T 0343/18 10-03-2021
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STABILISIERUNG VON HYDROLISIERTEM MILCHPROTEIN DURCH CITRUSÖLE
Erfinderische Tätigkeit - nächstliegender Stand der Technik
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Lösung
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 2 448 552 gemäß Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.
II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikel 100(a) in Verbindung mit Artikeln 54 und 56 EPÜ wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden. Dabei wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1|WO 03/077856 |
D2|WO 2004/007520 |
D4 |Chemistry and Reaction of Singlet Oxygen in Food, Min and Boff (2002), Comprehensive Reviews in Food Science and Food Safety, Vol. 1, S. 58-72|
D6 |Citrus peel extract - A natural source of antioxidant, Rehmann (2006), Food Chemistry, Vol. 99, S. 450-454|
D7 |Pharmaceutical and Therapeutic Potentials of Essential Oils and Their Individual Volatile Constituents; A review, Edris (2007), Phytother. Res., https://doi.org/10.1002/ptr.2072|
D8 |Chemical Composition and Biological Activities of Essential Oils Extracted from Korean Endemic Citrus Species, Seok et al., J. Microbiol. Biotechnol., Vol. 18(1), S. 74-79|
D9 |Effect of Heat Treatment on the Antioxidant Activity of Extracts from Citrus Peels, Jeong et al. (2004), J. Agric. Food Chem., Vol 52, S. 3389-3393|
III. In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, die Ansprüche des erteilten Patents und des ihr vorliegenden ersten Hilfsantrags seien nicht neu gegenüber D1. Die Ansprüche des zweiten Hilfsantrags seien neu und auch erfinderisch ausgehend von D4 als nächstem Stand der Technik.
IV. In ihrer Beschwerdebegründung führte die Beschwerdeführerin aus, die in der aufrechterhaltenen Form des Patents beanspruchten Zusammensetzungen seien für den Fachmann ausgehend von D4 nahegelegt. Überdies seien sie auch ausgehend von D2 nahegelegt, das als nächster Stand der Technik geeigneter sei als D4. Jedenfalls erfüllten die Ansprüche nicht die Voraussetzungen von Artikel 56 EPÜ. Das Patent sei daher zu widerrufen.
V. In ihrer Beschwerdeerwiderung argumentierte die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen, die Argumente der Einspruchsabteilung seien korrekt. D4 sei der nächste Stand der Technik. Die beanspruchten Zusammensetzungen seien ausgehend von D4 für den Fachmann nicht nahegelegt.
VI. In einer Mitteilung gemäß Regel 100(2) EPÜ vom 27. August 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung der Sach- und Rechtslage mit. Sie führte aus, ihrer Ansicht nach sei D1 das Dokument, das den nächsten Stand der Technik darstelle. Ausgehend von D1 seien die beanspruchten Zusammensetzungen für den Fachmann nicht nahegelegt.
VII. Die Parteien reichten keine weiteren inhaltlichen Eingaben ein. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 zog die Beschwerdeführerin ihren in der Beschwerdebegründung gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und beantragte, im schriftlichen Verfahren zu verbleiben.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie mündliche Verhandlung.
IX. Anspruch 1 des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Antrags lautet:
Kosmetische oder dermatologische Zubereitung umfassend hydrolisiertes Milchprotein, ein oder mehrere Citrusöle und zusätzlich ein oder mehrere Parfumöle, die die Citrusöle umfassen, dadurch gekennzeichnet, dass der Anteil an Citrusölen im Bereich von 0,01 bis 0,1 Gew.%, bezogen auf die Gesamtmasse der Zubereitung, beträgt, die Citrusöle bis zu einem Anteil bis zu 30 Gew.%, bezogen auf die Gesamtmasse an Parfumöl, enthalten sind und als Citrusöle Orangenöl und Bergamotöl gewählt werden.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hilfsweiser Antrag auf mündliche Verhandlung wurde nur von der Beschwerdegegnerin gestellt. Da, wie noch auszuführen ist, ihrem höherrangigen Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde stattgegeben wird, ist eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren statthaft.
3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
3.1 Das Patent beansprucht kosmetische oder dermatologische Zubereitungen, die hydrolysiertes Milchprotein und zusätzlich Zitrusöle enthalten. Der der Entscheidung zugrundeliegende unabhängige Anspruch schränkt die Zitrusöle auf Orangenöl und/oder Bergamotteöl in einem bestimmten Mengenanteil ein.
Einziger strittiger Punkt ist die Frage, ob diese Zusammensetzungen aus dem Stand der Technik für einen Fachmann nahegelegt waren.
3.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert im Wesentlichen wie folgt:
In der angefochtenen Entscheidung bilde D4 den nächsten Stand der Technik. In D4 werden Milchproteine durch Ascorbinsäure stabilisiert. Vorliegend werde die Stabilisierung durch Zitrusöle erreicht.
