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T 2585/17 28-10-2021
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Formgedächtnis-Material auf Basis eines Strukturklebstoffs
L & L Products Europe S.A.S.
tesa SE
Hauptantrag - Neuheit (nein)
Hilfsantrag 4 - Neuheit (nein)
Hilfsanträge 4a bis 4c - Zulässigkeit (nein)
Hilfsantrag 4d - Zulässigkeit (ja)
Hilfsantrag 4d - Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
I. Die Beschwerden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent EP 2 553 035 in geänderter Form unter Artikel 101(3)(a) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikel 100(a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ), sowie unter Artikel 100(b) EPÜ unter mangelnder Offenbarung angegriffen worden.
III. Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde auf die folgenden Dokumente verwiesen, die auch für die vorliegende Entscheidung relevant sind:
D1: WO 2009/098141 A1
D23: I. A. ROUSSEAU ET AL: "Shape memory epoxy:
a systematic study of their performance";
SPIE - International Society for Optical
Engineering Proceedings, Bd.7289, 26. März
2009, XP055369235, US, ISSN: 0277-786X,
DOI: 10.1117/12.815518, ISBN:
978-1-5106-0753-8,
Seiten 72890X-1 bis 72890X-12
D24: US 2008/0257485 A1
D25: US 2008/0262188 A1
D31: WO 2010/011705 A1
D33: US 6,388,043 B1
D44: US 2008/0063871 A1
IV. Die Einspruchsabteilung erachtete den im Hauptantrag der Patentinhaberin (Patent wie erteilt) beanspruchten Gegenstand ausführbar (Artikel 83 EPÜ), aber nicht neu gegenüber der Offenbarung der Dokumente D1 und D31 (Artikel 54 EPÜ). Hilfsantrag 1 sei nicht gewährbar, weil der unabhängige Anspruch 13 nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfülle. Die in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 13 des Hilfsantrags 2 durchgeführten Änderungen erfüllten nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ, der Antrag sei daher ebenfalls nicht gewährbar. Auch Hilfsantrag 3 sei nicht gewährbar, da der darin enthaltene unabhängige Anspruch 13 identisch sei mit Anspruch 13 des Hilfsantrags 1, und daher die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ ebenfalls nicht erfüllt seien. Der vierte Hilfsantrag, der während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als Hilfsantrag 2a eingereicht wurde, erfülle die Erfordernisse des Artikels 123(2) und (3) EPÜ, da der darin beanspruchte Gegenstand neu sei (Artikel 54 EPÜ) und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 56 EPÜ). Der Antrag erfülle auch die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
V. Gegen diese Entscheidung legten sowohl die Patentinhaberin, als auch die beiden Einsprechenden Beschwerden ein, die fristgerecht begründet wurden.
VI. In Erwiderung auf die jeweiligen Beschwerdebegründungen reichten die Parteien weitere Schriftsätze ein, in denen zu den gegenseitig vorgebrachten Argumenten Stellung genommen wurde.
VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 3. August 2021 wurden die Parteien über die vorläufige Einschätzung der Kammer informiert. Die Kammer verwies insbesondere darauf, dass der Hauptantrag der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin, die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, aufgrund mangelnder Neuheit des Anspruchs 1 (Artikel 54 EPÜ) voraussichtlich nicht gewährbar sei, dass der Antrag jedoch die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfülle. In Bezug auf Hilfsantrag 4, auf dessen Grundlage die Einspruchsabteilung das Patent aufrechterhalten hatte, teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit, dass die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ, sowie der Artikel 84, 83, 123(2) sowie 54 EPÜ erfüllt seien, und dass insbesondere die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ während er mündlichen Verhandlung zur Erörterung kommen könnten.
VIII. Mit Schreiben vom 30. August 2021 reichte die Patentinhaberin die Hilfsanträge 4a bis 4d ein und argumentierte bezüglich deren Zulässigkeit und Gewährbarkeit.
IX. Anspruch 1 des erteilten Patents (vorliegenden Hauptantrags), hat den folgenden Wortlaut:
1. Zusammensetzung umfassend
i) mindestens einen härtbaren Strukturklebstoff; sowie
ii) mindestens ein chemisch vernetztes Elastomer;
dadurch gekennzeichnet, dass das chemisch vernetzte Elastomer als durchdringendes Polymernetzwerk im Strukturklebstoff vorliegt.
X. Anspruch 10 des Hilfsantrags 4 hat den folgenden Wortlaut:
10. Formkörper (3), dadurch gekennzeichnet, dass er einer reversiblen Formgebung unterzogen wurde, wobei die Formgebung die Schritte umfasst
- Erwärmung einer Zusammensetzung mit den Bestandteilen, wie sie in einem der Ansprüche 1 bis 8 genannt sind, auf eine Temperatur oberhalb ihrer Glasübergangstemperatur Tg;
- Verformen der Zusammensetzung, unter Spannung des chemisch vernetzten Elastomers;
- Abkühlen der verformten Zusammensetzung unter ihre Glasübergangstemperatur Tg.
XI. Die Ansprüch1 1 und 10 des Hilfsantrags 4d haben den folgenden Wortlaut:
1. Verwendung einer Zusammensetzung umfassend
i) mindestens einen härtbaren Strukturklebstoff; sowie
ii) mindestens ein chemisch vernetztes Elastomer;
dadurch gekennzeichnet, dass das chemisch vernetzte Elastomer als durchdringendes Polymernetzwerk im Strukturklebstoff vorliegt, als Formgedächtnismaterial.
