T 2658/17 11-05-2022
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LEITUNGSFÜHRUNGSANORDNUNG MIT VERMINDERTER GERÄUSCHEMISSION
Mündliche Verhandlung - in Abwesenheit des Beteiligten abgehalten
Hauptantrag, Hilfsanträge I bis III - Änderungen - zulässig (nein)
Hilfsantrag IV - Patentansprüche - Klarheit (nein)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags IV die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, haben beide Parteien Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand dieses Antrags neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die Einspruchsabteilung hatte ferner entschieden, dass
1) der Gegenstand des Hauptantrags und des Hilfsantrags III nicht neu sei, und
2) der Gegenstand des Streitpatents gemäß Hilfsantrag I und II über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Da die Beschwerdeführerin 1 (Patentinhaberin), wie in ihrem Schreiben vom 21. April 2022 angekündigt, nicht zur mündlichen Verhandlung erschien, wurde das Verfahren gemäß Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) VOBK 2020 ohne sie fortgesetzt.
IV. In ihren schriftlichen Eingaben beantragte die Beschwerdeführerin 1 (Patentinhaberin), die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen, die Entgegenhaltungen E10 und E11 nicht in das Verfahren zuzulassen, hilfsweise die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung, falls der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags als neu erachtet wird, weiter hilfsweise das Patent auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung vom 9. Februar 2018 eingereichten Hilfsanträge I bis IV aufrechtzuerhalten, und die Beschwerde der Beschwerdeführerin 2 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beschwerdeführerin 2 (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 963 711.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in eckigen Klammern hinzugefügt):
[1.1] Seitenteil eines Gliedes einer Leitungsführungseinrichtung
[1.2] mit einem ersten Bereich (1) mit wenigstens einen [sic] ersten Anschlagfläche (5, 6, 9, 10) und
[1.3] mit einem zweiten Bereich (3) mit wenigstens einen [sic] zweiten Anschlagfläche (7, 8, 11, 12),
[1.4] wobei die erste Anschlagfläche (5, 6, 9, 10) mit der zweiten Anschlagfläche (7, 8, 11, 12) zusammenwirkt, wenn zwei Seitenteile (21, 22) mit ihren Bereichen verbunden werden, und
[1.5] mit wenigstens einem elastischen Element (15, 20), gekennzeichnet durch
[1.6a] wenigstens ein einseitig festgelegtes,
[1.7] sich in Längsrichtung des Seitenteils erstreckendes
[1.6b] Element (15, 20) im ersten Bereich (1), und durch
[1.8] wenigstens einen Anschlag (18) am zweiten Bereich (3),
[1.9] wobei durch ein Verbiegen des elastischen Elementes (15, 20) im Wesentlichen Quer [sic] zur Längsrichtung des Seitenteils die Schwenkbewegung zweier Seitenteile gedämpft wird und
[1.10] das Element (15, 20) eine in Längsrichtung des Elementes betrachtet veränderliche Dicke aufweist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich vom Hauptantrag durch Aufnahme des Worts "nur" in Merkmal [1.9], sodass (Änderung hervorgehoben)
[1.9-Aux1] nur durch ein Verbiegen des elastischen Elementes (15, 20) im Wesentlichen Quer [sic] zur Längsrichtung des Seitenteils die Schwenkbewegung zweier Seitenteile gedämpft wird.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II unterscheidet sich vom Hauptantrag durch Umformulierung des Merkmals [1.7], wonach das wenigstens eine einseitig festgelegte Element 15, 20 im ersten Bereich 1 (Änderungen hervorgehoben)
[1.7-Aux2] sich in Längsrichtung und zu einer Gelenkachse des Seitenteils hin erstreckt.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III unterscheidet sich vom Hauptantrag durch Umformulierung der Merkmale [1.6], [1.9] und [1.10], sodass das Seitenteil gekennzeichnet ist durch (Änderungen hervorgehoben):
[1.6a-Aux3] zwei einseitig festgelegte,
[1.7-Aux3] sich in Längsrichtung des Seitenteils erstreckende
[1.6b-Aux3] Elemente (15, 20) im ersten Bereich (1),
[1.9-Aux3] wobei durch ein Verbiegen eines der beiden elastischen Elemente (15, 20) im Wesentlichen Quer [sic] zur Längsrichtung des Seitenteils die Schwenkbewegung zweier Seitenteile gedämpft wird
[1.10-Aux3] und die Elemente (15, 20) eine in Längsrichtung des Elementes betrachtet veränderliche Dicke aufweisen.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag IV ist im Wesentlichen auf zwei einseitig an einem Vorsprung festgelegte Elemente beschränkt und lautete wie folgt (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag hervorgehoben):
