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T 2357/17 08-06-2021
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POLYCARBONATZUSAMMENSETZUNGEN MIT VERBESSERTEN OPTISCHEN UND THERMISCHEN EIGENSCHAFTEN
Erfinderische Tätigkeit - Alle Anträge (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (Hilfsantrag 4: ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 10. August 2017 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. EP 2 558 515 zurückgewiesen wurde.
II. Anspruch 1 des erteilten Patents lautete wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von Polycarbonaten enthaltend Struktureinheiten der allgemeinen Formel (I):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
mit R**(1) und R**(2) unabhängig voneinander H, Halogen, C1-C8-Alkyl, C5-C6-Cycloalkyl, C6-C10-Aryl und C7-C12-Arylalkyl, mit m gleich 4 oder 5, mit R3 und R4 für jedes X frei wählbar und unabhängig voneinander H oder C1-C8-Alkyl, mit X gleich Kohlenstoff,
nach dem Grenzflächenverfahren oder dem Schmelzeumesterungsverfahren, dadurch gekennzeichnet, dass die zur Herstellung des Polycarbonats eingesetzten Bisphenole einen Schwefelgehalt von weniger als 1,5 ppm aufweisen."
III. In der angefochtenen Entscheidung wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:| |
D1: EP 0 359 953 A1
D2: US 6 673 975 B1
D6: JP 2006-028391 (Computerübersetzung)
IV. In ihrer Entscheidung befand die Einspruchsabteilung unter anderem, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 erfinderisch ausgehend von D6 als nächstliegendem Stand der Technik sei. In diesem Zusammenhang merkte die Einspruchsabteilung an, dass während das Dokument D6 sich, wie das Streitpatent, mit den Farbeigenschaften und Thermoalterung von Polycarbonaten beschäftige, dies nicht der Fall für D1 sei. Daher sei D1 weiter als D6 vom Gegenstand der erteilten Ansprüche entfernt. Aus diesem Grund wurde die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik in der angefochtenen Entscheidung nicht behandelt.
V. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. Mit der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VI. Mit der Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage einer der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterschied sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Polycarbonate ferner wie folgt definiert wurden:
", wobei die Polycarbonate zusätzlich eine oder mehrere Struktureinheiten der Formel (III) enthalten
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK,
wobei Z für einen aromatischen oder alkylaromatischen Rest steht,".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterschied sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dadurch, dass Formel (I) durch folgende Formel (II) ersetzt wurde (und daher die Definitionen von m, R**(3), R**(4) und X, die nicht mehr nötig waren, gestrichen wurden):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterschied sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 dadurch, dass folgende Merkmale am Ende des Anspruchs angegeben wurden:
", und dass die Polycarbonate Copolymere aus 1,1-Bis-(4-Hydroxyphenyl)-3,3,5-Trimethylcyclohexan (BPTMC) und Bisphenol A im molaren Anteil von BPTMC an der Gesamtzahl der Mole an eingesetzten Bisphenolen von 2 bis 90 Mol% BPTMC, sind."
VII. Mit Schriftsatz vom 8. August 2019 reichte die Beschwerdeführerin das Dokument D11 ein und beantragte seine Zulassung ins Verfahren. Einwände der fehlenden Neuheit und der fehlenden erfinderischen Tätigkeit basierend auf D11 wurden ferner erhoben.
VIII. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2019 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung geladen.
IX. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2019 beantragte die Beschwerdegegnerin, das Dokument D11 nicht in das Verfahren zuzulassen. Ferner reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen Hilfsantrag 4 ein und beantragte seine Zulassung ins Verfahren.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterschied sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 dadurch, dass der Grenzwert für den Schwefelgehalt auf 1,0 ppm (anstatt von 1,5 ppm) geändert wurde.
X. In einem Bescheid vom 20. April 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung mit. Es wurde insbesondere dargelegt, dass die beiden Entgegenhaltungen D1 und D6 geeignete Ausgangspunkte für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu sein scheinen, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht (Abschnitte 6.1.5 und 6.1.6). Ferner wurde angegeben, dass, sofern D1 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werde, die Formulierung der gegenüber D1 tatsächlich gelösten Aufgabe während der mündlichen Verhandlung zu diskutieren (Alternative oder Verbesserung) wäre (Abschnitt 6.3.4). Diesbezüglich könnte insbesondere zu besprechen sein, ob die tatsächlich gelöste Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses (wie von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagen: "spritzfrisch" YI < 2,0; YI nach Thermoalterung < 7.0) oder eher in Form eines relativen Ergebnisses (verringerte Vergilbung sowohl spritzfrisch als nach Thermoalterung) zu formulieren sei.
XI. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Juni 2021 als Videokonferenz mit Zustimmung beider Parteien statt.
XII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
a) D1 gehöre zum gleichen technischen Gebiet wie das Streitpatent und offenbare ähnliche Polycarbonate. D1 löse ebenfalls die Aufgabe, Polycarbonate mit gutem Hitzewiderstand bereitzustellen und offenbare ferner ähnliche Anwendungen für diese Polycarbonate wie im Streitpatent. Insbesondere werden in den Beispielen von D1 Polycarbonate durch ein Grenzflächenverfahren hergestellt, wobei Homo- oder Copolycarbonate aus den gleichen Monomeren wie im Streitpatent vorbereitet werden. Somit sei D1 ein geeigneter nächstliegender Stand der Technik für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
b) Ausgehend von einem Verfahren gemäß entweder Beispiel B.1 (Polycarbonat-Homopolymer) oder B.2 (Copolycarbonat) von D1 als nächstliegendem Stand der Technik, unterscheide sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von diesen Verfahren dadurch, dass er einen spezifischen Schwefelgehalt der verwendeten Bisphenole vorschreibe, der in D1 nicht offenbart sei und für den keine weiteren Informationen in der Akte vorhanden seien.
