T 2637/17 01-06-2021
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Stempel für eine Rundläuferpresse
ADAMUS HT sp. z o.o.
Notter GmbH
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Rechtliches Gehör - Beschwerdeverfahren
Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 02) hat gegen die Entscheidung, mit der die gegen das Patent Nr.
2 111 972 gerichteten Einsprüche zurückgewiesen wurden, form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
II. Mit den Einsprüchen war das Patent in vollem Umfang unter Geltendmachung der Einspruchsgründe nach Artikel 100 a), 54 und 56 EPÜ sowie des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 b) EPÜ angegriffen worden.
III. Die angefochtene Entscheidung stützte sich u.a. auf die folgenden Dokumente:
E1: DIN ISO 18084:2006-09,
E11: Anlagekonvolut zur Vorbenutzung "Notter 441".
IV. Die Beschwerdeführerin beantragt
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt
die Zurückweisung der Beschwerde, oder
hilfsweise,
bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis eines der mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Hilfsanträge 1,1a,2-4, 4a, 5 und 5a.
Die Einsprechende 01 hat im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt und sich auch nicht zur Sache selbst geäußert.
V. Anspruch 1 gemäß Streitpatent lautet wie folgt (Merkmalsgliederung gemäß der angefochtenen Entscheidung, siehe Punkt 15.1 der Gründe):
M1 "Stempel für eine Rundläuferpresse,
M2 der einen Schaft (12) und einen Stempelkopf (14)
aufweist,
M3 wobei der Stempelkopf (14) eine obere Spiegelfläche
(16),
M4 eine Zylinderfläche (20) und
M5 einen ersten und einen zweiten gerundeten
Übergangsbereich (22, 24) zwischen Spiegelfläche (16) und Zylinderfläche (20) aufweist,
M6 wobei der erste Übergangsbereich (22) einen ersten
Radius besitzt
M7 und der zweite Übergangsbereich (24) einen zweiten
Radius besitzt,
M8 wobei der erste Radius größer als der zweite Radius ist
M9 und wobei der Stempelkopf (14) ferner einen
vorzugsweise konischen Übergangsbereich (28) von der Zylinderfläche (20) zum Schaft (12) aufweist,
M10 wobei der Durchmesser des Stempelkopfes (14) kleiner
ist als 25 mm,
dadurch gekennzeichnet
M11 dass der erste Radius des ersten Übergangsbereichs (22)
so gewählt ist, dass seine Höhe kleiner ist als die halbe Höhe der Zylinderfläche (20),
M12 wobei der erste Radius kleiner als 14 mm ist,
M13 und wobei der zweite Radius mindestens einem Fünftel
der Größe des ersten Radius entspricht."
VI. Gegen das Bestehen des Streitpatents machte die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung geltend, dass Anspruch 1 nicht ausführbar sei. Die Beschwerdeführerin stellte auch die erfinderische Tätigkeit dieses Anspruchs angesichts der Kombination der Lehre der E11 mit der Lehre der E1 infrage.
VII. Mit der Ladung zu einer für den 28. Juni 2021 anberaumten mündlichen Verhandlung teilte die Kammer durch Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK den Parteien ihre vorläufige Meinung mit, wonach die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in überzeugender Weise dargelegt wurde.
In dieser Mitteilung wurden die schriftsätzlich vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin zur Stützung der vorgenannten Einwände wie auch die schriftsätzlich vorgetragenen Gegenargumente der Beschwerdegegnerin im Detail wie folgt diskutiert.
VIII. Betreffend den Einwand der unzureichenden Offenbarung der Erfindung:
"8. Mangelnde Ausführbarkeit - Artikel 100 b)EPÜ
8.1 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die
Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass das Streitpatent in seiner Gesamtheit die Erfindung deutlich und vollständig genug offenbart, dass der Fachmann das Merkmal M11 und damit die Erfindung insgesamt anhand von einfachen geometrischen Überlegungen ausführen kann.
Nicht offenbart sei, so die Beschwerdeführerin, wie durch Wahl des ersten Radius das beanspruchte Höhenverhältnis von Übergangsbereich zur halben Höhe der Zylinderfläche einzustellen wäre.
Es sei zwar nachvollziehbar, dass der Fachmann die Höhe des ersten Übergangsbereichs kleiner halten könne als die halbe Höhe der Zylinderfläche, und möglich, unter Einhaltung des genannten Höhenverhältnisses, einen bestimmten ersten Radius festzulegen, der darüber hinaus auch die übrigen rein geometrischen Anforderungen des Anspruchs 1 erfüllt.
Nicht ausführbar sei aber das Merkmal M1.1 trotzdem, weil es unmöglich sei, das beanspruchte Höhenverhältnis zu verwirklichen nur mit der Wahl des ersten Radius.
