T 0745/18 16-02-2021
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Schaumstoff-Dichtstreifen und Fensterrahmen mit Schaumstoff-Dichtstreifen
Neuheit - (ja)
Zurückverweisung - (ja)
I. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, die streitgegenständliche Patentanmeldung (nachstehend "Streitanmeldung") zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung hatte entschieden, dass Anspruch 1 des am 26. April 2017 eingereichten Antrags den Erfordernissen des Artikels 52(1) EPÜ aufgrund fehlender Neuheit (Artikel 54 EPÜ) nicht genüge.
III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Anspruchssatzes vom 26. April 2017 (Hauptantrag) und hilfsweise auf der Grundlage des Hilfsantrags vom 26. Februar 2018 zu erteilen. Weiter hilfsweise beantragte sie die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung sowie weiter hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in eckigen Klammern hinzugefügt):
[1] Zur Abdichtung eines Fensterrahmens geeigneter Schaumstoff-Dichtstreifen (1), wobei
[2] der Schaumstoff-Dichtstreifen (1) zwei gegenüberliegende, jeweils im Einbauzustand der Innenseite oder der Außenseite des Fensterrahmens zugewandte Schmalseiten aufweist und
[3] zur Anlage an die Fensterseite oder Laibung geeignete Breitseiten,
[2.1] wobei weiter die Schmalseiten bzw. Schmalseitenbereiche derart unterschiedlich ausgebildet sind, dass im Einbauzustand die eine Schmalseite eine höhere Dampfbremswirkung aufweist als die andere Schmalseite,
dadurch gekennzeichnet, dass
[4] der Schaumstoff-Dichtstreifen (1) aus zwei oder mehr, sich in einer Längsrichtung des Schaumstoff-Dichtstreifens nebeneinander erstreckenden, jeweils einzeln und in ihrer Zusammenfassung dampfdiffusionsoffen ausgebildeten Schaumstoffstreifen zusammengesetzt ist,
[2.2] wobei die unterschiedlich hohe Dampfbremswirkung durch eine unterschiedliche Höhe (H, h) der Schaumstoffstreifen (2, 3) im unkomprimierten Zustand erreicht ist.
Anspruch 1 des Hilfsantrags enthält zusätzlich im kennzeichnenden Teil das Merkmal des abhängigen Anspruchs 7, wonach
[5] die Schaumstoffstreifen jeweils aus dem gleichen Schaumstoff bestehen.
V. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Entgegenhaltungen Bezug genommen:
D1|DE 10 2008 063 371 A1|
D2|EP 2 112 292 A2 |
D3|DE 20 2008 010 857 U1|
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Neuheit
Keine der Entgegenhaltungen D1 bis D3 offenbare das Merkmal [4], wonach der Schaumstoff-Dichtstreifen (1) aus zwei oder mehr, sich in einer Längsrichtung des Schaumstoff-Dichtstreifens nebeneinander erstreckenden, jeweils einzeln und in ihrer Zusammenfassung dampfdiffusionsoffen ausgebildeten Schaumstoffstreifen zusammengesetzt ist.
Die D3 offenbare ferner nicht das Merkmal [2.2], wonach die unterschiedlich hohe Dampfbremswirkung durch eine unterschiedliche Höhe (H, h) der Schaumstoffstreifen (2, 3) im unkomprimierten Zustand erreicht ist.
Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf ein "informelles Interview" vor der Prüfungsabteilung hätte als hilfsweiser Antrag auf eine mündliche Verhandlung ausgelegt werden müssen.
