T 1276/18 12-04-2021
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Saugreinigungsgerät
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (nein)
I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung unter anderem festgestellt, dass
- der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu sei,
- der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag jedoch neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
II. In einem Bescheid nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer die vorläufige Meinung geäußert, der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag sei nicht neu.
III. Eine mündliche Verhandlung fand unter Beteiligung beider Parteien als Videokonferenz statt.
IV. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, d.h. Aufrechterhaltung des Europäischen Patents wie erteilt, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents im Umfang des Hilfsantrags eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 20 Juli 2018, der auch in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurde und der Entscheidung zugrunde lag.
Die Beschwerdeführerin-Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Saugreinigungsgerät mit einem Schmutzsammelbehälter, der einen Saugeinlass aufweist und über mindestens ein Filter und zumindest eine Saugleitung mit mindestens einem Saugaggregat in Strömungsverbindung steht, und mit zumindest einem stromabwärts des mindestens einen Filters in die Saugleitung einmündenden Fremdlufteinlass, der mittels zumindest einem Schließventil verschließbar ist, wobei das mindestens eine Schließventil einen bewegbaren Ventilkörper aufweist, der in einer Schließstellung unter Ausbildung von einer oder mehreren Dichtungslinien an mindestens einem Ventilsitz anliegt, wobei die mindestens eine Dichtungslinie eine Fläche begrenzt, die in der Schließstellung des Schließventils mit einem Differenzdruck beaufschlagt ist, wobei das Quadrat der Gesamtlänge aller Dichtungslinien mindestens das 25-fache der Gesamtgröße aller von den Dichtungslinien begrenzten, mit Differenzdruck beaufschlagten Flächen beträgt, und wobei das Saugaggregat (16) auch während einer Filterabreinigung mit dem mindestens einen Filter (24) in Strömungsverbindung steht."
Anspruch 1 des Hilfsantrags enthält gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags die zusätzlichen Merkmale
"und wobei der Ventilkörper einen Ventilteller (34) aufweist, der unter Zwischenlage von mindestens einem eine Dichtungslinie definierenden Dichtungselement (66, 67, 68) an den mindestens einen Ventilsitz (32) dicht anlegbar ist, und wobei der Ventilteller (34) zumindest eine Durchlassöffnung (57) aufweist, die in der Schließstellung des Ventiltellers (34) von mindestens einem Dichtungselement (66, 67) begrenzt ist".
VI. Nachfolgend wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D14: US 4 329 161
D15: WO 86/01989 A1.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist weder aus D14, noch aus D15 bekannt und beruht ausgehend von diesen Dokumenten auf erfinderischer Tätigkeit.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Einsprechenden lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Sowohl D14, als auch D15 nehmen den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg oder legen ihn zumindest nahe.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Das Streitpatent befasst sich mit einem Saugreinigungsgerät, bei dem ein Saugaggregat verschmutzte Luft durch einen Einlass in einen Schmutzsammelbehälter und von dort über ein Filter und eine Saugleitung ansaugt. Durch einen in der Saugleitung vorgesehenen Fremdluft-Einlass kann bei Öffnung eines Schließventils zur Filterabreinigung Fremdluft einströmen, die wegen des im Schmutzsammelbehälter noch vorherrschenden Unterdrucks das Filter entgegen der Ansaugrichtung durchströmt.
Die Erfindung betrifft im wesentlichen die Gestaltung des Ventilkörpers, der im geschlossenen Zustand unter Ausbildung mindestens einer Dichtungslinie an mindestens einem Ventilsitz anliegt, wobei die Dichtungslinie eine Fläche begrenzt, die in Schließstellung des Ventils mit einem Differenzdruck beaufschlagt ist (außen Umgebungsluftdruck, innen Unterdruck). Dabei soll die Gesamtlänge aller Dichtungslinien möglichst groß im Vergleich zur Gesamtgröße aller Differenzdruck-Flächen sein, damit nur eine geringe Kraft zur Öffnung des Ventils nötig ist, worauf sofort eine große Menge an Umgebungsluft "von allen Seiten" in das Ventil einströmen kann, siehe Absatz [0007] der Patentschrift.
