T 0044/18 12-03-2021
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Verfahren zur Herstellung von Polyamiden unter Verwendung von Carbonsäuren und Amiden
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (nein)
Beschwerdebegründung - vollständiger Sachvortrag eines Beteiligten (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 25. Oktober 2017 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 2 128 198 zurückgewiesen wurde.
II. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung beruhte auf den erteilten Ansprüchen. Anspruch 1 wie erteilt lautete wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines Polyamids unter Verwendung von einem oder mehreren verschiedenen Arten von Monomeren und/oder Oligomeren, dadurch gekennzeichnet, dass es in Gegenwart der folgenden Additive durchgeführt wird:
- eine oder mehrere Carbonsäuren in einer Menge von 0,01 - 3 Gew.-%, wobei es sich bei mindestens einer der Carbonsäuren um eine aromatische Dicarbonsäure handelt,
- Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid oder Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-terephthalsäurediamid,
- eines oder mehrere alkylsubstituierte Phenole und/oder Thiole,
wobei die Menge an Diamid 0,01 - 3 Gew.-% und die Menge an Phenol und/oder Thiol 0,001 - 2 Gew.-% bezogen auf das gesamte Polyamid beträgt".
III. Folgende Dokumente wurden unter anderem in der Entscheidung zitiert:
D1: DE 197 45 099
D2: EP 0 818 491
D3: La Manita, F.P. et al., "Thermo- and photo-oxidative stability and improved processability of polyamide stabilized with a new functional additive", POLYMERS FOR ADVANCED TECHNOLOGIES, 2 März 2005
D5: EP 0 759 953
D10/D10a: JP 2006-257570 und maschinelle Übersetzung
D11/D11a: JP 2006-265777 und maschinelle Übersetzung
D12: DE 2448047
IV. In der angefochtenen Entscheidung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 8 wie erteilt eine Basis in der Anmeldung wie ursprünglich offenbart finde.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 8 sei auch erfinderisch. Unter D1, D3, D5, D10/D10a, D11/D11a, die im Einspruchsverfahren als möglicher nächstliegender Stand der Technik zitiert worden seien, setze sich D1 am ehesten mit der Gesamtproblematik des Streitpatents auseinander und stelle somit den nächstliegenden Stand der Technik dar. Unter der Annahme, dass D1 die Anwesenheit von Terephthalsäure in Beispiel 1 offenbare, unterscheide sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von diesem Beispiel durch die Anwesenheit eines oder mehrerer alkylsubstituierter Phenole und/oder Thiole.
Die objektive technische Aufgabe sei die Bereitstellung eines zu dem in D1 offenbarten alternativen Verfahrens zur Herstellung eines Polyamids.
Sowohl D2 als auch D12 offenbarten das oben genannte Unterscheidungsmaterial.
Aus D2 gehe hervor, dass alle Beispiele 1, 2 und 3 jeweils drei Additivkomponenten enthielten, nämlich die aromatische Dicarbonsäure Terephthalsäure (TPS), das alkylsubstituierte Phenol 3-(3,5-Di-tert.butyl-4-hydroxyphenyl)-propionsäure (DBHPP) sowie zusätzlich die Verbindung Triacetondiamin (TAD). Aus D2 sei allerdings lediglich zu entnehmen, dass eine Kombination dieser drei Komponenten zur Lösung des darin genannten technischen Problems erforderlich sei. Die Verwendung eines alkylsubstituierten Phenols zur Lösung der gestellten Aufgabe werde in D2 nicht gelehrt.
D12 offenbare zwar die Verwendung von Thiolen zur Hitzestabilisierung von Polyamiden, allerdings lediglich entweder in Kombination mit weiteren Stoffen wie Kupfersalzen oder als Kupferkomplexe, oder als einzigem Stabilisator. Somit sei aus D12 die Verwendung von alkylsubstituierten Phenolen und/oder Thiolen in Kombination mit den in D1 offenbarten Additiven zur Lösung der oben genannten technischen Aufgabe nicht zu entnehmen.
V. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
VI. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) reichte mit der Beschwerdeerwiderung die Hilfsanträge 1 und 2 ein.
VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 17. September 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit.
VIII. Mit Schreiben vom 12. Januar 2021 reichte die Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge 3 und 4 ein.
IX. Die mündliche Verhandlung, die im Hinblick auf entsprechende Anträge der Parteien anberaumt worden war, fand am 12. März 2021 per Videokonferenz statt.
X. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags
- D2 ziele darauf ab, Polyamide herzustellen, die witterungsstabil seien, d.h. im Sinne der D2 Polyamide, die eine hohe Beständigkeit gegenüber Licht, Hitze und Feuchtigkeit aufwiesen. Dementsprechend ähnelte die D2 dem Streitpatent thematisch und sei auf dem gleichen Gebiet der Technik anzusiedeln. D2 stelle somit ein geeignetes Dokument als nächstliegenden Stand der Technik dar.
