T 1566/18 15-03-2022
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BODENWANNE EINES FAHRZEUGS MIT ZUSATZPANZERUNG
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Neuheit - (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent 2561307 zurückgewiesen worden ist.
II. Die Einspruchsabteilung befand in ihrer Entscheidung unter anderem, dass:
- der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ nicht der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehe; und
- der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu gegenüber D12 (DE 100 45 685 A1) und D20 (US 5 663 520 A) sei und
- im Hinblick auf die Kombination von D12 (DE 100 45 685 A1), D13 (WO 2004/038320 A1), D20 (US 5 663 520 A) oder D26 (DE 196 05 230 A1) mit dem Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Einsprechende unter anderem folgende zusätzliche Dokumente ein:
D31: DE 198 56 250 C1;
D32: EP 2 128 557 A2, und
D33: Auszug aus dem wehrtechnischen Report 4/2005,
Report Verlag GmbH, Seiten 1,44,45 und 62.
IV. Am 15. März 2022 wurde vor der Beschwerdekammer in Form einer Videokonferenz mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, das Patent unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen und hilfsweise das europäische Patent im Umfang eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 aufrecht zu erhalten.
V. Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, d.h. der erteilten Fassung, lautet wie folgt (Merkmalsgliederung gemäß der angefochtenen Entscheidung):
M1.1 Bodenwanne eines Fahrzeugs, insbesondere eines
gepanzerten militärischen Fahrzeugs,
M1.2 mit einer unteren Bodenwand (5), die über eine
Verbindungsstelle (9) mit einer seitlichen Bodenwand (1) verbunden ist, wobei
M1.3 an der unteren Bodenwand (5) ein Zusatzschutzmodul (6)
befestigt ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
M1.4 das Zusatzschutzmodul (6) lösbar befestigt ist, wobei
M1.5 die untere Bodenwand (5) und das Zusatzschutzmodul (6)
im Bereich der Befestigung (12) einen Vorsprung (19) bildend über die Verbindungsstelle (9) zwischen unterer Bodenwand (5) und seitlicher Bodenwand (1) hinaus verlängert sind, wobei
M1.6 sich der Befestigungspunkt in diesem Vorsprung (19)
befindet.
1. Ausreichende Offenbarung - Artikel 100 b) EPÜ
1.1 Das europäische Patent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
1.2 Die Beschwerdeführerin trug im wesentlichen vor, dass der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 derartige Widersprüche und Unklarheiten beinhalte, dass der Fachmann nicht in der Lage sei, die Erfindung auszuführen. Dem Fachmann fehlten die nötigen Ergänzungen hinsichtlich der Position und Form des Vorsprungs von Merkmal M1.5 sowie des Befestigungspunkts von Merkmal M1.6, um zu wissen wo dieser überhaupt angeordnet sein solle. Zudem erstrecke sich die untere Bodenwand nur zwischen zwei Seitenwänden und nicht darüber hinaus, da aus der gesamten Beschreibung des Patents hervorgehe, dass die Bodenwanne U-förmig sei. Das Ausführungsbeispiel könne dem Fachmann bei der Ausführung nicht helfen, da in der Figur 1 nicht eine U-förmige Bodenwanne gezeigt werde und die untere Bodenwand nicht durch die Seitenwände begrenzt sei, sonder herausrage.
Darüber hinaus werde durch die Merkmale M1.5 und M1.6 zunächst ein Vorsprung mit Hilfe der Befestigung definiert, um dann anschließend die Befestigung mit Hilfe des Vorsprungs zu definieren. Dies bilde ebenso einen unüberwindlichen Widerspruch.
Letztlich enthalte das Patent noch einen weiteren Widerspruch, da Absatz [0040] anmerke, dass die Erfindung in analoger Weise auch bei V-förmigen Bodenwannen eingesetzt werden könne, Absatz [0003] jedoch feststelle, dass eine V-förmige Bodenwanne keine untere Bodenwand aufweise. Die Bodenwanne gemäß erteiltem Anspruch 1 habe jedoch zwingend eine untere Bodenwand.
Dem ist nicht zu folgen. Der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 enthält keine Widersprüche oder die Ausführung hindernden Unklarheiten, sondern ist lediglich breit auszulegen. In diesem Sinne ist die Richtung und Form des Vorsprungs offen gelassen, solange er über die Verbindungsstelle zwischen unterer Bodenwand und seitlicher Bodenwand hinaus vorspringt.
Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände stellen nur Klarheitsprobleme dar, die keinen Einspruchsgrund bilden.
Das Patent zeigt dem Fachmann mit dem einzigen beschriebenen Ausführungsbeispiel zumindest einen Weg, wie der Fachmann die Bodenwanne gemäß dem erteilten Anspruch 1 ausführen kann. Selbst wenn die Beschreibung dieses Ausführungsbeispiels hinsichtlich des Begriffes "U-förmige Bodenwanne" im Widerspruch zu den gezeigten Figuren stünde, wäre dies unerheblich für die Ausführbarkeit der Erfindung gemäß Anspruch 1, da sein Gegenstand nicht auf U-förmige Bodenwanne beschränkt ist und die Bodenwanne der Figuren zusammen mit ihrer Beschreibung unter dem Gegenstand des Anspruchs 1 fällt. Die Existenz von Vorsprüngen an der Basis schließt aber ohnehin nicht aus, dass eine Struktur immer noch als insgesamt U-förmig erscheinen kann.
