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T 0716/18 (Kosmetische Emulsionen / HENKEL) 05-03-2021
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SCHNELL TROCKNENDE KOSMETISCHE EMULSIONEN ZUR ROLL-ON-APPLIKATION
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
I. Das Europäische Patent Nr. 2 023 888 wurde mit 14 Ansprüchen erteilt. Anspruch 1 des Patents lautetet wie folgt:
"1. Kosmetische Öl-in-Wasser-Emulsion, die keine Mikroemulsion darstellt, enthaltend
a) 0,5 - 6,5 Gew.-% Öl- oder Fettphase, umfassend mindestens eine bei 20 °C flüssige Ölkomponente, ausgewählt aus
i) linearen und verzweigten gesättigten ein- oder mehrwertigen C3 - C30-Alkanolen, die mit mindestens einer Propylenoxid-Einheit pro Molekül verethert sind,
ii) Propylenglycolmonoestern von verzweigten gesättigten C6 - C30-Alkancarbonsäuren,
iii) verzweigten gesättigten C10 - C30-Alkanolen,
b) mindestens 60 Gew.-% Wasser,
c) 0,00001 - 38 Gew.-% mindestens eines kosmetischen Wirkstoffes, ausgewählt aus
schweißhemmenden Wirkstoffen,
desodorierenden Wirkstoffen,
Monomeren, Oligomeren und Polymeren von Aminosäuren, N-C2-C24-Acylaminosäuren, den Estern und/oder den physiologisch verträglichen Salzen dieser Substanzen,
DNA- oder RNA-Oligonucleotiden,
natürlichen Betainverbindungen,
Vitaminen, Provitaminen und Vitaminvorstufen der Gruppen A, B, C, E, H und K und den Estern der vorgenannten Substanzen,
alpha-Hydroxycarbonsäuren, alpha-Ketocarbonsäuren, ß-Hydroxycarbonsäuren und deren Ester-, Lacton- oder Salzform,
Flavonoiden und Flavonoid-reichen Pflanzenextrakten,
Isoflavonoiden und Isoflavonoid-reichen Pflanzenextrakten,
Polyphenolen und Polyphenol-reichen Pflanzenextrakten,
Ubichinon und Ubichinol sowie deren Derivaten,
Silymarin,
Ectoin,
Repellentien,
anorganischen und organischen UV-Filtersubstanzen,
selbstbräunenden Wirkstoffen,
hautaufhellenden Wirkstoffen,
hautberuhigenden Wirkstoffen,
feuchtigkeitsspendenden Wirkstoffen,
sebumregulierenden Wirkstoffen,
wobei mindestens ein schweißhemmender Wirkstoff enthalten ist,
d) mindestens ein Polysaccharid in einer Gesamtmenge von 0,01 - 0,2 Gew.-%,
e) mindestens einen nichtionischen Emulgator mit einem HLB-Wert im Bereich von 3 - 6 in einer Gesamtmenge von 1,8 - 3 Gew.%,
f) mindestens einen nichtionischen Emulgator mit einem HLB-Wert im Bereich von 12 -18, ausgewählt aus Steareth, Ceteth, Myristeth, Laureth, Trideceth, Arachideth und Beheneth mit jeweils 7 -40 Ethylenoxid-Einheiten pro Molekül, in einer Gesamtmenge von 1 - 2 Gew.-%,
wobei alle Mengenangaben auf das Gesamtgewicht der Emulsion bezogen sind und das Gewichtsverhältnis von nichtionischen Emulgatoren mit einem HLB-Wert im Bereich von 3 - 6 und nichtionischen Emulgatoren mit einem HLB-Wert im Bereich von 12-18 von 0,9 bis 3, bevorzugt 1,3 -1,9 beträgt und die Emulgatoren definitionsgemäß nicht zur Öl- oder Fettphase zählen, gekennzeichnet durch eine Viskosität im Bereich von 1000 - 5000 mPas,gemessen 1 Tag nach Herstellung mit einem Brookfield-Viskosimeter, Spindel RV 4, 20 s**(-1), ohne Helipath, bei 20°C Umgebungstemperatur und 20 °C Probentemperatur."
II. Gegen die Erteilung des Patents wurde Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie unzulässige Erweiterung des Inhalts (Artikel 100 c) EPÜ) angeführt. Der Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens zurückgezogen.
III. Die Einspruchsabteilung kam zu der Entscheidung, das Patent zu widerrufen. Dieser Entscheidung lagen das erteilte Patent als Hauptantrag und zwei am 22. Dezember 2016 eingereichte Hilfsanträge zugrunde.
Insbesondere führte die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung aus, dass Anspruch 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1-2 die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfülle. Der Fachmann hätte den ursprünglichen Unterlagen nicht eindeutig und unmittelbar entnehmen können, dass Emulgatoren nicht zur Öl- oder Fettphase zählen sollen.
IV. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die obige Entscheidung ein.
Mit der Beschwerdebegründung vom 2. Juli 2018 reichte die Beschwerdeführerin zwei weitere Hilfsanträge (Hilfsantrag 3 und 4) ein.