[1.1] Seitenteil eines Gliedes einer Leitungsführungseinrichtung
[1.2] mit einem ersten Bereich (1) mit wenigstens einen [sic] ersten Anschlagfläche (5, 6, 9, 10) und
[1.3] mit einem zweiten Bereich (3) mit wenigstens einen [sic] zweiten Anschlagfläche (7, 8, 11, 12),
[1.4] wobei die erste Anschlagfläche (5, 6, 9, 10) mit der zweiten Anschlagfläche (7, 8, 11, 12) zusammenwirkt, wenn zwei Seitenteile (21, 22) mit ihren Bereichen verbunden werden, und
[1.5-Aux4] mit wenigstens einem elastischen Element (15), gekennzeichnet durch
[1.6a-Aux4] zwei einseitig an einem Vorsprung (13) festgelegte,
[1.7-Aux4] sich in Längsrichtung des Seitenteils erstreckende
[1.6b-Aux4] Elemente (15) [deleted: im ersten Bereich (1)],
[1.11-Aux4] wobei der Vorsprung (13) zweite Anschlagflächen (7, 8), die im Wesentlichen parallel zu Längsrändern des Seitenteils verlaufen, im zweiten Bereich (3) aufweist, und durch
[1.8-Aux4] zwei Anschläge (16) am ersten Bereich (1),
[1.9-Aux4] wobei durch ein Verbiegen eines elastischen Elementes (15) im Wesentlichen Quer [sic] zur Längsrichtung des Seitenteils die Schwenkbewegung zweier Seitenteile gedämpft wird und
[1.10-Aux4] die Elemente (15) eine in Längsrichtung des Elementes (15) betrachtet veränderliche Dicke aufweisen.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin 1, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag und Hilfsanträge I bis III - Änderungen
Den Figuren 2 bis 4 der ursprünglichen Anmeldung sei eindeutig zu entnehmen, dass sich die elastischen Elemente in Längsrichtung des Seitenteils erstrecken.
Hilfsantrag IV - Klarheit
Die Beschwerdeführerin 1 hat hierzu nicht Stellung genommen.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin 2, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag und Hilfsanträge I bis III - Änderungen
Die Aufnahme des Merkmals [1.7] in den jeweiligen Anspruch 1 stelle eine unzulässige Zwischenverall-gemeinerung der Offenbarung der in den Figuren gezeigten Ausführungsform dar. Die Anträge verstießen daher gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
Hilfsantrag IV - Klarheit
Anspruch 1 enthalte Klarheitsmängel und verstoße daher gegen Artikel 84 EPÜ.
1. Hauptantrag - Änderungen (Artikel 100 c) EPÜ)
1.1 Die ursprünglich eingereichte Anmeldung offenbart in den Ansprüchen 1 und 4 die Merkmale [1.1] bis [1.6] sowie [1.8] und [1.10] des erteilten Anspruchs 1.
1.2 Bezüglich Merkmal [1.7] führte die Beschwerdeführerin 1 aus, den Figuren 2 bis 4 der ursprünglichen Anmeldung sei eindeutig zu entnehmen, dass sich die am Vorsprung 13 ausgebildeten elastischen Elemente 15 in Längsrichtung des Seitenteils erstrecken.
1.3 In der Tat zeigen die genannten Figuren elastische Elemente 15 und 20, die sich in Längsrichtung des Seitenteils erstrecken. Diese elastischen Elemente können ihre anspruchsgemäße Funktion, insbesondere die Dämpfung der Schwenkbewegung zweier Seitenteile durch Verbiegen des elastischen Elementes quer zur Längsrichtung des Seitenteils gemäß Merkmal [1.9], jedoch nur dann erfüllen, wenn das Seitenteil weitere in den Figuren dargestellte Merkmale aufweist. Das betrifft vor allem die Positionierung der elastischen Elemente und der mit ihnen in Wechselwirkung stehenden Anschläge. Das in den Figuren dargestellte Ausführungsbeispiel offenbart diesbezüglich zwei alternative Ausgestaltungen:
In der einen Ausgestaltung befinden sich die elastischen Elemente 15 an einem Vorsprung 13. Bei der Verbindung zweier Seitenteile greift der Vorsprung 13 des einen Seitenteils in eine korrespondierende Vertiefung 14 des anderen Seitenteils ein, und die elastischen Elemente 15 gelangen beim Verschwenken der Seitenteile zur Anlage mit Anschlägen 16, die im Bereich dieser Vertiefung 14 vorgesehen sind (A-Schrift, Seite 7, Zeile 18 bis Seite 8, Zeile 2).
In der anderen Ausgestaltung sind die elastischen Elemente 20 in einer Vertiefung 19 und jeweils benachbart zu Anschlagflächen 11 und 12 vorgesehen. Bei der Verbindung zweier Seitenteile greift in diese Vertiefung 19 eine korrespondierende Erhebung 17 des anderen Seitenteils ein, und die elastischen Elemente 20 gelangen beim Verschwenken der Seitenteile zur Anlage mit einem Anschlag 18, der sich an dieser Erhebung 17 befindet (A-Schrift, Seite 8, Zeilen 4 bis 14).
1.4 Die Positionierung der elastischen Elemente (am Vorsprung 13 bzw. in der Vertiefung 19) und der mit ihnen in Wechselwirkung stehenden Anschläge (in der korrespondierenden Vertiefung 14 bzw. an der korrespondierenden Erhebung 17) ist also untrennbar mit der Erstreckungsrichtung "in Längsrichtung des Seitenteils" der elastischen Elemente verknüpft.
