T 0359/18 23-03-2021
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KOHLENWASSERSTOFF GEMISCHE UND IHRE VERWENDUNG
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Auswahl
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Europäische Patentanmeldung 08759205.1 unter Artikel 97(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Die streitgegenständliche Patentanmeldung dreht sich um Gemische aus linearen, ungeradzahligen Kohlenwasserstoffen, die als Grundkörper für kosmetische Formulierungen Verwendung finden.
III. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung stützt sich auf das Dokument D6:
D6: WO2007/068371
Die Prüfungsabteilung stellte fest, dass das für die vorliegende Anmeldung gültige Prioritätsdatum der 3. April 2008 ist, so dass D6 unter Artikel 56 EPÜ relevant ist.
Die Prüfungsabteilung kam in ihrer Entscheidung zu dem Schluss, dass der Fachmann die im Prüfungsverfahren beanspruchten Kohlenwasserstoffgemische auf der Suche nach Alternativen zu den in D6 beschriebenen Komponenten kosmetischer Formulierungen ohne erfinderisches Zutun aufgefunden hätte. Mischungen definierter ungeradzahliger Kohlenwasserstoffe seien in D6 als Komponenten von Kosmetika vorgeschlagen. Die Auswahl der beanspruchten Mischungen aus der allgemeinen Lehre der D6 erfordere kein erfinderisches Handeln.
IV. In ihrer Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdeführerin vor, der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit sei unberechtigt. Ein Fachmann hätte aus D6 nicht die Lehre entnommen, dass beliebige Mischungen ungeradzahliger Kohlenwasserstoffe für die Kosmetikindustrie geeignet seien. Die in den Ansprüchen getroffene Auswahl spezieller Gemische sei dem Fachmann daher nicht nahegelegt. Des weiteren reichte sie Vergleichsversuche ein, die ihrer Ansicht nach eine gegenüber D6 verbesserte Sensorik der beanspruchten Gemische nachweisen.
V. Am 1. Oktober 2019 erließ die Kammer eine Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK 2007 in der sie ihre vorläufige Auffassung der Sach- und Rechtslage darlegte. Die Kammer war insbesondere der Auffassung, dass die beanspruchten Gemische dem Fachmann aus D6 nahegelegt würden und dass die eingereichten Vergleichsversuche keine Verbesserung der beanspruchten Gemische gegenüber D6 belegten.
VI. Mit Schreiben vom 12. März 2021 reichte die Beschwerdeführerin zwei beschränkte Anspruchssätze als Haupt- und Hilfsantrag ein. Sie brachte vor, die mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Vergleichsversuche belegten eine Verbesserung sensorischer Eigenschaften der nunmehr beanspruchten Gemische.
VII. Am 23. März 2021 fand die mündliche Verhandlung statt, die mit Einverständnis der Beschwerdeführerin wegen der andauernden Corona-Pandemie als Videokonferenz durchgeführt wurde.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Basis des Hauptantrags, hilfsweise auf Basis des Hilfsantrags, beide eingereicht mit Schreiben vom 12. März 2021.
Die von der Beschwerdeführerin im Verfahren im Detail vorgebrachten Argumente sind unten in den Entscheidungsgründen wiedergegeben.
IX. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags lautet:
Kohlenwasserstoff-Gemisch, das ein Kohlenwasserstoff-Gemisch mit mindestens zwei voneinander verschiedenen Kohlenwasserstoffen enthält, wobei die zwei voneinander verschiedenen Kohlenwasserstoffe ausgewählt sind aus linearen C15 und linearen C17 Kohlenwasserstoffen, wobei diese zwei voneinander verschiedenen Kohlenwasserstoffe mindestens 70 Gew.-% bezogen auf die Summe der Kohlenwasserstoffe ausmachen.
Der unabhängige Anspruch des Hilfsantrags lautet:
Kohlenwasserstoff-Gemisch, das ein Kohlenwasserstoff-Gemisch mit mindestens zwei voneinander verschiedenen Kohlenwasserstoffe enthält, wobei die zwei voneinander verschiedenen Kohlenwasserstoffe ausgewählt sind aus linearen C15 und linearen C17 Kohlenwasserstoffen, wobei diese zwei voneinander verschiedenen Kohlenwasserstoffe mindestens 99 Gew.-% bezogen auf die Summe der Kohlenwasserstoffe ausmachen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Hauptantrag
2.1 Nächster Stand der Technik
2.1.1 D6 bildet unbestritten den nächsten Stand der Technik. D6 wurde zwar nach dem ersten beanspruchten Prioritätsdatum veröffentlicht, allerdings ist der beanspruchte Gegenstand unbestritten erst in den am 3. April 2008 eingereichten Prioritätsanmeldungen offenbart. D6 wurde früher, nämlich am 21. Juni 2007 veröffentlicht,ist daher Stand der Technik unter Artikel 54(2) EPÜ und kann deshalb für die Beurteilung der erfinderische Tätigkeit herangezogen werden.