- D2 lehre ein Verfahren zur Polymerisation von epsilon-Caprolactam, das in Gegenwart kleiner Mengen aromatischer Dicarbonsäuren und alkylierter Phenole durchgeführt sei. Zudem sei im Verfahren der D2 gehinderte Amin-Lichtstabilisatoren als Additive eingesetzt worden. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents unterscheide sich lediglich von der D2 dadurch, dass bei der Herstellung des Polyamids anstatt von Triacetondiamin (auch bezeichnet als TAD), eine aromatische HALS-Verbindung (Hindered Amine Light Stabilizer), nämlich Bis(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid (S-EED®) oder Bis(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)terephthalsäurediamid, verwendet werde.
- Dieses Unterscheidungsmerkmal habe keinen überraschenden technischen Effekt und könne somit keine erfinderische Tätigkeit begründen. Die Aufgabe sei somit die Bereitstellung einer weiteren Polyamidzusammensetzung.
- Der Gegenstand des Streitpatents sei im Hinblick auf D2 und das übliche fachmännische Können und Wissen naheliegend. Die Verbindung S-EED® gehöre nämlich schon lange zu den etablierten Additiven bei der Polyamidherstellung.
- Darüber hinaus finde sich in D1 der Hinweis, dass das erfindungsgemäße Additiv der HALS-Verbindung TAD vorzuziehen sei. Diesen Hinweis würde der Fachmann als Anleitung verstehen, TAD in dem Verfahren der D2 gegen das erfindungsgemäße Additiv in der D1 auszutauschen, welches bevorzugt Bis(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid oder das entsprechende Terephthalsäure-Analogon sei. Der Gegenstand des Streitpatents sei somit ausgehend von der Druckschrift D2 und unter Berücksichtigung der Lehre in der D1 nahegelegt.
Zurückverweisung an die erste Instanz
- Eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz sei nicht gerechtfertigt. Der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegenüber D2 sei mit der Beschwerde ausführlich dargelegt worden. Die Beschwerdegegnerin habe es verabsäumt, die Hilfsanträge 1-4 in Bezug auf diesen Einwand zu behandeln, auch nachdem die Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren darauf aufmerksam gemacht worden sei. Eine Zurückverweisung würde das Verfahren nur verlängern und wäre somit gegen das Prinzip der Verfahrensökonomie.
Zulassung der Hilfsanträge 1-4
- Die Hilfsanträge 1-4 seien im Beschwerdeverfahren in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit nicht begründet worden. Insbesondere wäre jede Argumentation hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit dieser Anträge in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer tatsächlich zum ersten Mal vorgetragen worden. Aus diesem Grund seien die Hilfsanträge nicht zuzulassen.
- Eine Zurückverweisung an die erste Instanz auf Grundlage der Hilfsanträge würde das Verfahren unzumutbar verzögern. Es gebe hierfür auch keinen Grund, denn alle Argumente der Beschwerdeführerin seien schon mit der Beschwerdebegründung vorgebracht worden.
XI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags
- D5 und nicht D2 bilde den nächstliegenden Stand der Technik, da D5 von der in der Tabelle 2 der Streitpatentschrift gezeigten technischen Wirkung ausgehe. Die Aufgabenstellung in D2 sei hingegen wesentlich allgemeiner gehalten als die der vorliegenden Erfindung.
- Ausgehend von D2 sei zunächst anzumerken, dass dieses Dokument im Anspruch 1 eine Additivmischung beanspruche, die weitere Bestandteile enthalte, die in der Additivmischung gemäß Anspruch 1 des Streitpatents nicht enthalten seien. Die Beispiele nennen die Verbindung 4-Amino-2,2,6,6-tetraalkylpiperidin (TAD) und die aliphatischen oder cycloaliphatischen Diamine. Die Tabelle 1 der D2 schlage als weiteren Inhaltstoff Terephthalsäure vor. Der Fachmann würde der Additivmischung des Anspruchs 1 der D2 keine weiteren Additive mehr hinzufügen, da die Additivmischung dann aus sehr vielen Einzelbestandteilen bestehen würde und dies nicht erwünscht sei.
- Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents unterscheide sich von der D2 dadurch, dass bei der Herstellung des Polyamids statt der HALS-Verbindung Triacetondiamin (auch bezeichnet als TAD), eine aromatische HALS-Verbindung, nämlich Bis(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid oder Bis(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4) terephthalsäurediamid, verwendet werde.
- In der Tabelle 2 des Streitpatents sei ein Effekt für diesen Unterschied gezeigt worden. Insbesondere sei in den Beispielen 4 bis 6 eine Verbesserung der Hitzestabilität belegt, die in einer signifikante Erniedrigung des Gelbwertes besteht. Die Verbesserung des Gelbwertes (YI) der Beispiele 4 bis 6 im Bereich von 0,6-0,8 sei im Vergleich zum Bereich des Gelbwerts der Beispiele 1 bis 3 von 1,5-0,9 deutlich erkennbar. Gleichzeitig seien Polymerisationsgrad, Viskosität und Molekulargewicht nicht soweit herabgesetzt, dass durch die damit einhergehende Änderung der mechanischen Eigenschaften das mögliche Einsatzspektrum eingeengt sei. Die Aufgage sei somit ein hitzestabilisiertes Polyamid bereitzustellen. Dabei sei anzumerken, dass das Streitpatent die Menge der Additive begrenze. Im Stand der Technik seien zur Erreichung eines höheren Schutzpotentials relativ große Mengen an Additiven zuzusetzen, so dass die Kettenregelung zu einem unerwünscht niedrigen Polymerisationsgrad führe und Viskosität und Molekulargewicht soweit herabgesetzt werden, dass die damit einhergehende Änderung der mechanischen Eigenschaften das mögliche Einsatzspektrum einenge.
- Im Anspruch 1 der D2 seien die Ausgangsverbindungen Lactame, omega-Aminocarbonsäuren, Dicarbonsäuren und Diamine, Dicarbonsäure-/Diaminsalze genannt worden, zu denen die Additive TAD, ein aliphatisches oder cycloaliphatisches Diamin, welches eine primäre oder tertiäre Aminogruppe trage, und DBHPP, ein alkyliertes Phenol, zugegeben worden seien.
- Obwohl das aliphatische oder cycloaliphatische Diamin in einem Gewichtsanteil von 0-0,5 Gew.-% zugegeben werde, und deshalb die Zugabe nur optional sei, würde der Fachmann dies vom Inhalt miterfassen. Es sei davon auszugehen, dass das zugegebene aliphatische oder cycloaliphatische Diamin, das der Fachmann zumindest für einige Vergleichsversuche hinzugeben würde, die technische Wirkung des Streitpatents vereiteln würde. Im Anspruch 1 der D2 sei zudem eine aromatische Dicarbonsäure nicht genannt. Der Fachmann würde nach Durchsicht des Anspruchs 1 der D2 durch Austausch der Verbindungen TAD gegen S-EED® oder BMTA nicht zum Anspruch 1 der Streitpatents gelangen. Der Fachmann würde also ohne aromatische Dicarbonsäure und mit den weiteren Additiven aus D2 nicht die technische Wirkung der Additive des Streitpatents erzielen.
- Darüber hinaus sei aus D2 ersichtlich, dass TAD und DBHPP zur Erzielung des technischen Effektes in Tabelle 1 nur gemeinsam zu verwenden seien, und dass das Zusammenwirken der Komponenten TAD und DBHPP über einen reinen additiven Effekt hinausgehe. Der Fachmann würde deshalb die Verbindung TAD aus dem Gemisch der D2 nicht gegen S-EED® oder BMTA ohne weiteres ersetzen, weil er befürchten würde, beim Ersatz des TAD durch S-EED® oder BMTA die technische Wirkung des DBHPP zu verlieren. Der Fachmann würde also nach Durchsicht der D2 und der D1 TAD nicht gegen S-EED® oder BMTA ersetzen, und daher nicht zu den Additiven des Anspruchs 1 des Hauptantrags gelangen. Anspruch 1 des Hauptantrags sei deshalb erfinderisch gegenüber D2 und D1.
Zurückverweisung an die erste Instanz
- Die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz um die Hilfsanträge 1-4 zu diskutieren sei berechtigt. Eine eingehende Abhandlung der Hilfsanträge 1-4, insbesondere in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit gegenüber D2, sei im Hinblick auf die Anzahl der von der Einsprechende geltend gemachten Angriffe im Beschwerdeverfahren schier unmöglich gewesen und hätte den Rahmen der Beschwerde gesprengt. Darüber hinaus sei bisher auch nicht untersucht worden, ob die Thiole, die zum Gegenstand des beanspruchten Verfahrens gehörten, erfinderisch seien. Darüber hinaus sei die Beschwerdekammer in ihrer vorläufigen Meinung der Einsprechende in vielen Einwänden gefolgt, sodass dadurch für die Patentinhaberin eine neue Lage entstanden sei, die eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz legitimiere.
Zulassung der Hilfsanträge 1-4
- Die Hilfsanträge 1 und 2 seien schon im Einspruchsverfahren eingereicht worden und diese seien von der Einspruchsabteilung nicht für unzulässig erklärt worden. Darüber hinaus sei die Einspruchsabteilung zum Schluss gekommen, dass der Hauptantrag erfinderisch sei, sodass es vor der vorläufigen Meinung der Kammer vom 17. September 2020 keinen Grund gegeben habe, die erfinderische Tätigkeit der Hilfsanträge zu diskutieren. Somit sei im Beschwerdeverfahren auf die erfinderische Tätigkeit der Hilfsanträge nicht eingegangen worden.
- Eine eingehende Begründung der erfinderischen Tätigkeit der Hilfsanträge 1-4 wäre auch auf Grund der hohen Anzahl an Angriffen und Dokumenten, die seitens der Beschwerdeführerin eingereicht worden seien, so komplex und umfangreich gewesen, dass es für die Beschwerdegegnerin einen unzumutbaren Aufwand dargestellt hätte, alle zu behandeln.
- In ihrem Bescheid habe sich die Kammer die Argumentation der Beschwerdeführerin in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit gegenüber D2 zu eigen gemacht. Dies stelle an sich einen neuen Sachverhalt dar, der die Einreichung der Hilfsanträge 3 und 4 rechtfertige.
- Die Hilfsanträge 1 bis 4 seien deshalb zuzulassen.
XII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
XIII. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen, hilfsweise das Patent auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, oder auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 3 und 4, eingereicht mit Schreiben vom 12. Januar 2021, aufrechtzuerhalten.
