T 0572/18 02-12-2020
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Vakuumpumpe
Änderungen - Zwischenverallgemeinerung
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des ersten Hilfsantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass
- das Patent die Erfindung gemäß Anspruch 4 des Hauptantrags nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne,
- der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe,
- der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß des ersten Hilfsantrags neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer ihre vorläufige Meinung zu den entscheidungserheblichen Fragen geäußert.
III. Am 2. Dezember 2020 fand eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit beider Parteien statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß einem der Hilfsanträge 1 -8, eingereicht mit Schreiben vom 23. Dezember 2019 , bzw. 9 - 14, eingereicht mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung vom 23. August 2018.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Vakuumpumpe mit einem einzigen Flügel (20), einem Pumpengehäuse (12) und einem darin drehbar gelagerten Rotor (18), wobei der einzige Flügel (20) eine konstante Länge aufweist und in radialer Richtung verschieblich im Rotor (18) gelagert ist und die beiden Flügelspitzen (34) des einzigen Flügels (20) beidseitig aus dem Rotor (18) radial herausragen und an der Innenumfangsfläche (32) des Pumpengehäuses (12) anliegen, wobei der einzige Flügel (20) einteilig ausgebildet ist, aus Metall besteht und einen Saugraum (54) und einen Druckraum (56) definiert, dadurch gekennzeichnet, dass die Flügelspitzen (34) des einzigen Flügels (20) eine abgeflachte Seite (30) und eine abgerundete Seite (36) aufweisen, wobei die abgeflachte Seite (30) unter einem Winkel zur Längsachse des einzigen Flügels (20) steht und sich auf der Druckseite (56) befindet, und die abgerundete Seite (36) in den den Flügel (20) aufnehmenden Schlitz des Rotors (18) eintauchen kann."
VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das weitere Merkmal
"wobei sich die abgerundete Seite (36) auf der Saugseite (54) befindet".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durch das weitere Merkmal "wobei die abgeflachte Seite (30) kantenfrei in die abgerundete Seite (36) übergeht".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das weitere Merkmal, "dass der Flügel (20) eine Härte besitzt, die größer ist als die der Innenumfangsfläche (32)."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das weitere Merkmal, "dass parallel zur Flügelspitze (34) dreieckförmige Durchbrüche (24) vorgesehen sind, und der Flügel (20) aufgrund dieser Durchbrüche (24) in dessen Längsrichtung elastischer ist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 enthält die weiteren Merkmale der Ansprüche 1 gemäß Hilfsanträgen 1 und 3.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 enthält die weiteren Merkmale der Ansprüche 1 gemäß Hilfsanträgen 1 und 4.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 enthält die weiteren Merkmale der Ansprüche 1 gemäß Hilfsanträgen 1, 2 und 3.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 enthält die weiteren Merkmale der Ansprüche 1 gemäß Hilfsanträgen 1, 2, 3 und 4.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 ist identisch mit Anspruch 1 des Hauptantrags.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 10 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das weitere Merkmal
"wobei die Außenumfangsfläche (44) des Rotors (18) permanent an der Innenumfangsfläche (32) anliegt".
VII. Die abhängigen Ansprüche 4 und 5 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 10 sind jeweils identisch und haben haben folgenden Wortlaut:
"Vakuumpumpe nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Innenumfangsfläche (32) im Wesentlichen kreiszylindrisch ist."
"Vakuumpumpe nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass parallel zur Flügelspitze (34) Ausnehmungen oder Durchbrüche (24, 28) vorgesehen sind, und der Flügel (20) aufgrund dieser Ausnehmungen oder Durchbrüche (24, 28) in dessen Längsrichtung elastisch ist."
VIII. Nachfolgend wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
E1: FR 512 155 A,
E6: DE 43 32 540 A1
E7: EP 1 479 914 A1
E8: EP 0 933 532 A2
E9: EP 1 471 255 Al
E11: US 4,521,167 A
E12: JP H56-110591 A2
E14: DE 364 107 A
E16: technische Zeichnung "VM Blade"
E19: US 4 174 931 A
E23: EP 1 454 755 B1
E26: EP 1 805 396 Bl
E27: FR 23 978 E
E28: US 2,580,278 A
E29: FR 2 602 268 A1
E29.1: englische Übersetzung von E29
E30: DE 2 235 045 A1
E31: FR 533 467 A
E32: US 3,820,924 A
E33: DE 1 182 471 B
E34: US 3,138,321 A.