10. Zusammensetzung umfassend
i) mindestens einen härtbaren Strukturklebstoff; sowie
ii) mindestens ein chemisch vernetztes Elastomer;
wobei dass das chemisch vernetzte Elastomer als durchdringendes Polymernetzwerk im Strukturklebstoff vorliegt dadurch gekennzeichnet, dass der härtbare Strukturklebstoff eine hitzehärtende Epoxidharzzusammensetzung, umfassend mindestens ein Epoxidharz A und mindestens einen Härter B für Epoxidharze, welcher durch erhöhte Temperatur aktiviert wird, ist, und
dass das chemisch vernetzte Elastomer, welches als durchdringendes Polymernetzwerk im Strukturklebstoff vorliegt, aufgebaut ist aus Epoxidharz A und mindestens einem zusätzlichen Härter H für Epoxidharze,
- wobei der Härter H ein Molekül oder ein Polymer ist, welches mit Epoxidgruppen reaktive funktionelle Gruppen aufweist, wobei es eine mittlere Funktionalität von > 2 bis 5 und ein mittleres Äquivalenzgewicht von 40 bis 2000 g/Eq aufweist;
- wobei die Aktivierungstemperatur des Härters H unterhalb der Aktivierungstemperatur des Härters B liegt; und
- wobei das stöchiometrische Verhältnis der Summe der reaktiven Gruppen von Härter H und Härter B zu den Epoxidgruppen des Epoxidharzes A im Bereich von >= 0.9:1 liegt.
XII. In ihrer Beschwerdebegründung sowie im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin im Wesentlichen folgendes vor:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents sei entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung auch neu gegenüber der Offenbarung der Dokumente D1 und D31. Er basiere auch auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von Dokument D31 als nächstliegendem Stand der Technik.
Die von den Einsprechenden vorgebrachten Einwände unter Artikel 83 und 84 EPÜ stünden einer Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des bereits von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten Hilfsantrags 4 nicht entgegen. Der darin beanspruchte Gegenstand sei auch neu mit Blick auf die Offenbarung der Dokumente D1 und D44, und erfülle die Erfordernisse der erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ, insbesondere ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments D31. Der erst im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Einwand unter Regel 80 EPÜ sei als unzulässig zu verwerfen.
Ebenso erfüllten die im Beschwerdeverfahren eingereichten Hilfsanträge 4a bis 4d alle Erfordernisse der Patentierbarkeit, insbesondere sei der beanspruchte Gegenstand neu gegenüber der Offenbarung der Dokumente
D1 und D44, und basiere auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der technischen Lehre der Dokumente D31, D33 oder D34. Die von den Einsprechenden zusätzlich vorgebrachten Einwände unter Regel 80 EPÜ, sowie unter den Artikeln 83, 84 und 123(2) EPÜ seien ebenso nicht durchgreifend.
XIII. In ihren Beschwerdebegründungen sowie im weiteren Verfahren brachten die Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden im Wesentlichen folgendes vor:
Die bereits im Einspruchsverfahren gegen die Gewährbarkeit des Hauptantrags vorgebrachten Gründe unter Artikel 100(a) EPÜ, nämlich mangelnde Neuheit gegenüber der Offenbarung der Dokumente D1 und D31
(Artikel 54 EPÜ) und mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments D31 (Artikel 56 EPÜ) seien einschlägig. Zusätzlich sei der beanspruchte Gegenstand auch nicht neu gegenüber der Offenbarung der Dokumente D20, D22 und D44.
Hilfsantrag 4 erfülle nicht die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ, sei unzulässig geändert worden (Artikel 123(2) EPÜ), der beanspruchte Gegenstand sei nicht klar (Artikel 84 EPÜ) und sei zudem nicht ausführbar (Artikel 83 EPÜ).
Betreffend Hilfsantrag 4d verwiesen die Einsprechenden im Laufe der mündlichen Verhandlung auf ihre entsprechenden im schriftlichen Verfahren bezüglich Hilfsantrag 4 vorgebrachten Einwände unter Regel 80 EPÜ, sowie den Artikeln 83, 84 und 123(2) EPÜ. Der Gegenstand des Anspruchs 10 sei zudem nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D44 und beruhe ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments D31.
XIV. Anträge der Parteien
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder auf der Grundlage eines der folgenden Anträge:
- Hilfsantrag 4 (von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete Fassung)
- Hilfsanträge 4a bis 4d, eingereicht mit Schreiben vom 30. August 2021.
Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 1 und 2) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 553 035.
XV. Am 28. Oktober 2021 fand eine mündliche Verhandlung, mit Einverständnis aller Parteien in Form einer Videokonferenz, statt.
Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
Hauptantrag der Patentinhaberin - Patent wie erteilt
2. Neuheit (Artikel 100(a) und 54 EPÜ)
2.1 Neuheit der Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 wurde von der Einspruchsabteilung unter anderem hinsichtlich der Offenbarung des Dokuments D1 verneint. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin widersprach dieser Beurteilung mit dem Argument, dass im Dokument D1 keine Zusammensetzung offenbart werde, die anspruchsgemäß mindestens ein chemisch vernetztes Elastomer umfasse. Zwar enthalte die in D1 offenbarte Zusammensetzung eine chemisch vernetzte Polyurethankomponente, diese sei jedoch nicht zwangsläufig ein Elastomer. Zudem gehe aus D1 auch nicht eindeutig hervor, ob das vernetzte Polyurethan als durchdringendes Polymernetzwerk im Strukturklebstoff vorliege, oder nicht.
