T 0368/18 26-02-2021
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Verfahren zum Betreiben einer Druckmaschine
I. Die Einsprechende hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 1 757 448 (nachfolgend als "das Patent" bezeichnet) aufrechterhalten werden könne, Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des damaligen Hauptantrags nicht erfinderisch sei, dass aber der ihr vorliegende Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ genüge.
III. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 26. Februar 2021 statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1 bis 6 des Hilfsantrags aufrechtzuerhalten.
V. Anspruch 1 des Antrags, von dem die Einspruchsabteilung der Auffassung war, dass er den Erfordernissen des EPÜ genüge (Hauptantrag im Beschwerdeverfahren), lautet wie folgt (die von der Einspruchsabteilung verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern angegeben):
"1. [A] Verfahren zum Betreiben einer Druckmaschine, nämlich zur Durchführung eines fliegenden Druckplattenwechsels an mindestens einem Druckwerk der Druckmaschine während andere Druckwerke der Druckmaschine im Fortdruck betrieben werden,
[B] wobei Formzylinder von im Fortdruck betriebenen Druckwerken von jeweils einem Eigenantrieb bzw. Direktantrieb direkt angetrieben und
[C] Farbwerke sowie gegebenenfalls Feuchtwerke der im Fortdruck betriebenen Druckwerke von einem Hauptantrieb angetrieben werden, und
[D] wobei an dem oder jedem Druckwerk, an welchem ein Druckplattenwechsel durchgeführt wird, Farbauftragwalzen des Farbwerks sowie gegebenenfalls eine Feuchtauftragwalze des Feuchtwerks vom jeweiligen Formzylinder abgestellt werden,
dadurch gekennzeichnet, dass
[E] an dem oder jedem Druckwerk, an welchem ein Druckplattenwechsel durchgeführt wird, das Farbwerk sowie gegebenenfalls das Feuchtwerk
entweder [E11] weiterhin vom Hauptantrieb angetrieben und das Farbwerk derart von einem Druckfarbebehälter getrennt wird, dass keine zusätzliche Druckfarbe in das Farbwerk eingebracht wird, wobei hierzu entweder alle Farbzonenstellelemente, insbesondere alle Farbschieber, geschlossen werden oder eine Heberwalze oder Filmwalze deaktiviert wird
oder [E21] vom dem Plattenzylinder des jeweiligen Druckwerks zugeordneten Eigenantrieb bzw. Direktantrieb angetrieben wird, wobei dann das Farbwerk sowie Feuchtwerk mit einer deutlich niedrigeren Drehzahl als die vom Hauptantrieb vorgegebene Drehzahl angetrieben werden."
Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch die Streichung des Merkmals E11 und das zusätzliche Merkmal "wobei dann, wenn an dem oder jedem Druckwerk, an welchem ein Druckplattenwechsel durchgeführt wird, das Farbwerk sowie gegebenenfalls das Feuchtwerk vom dem Plattenzylinder des jeweiligen Druckwerks zugeordneten Eigenantrieb bzw. Direktantrieb antrieben [sic] wird, das Farbwerk sowie gegebenenfalls das Feuchtwerk vom Hauptantrieb abgekoppelt und an den Eigenantrieb bzw. Direktantrieb des jeweiligen Plattenzylinders angekoppelt wird".