Hauptantrag
1. Erfinderische Tätigkeit
1.1 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polyamiden unter Verwendung eines Mehrkomponentenadditivsystems, welches den Polykondensationsgrad sowie die molekulare Verteilungsbreite reguliert und gleichzeitig das Polymer während der Verarbeitung und die daraus hergestellten Produkte wie Textilfasern und Formmassen im Gebrauch gegen Hitze, Licht, Feuchtigkeit und Sauerstoff schützt (Absatz 1 der Patentschrift).
1.2 D2 wurde von der Beschwerdeführerin als nächstliegender Stand der Technik angesehen. D2 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polyamiden in Gegenwart von Komponenten, die die Polyamide witterungsstabil machen, für die Verwendung dieser Polyamide zur Herstellung von Fäden, Fasern oder Folien (Absatz 1 der D2). Die Witterungsstabilität der Polyamide ist in Absatz 2 als Beständigkeit gegen die gleichzeitige oder wechselweise Einwirkung von UV-Strahlung und erhöhte Temperaturen in Anwesenheit von Sauerstoff und Feuchtigkeit definiert. In diesem Sinne wird die Witterungsstabilität der Polyamide gemäß D2 anhand von Eigenschaften bewertet, nämlich des Widerstands gegen Licht- und Hitzeeinstrahlung in Anwesenheit von Sauerstoff und Feuchtigkeit, die auch im Streitpatent die Aufgabe definieren (Absatz 9). Es folgt, dass die D2, die bereits zum selben technischen Gebiet gehört, nämlich die Polyamidenherstellung zur Fertigung von Fasern betrifft, sich auch noch eine dem Streitpatent ähnliche Aufgabe stellt. Somit offenbart D2 einen Gegenstand, der mit demselben Ziel entwickelt wurde wie das Streitpatent. Es gibt deshalb keine Gründe D2 als Ausgangpunkt für die Analyse der erfinderischen Tätigkeit und folglich als nächstliegenden Stand der Technik auszuschließen.
1.3 Das Verfahren gemäß Beispiel 1 der D2 wurde als besonders relevant angesehen. Dieses Verfahren offenbart (Tabelle 1) die Polymerisation von Caprolactam in Gegenwart von 0,417 Gew.-% Terephthalsäure (TPS), 0.104 Gew.-% DBHPP und 0,105 Gew.-% TAD.
1.4 Im Beispiel 1 der D2 wurde Terephthalsäure im Sinne vom Absatz 30 der D2 als Kettenregler verwendet (Seite 10, Zeile 31); sie ist eine Carbonsäure im Sinne von Anspruch 1 des Hauptantrages. DBHPP ist gemäß D2 ein in 4-Stellung zur OH-Gruppe funktionalisiertes 2,6-Dialkylphenol (IV) und ist ein alkylsubstituiertes Phenol gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. TAD ist ein 4-Amino-2,2,6,6-tetraalkylpiperidin (II) gemäß Absatz 22 der D2.
1.5 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass dieses Beispiel der D2 nicht relevant sei, weil es entgegen der Lehre vom Absatz 19 dieses Dokumentes kein aliphatisches oder cyloaliphatisches Diamin (III) enthalte. Absatz 19 der D2 beschreibt ein Verfahren zur Herstellung von Polyamiden, wobei die Polymerisation bzw. Polykondensation von polyamidbildenden Monomeren (I) in Gegenwart von 0,02 bis 0,7 Gew.-% 4-Amino-2,2,6,6-tetraalkylpiperidin (II), 0 bis 0,5 Gew.-% eines aliphatischen oder cyloaliphatischen Diamins (III), welches eine primäre und eine tertiäre Aminogruppe trägt, und 0,02 bis 0,7 Gew.-% eines in 4-Stellung zur OH-Gruppe funktionalisierten 2.6-Dialkylphenols (IV). Aus der Definition der Menge der Komponente (III) in diesem Absatz (0 bis 0,5 Gew.-%) ist allerdings sofort ersichtlich, dass die Komponente (III) für das Verfahren nur optional ist. Dies ist auch aus dem Absatz 17 ersichtlich, in dem nur die Kombination der Komponenten (II) und (IV) als Lösung der in Absatz 15 definierten Aufgabe angegeben wird. Die Komponente (III) wird im Verfahren des Beispiels 1 der D2 zwar nicht verwendet, dies ist allerdings für die Relevanz dieses Beispiels unerheblich. Somit entspricht das Verfahren gemäß Beispiel 1 der D2, das als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angesehen wird, der allgemeinen Lehre der D2 und ist somit als Ausgangspunkt geeignet.
1.6 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich vom Verfahren gemäß Beispiel 1 der D2 in der Verwendung von 0,01-3 Gew.-% Bis-(2,2,6,6- tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid oder Bis- (2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-terephthalsäurediamid während der Polymerisation. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die offene Formulierung des Anspruchs 1 die Anwesenheit von anderen Komponenten, beziehungsweise Additiven, in beliebigen Mengen nicht ausschließt.
