T 2374/18 17-03-2022
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Steckdosenvorrichtung für ein Möbel
A. & H. Meyer GmbH
Leuchten und Büroelektrik
Einwand in der Beschwerdebegründung ausreichend substantiiert (ja)
Änderung des Beschwerdevorbringens nach Ladung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 4 (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 2 328 238.
II. Die folgenden Dokumente sind für diese Entscheidung relevant:
D6: WO 2009/039277 A1
D9: Wikipedia Artikel "Keystone module", veröffentlicht am 9. September 2009
III. In der angefochtenen Entscheidung war die Einspruchsabteilung unter anderem zu dem Schluss gelangt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents gemäß Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9 beruhe.
IV. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien unter anderem mit, dass die Frage der erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Dokumente D6 und D9 gegebenenfalls zu erörtern sein würde.
V. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand in Anwesenheit der Parteien als Videokonferenz statt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 4, alle eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, aufrechtzuerhalten.
VI. Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) hat den folgenden Wortlaut (Merkmalsbezeichnungen in eckigen Klammern hinzugefügt):
"Steckdosenvorrichtung (1) zum Einsetzen oder Integrieren in ein Möbel,
[a] - mit einem Gehäuse (3),
[b] - mit mindestens einer Stromleitungsbuchse (13) mit mindestens einer Anschlussvorrichtung (15) zum Anklemmen mindestens eines Stromkabels
[c] - mit mindestens einer Aufnahmeöffnung (11) zur Aufnahme von Datenleitungsbuchsen (27) mit mindestens einer Datenschnittstelle (31),
[d] wobei das Gehäuse einen ersten Gehäuseteil (5) aufweist, der jede Stromleitungsbuchse und jede Anschlussvorrichtung (15) umschließt
[e] und von der mindestens einen Aufnahmeöffnung (11) und einer in der Aufnahmeöffnung (11) aufgenommenen Datenleitungsbuchse (27) räumlich trennt und elektrisch isoliert
[f] und einen zweiten Gehäuseteil (7) aufweist, in dem die mindestens eine Aufnahmeöffnung (11) angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
[g] die Datenleitungsbuchsen (27) in der mindestens einen Aufnahmeöffnung (11) austauschbar aufgenommen sind."
VII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 weist gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags folgende Änderung auf (Änderungen hervorgehoben):
"[...] [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass ]wobei die Datenleitungsbuchsen (27) in der mindestens einen Aufnahmeöffnung (11) austauschbar aufgenommen sind, derart, dass eine Datenleitungsbuchse (27) aus der mindestens einen Aufnahmeöffnung (11) herausnehmbar und einsteckbar ist, ohne dass die Gefahr eines Stromschlages von der Anschlussvorrichtung (15), der Stromleitungsbuchse (13) oder des an der Anschlussvorrichtung (15) angeschlossenen Stromkabels besteht."
VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 weist gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags folgende Änderung auf (Hinzufügung durch Unterstreichung hervorgehoben):
"[...] die Datenleitungsbuchsen (27) in der mindestens einen Aufnahmeöffnung (11) austauschbar aufgenommen sind, wobei die mindestens eine Aufnahmeöffnung (11) eine Zugangsöffnung aufweist, durch die die Datenleitungsbuchsen (27) von der Unterseite (4) der Steckdosenvorrichtung her einsteckbar sind."
IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 weist gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags folgende Änderung auf (Hinzufügung durch Unterstreichung hervorgehoben):
" [...] wobei das Gehäuse einen ersten Gehäuseteil (5) aufweist, der einen abgeschlossenen Raum bildet und jede Stromleitungsbuchse und jede Anschlussvorrichtung (15) umschließt [...]"
X. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 umfasst die Änderungen der Hilfsanträge 2 und 3 (siehe Punkt VIII. und IX.).
XI. Die relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Ausreichende Substantiierung (Artikel 12 (2) VOBK 2007)
Die Ausführungen unter Punkt 4.4 der Beschwerdebegründung böten eine ausreichende Grundlage für die Erörterung der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9, sodass der entsprechende Einwand ausreichend substantiiert sei.