Angesichts der Beispiele des Streitpatents sei es glaubhaft, dass das beanspruchte Verfahren ermögliche, Polycarbonate mit verringerter Vergilbung sowohl spritzfrisch (d.h. direkt nach der Herstellung) als auch nach Thermoalterung bereitzustellen. Jedoch sei die Formulierung der gelösten Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses, wie von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagen, nicht zulässig. In diesem Zusammenhang sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es bekannt sei, dass ein Vergilbungswert ohne die Angabe der Dicke der hergestellten untersuchten Proben, keine Bedeutung habe. Da das Streitpatent die Dicke der hergestellten Polycarbonatproben, an denen die Farbeigenschaften gemessen werden, nicht angebe, seien die von der Beschwerdegegnerin angegebenen absoluten Werte der Farbeigenschaften irrelevant. Darüber hinaus wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebracht, dass die von der Beschwerdegegnerin mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Daten (Diagramm 1, Tabelle 2) zeigen, dass diese absoluten Ergebnisse in bestimmten Fälle, sogar von der Beschwerdegegnerin selbst, nicht erreicht worden seien. Dies zeige, dass die von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagene Aufgabe in der gesamten Breite des geltenden Anspruchs 1 nicht gelöst sei.
Obwohl sich D6 nicht in ersten Linie mit der Herstellung von Polycarbonaten befasse, die eine Struktureinheit (I) gemäß dem erteilten Anspruch 1 umfassen, gehören Copolymere, die eine solche Einheit umfassen, zur Lehre von D6. Die Struktureinheit (1) der D6 ergebe sich auf jeden Fall aus einem bei der Herstellung des Polycarbonats eingesetzten Bisphenol, ebenso wie die Struktureinheit (I) gemäß dem Streitpatent. Somit würde der Fachmann die Lehre der D6 wohl in Betracht ziehen, um die gestellte Aufgabe gegenüber D1 zu lösen. Obwohl D6 nicht explizit die gleichen Effekte wie im Streitpatent offenbare, betreffe diese Entgegenhaltung ähnliche Effekte. Aus D6 (insbesondere Tabelle 1) lasse sich ferner ableiten, dass mit zunehmendem Schwefelgehalt der BCF (d.h. Bisphenol)-Struktureinheit sowohl die Gelbfärbung bei der Herstellung als auch nach Thermoalterung zunehmen. Somit würde der Fachmann, der die Gelbfärbung bei der Herstellung und nach Thermoalterung von gemäß D1 hergestellten Polycarbonaten reduzieren wolle, angesichts der Lehre von D6 durch Analogie den Schwefelgehalt der in D1 verwendeten Bisphenole kontrollieren/reduzieren. Der Wert von 1,5 ppm sei willkürlich festgelegt worden. In diesem Zusammenhang zeigen die Beispiele der D6 bereits, dass die Veränderung der Vergilbung (sowohl spritzfrisch als auch nach Thermoalterung) in Abhängigkeit des Schwefelgehalts der eingesetzten Bisphenole nicht linear sei. Somit trage der Wert des Schwefelgehalts von 1,5 ppm nicht zur erfinderischen Tätigkeit bei.
Da die in D6 und im Streitpatent genannten Bestimmungsmethoden der Vergilbung nach Herstellung (spritzfrisch) und nach Thermoalterung unterschiedlich seien, sei es ferner nicht möglich, die Werte in D6 und im Streitpatent miteinander zu vergleichen. Dies sei insbesondere relevant, da die Thermoalterungsbedingungen in D6 strenger als im Streitpatent seien.
Schließlich sei aus z.B. D2 bekannt, Bisphenole, die zu Struktureinheiten der Formel (I) führen, mit einem sehr geringen Schwefelgehalt herzustellen. Daher könne die Vorbereitung solcher Komponenten auch nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.
Aus diesen Gründen sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik nicht erfinderisch.
Hilfsanträge 1 bis 3 - Erfinderische Tätigkeit
c) Die für den Anspruch 1 des Hauptantrags vorgebrachten Argumente bezüglich der erfinderischen Tätigkeit gälten gleichermaßen für den Anspruch 1 der jeweiligen Hilfsanträge 1 bis 3.
Hilfsantrag 4 - Zulassung
d) Der Hilfsantrag 4 sei spät und ausschließlich in Reaktion auf die Eingaben der Beschwerdeführerin bezüglich D11 eingereicht worden. Da D11 für die von der Kammer während der mündlichen Verhandlung getroffene Entscheidung bezüglich der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 3 irrelevant sei, gebe es keine Rechtfertigung für die Zulassung des Hilfsantrags 4. Aus diesen Gründen sei der Hilfsantrag 4 nicht zuzulassen.
Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit
e) Selbst wenn der Einwand, dass angesichts der Daten der Beschwerdegegnerin die tatsächlich gelöste Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses
auf der gesamten Anspruchsbreite nicht gelöst sei, durch die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 durchgeführten Änderungen ausgeräumt worden sei, bleibe der Einwand, dass die Formulierung dieser Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses mangels der Angabe der Dicke der bei der Farbmessungen untersuchten Proben nicht möglich sei, immer noch gültig. Somit gebe es keinen Grund die tatsächlich gelöste Aufgabe für Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 anders als für Anspruch 1 des Hauptantrags zu formulieren.
Es sei ferner aus den gleichen Gründen wie für den Hauptantrag naheliegend, angesichts der Lehre von D1 in Kombination mit D6, diese Aufgabe durch Kontrolle/Reduzierung des Schwefelgehalts der zur Herstellung des Polycarbonats eingesetzten Bisphenole auf weniger als 1 ppm (anstatt von 1,5 ppm) zu lösen.
Aus diesen Gründen sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik aus den gleichen Gründen wie für Anspruch 1 des Hauptantrags nicht erfinderisch.