Es sei für den Fachmann weder offenbart, noch verständlich, ob, bzw. wie der vom Streitpatent geforderte Kausalzusammenhang zwischen Wahl des ersten Radius und Einstellung des Höhenverhältnisses gelingen könne, einfach, weil es keinerlei Möglichkeiten gebe, diesen vom Streitpatent geforderten Kausalzusammenhang herzustellen.
Warum dies so sei, wurde erstinstanzlich ausführlich vorgetragen (siehe die Beschwerdebegründung Seite 4, Punkt [007]).
Es sei aus der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen, wie die dort herangezogenen "einfachen geometrischen Überlegungen" und Abänderungsmöglichkeiten des Ausführungsbeispiels, diese mangelnde Offenbarung heilen könnten.
8.2 Die Kammer kann sich dieser Argumentationslinie aus
den folgenden Gründen nicht anschließen.
Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend feststellt, dass der Fachmann auf Grundlage des im Streitpatent offenbarten Ausführungsbeispiels und durch einfache geometrische Überlegungen Merkmal M11 ausführen kann, weil er, wie die Beschwerdeführerin selbst akzeptiert hat, z. B. die Höhe der Zylinderfläche ändern kann, und dadurch zum beanspruchten Höhenverhältnis gelangen kann.
Dass in dem Streitpatent keine mathematische Gleichung zur Berechnung des Höhenverhältnis anhand des Radius angegeben ist, kann vor dem Hintergrund der Möglichkeit, das Verhältnis durch Anpassung weiteren Geometrieparameter zu ändern die Ausführbarkeit des Streitpatents nach der vorläufigen Kammerauffassung nicht infrage stellen.
Weil Anspruch 1 ein Produkt-Anspruch und kein Verfahrensanspruch ist, definiert Merkmal M11, nach vorläufiger Auffassung der Kammer, nicht, dass als erster Schritt der erste Radius auszuwählen ist, und danach dass das beanspruchte Höhenverhältnis (ausschließlich) durch die Wahl des ersten Radius zu erreichen ist, sondern lediglich, dass der erste Radius des ersten Übergangsbereichs kleiner sein soll, als die halbe Höhe der Zylinderfläche.
Soweit sich die Einsprechende in der Beschwerdebegründung allgemein auf ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren bezieht (siehe Beschwerdebegründung Seite 4, Punkt [007]), weist die Kammer darauf hin, dass dieses Vorbringen nicht die Erfordernisse von Artikel 12 (3) VOBK 2020 (entsprechend Artikel 12 (2) VOBK 2007) erfüllt und gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 derzeit nicht berücksichtigt wird."
IX. Betreffend den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1:
"9. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 100 a) und 56 EPÜ
9.1 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen
die Feststellung der angefochtenen Entscheidung,
dass der Gegenstand von Anspruch 1, ausgehend von
E11, als nächstliegender Stand der Technik, und unter Berücksichtigung der Lehre der E1, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
9.1.1 Hierbei argumentiert die Beschwerdeführerin,
dass dabei die Einspruchsabteilung die Lehre der E1 unsachgemäß interpretiert habe.
Die Einspruchsabteilung habe zutreffend festgestellt, dass E11 alle Merkmale des Anspruchs 1 offenbare, bis auf das Merkmal M10, wonach der Durchmesser des Stempelkopfes kleiner als 25 mm ist, und dafür die zu lösende Aufgabe formuliert, einen geringeren Abstand und somit eine kleinere Baugröße zu erzielen.
Diese Aufgabe sei anhand der Lehre der E1 ohne erfinderisches Zutun zu lösen.
Bild A.1 des Anhanges A aus E1 zeige alle Höhen und Radien, welche die Stempelkopfgeometrie maßgeblich festlegen, lehre aber, dass die Wahl der Durchmesser (D1-D4) frei, alle die übrigen relevanten Maße dagegen vorgeschrieben seien.
Insofern sei es für den vom Stempel der E11 ausgehenden Fachmann naheliegend, einen Durchmesser des Stempelkopfes kleiner als 25 mm auszuwählen, um einen geringeren Abstand und somit eine kleinere Baugröße zu erzielen.
9.1.2 Die Kammer ist von der Argumentation der
Einsprechenden nicht überzeugt.
Wie die Beschwerdeführerin geltend macht, ausgehend von E11 und unter Berücksichtigung des bereits in der angefochtenen Entscheidung identifizierten Unterscheidungsmerkmals (M10), stand der Fachmann vor der Aufgabe, einen Stempel für Rundläuferpressen zu schaffen, der eine geringere Baugröße besitzt und somit mit einem geringen Abstand zu den benachbarten Stempeln montiert werden kann.
Die Beschwerdeführerin hat eine Kombination mit der Lehre der E1 geltend gemacht, aber dabei nicht erklärt, in welcher Passage dieser Schrift Vorteile erwähnt, die zur Lösung dieser Aufgabe einen Beitrag leisten können.