Änderung des Beschwerdevorbringens (Artikel 13 (2) VOBK 2020)
Bei dem im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgebrachten ergänzenden Vortrag handele es sich nicht um eine Änderung des Beschwerdevorbringens. Die mündliche Verhandlung diene vorrangig der Erörterung von Argumenten. Die Beschwerdeführerin sei insofern nicht beschränkt auf die in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumente. Das ergänzende Vorbringen sei im Übrigen prima facie relevant für die Frage der erfinderischen Tätigkeit.
Hauptantrag - Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf das Dokument D6 in Kombination mit D9. Es werde auf die Figuren 11, 12 und 18 in Verbindung mit der Beschreibung auf Seite 29, Zeile 20 bis Seite 31, Zeile 7 von D6 verwiesen. Insbesondere aus Seite 30, letzter Absatz bis Seite 31, erster Absatz von D6 ergebe sich, dass die Kommunikationskanäle 207 nicht nur Datenleitungsbuchsen 176, sondern auch andere elektrische oder der Kommunikation dienende Steckdosen und ähnliche Vorrichtungen umfassen könnten. Der Fachmann verstehe dies so, dass eine Flexibilität in dieser Hinsicht erwünscht ist.
Die Anforderungen an verschiedene Arten von Datenverbindungskonfigurationen, die bei der Entwicklung unterschiedlicher Systeme verwendet würden, änderten sich ständig. Die Notwendigkeit, die Konfiguration von Datenleitungsbuchsen ändern zu können, sei somit ein dem Fachmann bekanntes Problem.
Vor diesem Hintergrund bestehe höchstwahrscheinlich Bedarf am Austausch der Datenleitungsbuchse noch vor Ablauf der Lebensdauer der Steckdosenvorrichtung, während die Stromversorgungsbuchse unverändert bliebe. Daher bestehe die Notwendigkeit, die Datenleitungsbuchsen der Steckdosenvorrichtung gemäß D6 relativ häufig zu wechseln.
Das Dokument D9 offenbare ein entsprechendes System, welches die flexible Anpassung der Datenleitungsbuchsen mit Hilfe von "Keystone" Modulen ("Keystone modules") ermögliche. Die "Keystone" Module seien von Haus aus für einen Austausch vorgesehen, siehe insbesondere Seite 1, erster und zweiter Absatz des Dokuments D9.
Es sei daher für einen Fachmann naheliegend gewesen, die Vorrichtung des Dokuments D6 unter Berücksichtigung des Dokuments D9 so anzupassen, dass die Datenleitungsbuchsen in einer Aufnahmeöffnung austauschbar aufgenommen seien. Eine erhebliche Änderung des Gehäuses der Steckdosenvorrichtung gemäß D6 sei hierfür nicht erforderlich gewesen.
Hilfsantrag 1 - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 sei bereits in dem Dokument D6 offenbart. Es werde insbesondere auf die Kommunikationskanäle 207 verwiesen, in denen die Datenleitungsbuchsen 176 angeordnet seien, und durch die eine Datenleitungsbuchse herausnehmbar und einschiebbar sei, ohne dass die Gefahr eines Stromschlages bestehe. Die Anschlussvorrichtung, die Stromleitungsbuchse und das an die Anschlussvorrichtung angeschlossene Stromkabel seien räumlich getrennt und elektrisch isoliert von den Datenleitungsbuchsen, sodass eindeutig keine Gefahr eines Stromschlages bestehe. Es werde insbesondere auf die Beschreibung des Dokuments D6 auf Seite 31, Zeilen 3 bis 7 verwiesen. Es handele sich bei dem in D6 offenbarten Gehäuseteil 190 ("protected compartment") um einen ersten Gehäuseteil im Sinne der Merkmale [d] und [e] des Anspruchs 1. Die Funktion des Ausschlusses der Gefahr eines Stromschlages sei somit gleichermaßen durch das konstruktiv identische Gehäuseteil 190 des Dokuments D6 verwirklicht.
Hilfsantrag 2 - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Aus dem Dokument D9 ergebe sich, dass die "Keystone" Module von der Unterseite der Steckdosenvorrichtung her eingeführt würden. Das Einführen der Datenleitungsbuchsen von der Unterseite der Steckdosenvorrichtung her, stelle jedenfalls eine Routinemaßnahme des Fachmanns dar, die keinerlei technische Probleme bereite.