XIII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
a) Nach der gängigen Praxis des EPA stelle nicht jenes Dokument den nächstliegenden Stand der Technik dar, welches strukturell die meisten Übereinstimmungen mit dem erfindungsgemäßen Gegenstand aufweise, sondern dasjenige, welches auf denselben Zweck gerichtet sei. Es sei der Einspruchsabteilung zuzustimmen, dass sich D6, wie das Streitpatent, mit der Thermoalterung von Polycarbonaten beschäftige. Dieses sei jedoch bei D1 nicht der Fall. Daher habe die Einspruchsabteilung richtigerweise Dokument D6 als nächstliegenden Stand der Technik ausgesucht. Auf jeden Fall sei D6 ein geeigneterer Startpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als D1.
b) Solle jedoch D1 als nächstliegender Stand der Technik betrachtet werden, unterscheide sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von den Verfahren gemäß Beispiel B.1 bzw. Beispiel B.2 der D1 dadurch, dass er einen spezifischen Schwefelgehalt der verwendeten Bisphenole vorschreibe, der in D1 nicht offenbart sei und für den keine weiteren Informationen in der Akte vorhanden seien.
Die gegenüber D1 gelöste technische Aufgabe liege in der Bereitstellung eines Verfahrens, welches zu Polycarbonaten mit verbesserter Hitzebeständigkeit führe, welche sowohl durch einen Yellownessindex (YI) von weniger als 2,0 bei der Herstellung ("spritzfrisch") als auch durch einen YI von weniger als 7,0 nach 250 Stunden bei 150°C ("Thermoalterung") bestimmt werde. Die Beispiele des Streitpatents zeigen, dass diese Aufgabe tatsächlich gelöst sei und die Obergrenze von 1,5 ppm Schwefelgehalt nicht willkürlich sei. Diese Schlussfolgerung sei ferner durch die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Daten bestätigt (Diagramme 1 und 2; Tabelle 2). Die Tatsache, dass die Dicke der im Streitpatent hergestellten Polycarbonatproben, bei denen die Farbmessungen durchgeführt worden seien, nicht angegeben sei, sei nicht entscheidend, da der Fachmann wisse, dass für solche Messungen in der Regel Proben von ca. 4 mm verwendet werden.
D1 enthalte keinen Hinweis auf den Schwefelgehalt der eingesetzten Bisphenole, geschweige denn auf die damit verbundene Wirkung. Somit könne D1 selbst nicht auf den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 hindeuten.
Wie im Absatz 5 des Streitpatents dargelegt, weise eine Reihe von Dokumenten des Standes der Technik darauf hin, dass die Anwesenheit von Schwefelverbindungen in größeren Mengen sowohl in Bisphenolen als auch in Polycarbonaten einen positiven Einfluss auf die Farbe des Polycarbonats habe. Daher müsse ein Vorurteil überwunden werden, um zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents zu gelangen.
D6 beschäftige sich mit der Herstellung von Polycarbonaten aus einem Bisphenol mit einer Fluorengruppe. Ein solches Bisphenol sei nicht dazu geeignet, ein Polycarbonat enthaltend die Struktureinheit der allgemeinen Formel (I) gemäß D1herzustellen. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin ähnele die Struktur (1) des Bisphenols in D6 auch nicht der Struktureinheit der allgemeinen Formel (I) der D1, da letztere keine Fluoren- oder sonstige Gruppe enthaltend einen polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffrest aufweise. Daher zöge ein Fachmann, ausgehend von D1 und vor die oben definierte Aufgabe gestellt, D6 nicht zu Rate.
Die von der Beschwerdeführerin aus der Tabelle 1 der D6 gezogenen Schlussfolgerungen basieren auf einer rückschauenden Betrachtungsweise, was nicht zulässig sei. Ein Vergleich der Farbänderung von Beispiel 2 mit Vergleichsbeispiel 1 der D6 zeige ferner, dass mit einem niedrigen Schwefelgehalt eine höhere Vergilbung erreicht werde. Somit könne aus D6 nicht geschlossen werden, dass die Vergilbung von Polycarbonaten durch Kontrolle des Schwefelgehalts der eingesetzten Bisphenole verringert werden könne. Somit können aus der Offenbarung von D6 keine Rückschlüsse gezogen werden, in welcher Weise der Schwefelgehalt von Bisphenolen mit der Struktureinheit der allgemeinen Formel (I) die Thermoalterung von Polycarbonaten beeinflusse, die mit diesen Bisphenolen hergestellt wurden. Schließlich zeigen die Daten des Streitpatents und jene, die mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden, dass der im Anspruch 1 angegeben Wert von 1,5 ppm für den Schwefelgehalt nicht willkürlich gewählt sei, sondern einen Schwellenwert darstelle, unter dem eine signifikant geringere Vergilbung, sowohl spritzfrisch als auch nach Thermoalterung stattfinde, d.h. dass unterhalb eines Wertes von 1,5 ppm Schwefel in den Bisphenolen ein anderes Thermoalterungsverhalten der Zusammensetzung beobachtet werde als oberhalb dieses Wertes. Dieses Ergebnis sei auch nicht der D6 zu entnehmen.
Da D6 keinen Hinweis enthalte, dass die dort offenbarten Polycarbonate Vergilbungswerte spritzfrisch kleiner als 2,0 und nach Thermoalterung kleiner als 7,0 aufweisen können, könne D6 zum beanspruchten Gegenstand in naheliegender Weise nicht hinführen. Diesbezüglich seien die in D6 offenbarten absoluten Werte der Vergilbung nach Thermoalterung signifikant höher als im Streitpatent. Ferner enthalte D6 keinen Hinweis, dass ein so kleiner Unterschied der Vergilbungswerte direkt nach Herstellung (spritzfrisch) und nach Thermoalterung, wie im Streitpatent gezeigt, möglich sei.
Aus diesen Gründen sei eine erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik anzuerkennen.
Hilfsanträge 1 bis 3 - Erfinderische Tätigkeit
c) Die für den Anspruch 1 des Hauptantrags vorgebrachten Argumente bezüglich der erfinderischen Tätigkeit gelten gleichermaßen für den Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 3.