Das Patent enthalte keinerlei Daten bezüglich der stabilisierenden Wirkung der Zitrusöle auf die Milchproteine. Die Wirkung wurde in der Entscheidung als glaubhaft angesehen, da aus dem Stand der Technik die antioxidative Wirkung der Zitrusöle allgemein bekannt sei. Dies sei widersprüchlich, denn wenn diese Wirkung bekannt gewesen sei, könnten die Ansprüche nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
Ein Effekt einer Auswahl der beanspruchten Zitrusöle in den beanspruchten Konzentrationsbereichen sei nicht gezeigt worden, obwohl dies bei Auswahlerfindungen nötig sei. Dazu wurde auf die Richtlinien für die Prüfung verwiesen.
Ein Fachmann hätte daher ausgehend von D4 Zitrusöle als alternative Antioxidantien zur Stabilisierung von Milchproteinen verwendet.
Im übrigen sei D2 ein besser geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
3.3 Die Beschwerdegegnerin argumentiert im Wesentlichen, die Argumente der Einspruchsabteilung seien korrekt. D4 sei der nächste Stand der Technik. Ausgehend von D4 sei die Stabilisierung von Milchproteinen durch Bergamotte- und Orangenöl in der beanspruchten Konzentration nicht naheliegend gewesen.
3.4 Die Kammer hält die Argumente der Beschwerdeführerin nicht für überzeugend, und zwar aus den folgenden Gründen:
3.4.1 Das Patent beansprucht kosmetische oder dermatologische Zubereitungen, die hydrolysiertes Milchprotein und zusätzlich Zitrusöle enthalten. Der der Entscheidung zugrundeliegende unabhängige Anspruch schränkt die Zitrusöle auf Orangenöl und/oder Bergamotteöl in einem bestimmten Mengenanteil ein.
3.4.2 Das Patent beschäftigt sich mit dem Problem, kosmetische Zubereitungen mit Milchproteinen zur Verfügung zu stellen, die keine Stabilitätsprobleme aufweisen und insbesondere hinsichtlich ihrer olfaktorischen Gestaltung unbeeinflusst bleiben, siehe Absatz [0007] des Patents. Die Instabilität der hydrolisierten Milchproteine führt nämlich zu Geruchsbeeinträchtigungen (siehe Absatz [0006] des Patents).
3.4.3 Als nächster Stand der Technik wurden von den Parteien D2 und D4 genannt; die Einspruchsabteilung ging in ihrer Entscheidung von D4 aus. Sie begründete das damit, dass D4 die Oxidation von Milch und den damit verbundenen schlechten Geruch zum Thema hat, und vorschlägt, dies durch Zugaben von Antioxidantien zu verhindern.
3.4.4 Die Kammer ist allerdings der Ansicht, dass als nächster Stand der Technik von den angeführten Dokumenten nur D1 in Frage kommt, und zwar aus den folgenden Gründen:
D1 ist ein Dokument, das auf dem Gebiet der beanspruchten Erfindung liegt, denn es beschreibt kosmetische Zubereitungen, die hydrolysierte Milchproteine enthalten. Dadurch wird die Haut befeuchtet. Zusätzlich sind ätherische Öle enthalten, beispielsweise Zitrusöle, die der Aromatherapie dienen (siehe etwa Seite 3, Zeilen 15-20).
Ein Fachmann, der sich zum Ziel setzt, bestimmte hydrolysierte Milchproteine enthaltende kosmetische Zubereitungen herzustellen, würde zunächst von einem Dokument ausgehen, das solche Zubereitungen zum Inhalt hat. Andernfalls würde er ja gar nicht auf die im Patent behandelte Problematik aufmerksam werden.
D2 beschäftigt sich weder mit kosmetischen Zubereitungen, noch mit Milch, noch mit Zitrusölen und kommt daher als nächster Stand der Technik nicht in Frage.
D4 ist ein Übersichtsartikel über den Einfluss von Singulett-Sauerstoff auf die Stabilität von Lebensmitteln. In diesem Dokument wird auch auf die Stabilität von Milch unter Licht-und Sauerstoffeinfluss Bezug genommen (Seite 66) und es wird erklärt, auf welche Weise der saure Geschmack der Milch entsteht. Am Schluss des Abschnitts über Milch wird gefolgert, dass der Zusatz von Ascorbinsäure als Singulett-Sauerstoff-Quencher das Sauerwerden der Milch verhindern kann. Ein solches Dokument mag als sekundäres Dokument bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit eine Rolle spielen. Allerdings würde der Fachmann nicht von D4 ausgehen, wenn er stabilisierte kosmetische Zusammensetzungen herstellen möchte. Kosmetische oder dermatologische Zusammensetzungen sind in D4 nicht erwähnt.