V. Folgende für die Entscheidung relevante Beweismittel wurden von den Parteien im Laufe des Beschwerdeverfahrens eingereicht:
a) Seitens der Beschwerdegegnerin (Einsprechende) mit der Beschwerdeerwiderung eingereichte Beweismittel:
O20: Auszug aus dem International Cosmetic Ingredient Dictionary and Handbook, Volume 2, 9. Auflage, 2002, Seiten 1374 und 1377
O21: Auszug aus Wikipedia zu Jojoba Alkohol, veröffentlicht am 21. April 2006
b) Seitens der Beschwerdegegnerin am 2. Februar 2021 eingereichte Beweismittel:
O23: Lehrdokument Lingolia, EINFACH BESSER IN SPRACHEN, Deutsche Grammatik, Artikel (Begleiter), 2017
VI. Am 5. März 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
VII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 oder der Hilfsanträge 3 und 4, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 2. Juli 2018.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde sowie hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung für den Fall, dass einer der Anträge die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfülle.
IX. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Das in Anspruch 1 des Hauptantrages eingeführte Merkmal, dass "die Emulgatoren definitionsgemäß nicht zur Öl- oder Fettphase zählen", basierte wortwörtlich auf der Textstelle auf Seite 7 Zeilen 1-2 der ursprünglichen Anmeldung. Das besagte Merkmal bezog sich in der ursprünglichen Anmeldung sowie im vorliegenden Anspruch auf den gleichen Gegenstand nämlich alle möglichen Emulgatoren. Der vorliegende Anspruch 1 erfülle somit die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
X. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Das auf der ursprünglichen Seite 7 Zeilen 1-2 offenbarte Merkmal, dass "die Emulgatoren definitionsgemäß nicht zur Öl- oder Fettphase zählen", bezog sich auf Emulgatoren im Allgemeinen. Im vorliegenden Anspruch 1 hingegen war das entsprechende eingeführte Merkmal so auszulegen, dass es sich nunmehr ausschließlich auf die im vorliegenden Anspruch 1 unter den Punkten e) und f) definierten Emulgatoren bezog. Weitere Emulgatoren konnten somit nunmehr zur Öl- oder Fettphase zählen. Solche Zusammensetzungen gingen über den ursprünglich offenbarten Inhalt der Anmeldung hinaus, so dass die durchgeführte Änderung einen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ darstellte.
Diese Auslegung des Merkmals im vorliegenden Anspruch war aus folgenden Gründen gerechtfertigt:
a) Gemäß der deutschen Grammatik setzte die Verwendung des bestimmten Artikels "die" im Anspruchszusammenhang einen Rückbezug voraus (s. O23). Da lediglich die unter e) und f) definierten Emulgatoren zuvor erwähnt wurden, konnte sich linguistisch gesehen das besagte Merkmal ausschließlich auf die unter e) und f) definierten Emulgatoren beziehen.
b) Die seitens der Beschwerdeführerin vorgebrachte Auslegung des Merkmals im Anspruchszusammenhang würde keinen Sinn ergeben. Mehrere unter Anspruch l a) i)-iii) definierte Ölkomponenten wiesen ebenfalls emulgierende Eigenschaften auf (s. O20-O21). Der Auslegung der Beschwerdeführerin folgend wären solche Verbindungen aus der Ölphase ausgeschlossen, was nicht logisch wäre.
Hauptantrag - Erteiltes Patent
1. Änderungen
1.1 Anspruch 1 basiert auf dem ursprünglichen Anspruch 1, wobei:
(a) mehrere Merkmale aus den abhängigen ursprünglichen Ansprüchen 5, 13, 16, 20, 21 und 23 eingeführt worden sind, und
(b) das Merkmal, dass "die Emulgatoren definitionsgemäß nicht zur Öl- oder Fettphase zählen", aus der ursprünglichen Beschreibung (s. Seite 7 Zeilen 1-2) wortwörtlich eingeführt worden ist.
1.2 Die Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ wurde für die unter (a) definierten Änderungen nicht in Frage gestellt.
1.3 Bezüglich des Merkmals (b) stimmten die Parteien darin überein, dass dieses sich im Kontext der ursprünglichen Beschreibung (s. Seiten 6-7) auf alle möglichen, in der Zusammensetzung enthaltenen Emulgatoren bezieht.
1.4 Angesichts der Formulierung des vorliegenden Anspruchs 1 ist die Kammer der Ansicht, dass das besagte Merkmal sich im Anspruchszusammenhang auf alle Emulgatoren bezieht und nicht auf die unter den Punkten e) und f) definierten Emulgatoren beschränkt ist. Die Kammer ist der Auffassung, dass der Fachmann aus folgenden Gründen den Anspruch 1 lediglich auf diese Weise auslegen würde:
1.4.1 Die Benutzung des Artikels "die" ohne weitere Einschränkung (z. B. "die oben genannten" oder "die nichtionischen") würde der Fachmann nicht als ausschließlich auf die unter den Punkten e) und f) definierten Emulgatoren limitiert interpretieren . Da weiterhin im vorliegenden Anspruch 1 die besagten nichtionischen Emulgatoren gleichrangig wie die Öl- oder Fettphase aufgelistet (nämlich als Komponenten a), e) beziehungsweise f)) und jeweils mit bestimmten entsprechenden Mengenanteilen definiert werden, würde der Fachmann bereits ohne das umstrittene Merkmal diese Komponenten als separate individuelle Komponenten betrachten. Der Fachmann würde folglich erkennen, dass das umstrittene Merkmal eine breitere Bedeutung haben soll.