3. Hauptantrag: Auslegung des Anspruchs 1
3.1 Strittig ist, ob das Merkmal "in Strömungsverbindung steht" eine rein strukturelle oder aber auch operative Bedeutung hat. Mit anderen Worten, ob dieses Merkmal bereits dann erfüllt ist, wenn eine Durchströmung prinzipiell möglich ist, weil ein Strömungsweg offen ist, oder es ob darüber hinaus verlangt, dass eine Durchströmung tatsächlich ununterbrochen stattfindet.
3.1.1 Für die erste Alternative spricht nach Ansicht der Kammer, dass Gegenstand des Anspruch 1 ein Saugreinigungsgerät ist, nicht ein Verfahren zu dessen Betrieb. Entsprechend wird im Oberbegriff das Bestehen einer Strömungsverbindung zwischen Schmutzsammelbehälter und Saugaggregat ausschließlich über deren strukturelle Bauteile Filter und Saugleitung definiert, nicht (zusätzlich) über den Betrieb des Saugaggregats (z.B. "bei eingeschaltetem Saugaggregat" oder "im Saugbetrieb").
Das Argument der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin, wonach eine rein strukturelle Strömungsverbindung bereits durch das Merkmal "Saugleitung" abgedeckt würde, und die beanspruchte Strömungsverbindung deshalb strömende Luft beinhalten müsse, vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Denn in zu Anspruch 1 analoger Begrifflichkeit wird nach Absatz [0037] der Patentschrift eine Strömungsverbindung an sich bereits durch eine Saugleitung in Form eines Saugkanals 26 bereitgestellt. Über diese Strömungsverbindung kann darüber hinaus "der Schmutzsammelbehälter ... mit Unterduck beaufschlagt werden, so dass sich eine in Figur 1 durch Pfeile 28 symbolisierte Saugströmung ausbildet".
Auch in dem in diesem Zusammenhang von der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin zitierten Absatz [0002] unterscheidet die Patentschrift konsequent zwischen einer strukturell ausgebildeten Strömungsverbindung und einer Saugströmung im Saugbetrieb bzw. einer tatsächlichen, betriebsbedingten Durchströmung.
3.1.2 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin sieht trotzdem eine (dauerhaft) bestehende Strömungsverbindung als gleichbedeutend mit einer (kontinuierlich) bestehenden Saugströmung an, insbesondere zwischen Saugaggregat und Filter während der Filterabreinigung gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1.
Die diesem Merkmal zugrundeliegende Offenbarung in Absatz [0021] der Offenlegungsschrift und derselbe gleichlautende Absatz der Patentschrift sprechen jedoch im gleichen Satz davon, dass "die ... in die Saugleitung einströmende Fremdluft, die kurzzeitig das Filter in Gegenstromrichtung beaufschlagt, vom Saugaggregat abgesaugt wird." Die Kammer geht davon aus, dass die Fremdluft nicht gleichzeitig in Gegenstromrichtung, mithin "entgegen der sich im Saugbetrieb ausbildenden Strömungsrichtung" (Absatz [0002]), das Filter beaufschlagen und in dieser Strömungsrichtung vom Saugaggregat abgesaugt werden kann. Vielmehr muss dies bei der Filterabreinigung sukzessive erfolgen. Folglich ist gemäß Patentschrift die Saugströmung zwischen Saugaggregat und Filter solange unterbrochen, wie das Filter in Gegenstromrichtung beaufschlagt wird. Auch wenn dies nur "kurzzeitig" geschieht, geht mit der beanspruchten Strömungsverbindung während der Filterabreinigung somit nicht inhärent oder implizit eine ununterbrochene Saugströmung oder Durchströmung im Bereich zwischen Filter und Saugaggregat einher.
3.1.3 Als Beleg für ihre These verweist die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin ferner auf Fig. 7 der Patentschrift, aus der ein niemals unterbrochener, lediglich vorübergehend etwas abgeschwächter Unterdruck hervorgehe. Dies müsse auch für die Saugströmung gelten.
