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T 1482/18 01-07-2021
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BESTIMMUNG DER STELLUNG VON BAUELEMENTEN EINES FAHRZEUGS
Conti Temic microelectronic GmbH
Continental Teves AG & Co. OHG
Neuheit - (ja)
Spät eingereichte Tatsachen - Verfahrensökonomie
Spät eingereichte Tatsachen - eingereicht in der mündlichen Verhandlung
Spät eingereichte Tatsachen - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Spät eingereichte Tatsachen - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Streitpatent EP 2 753 533 B1 zurückzuweisen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte sowohl entschieden, dass das Streitpatent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne, als auch dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des Streitpatents neu und erfinderisch sei.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
a) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des europäischen Patents.
b) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, hilfsweise die Aufrechterhaltung in beschränktem Umfang auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 4 wie eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 11. Dezember 2018, sowie 5 oder 6 wie eingereicht mit Schreiben vom 6. März 2020.
IV. Diese Entscheidung nimmt Bezug auf die folgenden, von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren bereits vorgelegten Dokumente:
E1 DE 10 2007 017 038 B4
E2 EP 1 157 890 A1
Zudem legte die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren die folgenden weiteren Dokumente mit der Beschwerdebegründung vom 10. August 2018 vor:
E5 WO 2011/016368 A1
E5' US 2012/0127312 A1
E6 DE 10 2009 032 024 A1
Des weiteren wurden von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. Februar 2020 die folgenden Dokumente eingereicht:
D2' Maschinenübersetzung von JP 2006 213071 A
D5' Maschinenübersetzung von JP 2008 152628 A
E5" beglaubigte Übersetzung von WO 2011/016368,
und
mit Schreiben vom 28. Mai 2021 schließlich noch das nachstehend bezeichnete Dokument:
E7 An Embedded System for Vehicle Surrounding Monitoring, Yi-Yuan Chen et al., p. 92 - 95, 2009 2nd Int. Conf. on Power Electronics and Intelligent Transportation System.
Mit demselben Schreiben wurde die Befragung eines Sachverständigen beantragt.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
,,Vorrichtung für ein Fahrzeug, zur Bestimmung einer Stellung eines oder mehrerer Bauelemente des Fahrzeugs, deren Stellung veränderbar ist und bei denen eine Veränderung der Stellung eine Änderung von äußeren Abmessungen des Fahrzeugs bewirkt,
wobei die Vorrichtung wenigstens eine Kamera umfasst, mittels derer Bilder aus wenigstens einem Bereich der Fahrzeugumgebung erfasst werden und die derart am oder im Fahrzeug angeordnet ist, dass sich die einen oder mehreren Bauelemente im Blickfeld der Kamera befinden,
und wobei die Vorrichtung Bildverarbeitungseinrichtungen umfasst, die derart ausgebildet sind, dass
- die von der wenigstens einen Kamera erfassten Bilder mittels der Bildverarbeitungseinrichtungen verarbeitet werden, und
- aus der Verarbeitung der Bilder die Stellung des einen oder der mehreren Bauelemente des Fahrzeug bestimmt wird, wobei
- bei der Bestimmung der Stellung bestimmbar ist, in welcher Stellung sich das eine oder die mehreren Bauelemente zwischen zwei maximalen Stellungen befinden,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Vorrichtung mehrere Kameras umfasst, wobei die Kameras Bestandteil eines Kamerasystems sind, bei dem mittels der mehreren Kameras Einzelbilder aus verschiedenen Bereichen der Fahrzeugumgebung erfasst und mittels Bildverarbeitungsmittel geeignet transformiert werden, um hierdurch ein Gesamtbild der Fahrzeugumgebung zu generieren, und wobei
die Bildverarbeitungseinrichtungen derart ausgebildet sind, dass bei der Bestimmung der Stellung des einen oder der mehreren Bauelemente das Gesamtbild der Fahrzeugumgebung verarbeitet wird."