1. Hauptantrag - Neuheit
1.1 Neuheit gegenüber D1
1.1.1 Die Entgegenhaltung D1 offenbart unstreitig einen (Verweise in runden Klammern beziehen sich auf D1)
[1] zur Abdichtung eines Fensterrahmens geeigneten (Absatz [0028]) Schaumstoff-Dichtstreifen (Anspruch 1; Absätze [0006] und [0042]; Figur 1: Formteil 1), wobei
[2] der Schaumstoff-Dichtstreifen (1) zwei gegenüberliegende, jeweils im Einbauzustand der Innenseite oder der Außenseite des Fensterrahmens zugewandte Schmalseiten (Absatz [0042]; Figur 1, Seitenwände 3, 4) aufweist und
[3] zur Anlage an die Fensterseite oder Laibung geeignete Breitseiten (Absatz [0042]; Figur 1: Unterseite 5, Oberseiten 7, 9),
[2.1] wobei weiter die Schmalseiten bzw. Schmalseitenbereiche derart unterschiedlich ausgebildet sind, dass im Einbauzustand die eine Schmalseite eine höhere Dampfbremswirkung aufweist als die andere Schmalseite (Absatz [0010]; Figur 1),
[2.2] wobei die unterschiedlich hohe Dampfbremswirkung durch eine unterschiedliche Höhe des Schaumstoff-Dichtstreifens im unkomprimierten Zustand erreicht ist (Absatz [0010], [0042].
1.1.2 Die Prüfungsabteilung hatte in der angefochtenen Entscheidung argumentiert, dass die D1 mehrere Schaumstoffstreifen offenbare, die "einstückig miteinander verbunden" sind. Also dass, wie von Merkmal [4] verlangt, der Schaumstoff-Dichtstreifen der D1 aus zwei oder mehr Schaumstoffstreifen zusammengesetzt ist. Insbesondere schließe das Merkmal "einzeln und in ihrer Zusammensetzung dampfdiffusionsoffen ausgebildet" eine einstückige Verbundenheit der einzelnen Schaumstoffstreifen nicht aus.
1.1.3 Merkmal [4] verlangt, dass
[4] der Schaumstoff-Dichtstreifen aus zwei oder mehr, sich in einer Längsrichtung des Schaumstoff-Dichtstreifens nebeneinander erstreckenden, jeweils einzeln und in ihrer Zusammenfassung dampfdiffusionsoffen ausgebildeten Schaumstoffstreifen zusammengesetzt ist.
Anders ausgedrückt soll der Schaumstoff-Dichtstreifen aus zwei oder mehr Schaumstoffstreifen zusammengesetzt sein, wobei die Schaumstoffstreifen sich in einer Längsrichtung des Schaumstoff-Dichtstreifens nebeneinander erstrecken und jeweils einzeln und in ihrer Zusammenfassung dampfdiffusionsoffen ausgebildet sind.
Es ist richtig, dass - wie von der Prüfungsabteilung dargelegt - das Merkmal "dampfdiffusionsoffen ausgebildet" eine einstückige Ausgestaltung nicht ausschließt. Dies stellt aber nur einen Teil des Merkmals [4] dar. Das gesamte Merkmal verlangt, dass der Schaumstoff-Dichtstreifen aus zwei oder mehr Schaumstoffstreifen zusammengesetzt sein muss. Hierbei handelt es sich um eine klare, technische Lehre, die keine anderslautende Auslegung zulässt, als dass zwei oder mehr Stück Schaumstoffstreifen gefordert sind.
1.1.4 D1 offenbart in sämtlichen Ausführungsbeispielen einen einstückigen Schaumstoff-Dichtstreifen. Dies gilt auch für den in Figur 4 der D1 gezeigten Schaumstoff-Dichtstreifen. Dieser weist zwar Einschnitte auf, die sich bis nahezu an die Unterseite erstrecken, aber nur soweit, dass je ein dünner Schaumstoffsteg verbleibt (D1, Absatz [0047]), sodass immer noch ein einstückiger Dichtstreifen gegeben ist. Somit offenbart die D1 ausschließlich Schaumstoff-Dichtstreifen, die aus einem einzigen Stück gebildet sind.
Die von der Prüfungsabteilung in D1 "hineingelesenen" mehreren Schaumstoffstreifen sind willkürlich festgelegte Trennungen dieses einstückigen Schaumstoff-Dichtstreifens, die nicht in der D1 offenbart sind.
1.1.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist folglich neu gegenüber D1 (Artikel 54 EPÜ).