2.1.2 D6 befasst sich mit der Frage, wie die Nachteile petrolbasierter Kosmetikbasen (insbesondere "light emollients"), die meist aus Mischungen verschiedener linearer und verzweigter Kohlenwasserstoffen bestehen, vermieden werden können.
D6 schlägt hierfür vor, lineare Kohlenwasserstoffe definierter Länge herzustellen und einzusetzen; ein neues Herstellungsverfahren für diese Verbindungen wird beschrieben. Auf diese Weise können dann verschiedene Eigenschaften gezielt beeinflusst werden, etwa das Spreitverhalten, siehe die ersten vier Absätzen der Seite 1, den zweiten vollständigen Absatz auf Seite 2 oder den ersten vollständigen Absatz auf Seite 5.
Weiterhin wird beschrieben, dass sich insbesondere ungeradzahlige Kohlenwasserstoffe für diesen Zweck eignen; dies geht etwa aus dem dritten und vierten Absatz auf Seite 4 hervor. Dort werden allgemein ungeradzahlige C7-C23-Alkane sowie deren Mischungen und exemplarisch C9, C11, C13 und C17 erwähnt. In den Ausführungsbeispielen werden entweder C11 oder C13 verwendet. In Anspruch 6 (in Verbindung mit Ansprüchen 8 und 10) wird ein Kohlenstoffbereich von C11-C15 als insbesondere bevorzugt angegeben.
2.1.3 Die Ansprüche des vorliegenden Hauptantrags unterscheiden sich von der Offenbarung der D6 dadurch, dass Gemische beansprucht werden, die spezifisch eine Mischung linearer C15 und C17-Kohlenwasserstoffe enthalten; die Summe dieser beiden soll dabei mindestens 70% der enthaltenen Kohlenwasserstoffe ausmachen.
2.2 Aufgabe und Lösung
2.2.1 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin wurde mittels der in Anspruch 1 definierten Gemische ausgehend von D6 die technische Aufgabe gelöst, Kohlenwasserstoffgemische als Basis insbesondere für dekorative Kosmetika aufzufinden, die gegenüber dem nächsten Stand der Technik verbesserte Eigenschaften in Bezug auf die Sensorik aufweisen. Eine verbesserte Sensorik beinhalte dabei das Zusammenspiel verschiedener Größen. Zum Nachweis der verbesserten sensorischen Eigenschaften wurde auf die beiden Vergleichsversuche verwiesen.
2.2.2 Nach Ansicht der Kammer können die eingereichten Vergleichstests eine solche multifaktorielle Verbesserung der Sensorik gegenüber dem Stand der Technik nicht nachweisen.
Der erste der beiden eingereichten Tests vergleicht eine 1:1-Mischung aus C15/C17-Kohlenwasserstoffen mit einer Referenz, die 50% einer solchen Mischung enthält, neben 50% einer 35:15-Mischung aus C11/C13-Kohlenwasserstoffen. Der zweite Test vergleicht eine 1:1-Mischung aus C15/C17-Kohlenwasserstoffen mit 100% C11.
Beim ersten Test verändern sich eine Reihe von Eigenschaften. Beim zweiten Test verringert sich nur die Spreitung (spreadability), alle anderen der gemessenen Eigenschaften bleiben gleich. Der erste Test zeigt deutlich mehr Unterschiede der getesteten Mischung im Vergleich zur Referenz an als der zweite, obwohl die Referenzsubstanz im ersten Fall bereits zu 50% aus der im Anspruch definierten Mischung besteht. Im zweiten Fall ist die Referenzsubstanz hingegen strukturell viel weiter entfernt. Alleine diese Tatsache zeigt schon, dass die Vergleichstests nicht geeignet sind, gegenüber D6 einen durch die strukturellen Unterschiede, d. h. die Auswahl der C15/C17-Kohlenwasserstoffe, bedingten Effekt auf die komplexe Sensorik nachzuweisen, wie von der Beschwerdeführerin behauptet.
Aus den eingereichten Tests kann höchstens abgeleitet werden, dass eine Mischung von C15/C17-Kohlenwasserstoffen eine geringere Neigung zur Spreitung zeigt, als kürzerkettige Kohlenwasserstoffe wie das getestete C11.