Laut Spalte 8, Zeilen 53 - 57 der Patentschrift bezieht sich Fig. 7 nicht auf den Bereich zwischen Filter und Saugaggregat, um den es im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 geht, sondern auf den Mündungsbereich eines an das Saugreinigungsgerät angeschlossenen Saugschlauches. Dass dort ununterbrochen Unterdruck herrscht, und die Saugströmung nie völlig "abreißt", liegt daran, dass das Filter nur für weniger als 200 ms mit einer Fremdluftströmung 80 beaufschlagt wird, weil eine Schließfeder 36 eine schnelles Schließen des Schließventils 30 ermöglicht, siehe Absatz [0032] und Spalte 11, Zeilen 19 - 40, Fig. 2, 7 der Patentschrift. Anspruch 1 ist zum einen nicht durch solche Merkmale eingeschränkt. Zum anderen wird auch in Spalte 11, Zeilen 28 - 40, Fig. 2 nochmals ausdrücklich bestätigt, dass die Saugströmung zwischen Filter und Saugaggregat während der Filterabreinigung unterbrochen ist.
3.1.4 Zusammenfassend sieht die Kammer das Merkmal der Strömungsverbindung in Anspruch 1 als strukturell an.
Die Lesart, dass nach dem kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 während der Filterabreinigung eine kontinuierliche Saugströmung zwischen Filter und Saugaggregat herrschen müsse, wird von der Gesamtoffenbarung des Patents nicht gestützt.
3.2 Es besteht Einigkeit, dass ein Saugreinigungsgerät mit mehreren Schließventilen mit jeweils mindestens einem Ventilkörper von Anspruch 1 umfasst ist. Dabei kann jeder dieser Ventilkörper wiederum mehrere Dichtungslinien aufweisen, die entweder jeweils für sich oder (teilweise) gemeinsam Differenzdruck-Flächen begrenzen.
3.2.1 Trotz dieser breiten Definition im Oberbegriff geht die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin davon aus, dass der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 nur einen dieser Ventilkörper mit dessen Dichtungslinie(n) und Differenzdruckfläche(n) definiert.
Dem kann sich die Kammer nicht anschließen. Der kennzeichnende Teil spricht ohne weitere Einschränkung oder Qualifizierung von allen Dichtungslinien und allen Differenzdruck-Flächen, also von sämtlichen zuvor eingeführten Dichtungslinien und Differenzdruck-Flächen. Das sind aber die Dichtungslinien und Differenzdruckflächen sämtlicher jeweils vorhandener Ventilkörper aller jeweils vorhandener Schließventile. Da Anspruch 1 insoweit eindeutig und klar formuliert ist, ist er keiner abweichenden Auslegung zugänglich, siehe RSBK 2019, II.A.6.3.1.
3.2.2 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin würde ein Fachmann den kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 nicht in der Breite der gewählten Formulierung verstehen. Er wüsste vielmehr, dass nur solche Ausführungsformen umfasst sein sollen, die die in Absatz [0007] der Patentschrift erläuterten technischen Wirkungen haben und deshalb zur Lösung der in Absatz [0004] definierten Aufgabe einer schnellen und vollständigen Filterreinigung beitrügen. Folglich seien nur solche Ventilkörper beansprucht, die jeweils für sich die Bedingung Gesamtlänge aller Dichtungslinien / Gesamtgröße aller Druckdifferenz-Flächen >= 25 erfüllten.
Die Kammer teilt auch diese Sichtweise nicht. Dass ein Fachmann einen Anspruchswortlaut nicht destruktiv, sondern konstruktiv liest, in dem Bestreben, ihm einen Sinn zuzumessen, bedeutet noch nicht, dass er zusätzliche Einschränkungen mitliest, die zur Erfüllung bestimmter Patentierungserfordernisse notwendig wären. So wird er einen breit und klar formulierten Anspruch nicht deshalb enger verstehen, weil er möglicherweise lediglich willkürlich gegenüber dem Stand der Technik abgegrenzte, also nicht erfinderische Gegenstände mitumfasst. Stattdessen betrachtet der Fachmann den Anspruch objektiv, ohne Berücksichtigung möglicherweise vom Patentinhaber beabsichtigter, sich aber nicht aus dem Anspruch selbst erschließender Einschränkungen, RSBK, II.E.2.3.3.