Der unabhängige Anspruch 6 des Hauptantrags wiederum lautet wie folgt:
,,Verfahren zur Bestimmung einer Stellung eines oder mehrerer Bauelemente eines Fahrzeugs, deren Stellung veränderbar ist und bei denen eine Veränderung der Stellung eine Änderung von äußeren Abmessungen des Fahrzeugs bewirkt, wobei
mittels wenigstens einer Kamera, die derart am oder im Fahrzeug angeordnet ist, dass sich die einen oder mehreren Bauelemente im Blickfeld der Kamera befinden, Bilder aus wenigstens einem Bereich der Fahrzeugumgebung erfasst werden und mittels Bildverarbeitungseinrichtungen
- die von der wenigstens einen Kamera erfassten Bilder verarbeitet werden und
- aus der Verarbeitung der Bilder die Stellung des einen oder der mehreren Bauelemente des Fahrzeug bestimmt wird, wobei
- bestimmt wird, in welcher Stellung sich das eine oder die mehreren Bauelemente zwischen zwei maximalen Stellungen befinden,
dadurch gekennzeichnet, dass
mittels mehrerer Kameras Einzelbilder aus verschiedenen Bereichen der Fahrzeugumgebung erfasst und mittels Bildverarbeitungsmittel geeignet transformiert werden, um hierdurch ein Gesamtbild der Fahrzeugumgebung zu generieren, und
bei der Bestimmung der Stellung des einen oder der mehreren Bauelemente mittels der Bildverarbeitungs-einrichtungen das Gesamtbild der Fahrzeugumgebung verarbeitet wird."
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechende) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass der Fachmann sie ausführen könne, da keine Lehre vorläge, wo konkret die Kameras des Kamerasystems anzubringen seien.
b) Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 sei nicht neu gegenüber E1, da die Kameras der E1 nicht nur die Umgebung, sondern auch die Fahrzeugtüren des Fahrzeugs mit erfassen würden.
c) Zudem sei der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 nicht erfinderisch gegenüber einer Kombination von E6 mit E5 (bzw. E5'). Ausgehend von der Anhängerüberwachung der E6 liege E5 es nahe, mit den Kameras auch die Türen des Fahrzeugs zu überwachen.
d) Außerdem sei der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 nicht erfinderisch gegenüber einer Kombination von E6 mit einem der Dokumente E2, D2', D5' oder E5", sowie nicht erfinderisch gegenüber einer Kombination von E1 mit dem Fachwissen des Fachmanns.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Es sei für den Fachmann aufgrund seines Fachwissens ohne Schwierigkeiten möglich, geeignete Anbringungsstellen zu finden, die sowohl die Überwachung der Umgebung, als auch von Antenne, Schiebedach und Türen des Fahrzeugs ermöglichen.
b) E1 sei nicht neuheitsschädlich, da es weder offenbare, dass die auf die Umgebung des Fahrzeugs gerichteten Kameras auch die Türen des Fahrzeugs erfassen, noch dass die Stellung der Türen aus dem aus den Einzelbildern der Kameras zusammengesetzten Gesamtbild in der Vogelperspektive ermittelt werde.
c) Ausgehend von E6 habe der Fachmann keine Veranlassung, ohne Kenntnis der Erfindung die Bilder der Kameras dahingehend auszuwerten, ob eine geöffnete Fahrzeugtüre vorliegt oder nicht.
d) Die von E1 und E6 ausgehenden Angriffslinien zur erfinderischen Tätigkeit seien zudem zu spät vorgebracht worden und dürften daher gar nicht erst zum Verfahren zugelassen werden.
Hauptantrag
Ausführbarkeit (Artikel 100(b) EPÜ)
1. Die Erfindung wird im Streitpatent in erteilter Fassung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
1.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass dem Streitpatent keine Anweisung zu entnehmen sei, wie die Kameras des Kamerasystems anzubringen seien, um einerseits Bilder der Umgebung des Fahrzeugs erzeugen zu können und andererseits gleichzeitig die diversen beweglichen Bauteile des Fahrzeugs überwachen zu können, wie es aber in den unabhängigen Ansprüchen verlangt wird. Insbesondere bei der Überwachung der Stellung des Schiebedachs und der Antenne (wie in den abhängigen Ansprüchen 2 und 7 beansprucht) sei dies unmöglich.
1.2 Das Streitpatent umfasst tatsächlich keine Figuren, in denen mögliche Anbringstellen für Kameras aufgezeigt würden, verweist aber in Absatz [0011] darauf, dass die Kameras beispielsweise im Fahrzeuginnenraum hinter der Windschutzscheibe angeordnet sein können mit einer Blickrichtung durch die Scheibe hindurch, oder aber dass es sich um Seitenkameras handelt, die im linken bzw. rechten Seitenspiegel bzw. Radhaus des Fahrzeugs angeordnet und in Fahrtrichtung nach hinten gerichtet sind.