1.5 Wie von der Beschwerdeführerin 2 ausgeführt, stellt daher die isolierte Aufnahme des Merkmals [1.7] in den Anspruch 1 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar, sodass der Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllt. Damit steht der Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents wie erteilt entgegen.
2. Hilfsantrag I - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
2.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags I wurde dahingehend geändert, dass nur durch ein Verbiegen des elastischen Elementes (15, 20) im Wesentlichen quer zur Längsrichtung des Seitenteils die Schwenkbewegung zweier Seitenteile gedämpft wird (Merkmal [1.9-Aux1]).
2.2 Anspruch 1 des Hilfsantrags I enthält damit weiterhin die unzulässige Zwischenverallgemeinerung in Bezug auf das Merkmal [1.7], sodass obige Ausführungen zu Anspruch 1 des Hauptantrags unverändert gelten (siehe Punkt 1. oben).
2.3 Anspruch 1 des Hilfsantrags I erfüllt daher nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
3. Hilfsantrag II - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags II wurde dahingehend geändert, dass das wenigstens eine einseitig festgelegte Element (15, 20) im ersten Bereich (1) sich in Längsrichtung und zu einer Gelenkachse des Seitenteils hin erstreckt (Merkmal [1.7-Aux2]).
3.2 Auch das Merkmal [1.7-Aux2] enthält keine Angaben zur Platzierung der elastischen Elemente und der damit wechselwirkenden Anschläge. Anspruch 1 des Hilfsantrags II enthält deshalb weiterhin die oben diskutierte unzulässige Zwischenverallgemeinerung, sodass die Schlussfolgerung zu Anspruch 1 des Hauptantrags unverändert gilt (siehe Punkt 1. oben).
3.3 Anspruch 1 des Hilfsantrags II erfüllt daher nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
4. Hilfsantrag III - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags III wurde präzisiert durch
[1.6a-Aux3] zwei einseitig festgelegte,
[1.7-Aux3] sich in Längsrichtung des Seitenteils erstreckende
[1.6b-Aux3] Elemente (15, 20) im ersten Bereich (1),
[1.9-Aux3] wobei durch ein Verbiegen eines der beiden elastischen Elemente (15, 20) im Wesentlichen quer zur Längsrichtung des Seitenteils die Schwenkbewegung zweier Seitenteile gedämpft wird
[1.10-Aux3] und die Elemente (15, 20) eine in Längsrichtung des Elementes betrachtet veränderliche Dicke aufweisen.
4.2 Das Merkmal [1.6-Aux3] spezifiziert zwar in Anlehnung an die in den Figuren gezeigte Ausführungsform, dass es sich um zwei elastische Elemente handelt. Im Weiteren macht aber auch der Anspruch 1 des Hilfsantrags III keine Angaben zur Platzierung der elastischen Elemente und der damit wechselwirkenden Anschläge. Anspruch 1 des Hilfsantrags III enthält deshalb weiterhin die oben diskutierte unzulässige Zwischenverallgemeinerung, sodass die Schlussfolgerung zu Anspruch 1 des Hauptantrags unverändert gilt (siehe Punkt 1. oben).
4.3 Anspruch 1 des Hilfsantrags III erfüllt daher nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
5. Hilfsantrag IV - Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
5.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags IV wurde unter Anderem dahingehend geändert, dass in Merkmal [1.9] der bestimmte Artikel vor dem elastischen Element durch einen unbestimmten Artikel ersetzt wurde. Demgemäß schreibt das Merkmal [1.9-Aux4] vor, dass durch ein Verbiegen eines elastischen Elementes (15) im Wesentlichen quer zur Längsrichtung des Seitenteils die Schwenkbewegung zweier Seitenteile gedämpft wird.
Die Verwendung des unbestimmten Artikels "eines" in Merkmal [1.9-Aux4] ohne jeglichen Rückbezug auf das bereits in Merkmal [1.5-Aux4] erwähnte elastische Element 15 oder die in Merkmal [1.6-Aux4] erwähnten zwei Elemente 15 hat zur Folge, dass der Zusammenhang zwischen diesen Elementen unklar ist. So bleibt es insbesondere offen, ob es sich bei dem elastischen Element des geänderten Merkmals [1.9-Aux4] um dasselbe elastische Element wie in Merkmal [1.5-Aux4] oder um ein anderes handelt.
5.2 Anspruch 1 des Hilfsantrags IV wurde ferner dahingehend geändert, dass der Vorsprung (13) zweite Anschlagflächen (7, 8), die im Wesentlichen parallel zu Längsrändern des Seitenteils verlaufen, im zweiten Bereich (3) aufweist (Merkmal [1.11-Aux4]).
Die gewählte Formulierung lässt es offen, ob die zweiten Anschlagflächen des Merkmals [1.11-Aux4] im Zusammenhang mit der zweiten Anschlagfläche des Merkmals [1.3] stehen oder nicht.
5.3 Anspruch 1 des Hilfsantrags IV erfüllt daher nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Das Patent wird widerrufen.