4. Hauptantrag - Neuheit
4.1 Die Kammer ist in anderer Besetzung in der für das Stammpatent des Streitpatents ergangenen Entscheidung T1456/14 unter Punkt 3 zu dem Schluss gelangt, D14, Fig. 3 - 6, Spalte 3, Zeile 55 - Spalte 4, Zeile 68 offenbare ein Saugreinigungsgerät nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Bei diesem sei zudem das beanspruchte Verhältniskriterium von Gesamtlänge aller Dichtungslinien zu Gesamtgröße aller Druckdifferenz-Flächen erfüllt. Dies wird auch von der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin anerkannt.
4.2 Sie bestreitet jedoch, dass D14 eine Strömungsverbindung zwischen Filter und Saugaggregat während der Filterabreinigung offenbart. Im Gegenteil isoliere dort ein während der Filterabreinigung über die Gehäuseöffnung 48 eintretender Fremdluftstrom das Filter strömungstechnisch von dem Saugaggregat, wie aus Fig. 3 und Spalte 4, Zeilen 12 - 14 hervorginge.
Wie oben unter Punkt 3.1. erörtert, verlangt Anspruch 1 nach Ansicht der Kammer keine ununterbrochene Strömung zwischen Filter und Saugaggregat, lediglich einen strukturell unverschlossenen Strömungsweg.
Dieser ist im Saugreinigungsgerät der D14 zwischen Saugaggregat 28 und Filter 22 durch eine ein Schließventil 10 für Fremdlufteinlässe 46, 48 enthaltende Saugleitung 26 ausgebildet (siehe Spalte 3, Zeilen 19 - 51, Fig. 1, Spalte 4, Zeilen 16 - 20, Fig. 6). Die Strömungsverbindung ist auch während der Filterabreinigung nicht durch ein strukturelles Element verschlossen. Insbesondere vermag die während der Filterabreinigung nach innen verschwenkte Ventilfläche 42 die Strömungsverbindung möglicherweise einzuschränken, aber nicht zu unterbrechen, siehe Fig. 3.
4.3 Da D14 somit ein Saugreinigungsgerät mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 offenbart, ist dessen Gegenstand nicht neu im Sinne von Artikel 54(1), (2) EPÜ.
5. Hilfsantrag - Erfinderische Tätigkeit
5.1 Das in D15, Fig. 4 gezeigte Saugreinigungsgerät weist unstreitig einen Schmutzsammelbehälter 60-62, 67 auf, der über ein Filter 71 und eine Saugleitung 69, 88 mit einem Saugaggregat 85, 86 in Strömungsverbindung steht, sowie einen stromabwärts des Filters 71 in die Saugleitung 69 einmündenden Fremdlufteinlass, der mittels eines Schließventils verschließbar ist (Seite 10, Zeile 37 - Seite 11, Zeile 24, Seite 13, Zeilen 1 - 13). Ferner steht das Saugaggregat 85, 86 auch während einer Filterabreinigung mit dem Filter 71 über eine Öffnung in dem Schieber 90 in Strömungsverbindung, siehe Seite 13, Zeilen 7 - 13.
5.2 Das Schließventil der D15 ist ein mehrteiliges oder zusammengesetztes Tellerventil ("compound disc valve"), das zwei Teller 74, 76 als Ventilkörper aufweist, Seite 11, Zeilen 24 - 31. Das Schließventil ("the disc valve", "the valve") arbeitet zwar zweistufig (Seite 12, Zeilen 7 - 10), besteht aber entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin deshalb nicht aus zwei separaten Ventilen. Auch versteht der Fachmann unter "disc" in Zusammenhang mit einem Ventil einen (Ventil-)Teller, nicht eine Scheibe beliebiger Gestalt.
