidhaltige Zusammensetzungen zu suchen.
5.2.2 Die Beschwerdeführerin hatte in ihren schriftlichen Eingaben bestritten, dass diese Aufgabe gelöst wurde. Sie bestritt insbesondere, dass aus den Daten im Patent eine rheologische Stabilisierung der Zusammensetzungen über den beanspruchten Bereich erreicht wird. Sie brachte vor, alle Beispiele im Patent beträfen Lösungen mit 5,8 bis 6,7 Gew.% Wasserstoffperoxid und einer Viskosität von 1320 bis 15700 mPas; außerhalb dieser Bereiche lägen keine Daten vor. Es sei auch nicht glaubhaft, dass eine rheologische Stabilisierung für alle möglichen Polymere erreicht werde, die ja unterschiedliche chemische und physikalische Eigenschaften hätten. Unter Bezug auf ihren Testbericht D14 brachte sie vor, ein Anteil von 5 ppm 2-Hydroxypyridin-N-oxid habe keinen Einfluss auf die rheologische Stabilität von mit Xanthan verdickten Zusammensetzungen. Außerdem sei kein stabilisierender Effekt der Verbindungen (I) in Bezug auf den Gehalt an Wasserstoffperoxid nachgewiesen.
Die Kammer folgt diesem Vorbringen nicht. Wie von der Beschwerdegegnerin richtig angeführt, illustrieren die Beispiele den Effekt der beanspruchten 2-Hydroxypyridin-N-oxide auf verschiedene Verdickerpolymere unterschiedlicher chemischer Natur (Assoziativverdicker, sulfonierte Acrylate, Xanthan, Cellulosederivate, Polyethylenglykol). In allen Fällen wurde im Vergleich zur unstabilisierten Zusammensetzung eine Verringerung der Viskositätsabnahme während der Lagerzeit beobachtet, bei gleichzeitig im wesentlichen konstanter Konzentration an Wasserstoffperoxid. Dass eine rheologische Stabilisierung von Zusammensetzungen, die andere als die getesteten Polymere oder andere Konzentrationen an Wasserstoffperoxid enthalten, nicht erfolgen würde, ist eine unbelegte Behauptung der Beschwerdeführerin. Zwar zeigt der Testbericht D14 unter den gewählten Bedingungen tatsächlich keinen positiven Einfluss der Anwesenheit von 5 ppm 2-Hydroxypyridin-N-oxid auf die Viskosität der Zusammensetzung nach 12 Tagen. Allerdings hat die Beschwerdegegnerin zu Recht darauf hingewiesen, dass unter den gewählten Versuchsbedingungen gar kein Abbau des Polymers stattfindet, da die Viskosität der unstabilisierten Zusammensetzung ebenfalls konstant bleibt. Dies ist daher kein Hinweis auf eine mangelnde Wirksamkeit des Stabilisators.
Die technische Aufgabe, alternative rheologisch stabilisierte verdickte wasserstoffperoxidhaltige Zusammensetzungen zu suchen, wurde daher nach Überzeugung der Kammer durch die beanspruchten Zusammensetzungen gelöst, die sich durch die Verwendung der im Anspruch als Komponente d) bezeichneten 2-Hydroxypyridin-N-oxide in den beanspruchten Mengen auszeichnen.
5.3 Naheliegen der Lösung
5.3.1 Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, die Verwendung der Verbindungen (I) sei aus dem Stand der Technik nahegelegt.
Bereits in D4 seien sehr ähnliche rheologische Stabilisatoren offenbart, etwa 6-Hydroxypicolinsäure in Absatz [0027]. Ein Fachmann hätte nur geringe strukturelle Änderungen vornehmen müssen, um zu den beanspruchten Verbindungen (I) zu gelangen.
In D7 seien N-Hydroxypyridone der Formel (I) und insbesondere das Tautomere 2-Hydroxypyridin-N-oxid auf Seite 5 genannt. Gleiches gelte für D8 (Seite 19), wo diese Verbindungen als Stabilisatoren genannt seien. Beide Dokumente beträfen verdickte Wasserstoffperoxidlösungen. Ein Fachmann hätte daher gewusst, dass diese Verbindungen als Stabilisatoren solcher Zusammensetzungen eingesetzt werden könnten, zumal etwa das Phosphonat DEQUEST sowohl in D7 (Seite 5) als auch in D4 (Absatz [0024]) beschrieben sei. Ausgehend von D4/D5 hätte er daher Verbindungen (I) gemäß Anspruch 1 als Alternative zu den in D4/D5 verwendeten rheologischen Stabilisatoren verwendet.
5.3.2 Die Beschwerdegegnerin hat demgegenüber argumentiert, ein Fachmann hätte D4/D5 nicht mit D7/D8 kombiniert. Es bestünde keine Motivation, einzelne Merkmale aus D7 und D8 auf die Lehre der D4/D5 zu übertragen.
5.3.3 Es ist richtig, dass in D4 Pyridinderivate, zum Beispiel 2-Hydroxypicolinsäure, als rheologische Stabilisatoren beschrieben sind. Ein Fachmann hätte aber in D4 keinerlei Hinweis gefunden, auch entsprechende N-Oxide seien für diesen Zweck geeignet. Aus D4 alleine sind die beanspruchten Zusammensetzungen daher nicht nahegelegt.