Hilfsantrag 4 - Zulassung
d) Selbst wenn der Hilfsantrag 4 ursprünglich in Reaktion auf die späte Einreichung der D11 eingereicht worden sei, sei der Hilfsantrag 4 auch relevant im Hinblick auf den von der Beschwerdeführerin erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebrachten Einwand, dass die in der Beschwerdeerwiderung enthaltenen Daten zeigen würden, dass die von der Beschwerdegegnerin formulierte Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses über die gesamte Anspruchsbreite nicht gelöst sei. Darüber hinaus entspreche der Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 dem erteilten Anspruch 5. Somit könne der Gegenstand des Hilfsantrags 5 die Beschwerdeführerin nicht überraschen. Schließlich bleibe die Problematik der erfinderischen Tätigkeit für den Hilfsantrag 4 die gleiche wie für die höherrangigen Anträge. Aus diesen Gründen sei der Hilfsantrag 4 zuzulassen.
Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit
e) Aufgrund der im Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 durchgeführten Änderung bezüglich des Schwefelgehalts falle der Einwand der Beschwerdeführerin weg, wonach die Daten der Beschwerdegegnerin zeigen würden, dass die formulierte Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses über die gesamte Anspruchsbreite nicht gelöst sei. Somit sei die von der Beschwerdeführerin für den Hauptantrag vorgeschlagene Formulierung der gegenüber D1 tatsächlich gelösten Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses zulässig. Ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik sei somit der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 aus den gleichen Gründen wie für den Hauptantrag, erfinderisch.
XIV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 oder des mit dem Schriftsatz vom 18. Dezember 2019 eingereichten Hilfsantrags 4.
Hauptantrag (erteiltes Patent)
1. Erfinderische Tätigkeit
1.1 Nächstliegender Stand der Technik
1.1.1 Während beide Parteien D6 als geeigneten nächstliegenden Stand der Technik ansehen, ist es zwischen den Parteien strittig, ob auch D1 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellen könne.
1.1.2 Bei der Wahl des nächstliegenden Standes der Technik kommt es im allgemeinen darauf an, dass er zum gleichen Zweck oder mit dem gleichen Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wenigsten strukturellen und funktionellen Änderungen erfordert (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage, 2019, I.D.3.1).
1.1.3 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polycarbonaten aus Dihydroxydiphenylcycloalkanen (Absätze 1-2). Insbesondere zielt das Streitpatent auf die Verbesserung der Hitzebeständigkeit (verminderte Vergilbung im spritzigen Zustand sowie bei Thermoalterung) der genannten Polycarbonate, welche zur Herstellung verschiedener Arten von Produkten verwendet werden können (Absätze 80-81), ab (Absatz 4).
1.1.4 Beide Parteien sind der Ansicht, dass D6, welches die Herstellung von Polycarbonaten offenbart, welche u.a. Dihydroxydiphenylcycloalkan (Seite 9, Zeilen 6-7) enthalten können und eine gute Hitzebeständigkeit aufweisen, einen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Die Kammer hat keinen Grund, von dieser Ansicht abzuweichen.
1.1.5 D1 betrifft die Herstellung von Polycarbonaten aus Dihydroxydiphenylcycloalkanen (siehe z.B. Ansprüche 7-15), die eine gute Hitzebeständigkeit aufweisen (Seite 11, Zeile 32 bis Seite 12, Zeile 14; Seite 12, Zeilen 31-34 und 35-40) und die, ebenso wie im Streitpatent, zur Herstellung verschiedener Arten von Produkten dienen (Seite 12, Zeile 27 - Seite 13, Zeile 18). Es ist richtig, dass sich D1, im Gegensatz zu D6, nicht explizit mit dem Problem der Vergilbung befasst, wie sowohl von der Beschwerdegegnerin als auch von der Einspruchsabteilung argumentiert wurde. Jedoch ist diese Tatsache kein ausreichender Grund, um daraus zu schließen, dass D1 für den beanspruchten Gegenstand in dem Sinne irrelevant ist, dass er nicht auf demselben technischen Gebiet liegt und/oder dass er nicht ein Problem behandelt, das zumindest mit dem/den aus dem Patent ableitbaren Problem(en) zusammenhängt.
Für die Kammer wird diese Schlussfolgerung dadurch bestätigt, dass D1 in Absatz 2 der Patentschrift, der sich auf den relevanten Stand der Technik bezieht, ausdrücklich zitiert wird, wobei sich aus den Absätzen 3 und 4 der Patentschrift wohl ergibt, dass das Ziel des Streitpatents darin bestand, die Polycarbonate von D1 weiter zu verbessern.
1.1.6 In diesem Zusammenhang ist nach der Rechtsprechung nicht erforderlich, dass der nächstliegende Stand der Technik zwingend alle Probleme offenbaren muss, die durch die beanspruchte Erfindung (angeblich) gelöst werden, insbesondere weil im Stadium der Bestimmung des geeigneten nächstliegenden Standes der Technik die objektive Aufgabe - d. h. die gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik tatsächlich gelöste Aufgabe - noch bestimmt werden muss (Rechtsprechung, oben, I.D.3.3: Absatz beginnend mit "In T 698/10 ..."). Mit anderen Worten, es ist nicht erforderlich, dass der nächstliegende Stand der Technik genau dieselbe technische Aufgabe wie die beanspruchte Erfindung löst (Rechtsprechung, oben, I.D.3.3: letzter Satz des Absatzes, der mit "In T 644/97 ..." beginnt).