5.3 In einer Schließstellung liegt der tellerförmige obere Ventilkörper 74 unter Ausbildung einer dem Verlauf des O-Rings 75 entsprechenden oberen Dichtungslinie an diesem O-Ring als Ventilsitz an. Die Kammer stimmt nicht mit der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin darin überein, dass ein Ventilsitz grundsätzlich statisch sein muss und folglich nicht von dem beweglichen unteren Ventilkörper 76 getragen sein kann. In D15 sind ausdrücklich die gleichen Bezugszeichen 73 und 75 sowohl für die O-Ringe, als auch für die Ventilsitze ("seat") verwendet, Spalte 12, Zeilen 26 - 30. Ferner geht der Fachmann nach Ansicht der Kammer davon aus, dass die von der dem O-Ring 75 entsprechenden oberen Dichtungslinie begrenzte obere Fläche, die in der Schließstellung der Fig. 4 mit einem Differenzdruck beaufschlagt ist, kreisförmig ist. Wenn r der Radius des O-Rings 75 ist, beträgt die Länge der oberen Dichtungslinie 2rpi, und die Größe der oberen Differenzdruck-Fläche r**(2)pi.
Der untere teller- bzw. ringförmige Ventilkörper 76 liegt seinerseits unter Ausbildung einer dem Verlauf des unteren O-Rings 73 entsprechenden unteren Dichtungslinie an diesem O-Ring 73 als Ventilsitz an. Diese untere Dichtungslinie begrenzt eine kreisringförmige, mit Differenzdruck beaufschlagte Fläche an der Unterseite des unteren Ventilkörpers 76. Wenn R der Radius des O-Rings 73 ist, beträgt die Länge der unteren Dichtungslinie 2Rpi, und die Größe der unteren Differenzdruck-Fläche R**(2)pi-r**(2)pi.
Das Quadrat der Gesamtlänge aller Dichtungslinien ist dann 4pi**(2)(R+r)**(2), und die Gesamtgröße aller Differenzdruck-Flächen R**(2)pi. Damit der Quotient dieser beiden Terme größer als 25 wird, müsste der Radius r des oberen O-Rings 75 größer als zwei Fünftel (5/2SQRTpi - 1 = 0,41) des Radius R des unteren O-Rings 73 sein.
5.4 Folgte man der Argumentation der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin und betrachtete den unteren Ventilteller 76 als eigenständiges Ventil bzw. dessen Ventilkörper, würden wohl zwei nicht in einer Ebene liegende Dichtungslinien, repräsentiert durch die O-Ringe 75 und 73, mit einer Gesamtlänge von 2pi(R+r) eine ringskreisförmige Differenzdruck-Fläche R**(2)pi-r**(2)pi begrenzen. Anspruch 1 umfasst laut Absatz [0014] der Patentschrift nämlich auch Schließventile mit Dichtungslinien, die in zueinander versetzten Ebenen angeordnet sind.
Allerdings müsste in diesem Fall der Radius r des oberen O-Rings 75 nur noch mindestens ein Drittel ((25-4pi)/(25+4pi) = 0,33) des Radius R des unteren O-Rings betragen 73, damit der Quotient aus Gesamtlänge und Gesamtfläche den beanspruchten Wert von 25 überschreitet.
Ginge man weiter von der Hypothese der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin aus, dass die beiden O-Ringe nicht kreisförmig sein müssen, sondern z.B. auch oval oder elliptisch sein können, könnte der beanspruchte Quotient von 25 "noch früher", also bereits bei noch größerem Unterschied zwischen r und R erfüllt werden. Denn bei nicht-kreisförmigen Flächen ist das Verhältnis zwischen Umfang und Fläche immer größer als bei kreisförmigen Flächen, was umso mehr für das Verhältnis aus Umfangsquadrat und Fläche gilt.
Die Kammer setzt jedoch einen "konservativeren" Maßstab bei der Beurteilung des Offenbarungsgehalts der D15 an. Entsprechend erkennt ein Fachmann zwar ohne weiteres, dass er bei der Umsetzung des in Fig. 4 der D14 gezeigten Saugreinigungsgeräts in die Praxis grundsätzlich ein zweistufiges Tellerventil mit zwei kreisförmigen O-Ringen 75, 73 als Schließventil bereitstellen muss. Die exakte Dimensionierung dieses Schließventils kann er jedoch nicht eindeutig und unmittelbar der schematischen Darstellung der Fig. 4 entnehmen. Dem hat auch die Beschwerdeführerin-Einsprechende nicht widersprochen.
