Informationen
Diese Entscheidung ist nur auf Französisch verfügbar.
T 2189/18 (Automatisches Hochfahren eines Antriebssystems/LENZE) 22-03-2021
Download und weitere Informationen:
Verfahren zum Betreiben eines elektrischen Antriebssystems und Antriebssystem
Unzulässige Erweiterung - (nein, nach Änderung)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung der vorliegenden europäischen Patentanmeldung. Die Zurückweisungsgründe waren unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung (Artikel 123 (2) EPÜ) und mangelnde Neuheit (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ) des Gegenstands von Anspruch 1 des einzigen der Entscheidung zugrunde liegenden Anspruchssatzes im Hinblick auf Dokument
D1: DE 10 2005 032 075 A1.
Im Abschnitt IV "Weitere Bemerkungen" der angefochtenen Entscheidung führte die Prüfungsabteilung aus, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 56 EPÜ), ausgehend von D1 in Kombination mit Dokument
D2: DE 20 2010 010 142 U1.
II. In ihrer Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ein Patent auf der Basis der mit der Beschwerde eingereichten Ansprüche gemäß Hauptantrag oder hilfsweise des ersten oder zweiten Hilfsantrags zu erteilen.
III. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt (mit einer Merkmalsgliederung, die der in der angefochtenen Entscheidung entspricht; siehe Entscheidungsgründe, Punkt 10.1):
"Verfahren zum Betreiben eines elektrischen Antriebssystems (100), wobei das elektrische Antriebssystem umfasst:
a. mindestens ein Steuergerät (2_1 bis 2_n) mit einer Anzahl von Betriebsparametern, denen einstellbare Betriebsparameterwerte zugeordnet sind, wobei das Steuergerät in Abhängigkeit von den Betriebsparameterwerten arbeitet und Betriebsparameterwerkseinstellungswerte nichtflüchtig speichert,
b. mindestens ein mit den [sic] Steuergerät gekoppeltes, übergeordnetes Verwaltungsgerät (4), das anwendungsspezifische Betriebsparameterwerte für das Steuergerät speichert, und
c. mindestens ein mit dem Verwaltungsgerät gekoppeltes Bediengerät (6_1, 6_2),
d. wobei bei einem Hochfahren des elektrischen Antriebssystems automatisiert folgende Schritte durchgeführt werden:
1. Einstellen der Betriebsparameterwerte auf die Betriebsparameterwerkseinstellungswerte in dem Steuergerät und
2. anschließend mittels des Verwaltungsgeräts Laden mindestens solcher anwendungsspezifischer Betriebsparameterwerte in das Steuergerät, die von den Betriebsparameterwerkseinstellungswerten abweichen, wobei im Steuergerät die entsprechenden Betriebsparameterwerte auf die geladenen anwendungsspezifischen Betriebsparameterwerte eingestellt werden,
e. wobei zur, insbesondere persistenten, Einstellung von Betriebsparameterwerten folgende Schritte durchgeführt werden:
1. mittels des Bediengeräts Verändern mindestens eines Betriebsparameterwertes in dem Steuergerät und
2. mittels des Bediengeräts Ansteuern des Verwaltungsgeräts derart, dass dieses die in dem Steuergerät aktuell eingestellten Betriebsparameterwerte ausliest und als die anwendungsspezifischen Betriebsparameterwerte für das Steuergerät speichert."
IV. Die Ansprüche 2 bis 7 des Hauptantrags sind auf den Anspruch 1 zurückbezogen.
1. Die Erfindung
Die vorliegende Anmeldung betrifft ein Verfahren zum Betreiben eines elektrischen Antriebssystems und ein elektrisches Antriebssystem bei dem Betriebsparameterwerte so verwaltet werden, dass diese dauerhaft und konsistent eingestellt werden können. Das Antriebssystem umfasst mindestens ein Steuergerät, beispielsweise einen parametrierbaren Frequenzumrichter, sowie ein übergeordnetes Verwaltungsgerät und mindestens ein Bediengerät. Zur Inbetriebnahme bzw. Wartung der Steuergeräte werden diese mit den Parameterwerten ihrer jeweiligen Werkseinstellung gestartet, welche lokal in einem nicht-flüchtigen Speicher gespeichert sind. Parameter bzw. Parameterwerte eines auf dem Verwaltungsgerät gespeicherten Parameterdatensatzes, welche von den Parametern in der Werkseinstellung abweichen, werden anschließend auf die Steuergeräte geladen und ersetzen somit die Werkseinstellung. Mittels des Bediengeräts können Parameterwerte der Steuergeräte online geändert werden. Diese werden dann im nicht-flüchtigen Speicher des Steuergeräts abgespeichert. Durch einen Befehl vom Bediengerät an das Verwaltungsgerät wird dieses aufgefordert, sich die aktualisierten Parameterwerte von dem Steuergerät zu laden, die dadurch dauerhaft im Antriebssystem verfügbar gemacht werden (siehe vorliegende Anmeldung wie ursprünglich eingereicht, Figur 1 und Seite 1, erster bis vierter Absatz, Seite 2, erster bis dritter Absatz, Seite 6, fünfter Absatz bis Seite 7, erster Absatz, Seite 8, dritter Absatz bis Seite 9, vorletzter Absatz).