2.2.3 Die technische Aufgabe, die durch die beanspruchten, C15/C17-Kohlenwasserstoffe enthaltenden Mischungen gelöst wurde, war daher, ausgehend von den in D6 konkret offenbarten Zusammensetzungen Mischungen mit geringer ausgeprägtem Spreitverhalten aufzufinden.
2.3 Naheliegen der Lösung
2.3.1 Diese technische Aufgabe wurde auf naheliegende Weise gelöst.
D6 beschreibt explizit die Möglichkeit, lineare Kohlenwasserstoffe definierter Kettenlänge herzustellen und nach dem Baukastenprinzip gezielt zu mischen, um damit spezielle Eigenschaften, wie etwa das Spreitverhalten, einstellen zu können (Seite 5, erster vollständiger Absatz). D6 gibt dem Fachmann auch Anhaltspunkte, welche Arten von linearen Kohlenwasserstoffen dazu zu verwenden sind, nämlich solche mit 7 bis 23, 9-17 oder 11-15 Kohlenstoffatomen (Anspruch 6 oder dritter und vierten Absatz auf Seite 4). Der Fachmann weiß daher, welche Arten von Kohlenwasserstoffen er mischen kann und er weiß auch, dass das Spreitverhalten durch Auswahl und Mischung der Kohlenwasserstoffe beeinflusst wird. Eine Mischung, die ein gewünschtes Spreitverhalten zeigt, kann daher durch routinemäßiges herumexperimentieren gefunden werden. Der Fachmann muss zur Lösung der gestellten Aufgabe nicht erfinderisch tätig werden.
2.3.2 Die Argumente der Beschwerdeführerin sind nicht überzeugend.
Es wurde vorgebracht, D6 enthielte keine Hinweise, wie bei der Auswahl bestimmter Kohlenwasserstoffe vorzugehen sei, um bestimmte Ergebnisse zu erhalten. Insbesondere würden in den Beispielen der D6 keine Mischungen, sondern Reinsubstanzen verwendet. Mischungen seien nur als Möglichkeit genannt, und es gebe eine große Anzahl potentiell möglicher Mischungen.
D6 offenbart aber die Möglichkeit, durch die Auswahl und Mischung das Spreitverhalten zu beeinflussen. Ebenso ist die ungefähre Länge der bevorzugten ungeradzahligen linearen Kohlenwasserstoffe beschrieben, wie oben ausgeführt. Daher offenbart D6 einen möglichen Startpunkt, Wege zur Veränderung und den zu beobachtenden Parameter. Sollte der Fachmann ausgehend von den in den Beispielen offenbarten reinen C11- oder C13-Alkanen das Spreitverhalten verändern wollen, so würde er durch herumexperimentieren innerhalb der als bevorzugt beschriebenen linearen Kohlenwasserstoffe zum beanspruchten Ergebnis kommen. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung im übrigen selbst vorgebracht, dass ein Fachmann Kohlenwasserstoffe mit Kettenlängen unter elf und über 19 aus verschiedenen Gründen nicht für kosmetische Anwendungen verwenden würde; die zur Verfügung stehende Auswahl an Kohlenwasserstoffen ist daher noch weiter eingeschränkt. Eine große Anzahl an Versuchen ist somit nicht erforderlich, zumal die vorliegenden Ansprüche ja kein spezielles Mischungsverhältnis definieren, das etwa zusätzlich noch eingestellt werden müsste.
2.4 Der Hauptantrag ist daher wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.
Hilfsantrag
2.5 Die Ansprüche des Hilfsantrags unterscheiden sich von denen des Hauptantrags durch das Merkmal, dass die beanspruchte Mischung 99 Gew.-% bezogen auf die Summe der Kohlenwasserstoffe der im Anspruch definierten C15/C17-Mischung enthält, statt nur mindestens 70%.
Dieses Merkmal spielt in der obigen Beurteilung des Hauptantrags keine Rolle. Die Analyse wurde unter der Annahme gemacht, ein Fachmann würde zur Lösung der gestellten Aufgabe die in D6 vorgeschlagenen Kohlenwasserstoffe verwenden und mischen. Im einfachsten Fall der Mischung zweier Kohlenwasserstoffe liegen diese in 100 Gew.-% bezogen auf die Summe der Kohlenwasserstoffe vor und entsprechen daher auch Anspruch 1 des Hilfsantrags. Dieses Merkmal leistet keinen erfinderischen Beitrag.
3. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der in der Entscheidung der Prüfungsabteilung festgestellte Mangel an erfinderischer Tätigkeit auch für die im Beschwerdeverfahren eingereichten beschränkten Anspruchssätze gilt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.