2.2 Die Kammer gelangte zu folgender Auffassung:
2.2.1 In Anspruch 1 des Dokuments D1 wird eine thermisch aktivier- und härtbare Klebefolie offenbart, die aus einem Klebstoff besteht, der sich zumindest zusammensetzt aus a) einem chemisch vernetzten oder zumindest teilvernetzten Polyurethan, b) einem mindestens difunktionellen Epoxidharz und c) einem Härter für das Epoxidharz, wobei die Epoxidgruppen bei hohen Temperaturen mit dem Härter chemisch reagieren. Dabei hat zumindest einer der Ausgangsstoffe des Polyurethans eine Funktionalität größer zwei.
2.2.2 Auf Seite 3, Zeilen 9 bis 16 des Dokuments wird erläutert, dass für das Erreichen der gewünschten Eigenschaften von hitzeaktivierbaren Klebefolien die Integration einer flexibilisierenden Komponente unumgänglich ist. Daher besteht gemäß D1 eine solche Folie "aus einem Elastomerteil, der das Gerüst der Folie bildet", und "aus einem in den Elastomerteil integrierten hitzereaktiven Teil". Der Fachmann wird daher unter dem im Anspruch 1 von D1 genannten chemisch vernetzten oder zumindest teilvernetzten Polyurethan unter Berücksichtigung dieser Information unmittelbar und eindeutig ein Polymer mit elastomeren Eigenschaften verstehen.
2.2.3 Des weiteren wird auf Seite 11, Zeile 24 bis Seite 12, Zeile 11 sowie in den Beispielen 1 bis 4 des Dokuments der Herstellungsprozess für die Klebefolie beschrieben. Demnach werden zunächst diejenigen Ausgangsstoffe des Polyurethans, die nicht zur Vernetzung beitragen, mit Epoxidharz und Epoxidharzhärter gemischt. Dann werden diejenigen Ausgangsstoffe des Polyurethans, die eine Funktionalität größer als zwei aufweisen, und somit also unter entsprechenden Bedingungen zu einer Vernetzung des Polyurethans führen können, zugemischt. Die dadurch entstehende reaktive Mischung wird auf ein antiadhäsives Medium aufgebracht und hitzebehandelt. Dabei entsteht ein vernetztes oder zumindest teilvernetztes Polyurethan, wobei die Epoxidharze und die Härter für die Epoxidharze nicht an der Reaktion teilnehmen, sondern als weiterhin reaktive Bestandteile der Klebefolie für die Aushärtung zur Verfügung stehen.
2.2.4 Somit offenbart Dokument D1 eine Zusammensetzung umfassend mindestens einen härtbaren Strukturklebstoff (Epoxid und Epoxidhärter, die nicht an der Vernetzungsreaktion zur Bildung des Polyurethans teilnehmen und daher noch härtbar sind), sowie mindestens ein chemisch vernetztes Elastomer (das nach Hitzebehandlung erhaltene vernetzte oder zumindest teilvernetzte Polyurethan mit elastomeren Eigenschaften). Durch die Bildung des vernetzten Urethans vor der Aushärtung des Epoxidharzes liegt zudem das chemisch vernetzte Elastomer als durchdringendes Polymernetzwerk im Strukturklebstoff vor. Dadurch offenbart Dokument D1 die Kombination aller Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag.
3. Da somit eine Zusammensetzung gemäß Anspruch 1, wie auch von der Einspruchsabteilung festgestellt, bereits im Dokument D1 offenbart wird und der beanspruchte Gegenstand daher nicht neu ist (Artikel 54 EPÜ), ist der Hauptantrag der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin nicht gewährbar.
Hilfsantrag 4 - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
4. Von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden wurde insbesondere mangelnde Neuheit des Gegenstands von Anspruch 10 gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1 argumentiert.
Sie brachten hierzu vor, dass der beanspruchte Formkörper durch ein Verfahren zu dessen Herstellung definiert werde. Durch die nicht-abschließende Formulierung des Anspruchs unter Verwendung des Begriffs "umfassend" für die durchzuführenden Herstellungsschritte seien auch Formkörper beansprucht, welche, zusätzlich zu den im Anspruch angegebenen, weitere Schritte durchlaufen hätten, beispielsweise ein zusätzliches Erwärmen über die Glasübergangstemperatur Tg ihrer Bestandteile. Das daraus resultierende Produkt sei nach diesem möglichen zusätzlichen Schritt nicht vom Ausgangs-Formkörper zu unterscheiden, da er dadurch wieder seine ursprüngliche Form annehme. Diese Anspruchsauslegung sei im Sinne des Patents, welches sich ja gerade mit der reversiblen Verformung von Formkörpern befasse, und auch einen abschließenden Entspannungsschritt beschreibe, bei dem ein Formkörper vollständig wieder seine ursprüngliche Form annehmen könne (Absatz [0080] des Streitpatents). Da zudem die im Anspruch genannten strukturellen Merkmale dieselben seien wie bei den im Dokument D1 offenbarten Produkten, sei auch davon auszugehen, dass die damit verbundenen Eigenschaften identisch seien. Somit sei auch der Gegenstand des Anspruchs 10 von Hilfsantrag 4 nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1.