2. Hauptantrag - Änderungen
2.1 Der in der angefochtenen Entscheidung erhobene Einwand der unzulässigen Erweiterung des beanspruchten Gegenstands (Artikel 123 (2) EPÜ) wurde durch die Streichung des betroffenen Ausdrucks "nach dem Hochfahren des elektrischen Antriebssystems" behoben. Die Ansprüche in der Fassung gemäß Hauptantrag entsprechen denen der ursprünglich eingereichten Fassung. Die Beschreibungsseiten wurden lediglich durch eine Würdigung des genannten Stands der Technik ergänzt.
2.2 Die geltenden Anmeldungsunterlagen erfüllen damit das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ.
3. Hauptantrag - Neuheit
3.1 Die Neuheit des beanspruchten Gegenstands gegenüber dem Stand der Technik D1 wurde in der angefochtenen Entscheidung verneint.
3.2 Die Kammer stimmt dem nicht zu. Dokument D1 offenbart ein Antriebsreglersystem mit mindestens einer Maschinensteuerung (siehe Figur 1: Steuerung 100), welche in einer ersten Ausführungsform einen
nicht-flüchtigen "Boot-Speicherbereich" (Speichermodul 50) zur dauerhaften Speicherung von Parametern des Antriebsreglersystems enthält. Darüber hinaus beinhaltet die Maschinensteuerung einen
"Spiegelboot-Speicherbereich" (Arbeitsspeicher 50a), der einem Abschnitt des normalen Arbeitsspeichers der Maschinensteuerung entspricht und in den zur Inbetriebnahme der Maschinensteuerung Daten aus dem Boot-Speicherbereich übertragen werden. Diese Parameter werden z.B. im Rahmen einer selbst-einstellenden Regleroptimierung verändert und in den
Boot-Speicherbereich zurückgeschrieben. Damit speichert das System ein Backup in dem Boot-Speicherbereich 50, welches sich dynamisch an jeweils neu gefundene und adaptierte Betriebszustände anpasst (siehe Zusammenfassung und Absätze [0005], [0007], [0049], [0051] und [0054]).
Die zweite Ausführungsform entspricht weitgehend der ersten; der Boot-Speicherbereich (siehe Figur 2: Speicherbereich 51) ist jedoch in einem mittels eines Datennetzes verbundenen "Host 60", d.h. einer "physisch weit entfernten Datenanlage", vorgesehen. Wie im ersten Ausführungsbeispiel erfolgt bei der Inbetriebnahme eine Übertragung von Parametern von dem Boot-Speicherbereich in den Spiegelboot-Speicher (50a) und ein "Rücklernen" durch Übertragung geänderter Parameter in den
Boot-Speicherbereich 51. Durch ein "PC-Tool" kann dann eine Änderung oder Aktualisierung von Parametern im Arbeitsspeicher des Antriebsreglers erfolgen (siehe Absätze [0021], [0057], [0063] und Anspruch 7).
3.3 Der Host 60 der zweiten Ausführungsform von D1 entspricht dem Verwaltungsgerät von Anspruch 1, während die Maschinensteuerung 100 dem anspruchsgemäßen Steuergerät entspricht. Das PC-Tool hat zwar die Funktionalität eines Bediengeräts, es bildet jedoch kein eigenständiges Gerät im Sinne von Merkmal c. D1 enthält zudem auch keinen Hinweis darauf, dass das
PC-Tool auf einem von dem Verwaltungsgerät und dem Steuergerät verschiedenen Gerät installiert sein könnte. Das Bediengerät nach Merkmal c ist daher nicht in D1 offenbart.
Gemäß der angefochtenen Entscheidung wird Merkmal e2 in Absatz [0021] und Anspruch 8 offenbart. Nach Absatz [0021] und Anspruch 8 findet ein Datenabgleich zwischen dem Arbeitsspeicher des Antriebsreglers und dem Boot-Speicherbereich statt. Dort wird aber nicht gezeigt, dass das PC-Tool durch "Ansteuern des Verwaltungsgeräts" die Rückübertragung der Parameter initiiert. Stattdessen erfolgt der Datenabgleich oder die Rückspeicherung vor dem Ausschalten der Maschinensteuerung (Absatz [0064] und Anspruch 28) oder "nach und nach" (Absätze [0051] und [0057]). D1 zeigt daher nicht die Auslösung der Rückspeicherung der Parameterwerte durch das Bediengerät nach Schritt e2.
Zudem wird in D1 nicht offenbart, dass der
Spiegelboot-Speicherbereich die Betriebsparameter-werkseinstellungswerte nicht-flüchtig entsprechend Merkmal a speichert. Hinsichtlich dieses Merkmals verweist die angefochtene Entscheidung auf Absatz [0067]. Demnach werden bei der Inbetriebnahme Default-Parameterwerte vom Boot-Speicherbereich in den Spiegelboot-Speicherbereich (Arbeitsspeicher 50a) geschrieben. Dies lässt jedoch keinen Rückschluss darauf zu, ob der Spiegelboot-Speicher ein
nicht-flüchtiger Speicher ist. Stattdessen wird die Passage so interpretiert, dass die Betriebsparameter-werkseinstellungswerte nicht-flüchtig im Speicher des Verwaltungsgeräts gespeichert und dann von diesem in den Speicher des Steuergeräts übertragen werden.
3.4 Damit ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags neu gegenüber D1 (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).
4. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
4.1 Die angefochtene Entscheidung umfasst lediglich in einem obiter dictum eine Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gegenüber den Dokumenten D1 und D2 (vgl. Punkt I oben).
4.2 Die Kammer stimmt zu, dass D1 den nächstliegenden Stand der Technik im Hinblick auf den beanspruchten Gegenstand darstellt. Die nicht-flüchtige Speicherung von Betriebsparameterwerkseinstellungswerten im Steuergerät nach Merkmal a bewirkt, dass die Steuerung nach dem Einschalten ohne Kopplung zum Verwaltungsgerät arbeiten kann. Die Merkmale c und e2 beziehen sich auf die Bereitstellung des PC-Tools aus D1 auf einem separaten Bediengerät und eine zweckmäßige Implementierung des "Rückschreibens" der geänderten Parameter.
Es besteht jedoch keine funktionelle Verbindung zwischen dem Unterscheidungsmerkmal a und den übrigen Unterscheidungsmerkmalen c und e2. Die Merkmale c und e2 sind nämlich beide auf die effiziente und konsistente Handhabung von Betriebsparameterwerten in einem elektrischen Antriebssystem gerichtet, da mittels des Bediengeräts physisch unabhängig von dem Verwaltungsgerät die Veränderung der Betriebsparameter in dem Steuergerät ermöglicht und durch Merkmal e2 - trotz der physischen Separierung - die Datenkonsistenz mit dem Verwaltungsgerät gewährleistet wird (siehe Anmeldung, Seite 1, vierter Absatz).
4.3 Daraus resultieren ausgehend von D1 die objektiven Teilaufgaben "eine stand-alone Betriebsweise (d.h. ohne Ankopplung an das Verwaltungsgerät) der Steuerung zu ermöglichen" und "eine effiziente und konsistente Handhabung von Betriebsparameterwerten zu ermöglichen".
4.4 Im Hinblick auf die zweite Teilaufgabe ergibt sich zwar aus Dokument D2 die Verwendung eines Bediengeräts (siehe Figur 2: Bedienterminal 9), aber es erfolgt kein Rückschreiben der Betriebsparameterwerte vom Steuergerät in das Verwaltungsgerät, insbesondere nicht ausgelöst durch eine Ansteuerung durch das Bediengerät. Damit führt die Kombination aus D1 und D2 nicht zu der beanspruchten Erfindung.
4.5 Es kann somit dahingestellt bleiben, ob eine Fachperson auf dem Gebiet der Automatisierungstechnik zur beanspruchten Lösung der ersten Teilaufgabe gelangt wäre.
4.6 Folglich beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf D1 in Kombination mit D2 (Artikel 56 EPÜ).
5. Es sind auch keine anderen Gründe ersichtlich, die einer Patenterteilung gemäß vorliegendem Hauptantrag entgegenstehen würden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf der Basis folgender Unterlagen zu erteilen:
- Beschreibung: Seiten 1 und 1a eingereicht mit
Schriftsatz vom 12. Mai 2015; Seiten 2 bis 9
wie ursprünglich eingereicht;
- Ansprüche: Nr. 1 bis 7 eingereicht mit Schriftsatz
vom 3. August 2018;
- Zeichnungen: Blatt 1/1 in der ursprünglich
eingereichten Fassung.