1.3 Diese seitlichen Kameras, die gemäß Absatz [0011] mit einer Fischaugenoptik versehen sein können, sind dabei nach Überzeugung der Kammer so ausgerichtet, dass sie zwangsläufig eine geöffnete Seitentür erfassen werden, da sich diese unmittelbar in der Blickachse auf den sich hinter dem Fahrzeug liegenden Bereich befindet.
Daher ist die Vorgabe, dass das Sichtfeld der Kamera gleichermaßen die Umgebung des Fahrzeugs und ein bewegliches Bauteil des Fahrzeugs erfassen soll, ein für den Fachmann ohne Schwierigkeiten technisch umsetzbares Kriterium.
1.4 Zudem kann eine weitere Kamera beispielsweise an der vorderen Dachkante des Himmels angebracht werden und so das Schiebedach von unten, sowie die Umgebung des Fahrzeugs durch die Seitenfenster erfassen. Eine an der hinteren Dachkante des Himmels angebrachte, durch die Heckscheibe gerichtete Kamera wiederum kann die am Fahrzeugheck angebrachte Antenne, sowie den Bereich hinter dem Fahrzeug erfassen. Entsprechend ist das im unabhängigen Anspruch genannte Kriterium auch umsetzbar, wenn es sich bei dem beweglichen Bauteil des Fahrzeugs um das Schiebedach bzw. die Antenne handelt.
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
2. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 6 ist neu.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass das Dokument E1 neuheitsschädlich für den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 6 sei.
Die Einspruchsabteilung hatte dies nicht so gesehen und insbesondere die Merkmale "die Kamera ist so angeordnet, dass sich das eine oder die mehreren Bauelemente im Blickfeld der Kamera befinden" und "die Bildverarbeitungseinrichtung ist derart ausgebildet, dass bei der Bestimmung der Stellung des einen oder der mehreren Bauelemente das Gesamtbild der Fahrzeugumgebung verarbeitet wird" als nicht aus E1 bekannt angesehen.
Die über diese beiden genannten Merkmale hinausgehenden Merkmale des Anspruchs 1 bzw. des Anspruchs 6 sah die Einspruchsabteilung als in E1 verwirklicht an, was auch unstrittig zwischen den Parteien war.
2.2 Das Dokument E1 offenbart im allgemeinen Teil der Beschreibung in den Absätzen [0017] und [0018], sowie in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels in den Absätzen [0079] - [0081] in Verbindung mit Figur 10 einen Türzustandsbestimmungsabschnitt, der eine Türöffnung erkennt und so in der Lage ist, die Stellung der vorderen Türen des Fahrzeugs zu bestimmen. An der Tür ist dabei eine Kamera 10SR bzw. 10SL angebracht, deren Sichtachse beim Öffnen der Tür mit der Tür verschwenkt wird. Dieses Verschwenken der Sichtachse kann der Türzustandsbestimmungsabschnitt mit Hilfe einer Kantenverarbeitung oder Ähnlichem erkennen (siehe Mitte des Absatzes [0081]). Dabei wird ein Merkmalspunkt im Bild bezüglich eines Objektes (beispielsweise eine Trennlinie auf der Straße) in seiner Position auf Änderung überwacht. Sobald die Position oder die Richtung des Merkmalspunkts sich bezüglich des Objektes ändert, obwohl sich die Position des Fahrzeugs nicht geändert hat, kann der Türzustandsbestimmungsabschnitt hieraus den Schluss ziehen, dass die Tür geöffnet bzw. geschlossen wurde.
2.3 Hierzu wird jedoch nicht als erstes aus den Einzelbildern der Kameras 10SR, 10SL sowie 10FR und 10RR das Gesamtbild zusammengesetzt und dann am Gesamtbild aus der Vogelperspektive die Veränderung der Sichtachse der seitlichen Kameras 10SR bzw. 10SL bestimmt, sondern es wird nur auf das Einzelbild der Kameras 10SR und 10SL zugegriffen, also gerade nicht das Gesamtbild der Fahrzeugumgebung zur Bestimmung der Position der Tür verwendet.