1.7 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass die Beispiele des Streitpatents eine Verbesserung der Hitzestabilität belegten, die sich aus der signifikanten Erniedrigung des Gelbwertes ergebe. Insbesondere, die Verbesserung des Gelbwertes (YI) der Beispiele 4 bis 6 im Bereich von 0,6-0,8 sei im Vergleich zum Bereich des Gelbwerts der Beispiele 1 bis 3 von 1,5-0,9 deutlich erkennbar. Gleichzeitig seien Polymerisationsgrad, Viskosität und Molekulargewicht nicht soweit herabgesetzt, dass durch die damit einhergehende Änderung der mechanischen Eigenschaften das mögliche Einsatzspektrum eingeengt werde. Es wurde allerdings von der Beschwerdeführerin bestritten, dass solche Effekte dem Streitpatent zu entnehmen seien, da die angeblichen Verbesserungen nicht belegt seien.
1.8 Somit ist zunächst zu klären, wie die zu lösende Aufgabe ausgehend vom Verfahren des Beispiels 1 der D2 formuliert werden soll. Dabei ist zu klären, ob das Streitpatent einen Effekt für das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber D2, Beispiel 1 zeigt. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern können angebliche Vorteile, auf die sich der Patentinhaber gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik beruft, die aber nicht hinreichend belegt sind, bei der Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel I.D.4.2). Bestimmte günstige Wirkungen oder vorteilhafte Eigenschaften können, wenn sie durch wirklich vergleichbare Ergebnisse in geeigneter Weise nachgewiesen werden, unter bestimmten Umständen der Definition der Aufgabe zugrunde gelegt werden, die mit der beanspruchten Erfindung gelöst werden soll, und können grundsätzlich als Anzeichen für erfinderische Tätigkeit gewertet werden. Hierzu eignen sich allerdings nur Vergleichsversuche, die sich an dem der Erfindung strukturell nächsten Stand der Technik orientieren, weil ausschließlich hierin die unerwartete Wirkung zu suchen ist (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, supra).
1.8.1 Das Streitpatent enthält sechs Beispiele (Beispiele 1-6, Tabellen 1 und 2). Die Beispiele 1-3 des Streitpatents betreffen drei Verfahren, die nicht dem Anspruch 1 des Hauptantrags entsprechen und deshalb als Vergleichbeispiele dienen. Im Verfahren gemäß Beispiel 1 wird Essigsäure allein als Additiv verwendet. Das Additiv im Beispiel 1 enthält deshalb keine der drei Komponenten gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. In den Beispielen 2 und 3 werden Terephthalsäure (0,298 Gew.-% in Beispiel 2 und 0,398 Gew.-% in Beispiel 3) und S-EED (0,132 Gew.-%) ohne alkylsubstituierte Phenole und/oder Thiole verwendet. Es ist aus den Beispielen 1-3 ersichtlich, dass das Streitpatent keinen Vergleich mit einem Additivsystem aus Terephthalsäure, TAD und einem alkylsubstituierten Phenol gemäß D2 enthält und auch keinen Vergleich mit einem Verfahren, das sich von dem beanspruchten Verfahren durch das Unterscheidungsmerkmal unterscheidet. Die Beispiele 4-6 hingegen betreffen ein Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. In diesen Beispielen wurden Caprolactam, 4-Aminobenzoesäure, demineralisiertes Wasser und ein Additivsystem aus Terephthalsäure (0,398 Gew.-%), SEED (Bis-(2,2,6,6- tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid)(0,132 Gew.-%) und 2-Isopropylthiophenol (0,049 Gew.-% in Beispiel 4), Mercaptobenzimidazol (0,030 Gew.-% in Beispiel 5) und 2,6-Ditertiärbutyl-p-Kresol (0,066 Gew.-% in Beispiel 6) polymerisiert. Auch wenn die Tabelle 2 einen verbesserten Gelbwert für die Beispiele 4-6 gegenüber den Beispielen 1-3 zeigt, ist ersichtlich, dass sich die Beispiele 1-3, die als Vergleich dienen sollen, nicht an dem der Erfindung strukturell nächsten Stand der Technik D2, Beispiel 1 orientieren.
1.8.2 Das Streitpatent enthält auch keinen anderen Beleg dafür, dass die Verwendung des im erteilten Anspruch 1 definierten Additivs Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid oder Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-terephthalsäurediamid in einer Menge von 0,01-3 Gew.-% mit einem technischen Effekt, insbesondere mit einer Verbesserung der Hitzestabilität, verbunden ist. In Bezug auf Polymerisationsgrad, Viskosität und Molekulargewicht der hergestellten Polyamide wurde seitens der Beschwerdegegnerin auch nicht gezeigt, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags, bei welchem Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid oder Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-terephthalsäurediamid verwendet werden, Vorteile gegenüber dem Verfahren gemäß Beispiel 1 der D2 aufweist.
1.9 Ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik kann die Aufgabe nur darin bestehen, ein weiteres Verfahren zur Herstellung eines Polyamids bereitzustellen.
1.10 Es bleibt zu klären, ob es für den Fachmann naheliegend war, den nächstliegenden Stand der Technik so abzuändern, um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen, mit dem Ziel, die definierte Aufgabe, zu lösen.