1.1.7 Die Tatsache, dass D6 ein weiteres geeignetes Dokument darstellen kann, das als nächstliegender Stand der Technik betrachtet werden kann, wie von beiden Parteien und der Einspruchsabteilung betrachtet, steht nicht im Widerspruch zu der obigen Schlussfolgerung. Es ist nämlich ständige Rechtsprechung, dass, wenn dem Fachmann mehrere gangbare Wege offenstehen, d.h. von mehreren unterschiedlichen Dokumenten ausgehende Wege, die zu der Erfindung führen könnten, erfordert es die Ratio des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, die Erfindung in Bezug auf alle diese Wege zu prüfen, bevor ihr eine erfinderische Tätigkeit zugesprochen werden kann (Rechtsprechung, oben, I.D.3.1, Absatz beginnend mit "In T 1742/12 ..."). Insoweit vertritt die Kammer die Auffassung, dass bei der Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes die Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik nicht bedeutet, dass ein einziges Dokument ausgewählt werden muss und kein anderes Dokument weiter in Betracht gezogen werden darf. Daher kann die Frage, ob D6 dem beanspruchten Gegenstand "näher" ist als D1 oder, ob die in D1 behandelten Probleme "weiter entfernt" von denen sind, auf die das Streitpatent abzielt, als die von D6, nicht rechtfertigen, dass D1 nicht als geeigneter nächstliegender Stand der Technik in Betracht gezogen werden kann.
1.1.8 Aus diesen Gründen wird das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach D1 kein geeignetes Dokument sei, das als nächstliegender Stand der Technik anzusehen sei, zurückgewiesen.
1.1.9 Somit ist die Entgegenhaltung D1 ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Dabei sind, wie von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebracht, die Beispiele B.1 (Grenzflächenverfahren zur Herstellung eines Homo-Polycarbonats aus BPTMC) und B.2 (Grenzflächenverfahren zur Herstellung eines Co-Polycarbonats aus BPTMC und Bisphenol A) besonders relevant.
1.2 Unterscheidungsmerkmal(e)
Die Parteien waren sich einig, dass sich das Verfahren gemäß dem erteilten Anspruch 1 von den Verfahren gemäß Beispiel B.1 oder B.2 der D1 dadurch unterscheidet, dass es einen spezifischen Schwefelgehalt der verwendeten Bisphenole vorschreibt, der in D1 nicht offenbart ist und für den keine weiteren Informationen in der Akte vorhanden sind.
1.3 Die gegenüber D1 gelöste Aufgabe
1.3.1 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass die gegenüber D1 gelöste technische Aufgabe in der Bereitstellung eines Verfahrens, welches zu Polycarbonaten mit verbesserter Hitzebeständigkeit führe, welche sowohl durch einen Yellownessindex (YI) von weniger als 2,0 bei der Herstellung ("spritzfrisch") als auch durch einen YI von weniger als 7,0 nach 250 Stunden bei 150°C ("Thermoalterung") bestimmt wird. Die Beispiele des Streitpatents (Tabelle 1 des Streitpatents; Diagramme 1 und 2 auf Seiten 10 und 12 der Beschwerdeerwiderung) würden laut der Beschwerdegegnerin zeigen, dass diese Aufgabe tatsächlich gelöst sei und die Obergrenze von 1,5 ppm Schwefelgehalt nicht willkürlich sei.
1.3.2 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bestritt die Beschwerdeführerin die Formulierung der tatsächlich gelösten Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses, wie von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagen, aus den folgenden Gründen:
a) Absolute Werte der Vergilbung sowohl bei der Herstellung ("spritzfrisch") als auch nach Thermoalterung ohne Angabe der Dicke der Probe, an der die Bestimmung gemacht wird, haben keine Bedeutung;
b) Die in der Beschwerdeerwiderung eingereichten Daten zeigen, dass es Polycarbonaten, die im Anspruch 1 des Streitpatents definiert sind, gibt, die diese Werte der Vergilbung nicht erfüllen.
Diese Gründe werden in den folgenden Absätzen beurteilt.
1.3.3 Was die Abwesenheit im Streitpatent der Angabe der Dicke der Probe betrifft, wurde das Argument der Beschwerdeführerin von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten. Die Beschwerdegegnerin stimmte sogar zu, dass aus dem Absatz 11 des Streitpatents (Seite 4, Zeilen 23 und 32) herzuleiten sei, dass die Bestimmung der Vergilbung (sowohl spritzfrisch als auch nach Thermoalterung) im Streitpatent auf Platten definierter und gleicher Dicke bestimmt worden sei. Die Kammer sieht auch keinen Grund eine andere Ansicht zu vertreten, da es bekannt ist, dass Farbmessungen von der Dicke der untersuchten Proben abhängen. Das von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Argument, dass Platten von ca. 4 mm "üblicherweise" verwendet werden, reicht somit nicht aus, um den Einwand der Beschwerdeführerin auszuräumen. Im Gegenteil zeigt D6 (Absatz 68, Eigenschaft (6) "Dry and heat resistance"), dass andere Probendicken (2 mm) vom Fachmann betrachten werden können.
1.3.4 Was die in der Beschwerdeerwiderung eingereichten Daten betrifft (Diagramm 1 auf Seite 10; Tabelle 2 auf Seite 11), wird damit gezeigt, dass
- ein Polycarbonat, wie im Anspruch 1 des Streitpatents definiert jedoch hergestellt mit Bisphenolen enthaltend 1,5 ppm Schwefel (Tabelle 2 auf Seite 11: Vergleichsbeispiel 3), eine Vergilbung nach Thermoalterung von 7,88 aufweist (d.h. deutlich oberhalb des von der Beschwerdegegnerin definierten Grenzwerts von 7,0).
- Polycarbonate, wie im Anspruch 1 des Streitpatents definiert jedoch hergestellt mit Bisphenolen enthaltend ca. 1,58 ppm Schwefel(wie während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragen lässt sich der Wert von "ca. 1,58 ppm" aus dem Diagramm 1 - Datenreihen 1, beide Punkte in der Mitte der Darstellung - auf Seite 10 der Beschwerdeerwiderung herleiten) oder 1.5 ppm Schwefel (Tabelle 2 auf Seite 11 der Beschwerdeerwiderung: Vergleichsbeispiel 3), eine Vergilbung nach Herstellung von 3-4 (d.h. deutlich oberhalb des von der Beschwerdegegnerin definierten Grenzwerts von 2,0) aufweisen und eine Vergilbung nach Thermoalterung von größer als 8,0 aufweisen (d.h. deutlich oberhalb des von der Beschwerdegegnerin definierten Grenzwerts von 7,0).