1.4.2 Sollte der Fachmann dennoch Zweifel an der Auslegung des vorliegenden Anspruchs haben, würde er die Beschreibung heranziehen insbesondere die Textstelle auf Seite 5, Zeile 19 des Streitpatents, die der Textstelle auf Seite 7, Zeilen 1-2 der ursprünglichen Anmeldung entspricht. Wie unter Punkt 1.3 festgestellt, sind die Parteien sich darüber einig, dass die besagte Textstelle sich auf alle möglichen, in der Zusammensetzung enthaltenen Emulgatoren bezieht. Der Fachmann würde somit die Bestätigung der Auslegung des umstrittenen Merkmals im vorliegenden Anspruch, als sich auf alle Emulgatoren beziehend, finden.
1.5 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass mehrere unter Anspruch l a) i)-iii) definierte Ölkomponenten ebenfalls emulgierende Eigenschaften aufweisen (s. O20-O21) und es somit nicht logisch wäre, solche Verbindungen aus der Ölphase auszuschließen.
Die Kammer stellt fest, dass die seitens der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Tatsache, dass bestimmte Verbindungen mehr als eine Eigenschaft aufweisen, eine im Bereich kosmetischer Zusammensetzungen übliche und dem Fachmann bewusste Angelegenheit darstellt. Die Kammer ist folglich der Auffassung, dass der Fachmann den vorliegenden Anspruch 1 so verstehen würde, dass ausschließlich die lipophilen Eigenschaften der unter Punkt a) definierten Ölkomponenten im Kontext der Erfindung relevant seien. Diese Ölkomponenten würde der Fachmann im Kontext des vorliegenden Patents nicht als Emulgatoren betrachten. Das besagte Merkmal bezieht sich folglich auf alle möglichen Emulgatoren mit Ausnahme der unter a) definierten Ölkomponenten. Mit anderen Worten stellen die unter a) i)-iii) definierten Komponenten definitionsgemäß keine Emulgatoren dar. Diese Interpretation basiert auf dem gesamten Inhalt des vorliegenden Patents und steht in Übereinstimmung mit den in den Beispielen bevorzugten Verbindungen.
1.6 Die Argumentation der Beschwerdegegnerin bezüglich einer grammatikalisch korrekten Auslegung des Anspruchs 1 ist letztlich nicht überzeugend. Die Beschwerdegegnerin brachte basierend auf O23 vor, dass die Einsetzung eines bestimmten Artikels einen Rückbezug voraussetzt. Dieses Argument trifft nicht vollkommen zu. Wie seitens der Beschwerdeführerin vorgebracht, ist im vorliegenden Fall der Bezug nicht absolut derselbe ("nichtionische Emulgatoren" versus "die Emulgatoren"). Ferner merkt die Kammer an, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ auf derselben Grundlage zu beurteilen sind wie die übrigen Patentierbarkeitskriterien, nämlich aus der Sicht eines Fachmanns auf einer technischen und sachgemäßen Basis ohne konstruierte oder semantische Auslegung.(s. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, II.E.1.3.2). Im vorliegenden Fall würde der Fachmann aus den oben ausgeführten technischen Gründen (s. 1.4.1-1.5) zu einer unterschiedlichen Auslegung gelangen.
1.7 Die Kammer ist somit der Auffassung, dass das Merkmal, dass "die Emulgatoren definitionsgemäß nicht zur Öl- oder Fettphase zählen", in der ursprünglichen Anmeldung sowie im vorliegenden Anspruch identisch auszulegen ist. Die Kammer kommt somit zum Schluss, dass der Anspruch 1 des Hauptantrags den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ genügt und die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben ist.
Zurückverweisung
2. Artikel 11 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) in der ab 1. Januar 2020 geltenden Fassung (Amtsblatt EPA 2019, A63), die hier gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 Anwendung findet, besagt, dass eine Kammer eine Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Instanz zurückverweist, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen.
3. Im vorliegenden Fall sind die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ in der angefochtenen Entscheidung völlig unberücksichtigt geblieben, und alle entsprechenden relevanten Fragen scheinen der Kammer nicht mit angemessenem Aufwand zu entscheiden zu sein. Insbesondere wurden im Beschwerdeverfahren seitens der Beschwerdegegnerin keine Ausführungen zu den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) EPÜ gemacht. Eine Zurückverweisung wurde ferner seitens der Beschwerdegegnerin beantragt. Die Beschwerdeführerin hatte diesbezüglich keine Einwände.
4. Folglich liegen nach Überzeugung der Kammer besondere Gründe im Sinne von Artikel 11, Satz 1 VOBK 2020 vor, gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung der verbleibenden Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ zurückzuverweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.