VI. Im Zusammenhang mit der unzulässigen Erweiterung des Gegenstands von Anspruch 1 haben die Parteien Folgendes vorgetragen:
a) Beschwerdeführerin (Einsprechende)
Das zusätzlich zu der erteilten Fassung neu
aufgenommene Merkmal E21 des Hauptantrages sei so allgemein in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbart. Die einzige Grundlage für das Merkmal finde sich in Absatz [0018] der Offenlegungsschrift, der im Zusammenhang mit diesem Merkmal lehre, dass zwangsläufig "bei einem vom Druckfarbebehälter ungetrennten Farbwerk ..." "... das Farbwerk sowie Feuchtwerk vom Hauptantrieb entkoppelt und an den Formzylinder bzw. den Eigenantrieb desselben gekoppelt ..." werde. Demzufolge müsse eine Entkopplung erfolgen. Es sei nicht richtig, dass dieses Merkmal im Anspruch entfallen könne, da es keine andere Möglichkeit gebe. Anspruch 1 betreffe auch einen Fall, bei dem ein Umlaufgetriebe zwischen dem Zylinderantrieb (dem Gegendruckzylinder) und dem Farbwerk vorhanden sei, z.B. mittels eines Planetenradgetriebes oder eines Harmonic Drive. Wenn die Drehzahl des Farbwerks relativ zu dem Zylinderantrieb verringert werden solle, müsse ein solches Getriebe nicht zwangsläufig entkoppelt werden. Es komme in diesem Fall zu einer Überlagerung der Drehzahlen, aber nicht zu einer Entkopplung. Diese Ausführungsform falle in den Schutzbereich von Anspruch 1, sei aber nicht ursprünglich offenbart. Der Anspruch lasse offen wie die Umschaltung oder Änderung der Antriebslage erfolge. Der Anspruch definiere zwei Betriebszustände, lasse aber offen, wie man sie erreiche. In der ursprünglichen Offenbarung gebe es aber nur eine Variante, nämlich die der Entkopplung. Insofern habe der Anspruch einen unzulässig erweiterten Schutzumfang, weil der einzige offenbarte Weg keinen Ausdruck im Anspruch gefunden habe. Darüber hinaus lehre die oben genannte Stelle im Absatz [0018] der Offenlegungsschrift im Zusammenhang mit dem Merkmal E21, dass ein vom Druckfarbebehälter ungetrenntes Farbwerk notwendig sei.
b) Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin)
Die Einsprechende interpretiere die Offenbarung nach Abschnitt [0018] falsch, da sie die Formulierung "so dass auch" als feste Voraussetzung benenne und nicht wie im Text ersichtlich gemeint, als Beschreibung eines weiteren vorteilhaften Effekts des Merkmals, auf das das Patent beschränkt wurde. Diesbezüglich schließe sich die Beschwerdegegnerin der Aussage der Einspruchsabteilung an, dass die Offenbarung, dass die Fortdruckbedingungen "auch" bei einem vom Druckfarbebehälter "ungetrennten" Farbwerk aufrecht erhalten werden können, so aufgefasst werden müsse, dass dies auch für ein vom Druckfarbebehälter "getrenntes" Farbwerk gelte. Das geltende Merkmal umfasse also beide Ausführungsformen, die auch beide in der Beschreibung zumindest implizit offenbart seien. Es liege also keine unzulässige Erweiterung vor.
Der Vortrag der Beschwerdeführerin bezüglich eines Umlaufgetriebes sei nicht nachvollziehbar. Es sei klar vorgegeben, dass der Antrieb der Farb- und Feuchtwerke über den Motor des Plattenzylinders erfolge. Was ein Zwischengetriebe zwischen Hauptantrieb und Farbwerk zur Steuerung der Geschwindigkeit machen solle, sei unklar. Ein solches Zwischengetriebe könne nicht betroffen sein, weil ja der Antrieb vom Plattenzylinder ausgehe. Das Argument sei sehr konstruiert und habe keinerlei Stütze in der Anmeldung; es habe auch nichts mit dem geltenden Anspruch zu tun. Der Anspruch 1 sage zwar nichts zum Entkoppeln, mache aber klar, dass der Antrieb des Farbwerks vom Plattenzylinder aus erfolge, und nicht von einem Zwischengetriebe zum Hauptantrieb. Wenn der Plattenzylinder das Farbwerk antreibe, dann könne es nicht der Hauptantrieb sein.
Das Argument der Beschwerdeführerin wäre nur dann zutreffend, wenn der Anspruch verlangen würde, dass der Antrieb über den Direktantrieb (also mit dem Direktantrieb als Zwischenelement) erfolge. Dies sei aber nicht der Fall, denn es werde verlangt, dass der Direktabtrieb selbst antreibe.