1.10.1 In Bezug auf die Komponente (II) 4-Amino-2,2,6,6-tetraalkylpiperidin (TAD) offenbart D2, dass es sich um bekannte Kettenregler handelt, welche aufgrund ihres speziellen Molekülaufbaus zur Verbesserung der Hitze- und gegebenenfalls Lichtstabilität von Polyamiden geeignet sind (Absatz 4).
1.10.2 Die Lehre der D1 wurde von der Beschwerdeführerin als relevant angesehen. D1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polycaprolactam unter Verwendung eines Additivs und insbesondere Additiven in Form von Stabilisatoren, um den hohen Anforderungen an die Licht- und Hitzestabilität von Polymeren Rechnung zu tragen (Seite 2, Zeilen 1-10). Das Verfahren zur Herstellung von Polycaprolactam unter Verwendung eines spezifischen Additivs gemäß D1 ist dadurch gekennzeichnet, dass das Additiv zu einem beliebigen Zeitpunkt zwischen Zugabe des Monomers und Beginn der Polykondensation zugesetzt wird (Anspruch 1). In den Beispielen der D1 wird das Additiv mit Caprolactam und Wasser versetzt (Seite 3, Zeilen 33/34 und Seite 4, Zeilen 18/19). Das Polymerisationsverfahren gemäß D1 beruht somit auf demselben Monomer (Caprolactam) und die Polymerisation erfolgt in der Anwesenheit des Additivs, genauso wie im Verfahren gemäß den Beispielen des Streitpatents und der D2. Somit ist die Lehre der D1 im Kontext der D2 relevant.
1.10.3 Obwohl D1 im Grunde spezifische Additive der Formel (I) betrifft, die TAD nicht umfasst:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
R2 ein Phenylrest ist, der die Substituenten in 1,3- oder 1,4-Position trägt, R3 Wasserstoff, C1-6-Alkyl, C1-4-Alkoxy oder -CO-C1-4-Alkyl und R4 unabhängig voneinander C1-5-Alkyl bedeuten,
ist die Verwendung von TAD als Additiv in der Herstellung von Polyamiden gemäß dem Stand der Technik angesprochen (Seite 2, Zeilen 18-24). Dazu offenbart D1, dass ein Nachteil der 2,2,6,6-Tetramethylpiperidyl-4-Derivate, zu denen TAD gehört, in der Notwendigkeit der Handhabung unter Luftabschluss besteht, um eine Gelbfärbung durch Reaktion mit Luftsauerstoff zu vermeiden (Seite 2, Zeilen 31-33). Die Verwendung von Additiven der Formel (I), zu denen Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid gehört und in D1 als MPIA bezeichnet wird, soll gemäß D1 dieses Problem lösen (Seite 3, Zeilen 27-29). Somit deutet die Lehre der D1 auf die Verwendung von MPIA als Additivkomponente in der Herstellung von Polyamiden hin.
1.10.4 Die Beispiele 1-3 von D1 zeigen zusätzlich, wie MPIA bei der Polymerisation von Caprolactam eingesetzt wird. Die Molmengen an MPIA in diesen Beispielen entsprechen umgerechnet Mengen in einem Bereich von 0,264-2,64 Gew.-% (Eingabe der Beschwerdeführerin vom 26 Februar 2021, Seite 8, zweiter Absatz), der mit dem beanspruchten Bereich von 0,01-3 Gew.-% an Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags signifikant überlappt. D1 lehrt auch, dass der Ersatz von TAD durch MPIA als hitzestabilisierendes Additiv sogar eine einfachere Handhabung ermöglicht und vorteilhaft ist.
1.10.5 Ausgehend von D2 hätte der Fachmann somit erwartet, dass MPIA auch als hitzestabilisierendes Additiv im Additivsystem der D2 eingesetzt werden könnte und sogar den Vorteil der einfacheren Handhabung mit sich bringen würde. Da MPIA der Komponente Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid des Anspruchs 1 des Hauptantrags entspricht, und die Mengen an MPIA in den Beispielen der D1 (0,264-2,64 Gew.-%) den Mengen derselben Komponenten in Anspruch 1 entsprechen (0,01-3 Gew.-%), wäre der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gelangt.
1.11 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass die Lehre im Absatz 54 der D2, wonach das Zusammenwirken der Komponenten (II) und (IV) über einen rein additiven Effekt hinausgehen würde, den Fachmann davon abgebracht hätte, die Komponente (II), die TAD entspricht, in der Additivmischung zu ersetzen. Die Feststellung in D2, dass die Komponenten (II) und (IV) hinsichtlich des Bewitterungstests in Wechselwirkung stehen, ist allerdings angesichts der definierten Aufgabe, ein weiteres Verfahren zur Herstellung eines Polyamids bereitzustellen, und der Lehre der D1 auf Seite 3, Zeilen 27-29, wonach die Verwendung von MPIA vorteilhafter wäre als die von TAD, nicht ausreichend, um den Fachmann davon abzuhalten. Darüber hinaus deutet D2 nicht darauf hin, dass diese Wechselwirkung nur für die Komponenten (II) und (IV) besteht, d.h. dass die Verwendung von MPIA anstelle von TAD zu schlechteren Ergebnissen im Bewitterungstest führen würde. Ausgehend vom Beispiel 1 der D2 und im Hinblick auf die Lehre der D1 bezüglich der vorteilhaften Verwendung von MPIA hätte der Fachmann deshalb ohne erfinderische Tätigkeit TAD durch MPIA ersetzt.