5. Von der Patentinhaberin wurde vorgebracht, der Anspruch sei derart auszulegen, dass der beanspruchte Formkörper dadurch definiert werde, dass er lediglich die drei im Anspruch angegebenen Schritte - Erwärmen, Verformen und Abkühlen - durchlaufen hätte. Daher liege er im Gegensatz zum Ausgangsprodukt, welches die drei Schritte nicht durchlaufen hätte, in gespannter Form vor. Dies ergebe sich auch aus dem Wortlaut des Anspruch, wonach der Formkörper einer "reversiblen Formgebung unterzogen wurde". Der Anspruch sei auch im Zusammenhang mit den Ansprüchen 11 und 12 zu sehen, die auf ein Verstärkungselement gerichtet seien, welches den Formkörper gemäß Anspruch 10 enthielte. Die Interpretation der Einsprechenden, wonach ein Formkörper verwendet werde, der vor Anbringen an ein Verstärkungselement wieder entspannt wurde, würde der Fachmann nicht als sinnvoll erachten. Zudem habe das in D1 offenbarte Produkt nicht die Fähigkeit, sich nach Verformung erneut zu entspannen.
6. Die Kammer erachtet die Argumentation der Einsprechenden für überzeugender.
6.1 Anspruch 10 bezieht sich auf einen Formkörper. Dieser ist dadurch charakterisiert, dass er einer reversiblen Formgebung unterzogen wurde, die drei Schritte umfasst. Er ist des weiteren dadurch charakterisiert, dass im ersten Schritt der Formgebung eine Zusammensetzung mit den Bestandteilen gemäß einem der Ansprüche 1 bis 8 erwärmt wird. Die im Anspruch 1 genannten Bestandteile sind ein härtbarer Strukturklebstoff und ein chemisch vernetztes Elastomer. Zusammensetzungen in der Form eines Formkörpers, die sowohl diese Bestandteile aufweisen, und die darüber hinaus auch das im Anspruch 1 genannte Erfordernis aufweisen, dass das chemisch vernetzte Elastomer als durchdringendes Polymernetzwerk im Strukturklebstoff vorliegt, sind aus Dokument D1 bekannt (siehe unter Punkt 2.2.4 dieser Entscheidung). Neuheit wäre im vorliegenden Fall daher lediglich dann anzuerkennen, wenn dem beanspruchten Formkörper über durch das Formgebungsverfahren Eigenschaften verliehen würden, die es eindeutig unterscheidbar machten vom in D1 offenbarten Produkt.
6.2 Dies ist aus folgenden Gründen jedoch nicht der Fall:
Die gewählte Anspruchsformulierung schließt nicht aus, dass die den beanspruchten Formkörper definierende reversible Formgebung weitere Schritte umfasst. Insbesondere wird der Formkörper nicht dadurch definiert, dass er einer reversiblen Formgebung unterzogen wurde, welche durch lediglich durch die drei angeführten Schritte gekennzeichnet ist, sondern dadurch, dass die Formgebung diese Schritte lediglich "umfasst". Somit fallen unter den Anspruchswortlaut auch Formkörper, die beispielsweise wenigstens einem weiteren Schritt des erneuten Erwärmens der abgekühlten, verformten Zusammensetzung auf eine Temperatur oberhalb der Glasübergangstemperatur Tg der Bestandteile der Zusammensetzung unterzogen wurden. Nach Ansicht der Kammer erachtet der Fachmann diese Betrachtung als plausibel, da dieser weitere Schritt Teil der Offenbarung des Streitpatents ist, welches auf dem Gebiet der Formgedächtnis-Materialien liegt (siehe Absatz [0001]), und welches insbesondere die idealerweise vollständige Rückführung eines in gespannter Form vorliegenden Formkörpers in seine ursprüngliche, entspannte Form beschreibt (siehe beispielsweise die Absätze [0016] und [0080]). Nach Durchlaufen dieses gemäß Anspruchswortlaut zusätzlich möglichen Schritts resultiert somit ein Formkörper, der nicht von einem Formkörper unterscheidbar ist, der nicht allen diesen genannten Schritte der reversiblen Formgebung unterzogen wurde. Somit umfasst der Anspruch auch Formkörper, die gegenüber dem in Dokument D1 offenbarten Produkt keine Unterscheidungsmerkmale aufweisen. Der Anspruchsgegenstand ist daher nicht neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.
6.3 Auch unter Berücksichtigung des Verweises der Patentinhaberin auf die Ansprüche 11 und 12 gelangt die Kammer nicht zu einer gegenteiligen Auffassung. In der vorstehenden Betrachtung wird nämlich nicht ausgeschlossen, dass sich bestimmte, vom Wortlaut des Anspruchs 10 ebenfalls umfasste Formkörper speziell in den Anwendungen als Verstärkungselement dieser Ansprüche verwenden lassen, nämlich solche, die lediglich die drei genannten Schritten durchlaufen haben und dadurch noch in gespannter Form vorliegen. Die Kammer sieht daher im diesbezüglichen Vorbringen der Patentinhaberin keine überzeugende Argumentation, die eine weiter beschränkende Auslegung des Wortlauts von Anspruchs 10 zulässt.