Der Anspruch sei so klar abgefasst, dass man keine dritte Antriebsmöglichkeit hineininterpretieren könne, bzw. eine solche Interpretation sei sachlich ungerechtfertigt. Es könne nichts anderes gemeint sein, als dass der Antrieb selbst antreibe und dass kein anderes Antriebsmittel vorgesehen sei. Das Argument der Beschwerdeführerin sei auf hohem Niveau konstruiert. Der Sinn der Antriebskonfiguration ergebe sich aus der Gesamtschau der Anmeldung auf keine andere Weise als nur, dass der Antrieb ausgehend vom Direktantrieb, ggf. unter Umkoppeln, stattfinde.
1. Hauptantrag: unzulässige Erweiterung
Das Merkmal E21 verlangt, dass an dem oder jedem Druckwerk, an welchem ein Druckplattenwechsel durchgeführt wird, das Farbwerk sowie gegebenenfalls das Feuchtwerk "vom dem Plattenzylinder des jeweiligen Druckwerks zugeordneten Eigenantrieb bzw. Direktantrieb angetrieben wird, wobei dann das Farbwerk sowie Feuchtwerk mit einer deutlich niedrigeren Drehzahl als die vom Hauptantrieb vorgegebene Drehzahl angetrieben werden". Die unterstrichenen Worte waren im ursprünglichen Anspruch nicht enthalten.
Wie aus Punkt 3.1 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, war die Einspruchsabteilung der Auffassung, dass das Merkmal "durch die Offenbarung im Absatz [0018], Zeilen 37 bis 40 unterstutzt [sic]" sei. Damit bezieht sie sich vermutlich auf eine Stelle der Patentschrift, die der Passage auf Seite 6, Zeilen 9 bis 13, der ursprünglichen Anmeldung entspricht. Der gesamte Absatz auf Seite 6, Zeilen 4 bis 13, lautet wie folgt:
"In dem Fall, in welchem während der Ausführung des fliegenden Druckplattenwechsels das Farbwerk sowie Feuchtwerk des einem Druckplattenwechsels [sic] zu unterziehenden Druckwerks vom Eigenantrieb bzw. Direktantrieb des Plattenzylinders des entsprechenden Druckwerks angetrieben werden, werden Farbwerk sowie Feuchtwerk vom Hauptantrieb entkoppelt und an den Formzylinder bzw. den Eigenantrieb desselben gekoppelt. In diesem Fall werden dann das Farbwerk sowie Feuchtwerk mit einer deutlich niedrigeren Drehzahl angetrieben als die vom Hauptantrieb vorgegebene Drehzahl, so dass auch bei einem vom Druckfarbebehälter ungetrennten Farbwerk in denselben optimale Fortdruckbedingungen aufrecht erhalten werden können." (Unterstreichung durch die Kammer)
Die dem ursprünglichen Anspruch 1 hinzugefügten Worte wurden fast unverändert diesem Abschnitt entnommen.
Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass die genannte Stelle der Beschreibung im Zusammenhang mit diesem Merkmal E21 lehre:
- dass ein vom Druckfarbebehälter ungetrenntes Farbwerk notwendig sei, und
- dass das Farbwerk und das Feuchtwerk vom Hauptantrieb entkoppelt und an den Formzylinder bzw. den Eigenantrieb desselben gekoppelt werde.
1.1 Trennung des Farbwerks
Bezüglich des ersten Punkts ist festzustellen, dass die Formulierung " ... so dass auch bei einem vom Druckfarbebehälter ungetrennten Farbwerk in denselben optimale Fortdruckbedingungen aufrecht erhalten werden können ..." nicht bedeutet, dass das Farbwerk nicht vom Druckfarbebehälter getrennt sein kann. Die Kammer versteht den Satz vielmehr so, dass selbst beim Vorliegen eines vom Druckfarbebehälter ungetrennten Farbwerks bestimmte Fortdruckbedingungen gewährleistet werden können. Es handelt sich daher nicht um ein zwingendes Merkmal, das in den Anspruch aufgenommen werden müsste.