IX. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des erteilten und aufrechterhaltenen Anspruchs 1 (Hauptantrag) sei durch die Aufnahme des letzten Anspruchsmerkmals in unzulässiger Weise zwischenverallgemeinert worden.
Die bevorzugten Merkmale der abhängigen Ansprüche 4 und 5 gemäß Hilfsantrag 10 ließen den Rückschluss zu, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 Ausführungsformen ohne diese Merkmale umfasse, die nicht ausführbar seien.
Von den erst mit Beschwerdebegründung eingereichten Dokumenten E27 - E33 seien insbesondere E33 als Nachweis allgemeinen Fachwissens und E29 aufgrund augenscheinlicher Relevanz zuzulassen.
Die nachveröffentlichte E26 nehme implizit den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 10 neuheitsschädlich vorweg. Auch die E7 und die E8 seien neuheitsschädlich.
Ausgehend von E1, E9 oder E13 als nächstem Stand der Technik ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 10 in naheliegender Weise durch Kombination mit der E6, E10 oder E23.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentininhaberin) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das angeblich in Anspruch 1 des Hauptantrags in unzulässiger Weise weggelassene Merkmal sei bereits implizit in anderen Anspruchsmerkmalen enthalten.
Bei fachmännischer Lesart der Ansprüche ergäben sich keine Schwierigkeiten, deren Gegenstand auszuführen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 10 sei neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Patent befasst sich mit Vakuumpumpen, insbesondere einer sog. Monoflügel-Pumpe, bei der ein Rotor exzentrisch in einem Pumpengehäuse mit Ein- und Auslass angeordnet ist und einen einzigen Flügel in Drehung versetzt, der sich radial verschieblich durch den Rotor erstreckt. Da der Flügel dabei mit seinen beiden Flügelspitzen in ständigem Kontakt mit einer Innenumfangsfläche des Pumpengehäuses steht, unterteilt er dieses in einen dem Einlass zugeordneten Saugraum und einen dem Auslass zugeordneten Druckraum, deren Volumina sich zyklisch mit Drehung des Flügels verändern.
Eine bekannte Schwierigkeit bei solchen Vakuumpumpen besteht darin, dass die Flügelspitzen bei ihrer Bewegung entlang der Innenumfangsfläche einerseits stets in dichtendem Kontakt mit dieser stehen müssen, andererseits durch diesen ständigen Reibkontakt schnell verschleißen. Die Erfindung betrifft eine spezielle asymmetrische Form der beiden Flügelspitzen, die diesen beiden widerstreitenden Kriterien gerecht werden soll: Sie haben jeweils eine abgeflachte Seite und eine abgerundete Seite.
3. Hauptantrag - Auslegung
3.1 Anspruch 1 grenzt zum einen die Form der Flügelspitze folgendermaßen ein: Sie hat eine abgeflachte Seite, die unter einem Winkel zur Längsachse des einzigen Flügels steht und sich auf der Druckseite befindet, und eine abgerundete Seite.
Nach Ansicht der Kammer ergibt sich aus der ausdrücklichen Gegenüberstellung dieser beiden Seiten der Flügelspitze, dass die abgeflachte Seite einen flachen, linearen Abschnitt aufweisen muss. Wäre sie durchgehend gekrümmt, nur eben "abgeflachter" im Sinne von "länger" oder "größer", wie die Beschwerdeführerin meint, stünden allenfalls Tangenten an singulären Punkten dieser Seite in einem Winkel zur Längsachse, nicht aber die Seite selbst. Zudem kann die Kammer keine Veranlassung dafür erkennen, die beiden korrespondierenden Begriffe "abgeflacht" und "abgerundet" in derart unterschiedlicher Weise zu verstehen, einerseits als relativierend ("flacher als") und andererseits als absolut ("rund"). Die gewählte Formulierung betont vielmehr "flach" und "rund" als Gegensatz und damit eine gewisse Asymmetrie der beiden Seiten einer Flügelspitze.