6.4 Auch bezüglich der Behauptung der Patentinhaberin, das der in D1 offenbarte Körper nicht die Fähigkeit habe, einen reversiblen Formgebungsprozess zu durchlaufen, schließt sich die Kammer der Auffassung der Einsprechenden an. Da der Formkörper gemäß Anspruch 10 des Streitpatents lediglich durch strukturelle Merkmale definiert wird, die auch das Produkt aus D1 definieren, wird der Fachmann in Ermangelung anderweitiger Informationen davon ausgehen, dass auch die damit verbundenen Produkteigenschaften identisch sind.
6.5 Die Patentinhaberin hat zudem vorgetragen, Ansprüche, bei denen das beanspruchte Produkt durch das Herstellungsverfahren definiert werde, seien im allgemeinen so zu interpretieren, dass außer den angegebenen Verfahrensschritten keine weiteren Schritte umfasst seien.
Die Kammer kann dieser Betrachtung nicht zustimmen. Im vorliegenden Fall ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der nicht explizit im Anspruch genannte Schritt nicht zu einem Produkt führt, welches nicht mehr unter den Oberbegriff des Anspruchs fallen würde. Beansprucht wird allerdings lediglich ein Formkörper aus den im Anspruch 1 genannten Bestandteilen. Ein zusätzlich zu den genannten Schritten auch durch einen weiteren, unter den genannten Bedingungen durchgeführten, Erwärmungsschritt gekennzeichnetes Verfahren führt jedoch nach wie vor zu einem Formkörper. Auch dieses Argument wird daher nicht als geeignet erachtet, um Neuheit anzuerkennen.
7. Hilfsantrag 4 ist somit nicht gewährbar, weil der Gegenstand des Anspruchs 10 nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1 ist (Artikel 54 EPÜ). Weitere von den Beschwerdegegnerinnen vorgebrachte Einwände können daher unberücksichtigt bleiben.
Hilfsanträge 4a bis 4d - Zulässigkeit
8. Die Hilfsanträge 4a bis 4d wurden von der Patentinhaberin mit Schreiben vom 30. August 2021, und somit nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung und lediglich knapp zwei Monate vor dem Datum der mündlichen Verhandlung eingereicht.
8.1 Die Hilfsanträge 4a bis 4c unterscheiden sich vom vorangehenden Hilfsantrag 4 folgendermaßen:
8.1.1 Im Hilfsantrag 4a wurde am Ende des Anspruchs 10 das folgende Merkmal hinzugefügt:
"... wobei das chemisch ernetzte Elastomer im Formkörper (3) in gespannter Form vorliegt."
Zur Stütze dieses Merkmals hat die Patentinhaberin auf die Seiten 16, Zeile 29 bis Seite 17, Zeile 23 der ursprünglich eingereichten Beschreibung verwiesen.
8.1.2 Im Hilfsantrag 4b wurde die Kategorie des Anspruchs 10 geändert, der Anspruch bezieht sich nun auf ein Verfahren zur Herstellung eines Formkörpers, der wie in Anspruch 10 des Hilfsantrags 4 definiert wird. Zudem wurde im auf ein Verstärkungselement gerichteten Anspruch 11 die Definition des Formkörpers gemäß Anspruch 10 des Hilfsantrags 4 aufgenommen.
8.1.3 In Hilfsantrag 4c wurde Anspruch 10 des Hilfsantrags 4 gestrichen, im auf ein Verstärkungselement gerichteten Anspruch 10 wurde wie in Hilfsantrag 4b die Definition des Formkörpers gemäß Anspruch 10 des Hilfsantrags 4 aufgenommen.
8.1.4 Im Hilfsantrag 4d wurden lediglich die Ansprüche 10 bis 12 aus Hilfsantrag 4 gestrichen.
8.1.5 Bezüglich der Zulässigkeit der Anträge kommt die Kammer zu folgender Auffassung:
Durch die Hilfsanträge 4a bis 4c werden zusätzliche Fragen aufgeworfen, deren Behandlung zu diesem Zeitpunkt im Verfahren insbesondere der Verfahrensökonomie abträglich wären. Da zudem keine stichhaltigen Gründe aufgezeigt wurden, dass außergewöhnliche Umstände für das verspätete Vorbringen vorliegen, bleiben sie unberücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK).
Da Hilfsantrag 4d aus Hilfsantrag 4, der Grundlage der angefochtenen Entscheidung ist, lediglich durch Streichung von Ansprüchen hervorgegangen ist, übt die Kammer das ihr unter Artikel 114(2) EPÜ zugestandene Ermessen aus und lässt den Antrag ins Beschwerdeverfahren zu.
8.2 Somit sind die Hilfsanträge 4a bis 4c nicht zulässig, Hilfsantrag 4d jedoch wird ins Verfahren zugelassen.
Hilfsantrag 4d
In Bezug auf Hilfsantrag 4d haben die Einsprechenden zunächst auf ihre betreffend Hilfsantrag 4 bereits im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Einwände unter Regel 80 EPÜ, Artikel 84, 123(2) und 83 EPÜ verwiesen. Bezüglich dieser Einwände wurden keine Argumente vorgebracht, die die gegenüber Hilfsantrag 4 zusätzlich durchgeführten Änderungen betreffen.
9. Regel 80 EPÜ
9.1 Die Beschwerdeführerin-Einsprechende 1 brachte vor, der Antrag erfülle nicht die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ.
9.2 Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung festgestellt, von den Einsprechenden seien mit Blick auf Hilfsantrag 4 keine diesbezüglichen Einwände vorgebracht worden (siehe unter Punkt 1.8 der angefochtenen Entscheidung sowie Punkt IV.1. der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung).