Somit ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass diese Daten glaubhaft machen, dass die von der Beschwerdegegnerin formulierte Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses bei einem Schwefelgehalt der eingesetzten Bisphenole von 1,5 ppm oder ein wenig darunter (wie im erteilten Anspruch 1 durch den Begriff "weniger als 1,5 ppm" definiert) nicht gelöst ist. Aus diesen Gründen ist diese Formulierung der Aufgabe nicht zulässig.
1.3.5 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde von der Beschwerdeführerin jedoch anerkannt, dass die Beispiele des Streitpatents (Tabelle 1) glaubhaft machen, dass die gegenüber D1 tatsächlich gelöste Aufgabe darin besteht, ein Verfahren zur Herstellung von Polycarbonaten mit verringerter Vergilbung sowohl spritzfrisch als auch nach Thermoalterung bereitzustellen. Daher sieht die Kammer keinen Grund diese Ansicht in Frage zu stellen.
1.4 Naheliegen der Lösung
1.4.1 Es stellt sich somit die Frage, ob es für den Fachmann naheliegend war, den nächstliegenden Stand der Technik so abzuändern, dass man zum beanspruchten Gegenstand kam, mit dem Zweck, die im Absatz 1.3.5 oben definierte Aufgabe zu lösen. Insbesondere ist zu klären, ob es für den Fachmann naheliegend war, diese Aufgabe durch Kontrolle/Reduzierung des Schwefelgehalts der eingesetzten Bisphenole in einem Bereich von "weniger als 1,5 ppm" zu lösen.
1.4.2 In diesem Zusammenhang brachte die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor, dass, wie aus dem Absatz 5 des Streitpatents zu entnehmen sei, der Fachmann ein Vorurteil überwinden müsse, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen.
Es ist zutreffend, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (Rechtsprechung, oben: I.D.10.2) die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit manchmal durch den Nachweis erreicht werden kann, dass ein bekanntes Vorurteil, d.h. eine weit verbreitete, aber falsche Vorstellung von einem technischen Sachverhalt, überwunden werden musste. In diesem Zusammenhang gelten jedoch für die Anerkennung eines Vorurteils enge Grenzen und das Beweismaß ist beinahe so hoch wie für den Beleg allgemeinen Fachwissens.
Im vorliegenden Fall werden im Absatz 5 des Streitpatents lediglich sechs Patentdokumente genannt, die nach Auffassung der Beschwerdegegnerin belegen, dass eine Erhöhung des Schwefelgehaltes in Bisphenolen einen positiven Einfluss auf die Farbe eines damit hergestellten Polycarbonats hat. Jedoch ist, nach Meinung der Kammer, eine Anzahl von sechs Patentdokumenten nicht unbedingt ausreichend, um das Bestehen eines Vorurteils zu beweisen, insbesondere da andere im vorliegenden Verfahren zitierte Dokumente eine widersprüchliche Lehre vermitteln (D6: Absatz 6 - wie unten näher besprochen -; siehe auch z.B. D2: Spalte 1, Zeile 52 bis Spalte 2, Zeile 5).
Aus diesen Gründen folgt die Kammer dem Argument der Beschwerdegegnerin nicht, dass ein technisches Vorurteil gegen eine Verringerung des Schwefelgehalts der eingesetzten Bisphenole bestanden habe, um die Farbqualität der Polycarbonate nicht zu gefährden.
1.4.3 Der Einwand der Beschwerdeführerin stützt sich auf die Kombination von D1 mit D6. Jedoch wandte die Beschwerdegegnerin ein, dass sich die Lehre von D6 mit der Lehre von D1 nicht kombinieren lasse.
Was dies betrifft ist die Kammer der Meinung, dass, obwohl sich die Beispiele von D6 nicht mit der Herstellung von Polycarbonaten befassen, die eine Struktureinheit (I) gemäß dem erteilten Anspruch 1 umfassen, die Polycarbonate der D6 eine ähnliche Struktur aufweisen und nach ähnlichen Verfahren hergestellt werden (aus Bisphenolen und Phosgen). Darüber hinaus gehören Copolymere, die eine solche Einheit der Formel (I) gemäß dem Streitpatent (oder gemäß Anspruch 1 der D1) umfassen, zur Lehre von D6, da D6 die Verwendung von Bisphenolen gemäß Formel (I) des Streitpatents offenbart(Absatz 12: Seite 9, Zeilen 5-7; siehe insbesondere die Verbindungen "bisphenol Z" und "1,1-bis(4-hydroxyphenyl)-3,3,5-trimethylcyclohexane", welche BPTMC gemäß Absatz 9 des Streitpatents entspricht). Somit hat die Kammer keine Bedenken, dass der Fachmann die Lehre der D6 wohl in Betracht ziehen würde, um die im Hinblick auf D1 gestellte Aufgabe zu lösen.
1.4.4 Obwohl D6 nicht explizit die gleichen Effekte wie im Streitpatent offenbart, ist die Kammer der Meinung, dass D6 ähnliche Effekte betrifft (siehe z.B. Tabelle 1 auf Seite 16; Absatz 68, Ziffern (5) und (6)), nämlich
- das "b"-Farbmerkmal, welches mit der Gelbfärbung nach der Herstellung (spritzfrisch) zusammenhängt (D6: Seite 25, oben, Merkmal (5); siehe auch die Angabe auf Seite 8, erster Absatz, der Beschwerdebegründung, die nicht bestritten wurde); und
- Änderungen im Yellownessindex bei der Thermoalterung ("DELTAYI"-Werte), obwohl diese Thermoalterung nicht die gleiche wie im Streitpatent ist (vergleiche D6: Absatz 68, Ziffer (6) und das Streitpatent: Absatz 11 und Tabelle 1) und keine absoluten Werte "YI" nach der Thermoalterung in D6 offenbart werden. In diesem Zusammenhang wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten, dass, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, die Thermoalterungsbedingungen in D6 strenger als im Streitpatent sind.