Im Gegenteil macht die Beschwerdeführerin geltend, dass E1 lehre, dass die Wahl des Durchmessers frei sei.
Damit ist aus den Argumenten der Beschwerdeführerin nicht erkennbar, warum die Kombination von E11 mit E1 den Fachmann veranlasst hätte, ausgerechnet zu einem Durchmesser des Stempelkopfes zu gelangen, der kleiner als 25 mm ist.
Die Argumentationslinie, wonach der Fachmann eine Lehre der Norm E1 auf einen Stempel gemäß E11 anwende, ist dazu nicht überzeugend, weil der Stempel gemäß E11 nicht unter die Norm E1 fällt.
Selbst unter Berücksichtigung der vermeintlichen Lehre der E1, wonach die Wahl des Durchmessers frei sei, während alle übrigen relevanten Maße vorgeschrieben seien, fehlt es an einem Anlass, ausgerechnet den Durchmesser abzuändern.
Sollte der Stempel gemäß E11 tatsächlich normenkonform gemacht werden, würde der Fachmann nicht dessen Durchmesser, sondern die Kopfform ändern, weil die E1 die geometrische Ausbildung und Abmessung von Stempelköpfen für Rundläuferpressen definiert (siehe auch Absatz [0005] der Streitpatentschrift).
Die Beschwerdeführerin hat somit nicht überzeugend dargelegt, warum die in der angefochtenen Entscheidung enthaltene Feststellung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 angesichts einer Kombination der Lehre von E11 mit der Lehre von E1 erfinderisch ist, nicht korrekt ist.
Aufgrund dieser sich ausschließlich auf das Merkmal M10 stützende Feststellung der erfinderischen Tätigkeit sieht die Kammer keine Notwendigkeit, Stellung zu den folgenden Argumentationslinien der Beschwerdegegnerin zu nehmen:
- der Nachweis der in Verbindung mit E11 geltend gemachten Vorbenutzung sei nicht lückenlos, weshalb keine offenkundige Vorbenutzung vorliege (siehe Seite 11, Punkt 4 der Beschwerdeerwiderung),
-E11 Merkmal M11 nicht offenbare (siehe Seite 11, Punkt 7 der Beschwerdeerwiderung)."
X. Die Beschwerdeführerin kündigte nach Erhalt dieses Bescheids an, an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen zu wollen (Schriftsatz vom 26. April 2021).
Dabei brachte die Beschwerdeführerin keine Argumente vor, warum die vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Kammer, dass ihre Beschwerde zurückzuweisen wäre, nicht zuträfe.
1. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung (Punkt VI.) die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt, und mit Schriftsatz vom 26. April 2021 mitgeteilt, dass sie an der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
Die vorliegende Entscheidung ergeht somit im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 unter Wahrung der Verfahrensrechte beider Verfahrensbeteiligten nach Artikel 113 und 116 EPÜ.
Das Prinzip des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ wird mit der vorliegenden Entscheidung nicht verletzt, da es ausreicht, dass die Beschwerdeführerin die Gelegenheit dazu hatte, gehört zu werden. Durch die Erklärung, fernbleiben zu wollen, hat die Beschwerdeführerin auf diese Möglichkeit verzichtet (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage 2019, Abschnitt III.B.2.7.3).
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt beachtet worden, da die Beschwerdeführerin umfangreich zur Sache vorgetragen hat, und die Kammer den Vortrag dieser Partei in ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Der von der Beschwerdegegnerin hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ steht unter der Bedingung (Beschwerdeerwiderung, Punkt I.1), dass die Kammer nicht schon ihrem Hauptantrag auf Zurückweisung der Beschwerde stattgibt.
Somit wird der vorgenannte Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin auf mündliche Verhandlung verfahrensrechtlich nicht wirksam.
2. Unter den Punkten 8 und 9 der oben erwähnten Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK, hat die Kammer dargelegt, warum sie sich nicht den Argumenten der Beschwerdeführerin anzuschließen vermag.
Zu dieser vorläufigen Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Kammer hat die Beschwerdeführerin weder Stellung genommen noch hat sie während des Beschwerdeverfahrens hierzu Gegenargumente vorgebracht (siehe oben Punkt X).
3. Unter diesen Umständen sieht die Kammer - nachdem sie erneut alle relevanten Aspekte in Bezug auf diese Fragen berücksichtigt und überprüft hat - keinen Grund, von ihrer in der oben erwähnten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK dargelegten vorläufigen Beurteilung der Beschwerde abzuweichen, und legt diese auch der vorliegenden Entscheidung zu Grunde.
4. Die Beschwerdeführerin hat die Kammer mithin nicht von der Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung überzeugt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.