9.3 Da das Beschwerdeverfahren in erster Linie dazu dient, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, ist das Beschwerdevorbringen der Beteiligten auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen (Artikel 12(2) VOBK). Dies trifft für den vorgebrachten Einwand in Bezug auf Regel 80 EPÜ nicht zu. Gründe, warum dieser nicht bereits im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren vorgebracht worden waren, wurden nicht angegeben. Die Kammer hat den Einwand daher nicht zugelassen (Artikel 12(4) VOBK 2007).
10. Klarheit der Ansprüche (Artikel 84 EPÜ)
10.1 Von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden wurde vorgebracht, die Aufnahme des Merkmals "Verwendung einer ... als Formgedächtnismaterial" in den erteilten Produktanspruch 1 führe zu einem Mangel an Klarkeit (Artikel 84 EPÜ). Der Fachmann verstehe einerseits nicht, was unter einem Formgedächtnismaterial genau zu verstehen sei. Bereits in der Beschreibung werde er mit verschiedenen Definitionen konfrontiert (Absätze [0016] und [0080]). Auch seien in der Beschreibung weitere wesentliche Merkmale offenbart, die jedoch nicht in den geänderten Anspruch aufgenommen seien. Des weiteren sei auch nicht klar, wann eine beanspruchte Verwendung vorliege. Zudem beziehe sich die gewählte Formulierung nicht auf einen eindeutigen Zweck und beinhalte in Abwesenheit von konkreten Verfahrensschritten auch keine Handlungsanweisung.
10.2 Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass dem Fachmann der Begriff "Formgedächtnismaterial" an sich klar ist. Zudem wird in den Absätzen [0016] und [0080] der Beschreibung des Streitpatents erläutert, was darunter zu verstehen ist. Auch vertritt die Kammer die Auffassung, dass die Aufnahme weiterer Merkmale nicht erforderlich ist, um die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ zu erfüllen. Dies gilt insbesondere für Verfahrensmerkmale, da sich der Anspruch nicht auf ein Verfahren, sondern auf die Verwendung einer Zusammensetzung bezieht.
11. Ausreichende Offenbarung (Artikel 83 EPÜ)
Der von der Beschwerdeführerin-Einsprechenden 1 vorgebrachte Einwand mangelnder Offenbarung bezieht sich auf die Breite der Ansprüche. Nach Auffassung der Kammer wurde jedoch nicht gezeigt, dass bestimmte von den Ansprüchen umfasste Ausführungsformen vom Fachmann nicht nachgearbeitet werden können. Die alleinige Behauptung eines derartigen Sachverhalts wird nicht als ausreichende Substantiierung des Einwands angesehen. Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, dem diesbezüglichen Vorbringen zu folgen und erachtet das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ als erfüllt.
12. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
12.1 Die Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden traten der Auffassung der Einspruchsabteilung entgegen, dass die im Anspruch 1 durchgeführte Änderung das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ erfülle.
12.2 Sie brachten hierzu im Wesentlichen vor, dass das Merkmal "Verwendung als Formgedächtnis-Material" als solches zwar eine Stütze in der ursprünglich eingereichten Beschreibung finde, allerdings nur im Zusammenhang mit weiteren Merkmalen, die nicht in den geänderten Anspruch aufgenommen worden seien. Die durchgeführte Änderung des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 sei daher das Ergebnis einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung.
12.3 Die Kammer vertritt die Ansicht, dass der geänderte Anspruch 1 eine Basis in Anspruch 1 sowie Seite 2, Zeilen 20 bis 24 der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung findet. Der ursprüngliche Anspruch 1 definiert die Zusammensetzung bereits so, wie sie auch im geänderten Anspruch 1 angegeben wird. An der genannten Stelle der Beschreibung wird darauf verwiesen, dass sich mit den erfindungsgemäßen Zusammensetzungen Formgedächtnis-Materialien realisieren lassen.
12.4 Auch wird dieses Merkmal unabhängig von weiteren Merkmalen offenbart, auch wenn diese sowohl in der genannten Passage, als auch in den zusätzlich von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden angeführten Passagen, insbesondere Seite 15, Zeilen 16 bis 28, genannt werden. Mit diesen weiteren Merkmale werden jedoch lediglich bevorzugte Ausführungsformen beschrieben. Dies wird durch die Verwendung der Begriffe "insbesondere" (Seite 2, Zeile 21) sowie "möglichst" und "typischerweise" (Seite 15, Zeilen 16 bis 28) zum Ausdruck gebracht. Auch der Verweis auf die Offenbarung des Dokuments D33 vermag die Kammer nicht davon zu überzeugen, dass zusätzliche Merkmale mit in den Anspruch aufgenommen werden müssten, da durch dieses Dokument nicht die Offenbarung der ursprünglich eingereichten Unterlagen definiert wird.
12.5 Die Kammer erachtet die vorgebrachte Argumentation daher nicht als überzeugend, um den Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ zu begründen.
13. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden wurden Neuheitseinwände lediglich hinsichtlich Anspruch 10, und basierend auf Dokument D44, vorgebracht.
13.1 Einigkeit zwischen den Parteien bestand dahingehend, dass im Beispiel 4 des Dokuments D44 eine Zusammensetzung offenbart wird, die Bestandteile enthält, welche bei entsprechenden Reaktionsbedingungen prinzipiell sowohl zu einem chemisch vernetzten Elastomer, als auch zu einem härtbaren Strukturklebstoff führen können.