Aus der Tabelle 1 von D6 lässt sich zudem ableiten, dass mit zunehmendem Schwefelgehalt der BCF Struktureinheit, d.h. ein zur Herstellung des Polycarbonats eingesetztes Bisphenol, sowohl die Gelbfärbung (b) als auch der DELTAYI zunehmen. In diesem Zusammenhang wird der Beschwerdeführerin zugestimmt, dass entweder die Beispiele 1 und 3 mit dem Vergleichsbeispiel 1 oder das Beispiel 2 mit dem Vergleichsbeispiel 2 der D6 miteinander zu vergleichen sind. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer brachte die Beschwerdegegnerin jedoch vor, dass der Vergleich des Beispiels 2 mit dem Vergleichsbeispiel 1 der D6 zeige, dass ein geringer Schwefelgehalt der eingesetzten Bisphenole nicht zwangsläufig zu verbesserten Farbeigenschaften der damit hergestellten Polycarbonate führe. Jedoch wurden das Beispiel 2 und das Vergleichsbeispiel 1 der D6 nicht nur mit BCF-Bisphenolen, die unterschiedliche Schwefelmengen enthalten, sondern auch mit unterschiedlichen Verhältnissen von Bisphenolmonomeren (siehe die in der Tabelle 1 angegebenen Mengen der BCF und BPA Monomere) durchgeführt. Somit können diese Beispiele der D6 fairerweise nicht miteinander verglichen werden. Diesem Argument der Beschwerdegegnerin folgt die Kammer daher nicht.
D6 offenbart zwar weder die im Streitpatent genannten YI-Werte bei der Herstellung ("spritzfrisch") und bei der Thermoalterung noch den spezifischen Grenzwert von 1,5 ppm für den Schwefelgehalt gemäß dem erteilten Anspruch 1. Da sich die Lehre von D6 jedoch in erster Linie auf eine spezifische Bisphenol-Wiederholungseinheit (BCF) richtet, die sich von der im erteilten Anspruch 1 angegebenen Formel (I) unterscheidet, erscheint dies jedoch nicht überraschend.
Insbesondere aus den Beispielen der D6 ist ersichtlich, dass die Gelbfärbung nach Herstellung (spritzfrisch) und nach Thermoalterung anders verläuft und keine lineare Veränderung in Abhängigkeit des Schwefelgehalts der eingesetzten Bisphenole aufweist. Somit ist es auch nicht überraschend, dass für andere Bisphenoleinheiten (Formel (I) des Streitpatents), die Gelbfärbung sowohl nach Herstellung als auch nach Thermoalterung anders verläuft (Diagramm 1 auf Seite 10 der Beschwerdeerwiderung), wobei der Fachmann festlegen muss, welche Farbeigenschaften erwünscht sind und somit einen Grenzwert für den Schwefelgehalt der eingesetzten Bisphenole festsetzen muss. Dass die Gelbfärbung in Abhängigkeit des Schwefelgehalts in D6 und im Streitpatent anders verläuft (Vergleich des Diagramms 2 der Beschwerdeerwiderung mit den Daten der Tabelle 1 der D6) spielt nach Meinung der Kammer auch keine Rolle: relevant ist, dass sich aus D6 eindeutig ergibt, dass die Gelbwerte (sowohl spritzfrisch als auch nach Thermoalterung) ständig sinken, wenn der Schwefelgehalt abnimmt. Somit ist die Kammer der Meinung, dass der Fachmann, der die Gelbfärbung bei der Herstellung sowie nach Thermoalterung von gemäß D1 hergestellten Polycarbonaten kontrollieren (reduzieren) will, durch die Lehre von D6 angeregt wäre, den Schwefelgehalt der in D1 verwendeten Bisphenole zu kontrollieren/reduzieren, wobei der Wert von 1,5 ppm lediglich eine Optimierung dieses Verfahrens darstellen würde. Daher wird der Beschwerdeführerin zugestimmt, dass die Auswahl des Grenzwertes von 1,5 ppm willkürlich ist und z.B. vom Fachmann in Abhängigkeit von den erwünschten Farbeigenschaften festgelegt wird. Die Auswahl dieses Grenzwertes stellt somit, nach Meinung der Kammer, eine routinemäßige Tätigkeit des Fachmanns dar, um einen aus D6 bekannten Effekt zu optimieren, die keine erfinderische Tätigkeit beinhaltet.
1.4.5 Die Beschwerdegegnerin wandte zusätzlich ein, dass die in Tabelle 1 der D6 offenbarten Werte der Vergilbung (sowohl nach Herstellung als auch nach Thermoalterung) signifikant höher seien als jene der Tabelle 1 des Streitpatents. Somit könne D6 keine Anregung geben, so kleine Werte wie im Streitpatent zu erzielen.
Jedoch wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten, dass die Bestimmungsmethoden des Streitpatents und der D6 unterschiedlich sind. Insbesondere wurde nicht bestritten, dass die Thermoalterungsbedingungen in D6 sogar strenger als im Streitpatent sind. Ferner liegen in D6 keine Nachweise zu den YI-Werten bei der Herstellung ("spritzfrisch") und der Thermoalterung vor (D6 offenbart nur "b"-Werte bei der Herstellung, keine YI-Werte; D6 offenbart nur DELTAYI-Werte bei der Thermoalterung, keine absoluten YI-Werte). Somit ist kein direkter Vergleich zwischen dem Streitpatent und D6 möglich und das Argument der Beschwerdegegnerin kann nicht überzeugen. Diesbezüglich ist ferner anzumerken, dass es sich bei den in den Beispielen B.1 und B.2 der D1 verwendeten Bisphenolen (BPTMC und Bisphenol A) um dieselben Verbindungen wie in den Beispielen des Streitpatents handelt. Somit ist davon auszugehen, dass durch Reduzierung des Schwefelgehalts der in den Beispielen von D1 eingesetzten Bisphenole das gleiche Ergebnis erreicht wird. Aus diesen Gründen vermag das Argument der Beschwerdegegnerin nicht zu überzeugen.