Weiterhin stellt es keinen Widerspruch dar, dass der Vorsprung sich im Bereich der Befestigung befindet und dass der Befestigungspunkt sich in dem Vorsprung befindet, da Letzteres eine Konkretisierung von Ersterem ist. Dieser Befestigungspunkt bezieht sich zwangsläufig auf den Punkt, an dem das Zusatzschutzmodul mit der unteren Bodenwand befestigt ist.
Zuletzt führt auch der geltend gemachte Widerspruch zwischen den Absätzen [0003] und [0040] des Patents nicht zu Ausführbarkeitsproblemen. Anspruch 1 ist eindeutig auf eine Bodenwanne mit einer unteren Bodenwand beschränkt und somit fällt eine Bodenwanne mit einem klar V-förmigen Querschnitt laut Absatz [0003] des Patents nicht unmittelbar unter den Gegenstand des Anspruchs 1, da eine derartige Bodenwanne keine untere Bodenwand aufweist. Es kann also dahin stehen, ob Absatz [0040] sich mit dem Wort "analog" auf einen etwaigen erweiterten Schutzbereich äquivalenter Ausführungen beziehen will oder Formen mit sehr schmaler Bodenwand und schräg stehenden Seitenwänden vor Augen hat, die eher einem V als einem U ähneln. Maßgeblich ist allein, dass nur Ausführungsformen mit einer Bodenwand unmittelbar unter den Anspruch fallen und dass diese auch ausführbar sind.
2. Neuheit - Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ
2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt ist neu gegenüber den Offenbarungen von D12 und D20.
2.2 Die Kammer teilt die Auffassung der Einspruchsabteilung, wonach keine der beiden Entgegenhaltungen die Merkmale M1.5 und M1.6 des erteilten Anspruchs 1 zeigt.
2.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte hinsichtlich der Offenbarung von D12 mit zwei unterschiedlichen Argumentationslinien: zwischen unterer Bodenwand und seitlicher Bodenwand (seitliche Bodenwand an der Stelle C der in Punkt 1.4.2.1 der angefochtenen Entscheidung eingefügten und nachfolgend nochmals wiedergegebenen Figur, die ein Ausschnitt der Figur 1 der D12 ist) könne die Verbindungsstelle entweder in der Verbindung zwischen unterer Bodenwand und Hohlprofil A gesehen werden oder in der Verbindung zwischen Hohlprofil A und seitlicher Bodenwand (an der Stelle B der selben Figur):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Ausschnitt der Figur 1 von D12 gemäß angefochtener Entscheidung; die Kennzeichnungen A, B und C wurden von der Einspruchsabteilung eingefügt
Im ersten Fall sei das Hohlprofil selbst der Vorsprung und im zweiten Fall sei die waagerechte Wand des Hohlprofils bereits die untere Bodenwand, wobei der Vorsprung sich in vertikaler Richtung in den Bereich B erstreckend durch die Verbindung der unteren Bodenwand (inklusive des Hohlprofils) und der seitlichen Bodenwand (C) entstehe.
Was D20 betrifft, argumentierte die Beschwerdeführerin unter der Annahme, dass gemäß dem Wortlaut des Merkmals M1.5 ein Vorsprung durch die untere Bodenwand oder das Zusatzschutzmodul entstehen könne.
2.4 Die Argumentation überzeugt aus folgenden Gründen nicht. Nach Merkmal M1.5 bilden die untere Bodenwand und das Zusatzschutzmodul einen Vorsprung und zwar derart, dass die untere Bodenwand und das Zusatzmodul über die Verbindungsstelle zwischen unterer Bodenwand und seitlicher Bodenwand hinaus verlängert sind. Weiterhin befindet sich der Befestigungspunkt zwischen unterer Bodenwand und dem Zusatzschutzmodul in dem Vorsprung selbst (Merkmal M1.6). Daraus folgt, dass der Vorsprung beide Teile umfasst und nicht nur durch die untere Bodenwand oder das Zusatzschutzmodul entstehen kann.
Hinsichtlich D12 ist der Ansicht der Einspruchsabteilung zu folgen. Gemäß erteiltem Anspruch 1 ist das Zusatzschutzmodul an der unteren Bodenwand befestigt. Das in D12 gezeichnete Hohlprofil (A) ist einteilig dargestellt. Folglich ist es als Bestandteil der unteren Bodenwand anzusehen. Die Verbindungsstelle der unteren Bodenwand (inklusive Hohlprofil) mit der seitlichen Bodenwand ist demnach die gekennzeichnete Stelle (B). Ein durch die untere Bodenwand (inklusive Hohlprofil) und das Zusatzmodul (16) gebildeter Vorsprung, der als Verlängerung der unteren Bodenwand und des Zusatzschutzmoduls über diese Verbindungsstelle hinaus ragen würde, ist daher nicht offenbart, geschweige denn ein Befestigungspunkt in einem derartigen Vorsprung.