1.12 Aus den vorstehend genannten Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass sich die Lösung der technischen Aufgabe, nämlich die Verwendung von Bis-(2,2,6,6-tetramethylpiperidyl-4)-isophthalsäurediamid bei der Herstellung von Polyamid, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
1.13 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2. Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 4; Antrag auf Zurückverweisung an die erste Instanz
2.1 Im Anschluss an die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags beantragte die Beschwerdegegnerin die Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen. Sie brachte in diesem Zusammenhang vor, dass die Frage der Zurückverweisung vor der Frage der Zulassung der Hilfsanträge entschieden werden sollte.
2.2 Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass die Frage der Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz mit der Frage der Zulassung der Hilfsanträge ins Verfahren notwendig zusammenhängt. Erst wenn geklärt ist, auf welcher Grundlage eine weitere Prüfung durch die Einspruchsabteilung überhaupt erfolgen könnte, wäre über eine Zurückverweisung der Angelegenheit zu entscheiden.
2.3 Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 4
2.3.1 Die Hilfsanträge 1 bis 2 wurden mit der Beschwerdeerwiderung und die Hilfsanträge 3 und 4 mit der Eingabe vom 12. Januar 2021 eingereicht.
2.3.2 Hinsichtlich der Hilfsanträge 1 und 2 ist zu bemerken, dass diese den Hilfsanträgen 2 und 3 aus dem Einspruchsverfahren entsprechen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie automatisch Gegenstand des Beschwerdeverfahren sind. Anzumerken ist auch, dass die Hilfsanträge 2 und 3 in der Entscheidung der Einspruchsabteilung überhaupt nicht diskutiert wurden, weil der Einspruch zurückgewiesen wurde.
2.3.3 Die Beschwerdebegründung enthielt, in Bezug auf den Hauptantrag, zwei Einwände unzulässiger Erweiterung (Abschnitt 3) sowie Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D1, D2, D3, D10 und D11 (Abschnitt 4). Alle diese Einwände wurden von der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung in Bezug auf den Hauptantrag abgehandelt. Mit der Beschwerdeerwiderung wurden auch die Hilfsanträge 1 und 2 eingereicht, "für den Fall, dass die Hauptansprüche 1 und 8 der Streitschrift im Beschwerdeverfahren für unzulässig erweitert oder nicht erfinderisch befunden werden" (Abschnitt 4 der Beschwerdeerwiderung). Die Beschwerdeerwiderung enthält jedoch keine inhaltlichen Ausführungen zur Frage der erfinderischen Tätigkeit der Hilfsanträge 1 und 2, insbesondere nicht zu dem Einwand, der von D2 als nächstliegendem Stand der Technik ausgeht (wie im Punkt 4.4 der Beschwerdebegründung enthalten).
2.3.4 Die Beschwerdegegnerin brachte dazu vor, dass es ihr im Hinblick auf die Vielzahl an Einwänden, die in der Beschwerdebegründung geltend gemacht worden seien, nicht zuzumuten gewesen sei, die Hilfsanträge 1 und 2 in der Beschwerdeerwiderung gegen alle Einwände substantiiert zu verteidigen. Die Kammer folgt dieser Argumentation jedoch nicht, da das Bestehen mehrerer Einwände ein völliges Fehlen einer substantiierter Begründung für das Einreichens von Hilfsanträgen nicht rechtfertigen kann.
2.3.5 Nach Artikel 12(4) VOBK 2007, zweiter Halbsatz, (der gemäß Artikel 25(2) VOBK 2020 anzuwenden ist) ist das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12(1) VOBK 2007 von der Kammer zu berücksichtigen, "wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt". Gemäß Artikel 12(2) VOBK 2007 müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten. Es ist insbesondere anzugeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder zu bestätigen. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ergibt sich daraus, dass Hilfsanträge zu substantiieren sind, d.h. eine Begründung erfordern, inwiefern erhobene Einwände durch sie ausgeräumt werden können (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 9. Auflage, 2019, Kapitel V.A.4.12.5). Da eine solche substantiierte Begründung nicht mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurde, entschied die Kammer, die Hilfsanträge 1 und 2 gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht ins Verfahren zuzulassen.
2.3.6 Am Rande ist zu bemerken, dass die Kammer in ihrer Mitteilung vom 17. September 2020 (vgl. Punkt 8) auf das Fehlen eines substantiierten Vortrags hinsichtlich der Hilfsanträge aufmerksam gemacht hat. Dennoch unterblieb ein entsprechender Vortrag hinsichtlich der Frage der erfinderischen Tätigkeit auch in den weiteren Eingaben der Beschwerdegegnerin vom 12. Januar 2021 sowie vom 4. März 2021.