1.2 Neuheit gegenüber D2
1.2.1 Die Entgegenhaltung D2 offenbart einen (Verweise in runden Klammern beziehen sich auf D2)
[1] zur Abdichtung eines Fensterrahmens geeigneten Schaumstoff-Dichtstreifen (Dichtelement 10 aus PU-Schaum; Absatz [0024]), wobei
[2] der Schaumstoff-Dichtstreifen (10) zwei gegenüberliegende, jeweils im Einbauzustand der Innenseite oder der Außenseite des Fensterrahmens zugewandte Schmalseiten aufweist (Absatz [0006]; Figuren 1-9) und
[3] zur Anlage an die Fensterseite oder Laibung geeignete Breitseiten (Absatz [0006]; Figuren 1-9),
[2.1] wobei weiter die Schmalseiten bzw. Schmalseitenbereiche derart unterschiedlich ausgebildet sind, dass im Einbauzustand die eine Schmalseite eine höhere Dampfbremswirkung aufweist als die andere Schmalseite (Absatz [0006]; Figur 9),
[2.2] wobei die unterschiedlich hohe Dampfbremswirkung durch eine unterschiedliche Höhe (Dicke) des Schaumstoff-Dichtstreifens im unkomprimierten Zustand erreicht ist (Absätze [0006], [0008] und [0026]; Figur 9).
1.2.2 Auch die D2 offenbart das Merkmal [4] nicht. Der in D2 offenbarte Schaumstoff-Dichtstreifen ist einteilig ausgebildet (siehe Absätze [0023] und [0026]), sodass die bezüglich der D1 angeführten Argumente (siehe obigen Punkt 1.1.3 f.) mutatis mutandis gelten.
1.2.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist folglich auch neu gegenüber D2 (Artikel 54 EPÜ).
1.3 Neuheit gegenüber D3
1.3.1 Die Entgegenhaltung D3 offenbart einen (Verweise in runden Klammern beziehen sich auf D3)
[1] zur Abdichtung eines Fensterrahmens geeigneten Schaumstoff-Dichtstreifen (Absätze [0001] und [0022]; Figuren 1-4: Fugendichtungsband 1 mit Schaumkunststoffstreifen 2-4), wobei
[2] der Schaumstoff-Dichtstreifen (1) zwei gegenüberliegende, jeweils im Einbauzustand der Innenseite oder der Außenseite des Fensterrahmens zugewandte Schmalseiten aufweist (Figuren 1-4) und
[3] zur Anlage an die Fensterseite oder Laibung geeignete Breitseiten (Figuren 1-4),
[4.1] wobei der Schaumstoff-Dichtstreifen aus zwei oder mehr, sich in einer Längsrichtung des Schaumstoff-Dichtstreifens nebeneinander erstreckenden Schaumstoffstreifen zusammengesetzt ist (Absatz [0021]; Figuren 1-4: Schaumkunststoffstreifen 2-4).
1.3.2 Die D3 offenbart in Absatz [0029], dass die Schaumkunststoffstreifen 2 und 4 "in üblicher Weise ihre Funktion wahrnehmen können und beispielsweise ein vergleichsweise luftdichter, raumseitiger Abschluss erfolgt, während der Abschluss zur Außenseite deutlich offener eingestellt ist." Die "übliche Weise" steht offensichtlich im Einklang mit den in D3, Absatz [0002] erwähnten Normen, wonach die Isolierung raumseitig luftdicht und außenseitig dampfdiffusionsoffen sein muss. Folglich weisen die in D3, Absatz [0029] offenbarten Schaumkunststoffstreifen 2 und 4 unterschiedliche Dampfbremswirkungen auf. Somit offenbart die D3 auch das Merkmal [2.1] wonach
[2.1] weiter die Schmalseiten bzw. Schmalseitenbereiche derart unterschiedlich ausgebildet sind, dass im Einbauzustand die eine Schmalseite eine höhere Dampfbremswirkung aufweist als die andere Schmalseite.