3. Erfinderischen Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ;
Zulassung von D31, D32 und D33
3.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.2 Die Beschwerdeführerin machte die folgenden Einwänden hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit geltend:
- D12 oder D20 mit Fachwissen belegt durch D32;
- D33 mit Fachwissen;
- D26 mit Fachwissen belegt durch D32;
- D13 mit Fachwissen belegt durch D32; und
- D31 mit D32.
3.3 Die Entgegenhaltungen D31, D32 und D33, auf denen sämtliche oben genannte Angriffe basieren, wurden jedoch zum ersten Mal mit der Beschwerdebegründung eingereicht.
3.4 Gemäß Artikel 25(2) VOBK 2020 (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, Amtsblatt EPA 2019, A63) ist Artikel 12(4) VOBK 2007 (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, Amtsblatt EPA 2007, 536) im vorliegenden Fall anzuwenden. Gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 verfügt die Kammer über die Befugnis, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
3.5 Die Beschwerdeführerin begründete die verspätete Einreichung dieser Entgegenhaltungen zum einen damit, dass sie prima facie hochrelevant seien. Zum anderen seien die Dokumente in Anbetracht der Tatsache zuzulassen, dass sie eine Reaktion auf die schriftlich begründete Entscheidung der Einspruchsabteilung darstellten. Darüber hinaus sei insbesondere D32 zuzulassen, da dieses Dokument in Absatz 7 des Streitpatent gewürdigt werde, und die Beschwerdegegnerin deshalb in der Lage sein sollte, es zu diskutieren.
Die Kammer erkennt keinen Anlass im Verlauf des Einspruchsverfahrens, der diese verspätete Einreichung rechtfertigen würde. Angefochten ist und verteidigt wird weiterhin das Patent wie erteilt, so dass die Einführung entgegenstehenden Stands der Technik bereits in der Einspruchsschrift veranlasst gewesen wäre. Die schriftliche Entscheidung der Einspruchsabteilung basiert auf den während des Einspruchsverfahrens vorgetragenen und diskutierten Argumenten der Parteien, sodass der nachträgliche Erhalt der Entscheidung nach der mündlichen Verhandlung die Beschwerdeführerin in keiner Weise überraschen konnte, geschweige denn eine Rechtfertigung geben, neue Entgegenhaltungen mit der Beschwerde einzureichen.
Weiterhin, obwohl D32 in der Beschreibung des angefochtenen Patents als Stand der Technik anerkannt wird, wenn auch nicht als nächstliegender (siehe Absatz [0006] des Streitpatents), wurde es von der Einsprechenden im Einspruchsverfahren weder angeführt noch diskutiert. D32 war somit nicht Bestandteil des Einspruchsverfahrens und wurde erstmals mit der Beschwerde eingereicht. Da es ohne weiteres bereits im Einspruchsverfahren hätte herangezogen werden können und kein Anlass ersichtlich ist, warum dies nicht bereits geschehen ist, ist es somit in der Beschwerde nicht mehr zuzulassen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern das Kriterium der prima facie Relevanz neu eingeführter Beweismittel nicht das vorrangige oder gar ausschließlich anzuwendende Kriterium für die Ausübung des Ermessens der Kammer im Rahmen von Artikel 12(4) VOBK 2007 darstellt.
3.6 Unter diesen Umständen hat die Kammer Ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, die erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereichten neuen Beweismittel D31, D32 und D33 nicht in das Verfahren zuzulassen.
3.7 Infolgedessen sind sämtliche Angriffe der Beschwerdeführerin unter Artikel 56 nicht zu berücksichtigen, da diese ausschließlich auf im Beschwerdeverfahren neu eingereichten Dokumenten beruhen.
3.8 Gemäß dem schriftlichen Vortrag der Beschwerdeführerin sind die Angriffe ausgehend von D12, D13, D20 und D26 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen bloß erwähnt und nicht näher im Verhältnis zur Begründung der angefochtenen Entscheidung ausgeführt (siehe die Formulierung in der Beschwerdebegründung "mit Fachwissen bzw. D32", also nicht Fachwissen belegt durch D32).
Ein substantiierter Angriff liegt (wie auch von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt) insoweit also nicht vor.
Die Kammer würde im übrigen diesbezüglich aber die Ansicht der Einspruchsabteilung teilen. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Offenbarung der D12, D13, D20 und D26 zumindest durch die Merkmale M1.5 und M1.6. Der Fachmann findet keinen Hinweis in seinem Fachwissen, die untere Bodenwand und das Zusatzschutzmodul gemäß den Merkmalen M1.5 und M1.6 miteinander zu verbinden. Der Vortrag der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren basierte auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
4. Weitere Angriffslinien lagen nicht vor. Daher ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu bestätigen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.