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T 0630/18 (Sicherungsanordnung für den Eisenbahnverkehr/SIEMENS) 01-06-2021
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Verfahren zur Inbetriebnahme einer Sicherungsanordnung für den Eisenbahnverkehr und Sicherungsanordnung für den Eisenbahnverkehr
Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (nein)
Ausreichende Offenbarung - Hilfsantrag (nein)
I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die am 23. Oktober 2017 zugestellte Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 12166387.6 zurückgewiesen wurde. Ein Hauptantrag sowie ein Hilfsantrag wurden zurückgewiesen, weil sie die Erfordernisse von
Artikel 83 EPÜ nicht erfüllten.
Das folgende Dokument wurde als allgemeines Fachwissen in der Entscheidung zitiert:
D7: "Bahnsicherungstechnik", Fenn et al., 2003, Seite 138 bis 191.
II. Die Beschwerdeschrift ging am 11. Dezember 2017 ein, und die Beschwerdegebühr wurde am selben Tag entrichtet. Die Beschwerdebegründung ging am 23. Februar 2018 ein. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder des Hilfsantrags, auf die die Entscheidung gestützt war. Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin folgende Dokumente eingereicht:
D8: "Systematisches Verfahren zur Festlegung von Sicherheitszielen", Braband et al., September 1999, Seite 5 bis 10, und
D9: "Risikoanalysen in der Eisenbahn-Automatisierung", Braband, kein Datum, Seite 65 bis 67.
Außerdem wurde eine mündliche Verhandlung beantragt, falls dem Hauptantrag oder dem Hilfsantrag nicht stattgegeben wird.
III. Eine Ladung zur mündlichen Verhandlung erging am
15. Februar 2021. In einer Mitteilung gemäß
Artikel 15(1) RPBA vertrat die Kammer die vorläufige Auffassung, dass der Hauptantrag sowie der Hilfsantrag die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ nicht erfüllten und dass die Beschwerde damit keinen Erfolg haben könnte.
IV. Mit einem Antwortschreiben reichte die Beschwerdeführerin Auszüge des Textes der in der Beschwerdebegründung genannten europäischen Normen
EN 50129 und EN 61025 ein und brachte weitere Argumente zu den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ vor.
V. Eine mündliche Verhandlung fand am 1. Juni 2021 statt. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche des Haupt- oder des Hilfsantrags, beide eingereicht am 4. August 2017, zu erteilen. Die Entscheidung der Kammer wurde am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet.
VI. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zur Inbetriebnahme einer Sicherungsanordnung (1) für den Eisenbahnverkehr,
wobei die Sicherungsanordnung eine Anschlussverbindungen (18, 19) aufweisende Sicherungseinrichtung (2) umfasst und
durch eine im Zuge der Anschlussverbindungen (18, 19) angeordnete Zusatz-Schaltungsanordnung (5) einer zusätzlichen Sicherungseinrichtung ergänzt worden ist, eine Isolationsüberwachung an die Anschlussverbindungen (18, 19) ausgeschlossen wird, um den Sicherheitsstand der einen Sicherungseinrichtung (2) mindestens in einem Maße zu erhöhen, wie der Sicherheitsstand durch die zusätzliche Sicherungseinrichtung (5) verringert worden ist".
Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag fügt am Ende von Anspruch 1 des Hauptantrags den Wortlaut "wobei als die eine Sicherungseinrichtung (2) eine induktive Zugsicherungseinrichtung und als die zusätzliche Sicherungseinrichtung eine ETCS(European Train Control System)- Sicherungseinrichtung verwendet wird".
Sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag enthalten einen entsprechenden Systemanspruch.
Artikel 83 EPÜ
1. Die Kammer stimmt der Prüfungsabteilung zu, dass die vermeintliche Erfindung in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Sowohl die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags als auch die des Hilfsantrags beziehen sich auf eine Sicherungsanordnung, die eine erste Sicherungseinrichtung und eine zusätzliche Sicherungseinrichtung umfasst. Gemäß dieser Ansprüche soll der Sicherheitsstand der ersten Sicherungseinrichtung mindestens in einem Maße erhöht werden, wie der Sicherheitsstand der Sicherungsanordnung durch die zusätzliche Sicherungseinrichtung verringert worden ist.
Um den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche bewerkstelligen zu können, muss der Fachmann zuerst den Sicherheitsstand eines Sicherungssystems bewerten können, und dazu die Erhöhung des Sicherheitsstands durch die Verwendung einer Isolationsüberwachung an den Anschlussverbindungen der ersten Sicherungseinrichtung messen können. Er würde in der Beschreibung, insbesondere in den Absätzen [0021], [0022] und [0023], die sich mit der Implementierung der Isolationseinrichtung befassen, überhaupt keine Lehre oder Berechnungsbeispiele dafür finden.