2.3.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert zwar, dass aus Figur 10 deutlich würde, dass die Einzelbilder der vier Kameras (Block 10) im Überkopfbildumwandlungsabschnitt 112 zusammengesetzt und dann im Bildsynthetisierabschnitt 120' ausgewertet würden. Nachdem der Türzustandsbestimmungsabschnitt 114 über einen Pfeil hiermit verbunden sei, würde auch der Türzustandsbestimmungsabschnitt 114 auf dieses Gesamtbild zugreifen, was letztlich auch durch Absatz [0081] der Beschreibung gestützt werde.
2.3.2 Die Figur 10 zeigt jedoch nicht, dass der Türzustandsbestimmungsabschnitt 114 auf das mit dem Überkopfbildumwandlungsabschnitt 112 erzeugte Gesamtbild zugreift, sondern dass er als Eingangsgröße ein Signal des Türschalters 30 verarbeitet. Aus Absatz [0081] geht hervor, dass alternativ zum Türschalter auch auf die Bilder, die von der rechten und linken Kamera 10SR und 10SL aufgenommen wurden, zugegriffen werden kann und über die sich ändernden Sichtlinien (wie vorstehend bereits ausgeführt) auf einen Öffnungs- bzw. Schließvorgang der jeweiligen Tür geschlossen werden kann. Dies wird aber zweifelsfrei am Einzelbild der jeweiligen Kamera und eben gerade nicht am aus den Einzelbildern zusammengesetzten Gesamtbild vorgenommen.
2.4 Daher teilt die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass sich der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 zumindest durch das Merkmal und "die Bildverarbeitungseinrichtung ist derart ausgebildet, dass bei der Bestimmung der Stellung des einen oder der mehreren Bauelemente das Gesamtbild der Fahrzeugumgebung verarbeitet wird" von E1 unterscheidet und daher neu in Sinne des Artikels 54 EPÜ ist.
Ob auch das Merkmal "die Kamera ist so angeordnet, dass sich das eine oder die mehreren Bauelemente im Blickfeld der Kamera befinden" zumindest implizit in E1 offenbart wird, kann daher für der Beurteilung der Neuheit dahingestellt bleiben.
Auf die Argumentation der Beschwerdeführerin zu diesem Merkmal, u.a. gestützt auf die Dokumente E5 (zusammen mit dem Familienmitglied E5' und der Übersetzung E5") und E7, sowie den Antrag auf Befragung eines Sachverständigen, erübrigt es sich daher, näher einzugehen.
2.5 Weitere Angriffe der fehlenden Neuheit wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht. Die Kammer sieht daher keinen Grund, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Neuheit abzuweichen.
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Zulassung der vorgebrachten Argumentationslinien zum Verfahren
Kombination von E6 mit E5
3. Die auf einer Kombination von E6 mit E5 (unter Zuhilfenahme des nachveröffentlichten Dokuments E5' mit der selben Priorität PCT/JP2010/062658 wie E5, bzw. der mit Schreiben vom 10. Februar 2020 eingereichten Übersetzung E5") beruhende Argumentationslinie zur erfinderischen Tätigkeit wurde von der Beschwerdeführerin erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebracht und in diesem Zusammenhang wurden die Dokumente E5 (sowie E5') und E6 erstmals vorgelegt.
3.1 Nachdem die Beschwerdebegründung am 10. August 2018, und damit vor dem Inkrafttreten der neuen Verfahrensordnung am 1.1.2020, eingereicht wurde, gilt Artikel 12 VOBK in der Fassung von 2007.
3.2 Gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 hat die Beschwerdekammer die Befugnis, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zum Verfahren zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind.
3.2.1 Die Beschwerdeführerin hat bereits im Einspruchs-verfahren fehlende erfinderische Tätigkeit als Einspruchsgrund geltend gemacht und hierzu in mehreren Argumentationslinien basierend auf den Dokumenten E1 - E4 argumentiert. Diese Argumentationslinien konnten die Einspruchsabteilung jedoch nicht überzeugen, so dass die Einspruchsabteilung das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit bestätigte (siehe Absatz 4.2.9 der angegriffenen Entscheidung).
3.2.2 Die Dokumente E5 und E6 wurden erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereicht und für eine weitere, erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgetragene Argumentationslinie zur erfinderischen Tätigkeit verwendet. Diese Argumentationslinie und diese Dokumente hätten aber auch bereits im Einspruchsverfahren geltend gemacht werden können und müssen.