3.2 Zum anderen wird das Eintauchen der abgerundeten Seite in den Schlitz des Rotors beansprucht. Da der Flügel mit seinen beiden Flügelspitzen einteilig ausgebildet ist, kann folglich nicht nur eine abgerundete Seite einer Flügelspitze unabhängig vom Rest der Flügelspitze eintauchen, sondern muss dies für die gesamte Flügelspitze gelten. Allerdings ist die Eintauchtiefe nicht beschränkt, d.h. es bleibt offen, ob die Flügelspitze vollständig oder nur teilweise in den Schlitz des Rotors eintauchen kann.
4. Hauptantrag und Hilfsanträge 1-9 - Unzulässige Erweiterung
4.1 Anspruch 1 des Hauptantrags enthält Merkmale aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 4 sowie aus Absatz [0013] der Offenlegungsschrift. Das letzte Merkmal der eintauchenden Flügelspitze wird ausschließlich durch die Offenbarung der Fig. 1 der Offenlegungsschrift gestützt, in der eine fast vollständig in den Rotor 18 eingetauchte Flügelspitze 34 zu sehen ist. Der Fig. 1 in Zusammenschau mit Absatz [0011] der Beschreibung ist weiter zu entnehmen, dass die Flügelspitze vollständig in den Rotor eintauchen wird, weil die Rotor-Außenumfangsfläche 44 an der Innenumfangsfläche 32 des Pumpengehäuses 12 anliegt. Diese Anordnung des Rotors bezüglich des Pumpengehäuses steht demnach in engem funktionalen und kausalen Zusammenhang mit dem Eintauchen der Flügelspitzen in den Rotor.
4.2 Auch die Beschwerdegegnerin erkennt an, dass es keine Grundlage in der ursprünglichen Offenbarung für einen nicht anliegenden Rotor gibt, dass also ein unabhängiger Anspruch keine Ausführungsformen mit diesem Merkmal umfassen darf. Ihrer Ansicht nach ist das aber bereits implizit durch die im Oberbegriff des Anspruchs 1 enthaltene Definition einer Mono-Flügelpumpe ausgeschlossen, insbesondere durch die relative Anordnung des einzigen Flügels konstanter Länge bezüglich des Rotors und des Pumpgehäuses: Seine beiden Flügelspitzen ragen beidseitig aus dem Rotor radial heraus und liegen an der Innenumfangsfläche des Pumpengehäuses an, wobei der Flügel einen Saugraum und einen Druckraum definiert. Wie durch die Beschreibung der Fig. 1 in Absatz [0011] der Offenlegungsschrift belegt werde, sei letzteres nur möglich, wenn "die Außenumfangsfläche 44 des Rotors 18 permanent an der Innenumfangsfläche 32 anliegt" (Spalte 2, Zeilen 40 - 43). Die zusätzliche Aufnahme dieser Merkmale in Anspruch 1 sei deshalb überflüssig.
4.3 Dass bei der in Fig. 1 dargestellten Ausführungsform der Rotor zur Definition des Saug- und Druckraumes beiträgt, indem er permanent an der Innenumfangsfläche des Pumpengehäuses anliegt, ist unbestritten. Nach Ansicht der Kammer ergibt sich dies jedoch nicht unmittelbar und eindeutig aus den oben in kursiv wiedergegeben Merkmalen des Flügels in Anspruch 1. Im Gegenteil erweckt die gewählte Formulierung eher den Eindruck, dass Saug- und Druckraum allein durch den Flügel mit seinen beidseitig herausragenden Flügelspitzen definiert sein können. Wie die Beschwerdeführerin ausführt, ist eine solche, von Anspruch 1 mitumfasste Gestaltung nicht ausgeschlossen, insbesondere bei ölgeschmierten Vakuumpumpen.
4.4 Da Anspruch 1 nicht die in Fig. 1 und Spalte 2, Zeilen 40 - 43 der Offenlegungsschrift in unmittelbarem funktionalen Zusammenhang mit dem Eintauchen der Flügelspitzen offenbarten Merkmale aufweist, geht sein Gegenstand als Zwischenverallgemeinerung über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprüngliche Fassung hinaus, Artikel 100c) EPÜ.
4.5 Die unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 1 - 9 enthalten diese Merkmale ebenfalls nicht.
Die Beschwerdegegnerin stimmt zu, dass deshalb für sie die gleichen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ gelten müssen wie für Anspruch 1 des Hauptantrags.
Folglich geht auch der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 - 9 über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinaus.