2.3.7 Der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, dass der Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 dahingehend geändert wurde, dass zwei der verwendeten Additive auf spezifische Verbindungen eingeschränkt wurden. Die Analyse der erfinderischen Tätigkeit der Hilfsanträge hätte daher nicht nur im Hinblick auf diese Einschränkung der einzelnen Komponenten durchgeführt werden müssen, sondern auch bezüglich der spezifischen Kombination dieser Komponenten. Diese Thematik ist vor der mündlichen Verhandlung zwischen den Parteien nie ausführlich diskutiert worden und hätte möglicherweise unter Heranziehung von weiteren Dokumenten des Standes der Technik erfolgen müssen. Eine Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2 hätte für Folge gehabt, dass die Argumentation der Beschwerdegegnerin in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2 zum ersten Mal von der Beschwerdeführerin und von der Kammer in der mündlichen Verhandlung zu hören gewesen wäre. Dieses neue Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wäre der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Komplexität der Sachlage nicht zuzumuten gewesen und es lagen auch keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Artikel 13(2) VOBK 2020 vor, die eine Berücksichtigung dieses Vorbringens hätten rechtfertigen können. Eine Vertagung der mündlichen Verhandlung oder eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz wäre mit dem Grundsatz der Verfahrensökonomie nicht vereinbar gewesen.
2.3.8 Hinsichtlich der Hilfsanträge 3 und 4 ist auszuführen, dass diese von der Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 12. Januar 2021 eingereicht wurden, d.h. nach der Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 vom 17. September 2020. Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die späte Einreichung rechtfertigen können.
2.3.9 In der mündliche Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin diesbezüglich geltend gemacht, dass die Hilfsanträge 3 und 4 als Reaktion auf der Mitteilung der Kammer eingereicht worden seien, in der die Kammer der Argumentation der Beschwerdeführerin in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit gefolgt sei. In diesem Zusammenhang bemerkt die Kammer jedoch, dass der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit in Bezug auf den Hauptantrag ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik allerdings schon mit der Beschwerdebegründung (Punkt 4.4) dargelegt worden ist. Die Beschwerdegegnerin hätte folglich die Hilfsanträge 3 und 4 bereits als Reaktion auf die Beschwerdebegründung, d.h. mit ihrer Beschwerdeerwiderung einreichen müssen. Es wurde auch von der Beschwerdegegnerin in der mündliche Verhandlung eingeräumt, dass in der Mitteilung der Kammer keine neuen Fragen aufgeworfen wurden, die die Einreichung neuer Hilfsanträge hätten rechtfertigen können. Die Kammer folgte lediglich der diesbezüglichen Argumentation der Beschwerdeführerin. Da es im Wesen des Beschwerdeverfahrens liegt, dass die Beschwerdekammer von der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Ansicht abweichen kann, bestehen keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020, die die Einreichung dieser Hilfsanträge erst nach Erhalt der Mitteilung der Kammer rechtfertigen könnten. Zudem ist zu bemerken, dass hinsichtlich der Hilfsanträge 3 und 4 im Beschwerdeverfahren keine schriftlichen Ausführungen zur Frage gemacht wurden, inwieweit diese die Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit hätten ausräumen können. Ein entsprechender Vortrag wäre daher erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erfolgt. Dieses neue Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wäre der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Komplexität der Sachlage nicht zuzumuten gewesen. Eine Vertagung der mündlichen Verhandlung oder eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz wäre mit dem Grundsatz der Verfahrensökonomie nicht vereinbar gewesen. Die Beschwerdekammer ließ die Hilfsanträge 3 und 4 somit nicht ins Verfahren zu.
2.4 Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung
2.4.1 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern besteht kein absolutes Recht der Parteien auf die Prüfung eines Sachverhalts in zwei Instanzen. Artikel 111 (1), Satz 2 EPÜ stellt es in das Ermessen der Kammer, bei ihrer Entscheidung über die Beschwerde entweder im Rahmen der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Organs tätig zu werden oder die Angelegenheit an dieses Organ zurückzuverweisen (Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 9. Auflage, 2019, Kapitel V.A.7.2.1). Bei der Ausübung dieses Ermessens sind die Umstände des Falles zu würdigen, wobei u. a. auch der Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie eine Rolle spielt.
2.4.2 Die Beschwerdegegnerin begründete ihren Antrag damit, dass es für sie vor der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich gewesen sei, welche Einwände der Beschwerdeführerin gegen den Hauptantrag die Kammer für relevant erachten würde. Insbesondere sei es der Beschwerdegegnerin im Hinblick auf die Vielzahl an Einwänden, die in der Beschwerdebegründung geltend gemacht worden seien, nicht zuzumuten gewesen, die Hilfsanträge 1 bis 4 gegen alle Einwände substantiiert zu verteidigen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Beschwerdekammer die Frage der erfinderischen Tätigkeit anders beurteilt habe als die Einspruchsabteilung. Somit waren die Hilfsanträge im Rahmen des Einspruchsverfahrens nicht zu diskutieren.
2.4.3 Die Kammer bemerkt in diesem Zusammenhang, dass sie diese Argumente im Rahmen der Frage der Zulassung der Hilfsanträge berücksichtigt hat, jedoch - wie oben begründet - ihr Ermessen dahingehend ausgeübt hat, weder die Hilfsanträge 1 und 2 noch die Hilfsanträge 3 und 4 ins Verfahren zuzulassen. Da somit keine Anträge im Verfahren sind, auf deren Grundlage eine weitere Prüfung durch die Einspruchsabteilung erfolgen könnte, war der Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.