1.3.3 Die D3 offenbart nicht unmittelbar und eindeutig, dass
[2.2] die unterschiedlich hohe Dampfbremswirkung durch eine unterschiedliche Höhe der Schaumstoffstreifen im unkomprimierten Zustand erreicht ist, und
[4.2] die Schaumstoffstreifen jeweils einzeln und in ihrer Zusammenfassung dampfdiffusionsoffen ausgebildet sind.
Bezüglich des Merkmals [2.2] offenbart die D3 zwar in den Absätzen [0012] und [0027], dass unkomprimierte Schaumkunststoffstreifen 2-4 unterschiedliche Höhen über der Selbstklebefolie aufweisen können. Nicht offenbart sind jedoch die Materialeigenschaften der jeweiligen Schaumkunststoffstreifen 2-4. Daher entfaltet sich die beanspruchte Wirkung, nämlich die unterschiedlich hohe Dampfbremswirkung, nicht zwangsläufig. So könnte in der D3 ein im unkomprimierten Zustand dickerer aber beispielsweise offenporiger Schaumstoffstreifen eine niedrigere Dampfbremswirkung aufweisen als ein im unkomprimierten Zustand dünnerer aber beispielsweise geschlossenporiger.
Ferner offenbart die D3 nicht unmittelbar und eindeutig, dass mehr als ein Schaumkunststoffstreifen 2-4 dampfdiffusionsoffen ausgebildet ist (Merkmal [4.2]). Es stimmt zwar, dass - wie oben unter Punkt 1.3.2 ausgeführt - die Schaumstoffstreifen der D3 verschiedene Dampfbremswirkungen haben müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle Streifen dampfdurchlässig sein müssen. Vielmehr besteht auch die Möglichkeit, dass nur einer dampfdiffusionsoffen ist, die anderen hingegen keine Dampfdiffusion erlauben.
1.3.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist folglich auch neu gegenüber D3 (Artikel 54 EPÜ).
2. Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung
2.1 Im Prüfungsverfahren hatte die Beschwerdeführerin in ihrer Erwiderung auf den Prüfungsbescheid ein "informelles Interview" vor der Prüfungsabteilung beantragt, sofern diese noch Vorbehalte gegen die Patenterteilung haben sollte. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hätte dieser Antrag dahingehend ausgelegt werden müssen, dass "in jedem Falle eine Rücksprache mit der Prüfungsabteilung hilfsweise eine Anhörung gewünscht worden war". Der Antrag hätte also zumindest als hilfsweiser Antrag auf eine mündliche Verhandlung ausgelegt werden müssen.
2.2 Die Kammer teilt diese Sicht nicht, denn der Antrag war klar und eindeutig formuliert und daher nicht auslegungsfähig. Da ein Antrag auf Rücksprache ("Interview") etwas anderes ist als ein Antrag auf mündliche Verhandlung, kann die Prüfungsabteilung Ersteren zurückweisen, ohne sich um Klärung zu bemühen, ob der Antragsteller möglicherweise eine mündliche Verhandlung beantragen wollte (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl., III.C.4.1 mit Verweis auf T 1606/07, T 1976/08).
2.3 Die konkludente Zurückweisung des Antrags auf ein informelles Interview durch die Prüfungsabteilung war folglich rechtsfehlerfrei, sodass diese keinen besonderen Grund für eine Zurückverweisung der Angelegenheit darstellt.
2.4 Allerdings wurde die Streitanmeldung bisher nicht auf erfinderische Tätigkeit geprüft. Nachdem die Prüfungsabteilung die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des einzigen Antrags verneint hatte, nahm sie folgerichtig nicht zu der Frage Stellung, ob dieser auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
2.5 Unter diesen Umständen ist die Kammer der Auffassung, dass sie über die Beschwerde ohne eine Entscheidung der Prüfungsabteilung zu diesem Punkt nicht mit angemessenem Aufwand entscheiden kann. Es liegt also ein besonderer Grund für eine Zurückverweisung vor (Artikel 11 VOBK 2020). Die Kammer gibt daher dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung statt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.