5.3.4 D7 beschäftigt sich mit wässrigen Lösungen von Wasserstoffbleichen zur Fleckentfernung, die chemisch stabil sein und eine effektive Desinfektion ermöglichen sollen (Seite 2, zweiter und dritter vollständiger Absatz). Diese Zusammensetzungen enthalten eine Peroxidbleiche, einen Radikalfänger, einen Puffer und einen Chelatbildner (siehe "Summary of the invention" auf Seiten 3 und 4). Verbindungen (I) sind dort Chelatbildner, die unter anderem zur chemischen Stabilität der peroxidhaltigen Zusammensetzungen beitragen (Seiten 5 und 6). Die Zusammensetzungen der D7 können als optionalen Bestandteil auch verdickende Polymere enthalten (siehe Seite 17 unten bis Seite 19).
Nirgendwo in D7 ist allerdings beschrieben, geschweige denn durch Daten belegt, dass die dort beschriebenen Chelatbildner 2-Hydroxypyridin-N-oxid oder ähnliche Verbindungen der Formel (I) die Zusammensetzungen rheologisch stabilisieren; die Ausführungsbeispiele enthalten weder verdickende Polymere noch Verbindungen (I). Zwar ist beschrieben, dass diese Verbindungen die chemische Stabilität der Zusammensetzungen verbessern sollen, wie von der Beschwerdeführerin angeführt. Allerdings ist die chemische Stabilität nur im Zusammenhang mit Peroxiden erwähnt (Seite 6, erster vollständiger Absatz) und auch der letzte Satz der Beschreibung auf Seite 24 macht klar, dass mit chemischer Stabilität die Stabilität des Peroxids gemeint ist ("oxygen loss"). Aufrechterhaltung der Viskosität, sofern die Zusammensetzungen überhaupt ein verdickendes Polymer enthalten, wird in D7 nicht thematisiert. Ein Fachmann hatte aus D7 keine Informationen, dass die Verbindungen (I) zur rheologischen Stabilisierung von verdickten wasserstoffperoxidhaltigen Zusammensetzungen geeignet sind. Aus der Nennung der Phosphonate DEQUEST in D7 und in D4 lassen sich ohne Kenntnis des Streitpatents keine Rückschlüsse auf die Wirkung der Verbindungen (I) ziehen.
5.3.5 Ähnliches gilt für D8, das Peroxidbleichen zur Teppichreinigung offenbart (Seite 4, "Summary of the invention"). Diese Zusammensetzungen werden aus einem Container als Spray appliziert. Die Zusammensetzungen können Polymere enthalten (Seite 9ff.), beispielsweise MA/AA (Seite 10 unten), die der Suspendierung von Schmutzpartikeln dienen und die Reinigungswirkung erhöhen, indem sie die Bildung klebriger Rückstände auf den Teppichen verhindern (Seite 12 erster vollständiger Absatz). 2-Hydroxypyridin-N-oxide und andere Verbindungen der Formel (I) sind auf Seite 19ff im Kapitel Stabilisatoren erwähnt, neben anderen als Chelatbildnern bezeichneten Substanzen. Über den Effekt dieser Verbindungen wird nichts offenbart; Viskosität und deren Aufrechterhaltung ist in D8 kein Thema. Dass Verbindungen (I) zur rheologischen Stabilisierung der Zusammensetzung beitragen, ist in D8 nicht beschrieben.
5.3.6 Wenn ein Fachmann nun ausgehend von D4/D5 vor der Aufgabe steht, alternative rheologisch stabile Zusammensetzungen zu finden, so wird er sich Dokumenten zuwenden, die in irgendeiner Weise rheologische Stabilität zum Thema haben. Er könnte dann etwa einzelne Komponenten, die in derartigen Dokumenten als nützlich zur Aufrechterhaltung rheologischer Stabilität beschrieben sind, den Zusammensetzungen aus D4/D5 hinzufügen oder entsprechende Komponenten ersetzen.
Im vorliegenden Fall ist es aber so, dass die von der Beschwerdeführerin angeführten Dokumente D7 und D8 das den Fachmann interessierende Problem, nämlich die rheologische Stabilität, überhaupt nicht erwähnen. Auf Viskositätsschwankungen während der Lagerung, und wie diese gegebenenfalls zu verhindern seien, wird nicht eingegangen.
Ein Fachmann hatte daher gar keine Veranlassung, sich zur Lösung der gestellten Aufgabe diesen Dokumenten zuzuwenden. Die alleinige Tatsache, dass, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, die Dokumente auf dem gleichen oder einem ähnlichen technischen Gebiet liegen, nämlich peroxidhaltigen Zusammensetzungen, reicht hierfür nicht aus. Der Fachmann ist ja auf der Suche nach der Lösung eines spezifischen Problems, nämlich verdickte Lösungen rheologisch stabil zu halten, und sucht nach Dokumenten, die ihm bei dessen Lösung weiterhelfen. Da D7 oder D8 nicht auf das den Fachmann interessierende Problem eingehen, geben sie ihm auch keine Hinweise zu dessen Lösung.
5.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Fachmann ausgehend von D4/D5 zur Lösung des ihm gestellten technischen Problems die Dokumente D7/D8 nicht zu Rate gezogen hätte, und selbst wenn, ihm diese keine Hinweise zur beanspruchten Lösung gegeben hätten.
Erfinderische Tätigkeit ist daher gegeben.
6. Das Patent kann unter Artikel 101(3)(a)EPÜ auf Basis der Ansprüche des ersten Hilfsantrags aufrechterhalten werden. Die weiteren Hilfsanträge bleiben unbeachtet.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent aufrecht zu erhalten auf der Grundlage des mit Schreiben vom 16. Januar 2020 eingereichten Hilfsantrags 1 (Ansprüche 1 bis 22) und einer daran anzupassenden Beschreibung.