3.4.5 Ausgehend von D1 stellte sich für den Fachmann die in Absatz [0007] des Patents erwähnte Aufgabe, kosmetische Zusammensetzungen herzustellen, die keine Stabilitätsprobleme aufweisen. Insbesondere soll der Abbau des Milchproteins verhindert werden.
Die beanspruchte Lösung der Aufgabe besteht darin, Zusammensetzungen zu verwenden, in denen Bergamotteöl oder Orangenöl in einem bestimmten Anteil enthalten sind.
3.4.6 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass durch die Zugabe der Öle wie beansprucht eine solche Stabilisierung erreicht werden kann. Auch die Kammer hegt solche Zweifel nicht. Obwohl das Patent keine Daten enthält, gilt die gestellte Aufgabe daher als gelöst.
3.4.7 Die Beschwerdeführerin ist allerdings der Ansicht, die beanspruchte Lösung sei für den Fachmann naheliegend, und beruft sich dabei auf D1, D2, D4 und D6-D9.
3.4.8 Die Kammer kommt zu einem anderen Schluss.
D1 selbst beschäftigt sich nicht mit der Stabilisierung des Milchproteins. Stabilitätserwägungen in D1 beziehen sich auf die Stabilität der Emulsionen, siehe etwa Seite 8 Zeile 6ff. Aus D1 erhält der Fachmann daher keinen Hinweis, zur Vermeidung von Stabilitäts- und Geruchsproblemen Bergamotte- oder Orangenöl in den beanspruchten Konzentrationen hinzuzufügen. Diese zwei Inhaltsstoffe werden zwar erwähnt (Seite 6), allerdings in einer langen Liste möglicher ätherischer Öle, die bei weitem nicht auf Zitrusöle beschränkt ist.
Keines der zitierten Dokumente offenbart, dass Zitrusöle zur Stabilisierung von Milchproteinen geeignet sind. In den zitierten Dokumenten ist ja nicht einmal offenbart, dass hydrolysierte Milchproteine in kosmetischen Zubereitungen überhaupt durch Antioxidantien stabilisiert werden können oder müssen.
D4 offenbart, dass der "Lichtgeschmack" von Milch durch Singulett-Sauerstoff-Oxidation von Methionin entsteht, was durch Ascorbinsäure verhindert werden kann (siehe letzter Absatz auf Seite 66). Inwieweit diese Erkenntnis auf kosmetische Zubereitungen anwendbar ist, die hydrolysierte Milchproteine enthalten, bleibt unerwähnt, ebenso eventuelle Eigenschaften von Orangen- und Bergamotteöl als Singulett-Sauerstoff-Quencher.
D6-D9 beschreiben allgemein antioxidative Eigenschaften verschiedener Zitrusöle. Eine Eigenschaft als Singulett-Sauerstoff-Quencher ist nicht beschrieben. In den Fällen, in denen der antioxidative Mechanismus erwähnt wird (D8, Seite 77, zweite Spalte, D9 Seite 3391, erste Spalte), geht es um Eigenschaften als Radikalfänger, nicht um Singulett-Sauerstoff. Ein Fachmann hatte keinen Anlass, dieses Wissen zur Stabilisierung hydrolysierter Milchproteine in kosmetischen Zubereitungen zu verwenden, umso weniger mittels der beiden spezifisch beanspruchten Öle in den beanspruchten Konzentrationsbereichen.
D2 hilft dem Fachmann ebenso wenig weiter, denn dort werden ja weder Milchproteine noch Zitrusöle beschrieben.
3.4.9 Die Ausführungen der Beschwerdeführerin in Bezug auf Auswahlerfindungen gehen am Kern der Sache vorbei. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Auswahlerfindung, in der ein im Grunde bekannter Effekt in besonderer Weise durch Vergleichsversuche nachgewiesen werden müsste. Weder im nächsten Stand der Technik (D1) noch in einem anderen Dokument ist ein stabilisierender Effekt von Orangen- oder Bergamotte-Öl auf hydrolysierte Milchproteine beschrieben.
Es ist auch kein Widerspruch, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, einerseits den behaupteten stabilisierenden Effekt als gegeben hinzunehmen, und andererseits eine Verwendung der beanspruchten Zitrusöle als erfinderisch anzusehen. Selbst wenn ein antioxidativer Effekt der Zitrusöle in anderen Zusammenhängen bekannt war, so besteht die erfinderische Leistung dennoch darin, ihn zur Vermeidung von Geruchsveränderungen in kosmetischen Zubereitungen, die hydrolysierte Milchproteine enthalten, zu nutzen. Dies ist aus dem Stand der Technik nicht nahegelegt.
3.5 Ausgehend von D1 als nächstem Stand der Technik wurde daher das oben definierte technische Problem auf eine für den Fachmann nicht naheliegende Weise gelöst. Erfinderische Tätigkeit ist gegeben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen