T 1754/18 (Emulsionskonzentrat/TUNAP) 24-02-2022
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OW-EMULSIONSKONZENTRAT, VERFAHREN ZU DESSEN HERSTELLUNG UND DIESES ENTHALTENDES HAUTKOSMETIKUM
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
Beweismittel - Sachverständigengutachen
Beweismittel - nicht erforderlich
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
I. Die Beschwerde des Beschwerdeführers richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, seinen Einspruch gegen das Europäische Patent EP 2 701 671 zurückzuweisen.
II. Der Einspruch war unter Artikeln 100(a) und (b) EPÜ mit mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ), mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) und mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ) begründet worden.
In ihrer Entscheidung verwarf die Einspruchsabteilung die vorgebrachten Einspruchsgründe. Neuheit sah sie gegenüber den angeführten Dokumenten, insbesondere gegenüber P2, als gegeben an. Die beanspruchten Zusammensetzungen und Verfahren seien in ausführbarer Weise beschrieben und für den Fachmann weder ausgehend von P1 noch ausgehend von P2 nahegelegt.
III. Für die vorliegende Entscheidung relevante Dokumente sind:
P1: WO 99/08649
P2: EP 2 243 462 A1
P6: DE 10 2008 020 797 A1
P17: EP 2 111 851 B1
IV. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents hat folgenden Wortlaut:
"pH-Wert-stabiles, keine freien Fettsäuren aufweisendes OW-Emulsionskonzentrat zur Herstellung von Hautkosmetika, umfassend
A) in der Ölphase
a) 4-12 Gew.-%, bezogen auf das Emulsionskonzentrat, einer Emulgatormischung auf Basis von Glycerylstearatcitrat, Cetearylalkohol und Glycerylcaprylat,
b) bis zu 2 Gew.-%, vorzugsweise 0,5-2 Gew.-%, bezogen auf das Emulsionskonzentrat, eines Caprylsäureesters,
c) wahlweise native und/oder synthetische kosmetische Öle,
d) wahlweise Fettalkohole mit 12-20 C-Atomen,
c) wahlweise Pflanzenbutter,
B) in der Wasserphase
a) 2-6 Gew.-%, bezogen auf das Emulsionskonzentrat, eines oder mehrerer schaumgebenden Tenside,
b) wahlweise Moisturizer,
c) Milchsäure und/oder deren Salze zur Einstellung des pH-Wertes des Emulsionskonzentrats auf 4,5 bis 6."
Der unabhängige Anspruch 6 bezieht sich auf ein Herstellungsverfahren für in Anspruch 1 definierte Emulsionskonzentrate.
Der unabhängige Anspruch 7 bezieht sich auf ein Hautkosmetikum, unfassend ein in Anspruch 1 definiertes Emulsionskonzentrat.
V. In seiner Beschwerdeschrift und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen folgendes vor:
Die beanspruchten Zusammensetzungen seien nicht in ausführbarer Weise beschrieben. Insbesondere sei die Bedeutung der Merkmale "pH-stabil" und "keine freien Fettsäuren aufweisend" nicht definiert; ein Fachmann wisse nicht, wie dies im Detail zu bewerkstelligen sei. Neuheit gegenüber P2 sei nicht gegeben. Auch wenn P2 keine neuheitsschädlichen Beispiele offenbare, seien die in den Ansprüchen des Streitpatents definierten Zusammensetzungen gegenüber der allgemeinen Offenbarung der P2 nicht neu. Sollte Neuheit anerkannt werden, so beruhten die beanspruchten Zusammensetzungen jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da die Bestandteile der Zusammensetzungen für sich genommen bereits in P2 beschrieben seien. Verbesserte Eigenschaften, die eine erfinderische Tätigkeit der beanspruchten Zusammensetzungen begründen könnten, seien nicht nachgewiesen. Für einzelne Merkmale wurde auch auf P6 und P17 verwiesen. Im Zweifel sei ein Sachverständiger zu technischen Fragen anzuhören.
Des weiteren habe die Einspruchsabteilung den Inhalt der P2 rechtsfehlerhaft interpretiert, was eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige.