5. Hilfsantrag 10 - Grundlage der Änderungen
Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 10 enthält die zusätzlichen, in Spalte 2, Zeilen 41 - 43 der Offenlegungsschrift offenbarten Merkmale, dass "die Außenumfangsfläche (44) des Rotors (18) permanent an der Innenumfangsfläche (32) anliegt".
Sein Gegenstand geht somit nicht über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinaus, Artikel 123(2) EPÜ (siehe oben Punkt 4.4).
Dies wird auch von der Beschwerdeführerin anerkannt.
6. Hilfsantrag 10 - Ausführbarkeit
6.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, der abhängige Anspruch 4 impliziere, dass Anspruch 1 nicht ausführbare Ausführungsformen mit ideal kreiszylindrischer Innenumfangsfläche des Pumpengehäuses umfasse. Sie verzichtet aber in der mündlichen Verhandlung auf weiteren Sachvortag hierzu.
Die Kammer sieht deshalb keine Veranlassung, von ihrer in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK geäußerten vorläufigen Meinung abzuweichen, die dort in Abschnitt 2.1 wie folgt begründet wurde:
"Er [der Fachmann] ist sich bewusst, dass ein Patentanspruch keine vollständige technische Lehre enthält, sondern die wesentlichen technischen Merkmale einer Erfindung angibt. Deshalb zieht er keine offensichtlich nicht funktionierenden Varianten in Betracht, solange diese nicht eindeutig mitbeansprucht sind. In Anspruch 4 ist insoweit keine rein "kreiszylindrische" Form bezeichnet. Dafür ist in Fig. 1 der Patentschrift ein Beispiel einer nicht rein kreiszylindrischen, aber im Wesentlichen kreiszylindrischen Form dargestellt, auf das der Fachmann bei der Ausführung der Erfindung zurückgreifen kann."
6.2 In analoger Weise trägt die Beschwerdeführerin schriftlich vor, der abhängige Anspruch 5 impliziere, dass Anspruch 1 nicht ausführbare Ausführungsformen mit einem nicht elastischen Flügel umfasse.
Auch hierzu verweist die Kammer auf ihre diesbezüglichen Ausführungen in Abschnitt 2.2 der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK:
"Ein Fachmann dürfte ... keine Schwierigkeiten haben, ....Ausnehmungen oder Durchbrüche derart im Flügel vorzusehen, dass diesem in Längsrichtung eine vergleichsweise größere Elastizität als einem "monolithischen" Flügel ohne solche Ausnehmungen verliehen wird. Ein anderes fachmännisches Verständnis der zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 5 scheint sich nicht aufzudrängen. Beispiele für die Form und Anordnung solcher Ausnehmungen in einem Flügel kann er den Fig. 1 - 3 der Patentschrift entnehmen."
6.3 Deshalb ist der Gegenstand der Ansprüche 4 und 5 so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ohne weiteres ausführen kann, Artikel 83 EPÜ.
7. Dokumente E27 - E34
7.1 Die Zulassung der erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente zum Verfahren unterliegt dem Ermessen der Kammer, Artikel 12(4) VOBK 2007. Bei der Ausübung ihres Ermessens wendet die Kammer verschiedene Kriterien an, darunter die Relevanz des verspäteten Vorbringens, sowie Gründe für das verspätete Vorbringen, siehe hierzu die RdBK, 9. Auflage 2019, V.A.4.13.a. Vorliegend wurden keine überzeugenden Gründe für die Verspätung vorgetragen, und auch die Kammer vermag keine Rechtfertigung zu erkennen. Darüber hinaus sieht die Kammer die Dokumente nicht als prima facie hochrelevant an, RdBK 2019 V.A.4.13.2.
7.2 In ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer bereits die Relevanz von E27 - 34 bezweifelt, da E27, E28, E31, E32, E34 keine Monoflügel-, sondern Mehrflügelpumpen betreffen und E29 sowie E33 Verbrennungsmotoren.
Auch wenn der Kolbenverdichter 8 in der Variante Nr. 5 der E29 nur Luft statt ein Gemisch aus einem Vergaser in die Brennkammer (unterhalb der Zündkerze 9) befördert, wird die Rotationskolben-Brennkraftmaschine der E29 dadurch nicht zu einer neuheitsschädlichen Monoflügel-Vakuumpumpe, wie die Beschwerdeführerin vorträgt, sondern bleibt ein Verbrennungsmotor - nur eben mit Direkteinspritzung des Treibstoffs in die Brennkammer, siehe Seite 3, Zeilen 26 - 29, Fig. 1.
Die Kammer ist weder überzeugt vom Argument der Beschwerdeführerin, dass E33 als deutsche Patentschrift aus dem Jahr 1964 aufgrund ihres Alters ein Beleg für allgemeines Fachwissen ist, noch dass (Fach)Wissen zu Rotations- oder Schieberkolben-Brennkraftmaschinen prima facie hochrelevant für die beanspruchte Monoflügel-Vakuumpumpe ist.
7.3 In der Mitteilung hat die Kammer ferner darauf hingewiesen, dass E30 zwar als einziges dieser Dokumente eine Monoflügel-Pumpe zeigt, deren Flügelspitzen auf Druck- und Saugseite aber genau umgekehrt wie beansprucht gestaltet sind, siehe Fig. 2. Somit ist auch D30 nicht prima facie hochrelevant für den Gegenstand des Anspruchs 1.
7.4 Aus den vorstehenden Gründen hat die Kammer die Dokumente E27 - E34 in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zugelassen.
8. Hilfsantrag 10 - Neuheit
8.1 E26 schlägt vor, das Material von Flügelspitzen an das des Pumpengehäuses, in dem der Flügel verbaut wird, anzupassen, und insbesondere ein härteres Material für die Flügelspitzen auszuwählen, um Verschleiß zu verringern, Absätze [0003], [0005].
Damit eine individuelle Anpassung eines "Standardflügels" möglich wird und nur verschlissene Flügelspitzen statt des gesamten Flügels ausgetauscht werden können, sollen die Flügelspitzen von austauschbaren Einsätzen gebildet werden, Absätze [0006], [0007], [0013], Fig. 1. Die beanspruchte einteilige Flügelform ist der E26 weder explizit, noch implizit zu entnehmen. Selbst wenn die Einsätze dauerhaft mit dem Flügel verbunden werden, z.B. durch Einspritzen oder Eingießen, ist der Flügel nach Ansicht der Kammer immer noch mehrteilig aus einem Hauptteil und zwei Einsätzen aufgebaut.
Im übrigen sind für einen Fachmann insbesondere Einspritzen und Eingießen von Einsätzen 14 aus Metall, Sinterwerkstoff oder Keramik (Absatz [0005]) in nutenförmige Aufnahmen 12 des Flügels typische Verbindungstechniken mit Kunststoff, dem nach Absatz [0005] bevorzugten Flügelmaterial. Da in E26 kein anderes Material als Alternative erwähnt ist, kann das beanspruchte Metall nicht als eindeutig und unmittelbar offenbart angesehen werden. Selbst wenn die Entscheidung für ein nachgiebigeres Metall zur Lösung der Aufgabe, ein alternatives Flügelmaterial bereitzustellen, naheliegend wäre, ist dies bereits eine Frage der erfinderischen Tätigkeit, die für E26 als Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ nicht in Betracht kommt.
8.2 Bezüglich ihrer Argumentation zur mangelnden Neuheit im Hinblick auf die Offenbarung der E7 und E8 verweist die Beschwerdeführerin auf ihr schriftliches Vorbringen.
Dazu hat die Kammer in Abschnitt 4.2 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK bereits folgendermaßen Stellung genommen: "Die in E7, Fig. 3 - 6 und E8, Fig. 4 gezeigten Flügelspitzen scheinen nicht asymmetrisch in dem Sinn zu sein, dass sie jeweils eine abgeflachte und eine hiervon verschiedene abgerundete Seite aufweisen".
8.3 Aus den vorstehenden Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 10 neu im Sinne von Artikel 54(1), (2) bzw. (3) EPÜ gegenüber der Offenbarung der E7, E8 und E26.
9. Hilfsantrag 10 - Erfinderische Tätigkeit
9.1 Die Beschwerdeführerin geht von der Monoflügel-Vakuumpumpe der E1 als nächstem Stand der Technik aus.
Die Kammer stimmt zu, dass E1 eine Monoflügel-Vakuumpumpe nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 offenbart, bei der die beidseitigen Abrundungen der Flügelspitzen dazu beitragen, einen dauerhaften Kontakt des Flügels 11 mit der Innenumfangsfläche des Pumpengehäuses sicherzustellen, Spalte 2, Zeile 48 - Spalte 3, Zeile 54, Fig. 1.