Hierzu wurden von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden im Beispiel 4 zunächst die Bestandteile YDCN-500-4P (Kresol-Novolak-Epoxidharz) sowie MEH-75003S und 2MA-OK angeführt, beides Härter für Epoxidharze. Dies seien Komponenten eines härtbaren Strukturklebstoffs i) des Anspruchs 10. Die weiteren Bestandteile SG-80H (Epoxidgruppen enthaltendes Elastomerharz) und JEFFAMINE D-230 (aminisches Additiv, Härter für Epoxidharze) führten bei Vernetzungsreaktion zu einem chemisch vernetzten Elastomer ii) gemäß Anspruch 10.
13.2 Strittig zwischen den Parteien war jedoch, ob die im genannten Beispiel beschriebenen Bedingungen zu einem chemisch vernetzten Elastomer führten, welches als durchdringendes Polymernetzwerk im Strukturklebstoff vorliege.
13.3 Die Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden argumentierten, unter den in D44 angegebenen Bedingungen werde bereits während der teilweisen chemischen Vernetzung des Elastomerharzes SG-80H auch das Kresol-Novolak-Epoxidharz YDCN-500-4P in das entstehende Polymernetzwerk eingebunden. Dadurch entstehe eine Zusammensetzung, in der ein härtbarer Strukturklebstoff mit einem diesen durchdringenden chemisch vernetzten Elastomer vorliege, wobei beide Komponenten aus dem Epoxidharz YDCN-500-4P aufgebaut seien.
Das Vorbringen der Patentinhaberin sei deshalb nicht überzeugend, weil die Annahme, der Härter JEFFAMINE D-230 reagiere unter den in D44 angegebenen Bedingungen lediglich mit dem Kresol-Novolak-Epoxidharz YDCN-500-4P, und könne daher nicht bereits zu einer Polymerisierung des Elastomerharzes SG-80H führen, fehlerhaft sei. Aufgrund seiner niedrigen Selektivität reagiere es nämlich sowohl mit dem Epoxidgruppen enthaltenden Elastomerharz SG-80H, als auch mit dem Hydroxidgruppen aufweisenden Kresol-Novolak-Epoxidharz YDCN-500-4P. Diese geringe Selektivität gehe auch aus der Offenbarung der Dokumente D23 bis D25 hervor. JEFFAMINE D-230 sei daher als Härter sowohl für den Aufbau des Elastomers, als auch für den Strukturklebstoff anzusehen. Daher könne sich in der Tat zunächst das Polymernetzwerk aus Elastomer aufbauen, während das Strukturharz noch als härtbare Komponente vorliege.
Bereits in Absatz [0045] des Dokuments D44 werde nämlich darauf verwiesen, dass Aminhärter (also beispielsweise JEFFAMINE D-230) schneller zur Härtung von Hydroxidgruppen enthaltenden Verbindungen (also beispielsweise das Kresol-Novolak-Epoxidharz YDCN-500-4P) führten als Härter für Epoxidharze.
Darüber hinaus werde der Anspruchsgegenstand auch unter der Annahme, dass JEFFAMINE D-230 vollständig mit dem Kresol-Novolak-Epoxidharz YDCN-500-4P reagiere, in der Zusammensetzung gemäß Beispiel 4 von D44 offenbart. In diesem Fall fungiere nämlich, wie aus Absatz [0074] der Beschreibung des Streitpatents hervorgehe, das durch diese Reaktion gebildete Polymer als chemisch vernetztes Elastomer, da ihm die elastomeren Eigenschaften durch den Härter JEFFAMINE D-230 verliehen würden.
13.4 Die Kammer ist von der Argumentation der Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden nicht überzeugt. Insbesondere lässt sich nach Ansicht der Kammer aus deren Vorbringen nicht zweifelsfrei schließen, dass es unter den im Beispiel 4 von D44 angegebenen Bedingungen zu Bildung eines chemisch vernetzten Elastomers kommt, welches als durchdringendes Polymernetzwerk im noch härtbaren Strukturklebstoff vorliegt. Im genannten Beispiel liegen die relevanten Komponenten zunächst gemeinsam vor (siehe Absatz [0056]). Die angeführten Bedingungen (Dispersion der Komponenten, Pulverisieren, Filtration, Filmbildung und Trocknung des gebildeten Films unter zwei unterschiedlichen Bedingungen) lassen jedoch keine eindeutige Aussage dahingehend zu, welche der genannten Komponenten wann, in welcher Reihenfolge und zu welchen Produkten umgesetzt werden. Auch werden in D44 keinerlei weiteren Information darüber offenbart, wie sich die anfängliche Zusammensetzung im Laufe ihrer Verarbeitung ändert, bzw. welche Komponenten in welcher Reihenfolge vernetzt werden. Daher ist die Kammer der Auffassung, dass das in Frage stehende Merkmal in D44 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart wird, auch nicht unter Zuhilfenahme der von den Einsprechenden zusätzlich herangezogenen Dokumente.
13.5 Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden ist daher nicht geeignet, um einen Mangel an Neuheit zu begründen (Artikel 54 EPÜ).
14. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Argumente zu einem Mangel an erfinderischer Tätigkeit wurden von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden in Bezug auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 4d vorgebracht.