VI. In ihrer Beschwerdeerwiderung und im weiteren Verlaufs des Beschwerdeverfahrens brachte die Beschwerdegegnerin im wesentlichen folgendes vor:
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei korrekt. Die beanspruchten Zusammensetzungen seien in ausführbarer Weise beschrieben. Insbesondere sei dem Fachmann die Bedeutung der Merkmale "pH-stabil" und "keine freien Fettsäuren aufweisend" klar und er wisse, wie anspruchsgemäße Zusammensetzungen herzustellen seien. Neuheit gegenüber P2 sei gegeben. Es gebe in P2 insbesondere keine Offenbarung von Zusammensetzungen, die die beanspruchten Merkmale in Kombination erfüllten. Ausgehend von P2 stellten die beanspruchten Zusammensetzungen eine Alternative dar, die dem Fachmann auch durch Hinzuziehen weiterer Dokumente nicht nahegelegt seien. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen sei unnötig.
VII. Am 5. Oktober 2020 erließ die Kammer eine Mitteilung unter Artikel 100(2) EPÜ, in der die Parteien über die vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage informiert wurden. Vorläufige Einschätzung der Kammer war, dass mit einer Zurückweisung der Beschwerde gerechnet werden müsse.
VIII. Mit Ladung vom 29. April 2021 wurde für den 24. Februar 2022 eine mündliche Verhandlung angesetzt.
IX. Die mündliche Verhandlung wurde am 24. Februar 2022 als Videokonferenz durchgeführt.
Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Er beantragte weiterhin, ein Sachverständigengutachten einzuholen, falls Zweifel an seiner Darstellung bestünden. Des weiteren beantragte er, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der Hilfsanträge 1-3, eingereicht am 23. Februar 2018.
X. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
2.1 Die unabhängigen Ansprüche des Streitpatents richten sich auf ein Emulsionskonzentrat, ein Verfahren zu dessen Herstellung und ein Hautkosmetikum, das ein solches Konzentrat umfasst.
Um Artikel 83 EPÜ zu genügen, muss ein Fachmann nach Lektüre der Patentschrift in der Lage sein, anspruchsgemäße Zusammensetzungen herzustellen.
Die Zusammensetzungen werden aus allgemein verfügbaren Ausgangsstoffen hergestellt und auch das beschriebene Herstellungsverfahren stellt den Fachmann vor keine Probleme. Zudem enthält das Patent eine Reihe von Herstellungsbeispielen, deren Ausführbarkeit auch nicht angezweifelt wurde. Der Fachmann ist daher durchaus in der Lage, anspruchsgemäße Emulsionen herzustellen.
2.2 Der Beschwerdeführer wendet ein, die beiden im Anspruch verwendeten Merkmale "pH-stabil" und "keine freien Fettsäuren aufweisend" seien nicht ausreichend offenbart. Ein Fachmann wisse nicht, wie dies zu erreichen sei.
Die Kammer folgt diesen Argumenten nicht.
2.2.1 Bezüglich des Merkmals "pH-Stabilität" bringt der Beschwerdeführer vor, es fehle an einer Beschreibung der technischen Maßnahmen, um pH-Wert-stabile Zusammensetzungen herzustellen, und ebenso an einer Definition, um pH-Wert-instabile Zusammensetzungen davon zu unterscheiden.
Das erste Argument wird schon von der Beschreibung des Patents widerlegt, denn es werden ja ausführliche Angaben gemacht und Beispiele präsentiert, wie anspruchsgemäße Zusammensetzungen herzustellen sind. Dass diese nicht pH-Wert-stabil sind wurde weder behauptet noch gezeigt. Stabilisierung des pH-Werts mittels eines Puffers, im vorliegenden Fall Milchsäure/Laktat, ist dem Fachmann geläufig. Die Kammer folgt auch dem Argument nicht, in Abwesenheit einer allgemeingültigen Definition könne dieses Merkmal nur dahingehend verstanden werden, dass der pH-Wert der Zusammensetzungen unter allen Bedingungen absolut unverändert bleibt. Dies entspricht keiner fachmännischen Interpretation der Ansprüche.
Das zweite Argument betrifft die Frage, ob eine bestimmte Zusammensetzung unter die Ansprüche fällt oder nicht. Dies ist eindeutig eine Frage der Klarheit (Artikel 84 EPÜ), die vorliegend nicht zur Debatte steht.
2.2.2 Das Merkmal "keine freien Fettsäuren aufweisend" bedeutet für den Fachmann zunächst, dass freie Fettsäuren weder zugesetzt werden noch sich in der Zusammensetzung bilden.
Der Beschwerdeführer hat keinerlei experimentelle Daten vorgelegt, aus denen hervorginge, die in der Patentschrift offenbarten Zusammensetzungen, denen ja keine freien Fettsäuren zugesetzt werden, würden unvermeidlich eine durch Hydrolyse bedingte messbare Konzentration solcher Fettsäuren enthalten. Wie in der angefochtenen Entscheidung richtigerweise ausgeführt, handelt es sich ja nicht um ideale saure Lösungen, sondern um O/W-Emulsionen. Die in den Zusammensetzungen enthaltenen Fettsäureester liegen daher nicht in der wässrigen Phase vor und sind einer Hydrolyse nicht ohne weiteres zugänglich.
2.2.3 Der Beschwerdeführer hat weiterhin argumentiert, die mangelnde Ausführbarkeit der beiden Merkmale zeige sich insbesondere im Vergleich mit den Zusammensetzungen des Standes der Technik. Die Zusammensetzungen beispielsweise der P2 enthielten keine freien Fettsäuren und eine Instabilität des pH-Werts sei dort auch nicht beschrieben. Die beiden Merkmale seien daher im Anspruch entweder bedeutungslos, oder, falls durch sie ein Unterschied definiert werden sollte, fehlten im Patent Anleitungen, wie diese Merkmale auf eine Weise zu verwirklichen seien, die in P2 nicht offenbart ist.
Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen. Weder die angefochtene Entscheidung noch die Beschwerdegegnerin behaupten, diese Merkmale würden gegenüber P2 unterscheidend sein. Die Merkmale sind an sich, wie oben ausgeführt, für den Fachmann verständlich und er weiß, wie die Herstellung entsprechender Zusammensetzungen im konkreten Fall zu bewerkstelligen ist. Die Tatsache, dass diese Merkmale im Stand der Technik ebenfalls verwirklicht sind, spricht ja eher noch zusätzlich dafür, dass der Fachmann durch sie vor keine Schwierigkeiten gestellt wird.
2.3 Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung zur Frage der Ausführbarkeit in Punkt 2.1 der angefochtenen Entscheidung hat daher Bestand.
3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
3.1 In der angefochtenen Entscheidung wurde Neuheit gegenüber P2 anerkannt (siehe Punkt 2.3.5.1 der Entscheidung).
Die Kammer schließt sich der Ansicht der Einspruchsabteilung aus den im folgenden ausgeführten Gründen an. Es gibt in P2 keine Offenbarung, die die vorliegend beanspruchten Merkmale in Kombination vorwegnähme.
3.2 Die Beispiele der P2 sind nicht neuheitsschädlich, schon alleine deswegen, weil keines der Beispiele Milchsäure enthält (Merkmal Bc von Anspruch 1). Dies ist unbestritten.
3.3 Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, die Anspruchsmerkmale seien dem Gesamtgehalt der Offenbarung der P2 zu entnehmen.
Die Kammer stimmt dem nicht zu.
3.3.1 Zunächst ist die Kammer nicht überzeugt, dass alle obligatorisch beanspruchten Merkmale in P2 überhaupt als solches offenbart sind.
Der Anspruch verlangt die Anwesenheit von 2-6 Gew.% schaumgebender Tenside in der Wasserphase.
Die als Merkmal c) in der P2 genannten Benetzmittel sind gemäß Absatz [0063] Bestandteil des Emulgatorsystems. Schaumgebende Eigenschaften sind nicht offenbart.