1.2 Kopplung/Entkopplung
Im Hinblick auf den zweiten Punkt hat die
Einspruchsabteilung dargelegt, dass dieses Merkmal implizit im Anspruch 1 enthalten sei, da ein Antrieb mit einer deutlich niedrigeren Drehzahl nur möglich sei, wenn das Farbwerk und das Feuchtwerk vom Hauptantrieb entkoppelt und an einen anderen Antrieb gekoppelt würden.
Die Beschwerdeführerin hat dies mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines Umlaufgetriebes bestritten. Die Beschwerdegegnerin hat diese Möglichkeit zwar als "auf hohem Niveau konstruiert" bezeichnet, ihre Richtigkeit aber nicht in Frage gestellt.
Die Kammer schließt sich dem diesbezüglichen Vortrag der Beschwerdeführerin an. Da ein Antrieb mit einer deutlich niedrigeren Drehzahl nicht nur möglich ist, wenn das Farbwerk und das Feuchtwerk vom Hauptantrieb entkoppelt und an einen anderen Antrieb gekoppelt werden, ist es nicht zutreffend, dass dieses Merkmal implizit im Anspruch 1 enthalten ist. Der dem ursprünglichen Merkmal E21 hinzugefügte Antrieb des Farb- und Feuchtwerks mit einer niedrigeren Drehzahl ist in der ursprünglichen Anmeldung jedoch nur in Zusammenhang mit einer Entkoppelung vom Hauptantrieb und Kopplung an den Eigenantrieb des Formzylinders offenbart. Die Tatsache, das letzteres Merkmal nicht in den Anspruch 1 aufgenommen wurde, stellt somit eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.
Die gegenteiligen Argumente der Beschwerdegegnerin haben die Kammer aus den folgenden Gründen nicht überzeugt.
Der Einwand der Beschwerdeführerin ist für die Kammer nachvollziehbar. Es ist richtig, dass die Anmeldung die Möglichkeit, ein Umlaufgetriebe zum Einsatz zu bringen, nicht offenbart, aber eine solche Offenbarung würde dem Einwand ja gerade die Grundlage entziehen.
Es ist nicht zutreffend, dass der Wortlaut von Anspruch 1 ein Umlaufgetriebe ausschließt. Gemäß Merkmal B werden die Formzylinder von einem Eigenantrieb bzw. Direktantrieb angetrieben. Merkmal C verlangt, dass die Farb- bzw. Feuchtwerke von einem Hauptantrieb angetrieben werden. Merkmal E21 fügt dem hinzu, dass an dem Druckwerk, an dem ein Druckplattenwechsel durchgeführt wird, das Farb- bzw. Feuchtwerk vom Eigenantrieb bzw. Direktantrieb des Plattenzylinders angetrieben wird. Im von der Beschwerdeführerin beschriebenen Fall eines Antriebs über ein Umlaufgetriebe sind aber alle diese Bedingungen erfüllt. Ein ausschließlicher Antrieb des Farb- bzw. Feuchtwerks durch den Eigenantrieb des Plattenzylinders wird von Anspruch 1 nicht verlangt.
Die Kammer ist daher zum Schluss gelangt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ nicht genügt.
2. Hilfsantrag
Die Beschwerdeführerin hat keine Einwände gegen den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag erhoben. Die Kammer sieht auch keinen Anlass, von Amts wegen Einwände gegen diesen Antrag zu erheben. Dem Hilfsantrag ist deshalb stattzugeben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Beschreibung:
- Absätze 1 bis 7, 9 bis 17 und 19 bis 23 der Patentschrift,
- Absätze 8 und 18, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2021;
Ansprüche:
- Nr. 1 bis 6, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2021 als Hilfsantrag.