14.1 Das Streitpatent liegt auf dem Gebiet der härtbaren Strukturklebstoffe, welche als Formgedächtnis-Materialien ausgebildet sind, sowie deren Verwendung insbesondere im Automobilsektor (Absatz [0001] der Beschreibung). Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 bezieht sich auf die Verwendung einer Zusammensetzung bestimmter Struktur, umfassend mindestens einen härtbaren Strukturklebstoff sowie ein chemisch vernetztes Elastomer, als Formgedächtnis-Material.
14.2 Die Parteien argumentierten erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D31. Dieses Dokument befasst sich mit Strukturklebstoffen auf Epoxidharzbasis, die zwei Komponenten aufweisen. Die Klebstoffe können beispielsweise im Automobilbereich eingesetzt werden (Seite 1, Zeilen 11 bis 14 und 24).
14.3 Die Auffassungen der Parteien stimmten dahingehend überein, dass in Dokument D31 keine Verwendung der insbesondere im Beispiel 1 beschriebenen Zusammensetzungen als Formgedächtnis-Material offenbart wird. Strittig zwischen den Parteien war, ob gemäß Beispiel 1 tatsächlich ein chemisch vernetztes Elastomer gebildet wird. Für die Beurteilung von erfinderischer Tätigkeit ist die Beantwortung dieser Frage wie nachfolgend gezeigt jedoch nicht relevant, da der beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, unabhängig davon, ob sich der Anspruchsgegenstand auch noch zusätzlich durch dieses Merkmal von der Offenbarung des Dokuments D31 unterscheidet, oder nicht.
14.4 Basierend auf dem Unterscheidungsmerkmal der anspruchsgemäßen Verwendung, und ungeachtet eines möglichen weiteren Unterscheidungsmerkmals, ist die ausgehend von Dokument D31 zu lösende technische Aufgabe zu sehen in der Bereitstellung einer neuen Verwendung für die darin offenbarten Zusammensetzungen.
14.5 Die anspruchsgemäße Lösung der gestellten Aufgabe liegt in der Verwendung der genannten Zusammensetzung als Formgedächtnis-Material.
14.6 Die Argumentation der Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden basierte im Wesentlichen darauf, dass dem Fachmann beispielsweise aus Dokument D33 bekannt sei, dass sich Polymerzusammensetzungen, die ein "hard segment" und ein "soft segment" umfassten, zur Verwendung als Formgedächtnis-Materialien eigneten (Spalte 4, Zeilen 51 bis 52). Diese Materialien könnten als durchdringende Polymernetzwerke vorliegen (Spalte 3, Zeilen 31 bis 36). Er würde daher erkennen, dass sich auch die im Dokument D31 offenbarten Materialien für diese Verwendung eigneten, und würde deshalb ausgehend von diesem Dokument mit den darin offenbarten Zusammensetzungen Formgedächtnis-Materialien herstellen.
14.7 Die Kammer erachtet es in Übereinstimmung mit der Patentinhaberin nicht als naheliegend, dass der Fachmann ausgehend von der in Dokument D31 offenbarten Zusammensetzung lediglich deshalb, weil diese eine bestimmte allgemeine Struktur aufweist, zu dem Schluss kommt, sie als Formgedächtnis-Material zu verwenden.
Zunächst deutet im Dokument D31 nichts darauf hin, dass dies der Fall sein könnte. Vielmehr werden die darin offenbarten Strukturklebstoffe dadurch definiert, dass sie verwendet werden können, um beispielsweise Holz, Verbundmaterialien oder Metalle miteinander zu verbinden (Seite 1, Zeilen 16 bis 19). Zwar wird auch allgemein auf einen Einsatz im Automobilbereich verwiesen (Seite 1, Zeile 24), jedoch wertet die Kammer diese Offenbarung nicht als Hinweis auf die Verwendung als Formgedächtnis-Material, welches gemäß Streitpatent beispielsweise zur Verstärkung in Hohlräumen eingesetzt werden kann (Absatz [0001]). Der Fachmann kann D31 auch nicht entnehmen, ob sich gerade die darin beschriebenen Zusammensetzungen tatsächlich als Formgedächtnis-Material eignen könnten.
Auch der Verweis auf Dokument D33 kann die verbleibende Lücke nicht schließen. Zwar werden an den von den Einsprechenden herangezogenen Passagen des Dokuments D33 Zusammensetzungen für Formgedächtnis-Materialien offenbart, jedoch ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass der Fachmann dieses Dokument ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D31 heranziehen würde. Zudem kann er auch aus diesem Dokument keinen Hinweis darauf entnehmen, dass sich die in D31 offenbarten Zusammensetzungen zur Verwendung als Formgedächtnis-Material eignen.
Somit wird dem Fachmann weder durch die Offenbarung des Dokuments D31 alleine, noch unter Verwendung der technischen Lehre des Dokuments D33, vorgeschlagen, die Zusammensetzungen des Dokuments D31 als Formgedächtnis-Material zu verwenden.
14.8 Deshalb erachtet die Kammer die von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden vorgebrachte Argumentation nicht geeignet, einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit zu begründen. Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ werden daher erfüllt.
15. Der Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der Grundlage des während des Beschwerdeverfahrens vorgelegten Hilfsantrags 4d stehen somit keine der von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent aufrechtzuerhalten auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 13, eingereicht als Hilfsantrag 4d mit Schriftsatz von 30. August 2021 und einer daran angepassten Beschreibung.