5.5 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin führt aus, der Fachmann hätte keinerlei Veranlassung, den Radius des O-Rings 75 größer als 2/5 des Radius des O-Rings 73 zu wählen. Im Gegenteil würde er die Differenzdruckfläche des oberen Ventils / Ventilkörpers 74 möglichst klein gestalten, um es, wie auch beim Streitpatent (Absatz [0007]) angestrebt, mit einer möglichst geringen Kraft öffnen zu können. Das würde aber zu einem sehr großen Unterschied der beiden Radien r und R und damit von der beanspruchten Lösung weg führen.
Die Kammer sieht als Problem und Ausgangspunkt beim Ausführungsbeispiels der Fig. 4 eher die relativ kleine obere Druckdifferenz- und (erste) Fremdlufteinlass-Fläche innerhalb des oberen O-Rings 75. Deren Größe wird durch die bei der Öffnung des oberen Ventiltellers 74 wirksame untere Stirnfläche des Kolbens 78 festgelegt, die wiederum aufgrund räumlicher Beschränkungen nicht beliebig groß gestaltet sein kann. Grundgedanke des Ausführungsbeispiels der Fig. 4 ist nun, mithilfe dieser relativ kleinen Stirn- und Druckdifferenz-Fläche einen (zweiten) wesentlich größeren, durch den unteren O-Ring 73 definierten Fremdlufteinlass zu öffnen, Seite 12, Zeilen 26 - 37. Dies stellt im übrigen auch eine Lösung der in Absatz [0004] der Patentschrift definierten Aufgabe dar, das Filter innerhalb kurzer Zeit vollständig abzureinigen, wozu ein möglichst großer Luftvolumenstroms möglichst schnell über das Schließventil einströmen muss.
Der Fachmann wird also ausgehend von der Stirnfläche des Kolbens 78 und dem Radius r des oberen O-Rings 75 einen möglichst großen Radius R des unteren O-Rings 73 suchen, bei dem der untere Ventilteller 76 noch zuverlässig vom oberen Ventilteller 74 in die Öffnungsposition gezogen werden kann, Seite 12, Zeilen 16 - 26. Es erscheint der Kammer eine naheliegende fachmännische Vorgehensweise zu sein, dabei ausgehend von der schematischen Darstellung in Fig. 4 in einem ersten Schritt einer solchen Optimierung den Radius R des Fremdlufteinlasses / O-Rings 73 doppelt so groß zu wählen wie den Radius r des O-Rings 75 / der Stirnfläche des Kolbens 78. Wenn auch der Fachmann der schematischen Darstellung der Figur 4 nicht unmittelbar und eindeutig eine exakte Dimensionierung entnehmen kann, so legt diese Darstellung ihm doch nahe, ansatzweise einen solchen Wert in Erwägung zu ziehen, zumal ein doppelt so großer Radius R im Ergebnis bereits zu einem vierfach größeren (zweiten) Fremdlufteinlass führt. Mit R = 2r oder r = 0,5R ist das Quadrat der Gesamtlänge aller Dichtungslinien (9pi**(2)R**(2)) das 28,26(9pi)-fache der Gesamtgröße aller von den Dichtungslinien begrenzten, mit Differenzdruck beaufschlagten Flächen (R**(2)pi).
5.6 Da der Fachmann bei der Umsetzung des in Fig. 4 der D15 gezeigten Ausführungsbeispiels in die Praxis auf diese naheliegende Weise unmittelbar ein Saugreinigungsgerät gemäß Anspruch 1 erhalten würde, bei dem der Quotient aus dem Quadrat der Gesamtlänge aller Dichtungslinien und der Gesamtgröße aller Differenzdruck-Flächen in den beanspruchten Bereich fällt, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
6. Die Kammer stellt somit fest, dass die Einspruchsgründe mangelnder Neuheit bzw. mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100a) EPÜ) der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der Fassung gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag entgegenstehen.
Der Beschwerde der Patentinhaberin und ihrem Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Haupt- oder Hilfsantrags kann deshalb nicht stattgegeben werden.
Die Beschwerde der Einsprechenden führt hingegen zur Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung auf Aufrechterhaltung des Patents im beschränkten Umfang des Hilfsantrags und zum Widerruf des Patents nach Artikel 101(2) i.V.m. 111(1) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.