Die Beschwerdeführerin führte lediglich aus, dass die Dokumente E5 und E6, sowie die hierauf basierende Argumentation prima facie relevant sei, brachte jedoch keinen Grund vor, warum dieser Angriff nicht bereits im Einspruchsverfahren erfolgte.
3.2.3 Das Beschwerdeverfahren stellt jedoch keine weitere Möglichkeit dar, beim Scheitern aller im Einspruchsverfahren vorgetragenen Argumentationslinien im Beschwerdeverfahren einen erneuten Anlauf zu nehmen, mit neuen Beweismitteln und neuen Argumentationslinien das Streitpatent doch noch zu Fall zu bringen. Stattdessen dient das Beschwerdeverfahren primär dazu, die von der Einspruchsabteilung getroffene Entscheidung zu überprüfen.
3.3 Daher machte die Kammer von ihrem durch Artikel 12(4) VOBK 2007 eingeräumten Befugnis Gebrauch und ließ die Argumentationslinie E6 mit E5 nicht in das Verfahren zu.
Kombination von E1 mit dem Fachwissen des Fachmanns
4. Die Beschwerdeführerin hatte im Einspruchsverfahren als Einsprechende unter anderem geltend gemacht, dass ausgehend von E1 das Fachwissen des Fachmanns die vorstehend aufgezeigten unterscheidenden Merkmale nahelegen würde.
4.1 Die Einspruchsabteilung kam in ihrer Entscheidung jedoch zum Schluss, dass dieser von der Beschwerdeführerin vorgetragene Angriff den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des erteilten Patents nicht ausgehend von E1 nahelegt erscheinen lässt (siehe Entscheidungsgründe 4.2.2.3, insbesondere letzter Absatz).
4.2 Mit der Beschwerde bzw. deren Begründung griff die Einsprechende diese Entscheidung nicht an und unterbreitete keinen von E1 ausgehenden Angriff mehr.
In der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren brachte die Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren vor, dass ausgehend von E1 das Fachwissen den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche nahelegen würde.
Diese Argumentationslinie stellt somit eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar.
4.3 Nachdem die Parteien am 17. Juni 2020 (nach Abladung einer bereits im Vorjahr für den 21. April 2019 angesetzten Verhandlung) erneut zur mündlichen Verhandlung geladen wurden, ist gemäß der in Artikel 25 (3) VOBK 2020 kodifizierten Übergangsvorschrift der Artikel 13(2) VOBK in der Fassung von 2020 anzuwenden. Gemäß Artikel 25(1) VOBK 2020 ist Artikel 13(1) ohnehin bereits in der Fassung der VOBK 2020 anzuwenden.
4.4 Die Zulassung dieser Argumentationslinie steht gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 somit im Ermessen der Kammer.
4.4.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass sie von der Entscheidung der Kammer, E1 sei nicht neuheitsschädlich, überrascht worden sei. Daher sei der Angriff ausgehend von E1 unter Artikel 56 EPÜ eine unmittelbare Reaktion auf diese erst in der mündlichen Verhandlung erfolgten Verfahrenswende und somit zuzulassen. Zudem habe die Kammer selbst im Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 14. April 2020 darauf hingewiesen, dass E1 der nächstkommende Stand der Technik sei.
4.4.2 Der Einwand der vermeintlich fehlenden Neuheit gegenüber E1 wurde jedoch bereits in der Vorinstanz vor der Einspruchsabteilung diskutiert, genauso wie der Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit gegenüber einer Kombination von E1 mit dem Fachwissen des Fachmanns. Die Beschwerdeführerin musste daher bereits beim Einlegen der Beschwerde darauf vorbereitet gewesen sein, dass die Kammer der Auffassung der Einspruchsabteilung folgen und E1 nicht als neuheitsschädlich ansehen könnte. Zudem hätte die Beschwerdeführerin die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Kombination von E1 mit dem Fachwissen bereits mit ihrer Beschwerde angreifen müssen und nicht erst im allerletzten Moment im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmalig im Beschwerdeverfahren diesen Einwand erheben dürfen.
4.4.3 Eine Zulassung dieser Argumentationslinie hätte zudem zur Folge, dass auch der Beschwerdegegnerin die Möglichkeit einer Reaktion eingeräumt werden müsste, d. h. der Beschwerdegegnerin die Einreichung weiterer Hilfsanträge gestattet werden müsste.