2. Die Beschwerdeführerin argumentierte zwar, dass der Fachmann ein Ingenieur der Eisenbahntechnik mit mehreren Jahren Erfahrung auf dem Gebiet der Eisenbahnsicherungstechnik ist.
Die Beschwerdeführerin verwies insofern auf das Dokument D7, das das allgemeine Fachwissen dieses Fachmanns darstellen sollte. Laut der Beschwerdeführerin könnte der Fachmann das in D7 beschriebene "relative Verfahren", insbesondere das untergeordnete "qualitative Verfahren" oder "quantitative Verfahren", verwenden, um den Sicherheitsstand der ersten Sicherungseinrichtung, inklusive der Isolationsüberwachung, mit dem Sicherheitsstand der gesamten Sicherungsanordnung zu vergleichen. Nach Auffassung der Kammer beinhalten die zitierten Abschnitte 3.3.1 und 3.3.3 der D7 aber nur Anweisungen, wie der Fachmann zwei Sicherungseinrichtungen bezüglich ihres Sicherheitsstands vergleichen kann. Der Fachmann findet jedoch in D7 keine Lehre, wie er den Sicherheitsstand der ersten Sicherungseinrichtung in den unabhängigen Ansprüchen durch die Gestaltung einer Isolationsüberwachung ausreichend erhöhen kann.
Die Beschwerdeführerin argumentierte weiter, dass der Fachmann sich auf den Inhalt der ihm bekannten Sicherheitsnormen EN 50129 (im D7 zitiert) und EN 61025 stützen würde, um den Sicherheitsstand eines Eisenbahnsicherheitssystems bestimmen zu können. Insbesondere argumentierte die Beschwerdeführerin, dass eine Fehlerbaumanalyse, wie auf Seite 64 der EN 50129 genannt und auf Seite 27 der EN 61025 definiert, dem Fachmann ermöglichen könnte, einen Sicherheitsstand zu bestimmen. Die Beschwerdeführerin erläuterte aber nicht, wie der Fachmann auf der Basis von diesen Normen und ohne unzumutbaren Aufwand die Isolationsüberwachung an den Anschlussverbindungen der ersten Sicherungseinrichtung gestalten würde, damit der Sicherheitstand der ersten Sicherheitseinrichtung in einem bestimmten Maße erhöht wird. Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass diese Passagen der zitierten Normen dem Fachmann überhaupt keine Hinweise geben, insbesondere auch nicht im Rahmen eines Versuch-und-Irrtum- Verfahrens, die in der einzigen Figur der Anmeldung dargestellte Isolationsüberwachungseinrichtung 23 so zu gestalten, dass die Sicherheit der ersten Sicherungseinrichtung um einen definierten notwendigen Mindestwert erhöht wird.
Die Beschwerdeführerin stützte sich zusätzlich auf D8 und D9 und behauptete, dass diese Dokumente die Berechnung des Sicherheitsstands einer Eisenbahnsicherungseinrichtung beschrieben und mit Beispielen belegten, ohne dazu aber spezifische Passagen dieser mehrseitigen Dokumente zu zitieren und das Vorbringen damit zu substantiieren. Auch wenn D8 und D9, wie von Seiten der Beschwerdeführerin behauptet wurde, als Teil des Allgemeinwissens des Fachmanns angesehen würden, könnte nach Auffassung der Kammer ein Fachmann der Eisenbahnsicherungstechnik den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche nicht über seine gesamte Breite ausführen. In D8 finden sich zwar Ansätze zur Erstellung von Gefährdungsraten einzelner Sicherheitseinrichtungen, nicht aber Berechnungen eines Sicherheitsstands. D9 beschreibt ebenso wenig eine Berechnung eines Sicherheitsstands einer Eisenbahnsicherungseinrichtung.
Bezugnehmend auf Absatz [0023] führte die Beschwerdeführerin außerdem aus, dass ein Fehlerfall auftritt, wenn die Kontakte (18, 19) Erdpotential bekommen. Dann würde die Isolationsüberwachung reagieren, so dass die Gefahr gebannt wäre. Zudem würde auch eine Warnmeldung ausgegeben. Auch anhand dieser Erklärung kann aber nicht nachvollzogen werden, wie der Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand die Isolationsüberwachung so gestalten würde, damit der Sicherheitsstand der ersten Sicherheitseinrichtung in einem bestimmten Maße erhöht wird.
3. Aus diesen Gründen hat die Kammer entschieden, dass der Hauptantrag und der Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllen und die Beschwerde damit zurückzuweisen ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.