Natrium Stearoyllactylat, das nach Ansicht des Beschwerdeführers ein schaumgebendes Tensid darstellt, ist in Absatz [0064] als Bestandteil eines Emulgatorsystems beschrieben, allerdings ohne Konzentrationsangabe. In Beispielen 3.1 bis 3.4 wird es eingesetzt, allerdings nicht in anspruchsgemäßen Konzentrationen. Die Konzentration in den Beispielen 3.1 und 3.2 beträgt, wie aus der Zusammensetzung des Emulgators 5 von den Parteien übereinstimmend errechnet wurde, 1,92%. In Beispielen 3.3 und 3.4 sind 1,95% angegeben.. Ob dieses Tensid in P2 in der Wasser- oder Ölphase vorliegt, ist daher unerheblich.
3.3.2 Andere Bestandteile der anspruchsgemäßen Zusammensetzungen sind als solches beschrieben, allerdings nicht in Kombination miteinander.
Milchsäure wird in P2 in Absatz [0042] in einer längeren Liste optionaler Zusatzstoffe erwähnt.
Eine dem Merkmal Aa entsprechende Emulgatormischung wird etwa in den Beispielen 1.1 und 1.2 oder 2.3 und 2.4 verwendet, die jedoch wiederum weder Milchsäure noch schaumgebende Tenside in der beanspruchten Konzentration enthalten, unabhängig davon, wie dieser Begriff definiert wird.
3.4 Es gibt in P2 keine Offenbarung der vorliegend beanspruchten Zusammensetzungen, in der die Anspruchsmerkmale in Kombination beschrieben werden. Es ist zwar richtig, dass ein Dokument mit der Gesamtheit seiner Offenbarung gelesen werden muss. Dies bedeutet aber nicht, dass durch nachträgliche Kombination von nicht im Zusammenhang beschriebenen technischen Merkmalen eine neuheitsschädliche Offenbarung konstruiert werden kann.
Ob die im Anspruch definierten Zweckbestimmungen einzelner Komponenten, etwa der Milchsäure "zur Einstellung des pH-Werts" limitierend wirken oder nicht, bzw. in P2 verwirklicht sind oder nicht, wie von den Parteien ausführlich diskutiert, kann daher für die Frage der Neuheit dahingestellt bleiben.
4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
4.1 Das Streitpatent betrifft ein O/W-Emulsionskonzentrat, aus dem verschiedene kosmetische Formulierungen hergestellt werden können.
4.2 Nächster Stand der Technik
Der Beschwerdeführer geht von P2 als nächstem Stand der Technik aus; diese Argumentationslinie ist auch in der angefochtenen Entscheidung behandelt (siehe Punkte 2.4.3.2 und 2.4.5.3 dort).
P2 offenbart Emulgatorsysteme, die in kosmetischen Formulierungen Verwendung finden. Die Kammer hält die Wahl von P2 als nächsten Stand der Technik für gerechtfertigt, da sich P2 mit ähnlichen Formulierungen beschäftigt und zumindest die meisten der einzelnen beanspruchten Komponenten offenbart, wenn auch nicht in Kombination (siehe Neuheitsdiskussion). P1, das im Einspruchsverfahren ebenfalls diskutiert wurde, ist demgegenüber sowohl strukturell (anderer pH-Wert, keine Milchsäure) als auch von der Verwendung her (Hautcreme, d. h. Endprodukt, kein Konzentrat) weiter entfernt.
Die konkrete Offenbarungen der P2, die am nächsten an der beanspruchten Erfindung liegen, sind die Beispiele 1.1 und 1.2 bzw. 2.3 und 2.4, da diese eine anspruchsgemäße Emulgatormischung verwenden (Merkmale Aa bzw. Ab von Anspruch 1).
Die vorliegend beanspruchten Emulsionskonzentrate unterscheiden sich davon zumindest in der Verwendung von Milchsäure statt Zitronensäure zum Einstellen des pH-Werts auf 4,5-6.
Ebenso bildet das Vorhandensein von 2-6% schaumgebender Tenside in der Wasserphase einen Unterschied gegenüber diesen Ausführungsbeispielen. Solche Tenside sind in den oben angesprochenen Ausführungsbeispielen nicht enthalten.
4.3 Aufgabe und Lösung
Das Patent stellt sich die Aufgabe, pH-Wert-stabile O/W-Emulsionskonzentrate zur Verfügung zu stellen, welche den Säureschutzmantel der Haut nicht angreifen, die aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden können und sich zu verschiedenen Hautkosmetika weiterverarbeiten lassen, siehe Absatz [0005] des Patents.