4.4.4 Angesichts dessen, dass dieses neue Vorbringen zum letztmöglichen Zeitpunkt in der mündlichen Verhandlung erfolgte und daher der Verfahrensökonomie abträglich wäre, ist diese Angriffslinie bereits aus diesen prozeduralen Gründen nicht zum Verfahren zuzulassen.
4.4.5 Zusätzlich zu den prozeduralen Argumenten, die gegen eine Zulassung der Argumentationslinie sprechen, kann eine Kombination von E1 mit dem Fachwissen des Fachmanns den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche aber auch inhaltlich nicht gefährden, so dass die Angriffslinie auch nicht geeignet ist, das Defizit bei der Darlegung der angeblich fehlenden erfinderischen Tätigkeit zu beheben.
a) Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass es Teil des allgemeinen Fachwissens des Fachmanns wäre, die Stellung einer Tür aus einem Gesamtbild der Umgebung eines Fahrzeugs zu bestimmen. Daher würde der Fachmann zur Vereinfachung der aus E1 bekannten Ermittlung der Türstellung an Stelle des Türschalters die Position der Tür aus dem zusammengesetzten Überkopfbild ermitteln.
b) Diese Behauptung übersteigt aus Sicht der Kammer jedoch das Fachwissen des Fachmanns, insbesondere da die Auswertung auf Basis eines Bildes aus der Vogelperspektive erfolgen müsste. Es liegt auch kein Nachweis dieses geltend gemachten Fachwissens vor, das zudem auch von der Beschwerdegegnerin bestritten wird.
c) Des Weiteren ist auch nicht einsichtig, warum diese nachträgliche Auswertung des zusammengesetzten Gesamtbildes aus der Vogelperspektive eine Vereinfachung darstellen sollte und warum der Fachmann ausgerechnet diese Form der Bestimmung der Stellung der Tür wählen sollte. In E1 wird das zusammengesetzte Bild nur angezeigt, aber nicht weiter ausgewertet, so dass hier sogar ein weiteres zusätzliches Modul zur Auswertung des Gesamtbildes nötig wäre, was keine Vereinfachung darstellt, sondern die Vorrichtung ganz im Gegenteil aufwändiger macht.
4.5 Daher ließ die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK 2020 diese Argumentationslinie nicht zum Verfahren zu. Darauf, dass infolge der erneuten Ladung im Jahr 2020 wohl auch die noch schärferen Vorschriften des Artikels 13(2) VOBK 2020 hätten angewendet werden können, kam es daher im Ergebnis nicht mehr an.
Kombination von E6 mit E2, D2' oder D5'
5. Die Beschwerdeführerin argumentierte ferner erstmals in ihrem Schreiben vom 10. Februar 2020, dass ausgehend von dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokument E6 der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 auch durch die Dokumente E2, D2 und D5 bzw. deren erstmalig vorgelegte Übersetzungen D2' und D5' nahegelegt würde. D2 und D5 seinen bereits im Prüfungsverfahren genannt worden und somit der Beschwerdegegnerin bekannt.
5.1 Nachdem weder D2, noch D5 im Einspruchsverfahren, sowie im bisherigen Beschwerdeverfahren eine Rolle spielten, stellen diese Argumentationslinien eine weitere Änderung des Beschwerdevorbringens dar, da ein im Prüfungsverfahren genanntes Dokument nicht automatisch Teil des Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerde-verfahrens ist.
5.2 Auch die Argumentationslinie E6 mit E2 stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar, da diese Kombination erstmals im Schreiben vom 10. Februar 2020 vorgelegt wurde.
5.3 Nachdem es (wie zur Argumentationslinie E6 mit E5 bereits ausgeführt) nicht Aufgabe des Beschwerdeverfahrens ist, der Einsprechende eine weitere Gelegenheit einzuräumen, neue Angriffe gegen das Streitpatent vorzubringen, sondern die im Einspruchsverfahren diskutierten und entschiedenen Angriffslinien zu überprüfen, waren auch diese neu vorgebrachten, inhaltlich aber ebenfalls nicht erfolgversprechenden Argumentationslinien gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 nicht zuzulassen.
5.4 Weitere Argumentationslinien unter Artikel 56 EPÜ wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht, so dass die Kammer keinen Grund sieht, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit abzuweichen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.