Es besteht Einigkeit, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch von der Monoflügel-Vakuumpumpe der E1 unterscheidet, dass die Flügelspitzen des einzigen Flügels anstatt beidseitiger Abrundungen eine abgeflachte Seite und eine abgerundete Seite aufweisen, wobei die abgeflachte Seite unter einem Winkel zur Längsachse des einzigen Flügels steht und sich auf der Druckseite befindet.
9.2 Durch diese Unterschiedsmerkmale werden optimale Andruckkräfte des Flügels an der Innenumfangswand erzielt, siehe Patentschrift, Absätze [0005] und [0006].
Die zu lösende Aufgabe kann demnach in Einklang mit Absatz [0004] der Patentschrift darin gesehen werden, eine gattungsgemäße, insbesondere die in E1 offenbarte, Monoflügel-Vakuumpumpe dahingehend zu verbessern, dass unter Beibehaltung eines dauerhaften Kontakts des Flügels mit der Innenumfangsfläche des Pumpengehäuses der Verschleiß verringert wird.
9.3 Unstreitig offenbart die E6 Flügelspitzen mit den unterschiedlichen Merkmalen des Anspruchs 1, siehe Spalte 3, Zeilen 19 - 23, Fig. 3, 4. Zudem befasst sie sich mit Aspekten der objektiven Aufgabe, nämlich den Verschleiß durch Optimierung der Anpresskräfte zu reduzieren, Spalte 1, Zeilen 62 - 67.
Trotzdem ist die Kammer entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin der Meinung, dass ein Fachmann die Flügelzellenpumpe der E6 nicht zur Lösung der objektiven Aufgabe heranziehen würde, die ausschließlich auf Monoflügel-Pumpen gerichtet ist. Dafür sind die in beiden Pumpen jeweils auf die bzw. den Flügel wirkenden Kräfte zu verschieden.
Die Anpresskräfte werden in E6 nämlich dadurch optimiert, dass die Größe der abgeflachten Seite A2 auf die der mit dem gleichem Druck PP, PD wie sie beaufschlagten Unterseite A1 des Flügelelements 15 abgestimmt wird, Spalte 4, Zeilen 6 - 26. Durch diesen Kräfteausgleich kann die Anpresskraft jeweils nur geringfügig oberhalb des erforderlichen Maßes liegen und somit Verschleiß vermieden werden. Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich unterhalb der Unterseite A1 eines Flügelelements 15 eine mit dem Druckraum 21A durch einen in Fig. 3 und 4 gestrichelt dargestellten Kanal verbundene Druckkammer 36 befindet. Dadurch ist aber die Anwendung dieser Lehre der E6 auf eine Monoflügelpumpe mit einteiligem Flügel ausgeschlossen. Im Gegenteil schließt der Fachmann daraus sogar, dass durch eine abgeflachte, dem Druckraum zugewandte Seite der Flügelspitze in der Monoflügelpumpe der E1 der Kontakt zwischen Flügel und Innenumfangsgehäuse in der Endphase der Kompression (Fig. 4 der E6) verloren gehen könnte, weil sich die wirksame Fläche A2 verkleinert und eben kein entsprechend erhöhter Anpressdruck für den Flügel in einer ihm zugeordneten Druckkammer aufgebaut werden kann. So gesehen würde die Lehre der E6 den Fachmann sogar davon abhalten, bei der Monoflügel-Vakuumpumpe der E1 die dem Druckraum zugewandte Seite der Flügelspitzen abzuflachen.
9.4 Die Monoflügelpumpe der E9 hält die Beschwerdeführerin selbst für einen weniger geeigneten Ausgangspunkt, denn deren Flügel ist nach dem Verständnis der Kammer nicht einteilig, sondern weist Einlagen 20, 22 an den Flügelenden auf, Absatz [0015], Fig. 1. Zur Kombination mit der Flügelzellenpumpe der E10 beschränkt sich die Beschwerdeführerin auf ihr schriftliches Vorbringen.