Da die mit den Emulgatorsystemen der P2 in den Ausführungsbeispielen hergestellten Rohemulsionen im wesentlichen dieselbe Aufgabe lösen, ist die mit dem Patent zu lösende technische Aufgabe darin zu sehen, alternative derartige Emulsionskonzentrate herzustellen. Dies war unstrittig; Verbesserungen gegenüber P2 wurden auch von der Beschwerdegegnerin nicht behauptet.
Die beanspruchte Lösung dieser Aufgabe sind die Emulsionskonzentrate des Anspruchs 1, die dadurch charakterisiert sind, dass Milchsäure zum Einstellen des pH-Werts verwendet wird und sie schaumgebende Tenside in der angegebenen Konzentration in der Wasserphase enthalten.
Dass die beanspruchten Emulsionskonzentrate diese Aufgabe lösen, war unbestritten.
4.4 Naheliegen der Lösung
Zu entscheiden war, ob diese Lösung der technischen Aufgabe dem Fachmann aus dem Stand der Technik nahegelegt ist, wie vom Beschwerdeführer vorgebracht.
Dies ist nicht der Fall, wie im folgenden begründet wird.
4.4.1 Die Verwendung schaumgebender Tenside in der Wasserphase derartiger Emulsionskonzentrate in einer Konzentration von 2-6% ist aus den vom Beschwerdeführer zitierten Dokumenten nicht nahegelegt.
Zunächst ist in P2 die Erzielung eines Schaums nicht erwähnt. Ein Fachmann hatte daher aus D2 keine Veranlassung, überhaupt schaumgebende Tenside in derartige Emulsionkonzentrate zuzugeben.
P2 selbst nennt "Benetzmittel", deren Zweck jedoch nicht eine Schaumbildung, sondern in niedrigen Konzentrationen die Stabilisierung der Emulsion ist (siehe etwa Absätze [0016] und [0020]). Der Beschwerdeführer hat auf das in den Beispielen 3.1-3.4 verwendete Natrium-Stearoyllactylat verwiesen, das seiner Ansicht nach zur Schaumbildung verwendet werden kann. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so ist doch in P2 dieser Stoff als Teil des Emulgatorsystems beschrieben (siehe auch Absatz [0025]), und liegt auch nicht in der beanspruchten Konzentration vor.
Der Beschwerdeführer hat im Laufe des Beschwerdeverfahrens weiterhin auf P17 verwiesen, und zwar insbesondere auf Beispiel 9, in dem eine Sprühformulierung unter Verwendung eines Emulsionskonzentrats aus Beispiel 7 verwendet wird. Dieses Konzentrat wiederum enthält Natriumlaurylsarkosinat, das ein patentgemäßes schaumgebendes Tensid ist.
Unabhängig davon, ob, wie von der Beschwerdegegnerin eingewandt, dieses Vorbringen als verspätet unter Artikel 13(2) VOBK 2020 zurückgewiesen werden müsste, so ist es jedenfalls nicht geeignet, das Naheliegen des strittigen Merkmals zu zeigen. Weder werden in P17 Schäume erwähnt, noch liegt das Natriumlaurylsarkosinat im Emulsionskonzentrat des Beispiels 7 mit 11,6 % in anspruchsgemäßer Konzentration von 2-6 %vor.
4.4.2 Die Kammer ist auch nicht überzeugt, dass, wie vom Beschwerdeführer angeführt, die Einstellung des pH-Werts im Emulsionskonzentrat auf 4,5-6 mittels Milchsäure von den angeführten Dokumenten nahegelegt wird.
Es ist zwar richtig, dass in P2 in Absatz [0042] Milchsäure als Alternative zu Zitronensäure genannt wird, allerdings bezieht sich dieser Absatz auf die komplexbildende Wirkung zum sekundären Lichtschutz. Wie von der Beschwerdegegnerin angeführt, wird in P2 die Verwendung von Zitronensäure aber zur pH-Einstellung weder im allgemeinen Teil noch in den Beispielen beschrieben. Aus dem Vergleich etwa der Beispiele 2.1/2.2 und 2.3/2.4, die mit Ausnahme von Zitronensäure praktisch identische Wasserphasen enthalten, geht auch hervor, dass die Zugabe der Zitronensäure auf den pH-Wert der Wasserphase keinen Einfluss hat. Die Zitronensäure wird also in P2 nicht zur Einstellung des pH-Werts verwendet.