1.4.6 Es wurde ferner von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten, dass aus z.B. D2 bekannt ist (Anspruch 1; Spalte 3, Zeilen 60-64; Spalte 8, Zeilen 44-49; Beispiele 1 - Spalte 10, Zeile 2 - und Beispiel 2 - Spalte 10, Zeile 59), Bisphenole der Formel (I), insbesondere das in den Beispielen von D1 eingesetzte BPTMC, mit einem Schwefelgehalt kleiner als 1,5 ppm (oder sogar kleiner als 1 ppm, was für den Hilfsantrag 4 relevant ist) herzustellen. Somit ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass die Zubereitung solcher Komponenten auch nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen kann.
1.4.7 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags im Lichte der Kombination von D1 mit D6 naheliegend.
Hilfsanträge 1 bis 3
2. Erfinderische Tätigkeit
Weder im schriftlichen Verfahren, noch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurden von den Parteien zur erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 weitergehende Argumente als für den Hauptantrag vorgebracht. Insbesondere wurde von der Beschwerdegegnerin nicht dargelegt, dass die in Anspruch 1 dieser Hilfsanträge vorgenommenen Änderungen ein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1, insbesondere bezüglich des Beispiels B.2, darstellen. Daher können diese Hilfsanträge nur das Schicksal des Hauptantrags teilen, sodass der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ausgehend von D1 in Kombination mit D6.
Hilfsantrag 4
3. Zulassung
3.1 Die Beschwerdeführerin sprach sich gegen eine Zulassung des Hilfsantrags 4 in das Verfahren aus.
3.2 Nach Artikel 25 (3) der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020), die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, ist Artikel 13 VOBK 2007 weiterhin anwendbar, wenn die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor Inkrafttreten der revidierten Fassung zugestellt wurde. Im vorliegenden Fall ging die Ladung am 5. Dezember 2019 zur Post (siehe Punkt VIII oben). Deshalb ist die Frage der Zulassung des Hilfsantrags 4 nach Artikel 13 (1) VOBK 2007 zu beurteilen.
3.3 Der Hilfsantrag 4 wurde ursprünglich in Reaktion auf die Eingaben der Beschwerdeführerin bezüglich D11 eingereicht (Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 18. Dezember 2019: Seite 2, zweiter Absatz). Jedoch brachte die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vor, dass der Hilfsantrag 4 auch im Hinblick auf das von der Beschwerdeführerin erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebrachte Argument relevant sei, wonach die in der Beschwerdeerwiderung enthaltenen Daten zeigen würden, dass die von der Beschwerdegegnerin formulierte Aufgabe in Form eines absoluten Ergebnisses für die gesamte Anspruchsbreite der höherrangigen Anträge nicht gelöst sei.
3.4 Da diese Fragestellung bereits im Bescheid der Kammer angesprochen worden ist (siehe Punkte 6.3.2 bis 6.3.5), sollte es für die Parteien nicht überraschend gewesen sein, dass diese während der mündlichen Verhandlung diskutiert wurde. Da jedoch im Rahmen dieser Diskussion tatsächlich weitere Argumente zur Untermauerung der Angriffslinie der Beschwerdeführerin, die für die vorliegende Entscheidung relevant sind, vorgebracht wurden, erscheint es der Kammer fair, der Beschwerdegegnerin eine Gelegenheit zu geben, auf diese Argumente zu reagieren. Die Kammer ließ den Hilfsantrag 4 daher in das Verfahren zu (Artikel 13 (1) VOBK 2007).
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 dadurch, dass der Grenzwert für den Schwefelgehalt auf 1,0 ppm (anstatt von 1,5 ppm) reduziert wurde.
Somit wird das Argument der Beschwerdeführerin, dass die in der Beschwerdeerwiderung enthaltenden Daten der Beschwerdegegnerin zeigen würden, dass die von der Beschwerdegegnerin formulierte Aufgabe nicht auf der gesamten Breite des geltenden Anspruchs 1 der höherrangigen Anträge gelöst worden sei (obige Absätze 1.3.2.b und 1.3.4), ausgeräumt. Jedoch bleibt der andere Einwand der Beschwerdeführerin (Absätze 1.3.2.a und 1.3.3) gültig. Somit besteht im Hinblick auf die durchgeführten Änderungen kein Grund, die gegenüber D1 tatsächlich gelöste Aufgabe anders zu definieren als für die höherrangigen Anträge.
Auch bezüglich des auf D1 in Verbindung mit D6 beruhenden Einwands mangelnder erfinderischer Tätigkeit besteht im Hinblick auf diese Änderungen kein Grund eine andere Schlussfolgerung als für die höherrangigen Anträge zu ziehen. Insbesondere wurden keine überzeugenden Argumente vorgetragen, weshalb die Auswahl eines Grenzwertes von 1 ppm (anstatt von 1,5 ppm) nicht willkürlich sein sollte. Ferner ist anzumerken, dass auch die Zubereitung von Bisphenolen gemäß Formel (II) (BPTMC) mit einem Schwefelgehalt von weniger als 1 ppm aus z.B. D2 bekannt ist (siehe die in Absatz 1.4.6 oben zitierten Passagen).
Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 im Lichte der Kombination von D1 mit D6 naheliegend.
5. Da keiner der Anträge der Beschwerdegegnerin gewährbar ist, ist das Patent zu widerrufen. Über weitere Punkte war daher nicht zu entscheiden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.