Dazu hat die Kammer in Abschnitt 5.3.2 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK bereits wie folgt Stellung genommen:
"Die Flügelspitzen der E10 scheinen nicht auf eine Vakuumpumpe nach E9 übertragbar, denn sie sind explizit nicht für radial zum Rotor verlaufende Einbaulagen wie bei E9 gedacht (E10, Oberbegriff des Anspruchs 1, Seite 4, erster Absatz). Vielmehr müssen die Flügel und Flügelspitzen der E10 mit einer Radialebene 14 des Rotors einen Anstellwinkel 15 einschließen sowie ein freies Ende 23 in einer Ebene 22 aufweisen, die zur Flügelhauptebene 25 in einem zu einem Rückstellwinkel 30 komplementären Winkel 31 verläuft, damit die Flügelspitzenform nach E10 ausgeführt werden kann (Anspruch 1, Seite 8, zweiter und dritter Absatz, Fig. 2). Somit scheint die besondere Ausgestaltung der Flügelspitze nach E10 für eine spezielle Art von Mehrflügel-Pumpen angepasst zu sein, zu der die Vakuumpumpe nach E9 nicht gehört."
9.5 Im Hinblick auf die übrigen von ihr aufgezeigten Kombinationen von Dokumenten verweist die Beschwerdeführerin ebenfalls auf ihr schriftliches Vorbringen und bemerkt lediglich, die Kammer habe die Relevanz der E23 aus den falschen Gründen verneint.
Zwar seien in Fig. 11E abgeflachte Seiten der Flügelspitze 50a, 50b der Saugseite, nicht der Druckseite R zugewandt (Absatz [0129]), aber im Betrieb bögen sich diese entgegen der Drehrichtung des Flügels, wie in Fig. 12B zu sehen und in Absatz [0130] beschrieben. Nach Ansicht der Kammer sind zwar die abgeflachten Seiten auch in Fig. 12B dem Saugraum zugewandt, sie ergänzt ihre Argumentation zur Relevanz aber mit dem Hinweis, dass darüber hinaus die erforderliche Flexibilität des Flügel der E23 nicht mit dem einteiligen Metallflügeln der E1 erreicht werden kann und in Widerspruch zu dem beanspruchten einteiligen Metallflügel steht.
Zu den übrigen Kombinationen verweist die Kammer ihrerseits auf auf ihre vorläufige Meinung hierzu in Abschnitt 5.3 der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK. Wie in den anderen obigen Fällen, in denen die Beschwerdeführerin sich auf ihren schriftlichen Vortrag beschränkt hat, sieht die Kammer keine Veranlassung, von dieser vorläufigen Meinung zur geringeren Relevanz der E11, E12, E14, E16, und E19 abzuweichen, die nachfolgend zitiert wird.
"Von den von der Beschwerdeführerin-Einsprechenden angezogenen Kombinationsdokumenten scheinen lediglich E6 (Fig. 3, 4) und E10 (Fig. 2) eindeutig die Unterschiedsmerkmale zu offenbaren
(E11, Fig. 2: keine abgeflachte Flügelspitzenseite mit linearem Abschnitt;
E12, abstract: keine abgerundete Flügelspitzenseite; E14, Fig. 2, 3: entweder keine abgerundete oder keine abgeflachte Flügelspitzenseite;
E16: keine abgeflachte Flügelspitzenseite mit linearem Abschnitt;
E19, Fig. 4: annähernd symmetrische Flügelspitze".
Demnach bestehen bei diesen Kombinationen geringere Erfolgsaussichten, in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, als ausgehend von E1 in Kombination mit E6.
9.6 Aus den vorstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 10 im Lichte des von der Beschwerdeführerin angezogenen Standes der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
10. Die Kammer kann somit die Feststellung der angegriffenen Entscheidung, dass das Patent gemäß Hauptantrag die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, nicht bestätigen. Dagegen stellt sie fest, dass unter Berücksichtigung der nach dem Hilfsantrag 10 vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.
Infolgedessen kann das Patent in geänderter Fassung gemäß Artikel 101(3)(a) EPÜ aufrechterhalten werden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Maßgabe zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche:
Nr. 1 - 5 des mit Schriftsatz vom 23. August 2018 eingereichten Hilfsantrags 10;
Beschreibung:
Seite 2 wie in der mündlichen Verhandlung eingereicht;
Seite 3 wie in der veröffentlichten Patentschrift;
Zeichnungen:
Figuren 1 - 3 wie in der veröffentlichten Patentschrift.