Die Kammer folgt auch dem Argument des Beschwerdeführers nicht, dass die Zweckbestimmung einer Substanz in einem Produktanspruch unerheblich wäre, so dass die Offenbarung der P2 die Verwendung von Milchsäure als Alternative zur in den Beispiel verwendeten Zitronensäure unabhängig vom offenbarten Verwendungszweck nahelege. Dies träfe in Bezug auf eine Neuheitsbetrachtung zu, bei der es lediglich darauf ankommt, ob ein bestimmter Inhaltsstoff in einer Zusammensetzung enthalten ist oder nicht. Bei der Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit ist hingegen ein durch die Lehre des Standes der Technik geleitetes zielgerichtetes Handeln des Fachmanns erforderlich, so dass die im Stand der Technik angegebene Zweckbestimmung oder Wirkung von einzelnen Inhaltsstoffen in einer Zusammensetzung nicht komplett außer Acht gelassen werden kann.
Der Beschwerdeführer hat auf P6 verwiesen, das in Absatz [0036] die Zugabe von Milchsäure zur Einstellung des pH-Werts einer Hautcreme beschreibt. Allerdings betrifft dies die Einstellung des pH-Werts in einem Anwendungsprodukt; es wird nicht offenbart, dass die Einstellung des pH-Werts bereits im Emulsionskonzentrat erfolgen soll. Zudem ist kein pH-Wert angegeben.
4.5 Die beanspruchten Emulsionskonzentrate können daher ausgehend von P2 höchstens in Kenntnis der Erfindung aus einzelnen Offenbarungen des Stands der Technik zusammengestellt werden. Sie waren dem Fachmann aber ausgehend von P2 aus dem Stand der Technik nicht nahegelegt.
4.6 Erfinderische Tätigkeit ist gegeben. Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung in Punkt 2.4 der angefochtenen Entscheidung hat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren Bestand.
5. Beiziehung eines Sachverständigen
Der Beschwerdeführer hat die Beiziehung eines Sachverständigen zur Frage beantragt, in welcher Weise sich Tenside in Zusammensetzungen auf die einzelnen Phasen bzw. an der Grenzfläche verteilen.
Sachverständigengutachten sind nach Artikel 117(1)(e) EPÜ grundsätzlich zulässige Beweismittel. Allerdings hält die Kammer die Beiziehung eines Sachverständigen im vorliegenden Fall nicht für erforderlich (Regel 117 EPÜ). Zum einen ist die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage nicht entscheidungsrelevant, wie aus den oben ausgeführten Entscheidungsgründen hervorgeht. Zum Anderen ist die Kammer selbst ausreichend fachkundig, um die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und Argumente zu verstehen und zu bewerten.
6. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Der Beschwerdeführer beantragt die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, da seiner Ansicht nach die Einspruchsabteilung in rechtsfehlerhafter Weise die Offenbarung von Glycerylcaprylat in P2 nicht erkannt habe.
Eine eventuelle Rückzahlung der Beschwerdegebühr richtet sich nach den Bestimmungen in Regel 103 EPÜ.
Insbesondere ist eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 101(3)(a) EPÜ an die Voraussetzung geknüpft, dass der Beschwerde stattgegeben wird. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall.
Die Bestimmungen der Regeln 103(1)(b) bzw. 103(2)-(4) EPÜ beziehen sich auf verschiedene Szenarien, in denen entweder die Beschwerde oder der Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen wird. Dies ist vorliegend ebenso wenig der Fall.
Gemäß Regel 103(5) EPÜ ist die in Regel 103(1)-(4) EPÜ vorgenommene Aufzählung abschließend. Da keiner dieser Fälle auf die vorliegende Beschwerde zutrifft, gibt es für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr keine Rechtsgrundlage.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Vernehmung eines Sachverständigen wird abgelehnt.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird abgelehnt