Hilfsanträge 3 und 4 - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 3 und 4 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Es bestünden keine strukturellen Unterschiede zwischen dem die stromführenden Teile einschließenden Gehäuseteil 190 des Dokuments D6 einerseits und der beanspruchten Erfindung andererseits. Auch das erste Gehäuseteil gemäß Anspruch 1 müsse zur Durchführung des Stromkabels zwingend eine Öffnung aufweisen. Beide Gehäuseteile seien somit in gleichem Maße vollständig im Sinne des Anspruchs 1 eingeschlossen. Die Offenbarung auf Seite 31, Zeilen 4 bis 5 von D6 ("substantially shielded") stehe dem nicht entgegen.
XII. Die relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Ausreichende Substantiierung (Artikel 12 (3) VOBK 2020, Artikel 12 (2) VOBK 2007)
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung im Hinblick auf eine mangelnde erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9 seien nicht ausreichend substantiiert.
In der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 4.18 der Entscheidungsgründe) habe die Einspruchsabteilung den "could/would approach" im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes angewendet. Sie sei insbesondere davon ausgegangen, dass der Fachmann aufgrund der hierzu erforderlichen Änderungen das Merkmal [g] nicht in der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtung implementiert hätte.
Auf diesen Aspekt der Entscheidungsgründe sei die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht eingegangen. Es sei lediglich pauschal dargelegt worden, dass der Fachmann durch eine Kombination der Dokumente D6 und D9 zur Erfindung gelangt wäre. Der betreffende Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit sei daher nicht ausreichend substantiiert. Insbesondere sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt als unzutreffend anzusehen sei.
Änderung des Beschwerdevorbringens (Artikel 13 (2) VOBK 2020)
Die Beschwerdeführerin habe in der mündlichen Verhandlung erstmals zur Offenbarung der Merkmale [a] bis [f] in dem Dokument D6 sowie zur Frage vorgetragen, ob der Fachmann eine Änderung der Steckdosenvorrichtung gemäß D6 tatsächlich vorgenommen hätte, um zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen ("could/would approach"). Sie habe ferner erstmals auf den die Seiten 30 bis 31 überbrückenden Absatz des Dokuments D6 verwiesen. Dieser Vortrag stelle eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar, welcher nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen sei, da keine außergewöhnlichen Umstände vorlägen.
Hauptantrag - Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ
Das Merkmal [g] des Anspruchs 1 betreffe die bewusste Austauschbarkeit der Datenleitungsbuchse in der mindestens einen Aufnahmeöffnung. Ausgehend von dem Unterscheidungsmerkmal [g] bestehe die objektive technische Aufgabe in der Weiterbildung einer Steckdosenvorrichtung, die besonders flexibel einsetzbar ist (siehe Absatz [0006] des Streitpatents).
Das Dokument D6 offenbare höchstens die Möglichkeit, dass die Steckdosenvorrichtung unterschiedlich konfiguriert sein könne. Der Hersteller könne das Produkt somit anpassen. Hierbei handele es sich jedoch nicht um eine Austauschbarkeit im Sinne des Merkmals [g]. Insbesondere ergebe sich ein Hinweis auf eine Austauschbarkeit nicht aus dem die Seiten 30 und 31 des Dokuments D6 überbrückenden Absatz.
Der Fachmann hätte das Dokument D9 zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe daher nicht herangezogen. Selbst wenn er jedoch das Dokument D9 in Betracht gezogen hätte, hätte der Fachmann aufgrund der erforderlichen Änderungen der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtung eine Kombination nicht vorgenommen, um zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.
Hilfsantrag 1 - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9. Ausgehend von dem Dokument D6 stelle sich im Lichte des neuen Merkmals des Anspruchs 1 die objektive technische Aufgabe, die Steckdosenvorrichtung so auszubilden, dass sie für den Nutzer so veränderbar ist, dass keine Gefahr eines Stromschlages bestehe. Der Fachmann erhalte aus dem Dokument D6 keinen Hinweis dahingehend, einen Austausch der Datenleitungsbuchsen so vorzunehmen, dass keine Gefahr für einen Stromschlag bestehe. Das Dokument D6 offenbare zwar eine elektrische Isolation. Dies bedeute jedoch nicht, dass ein gefahrloser Austausch der Datenleitungsbuchsen möglich sei. Insbesondere offenbare das Dokument D6 auf Seite 31, Zeilen 4 bis 5, dass die Stromleitungsbuchsen 180 und die zugehörigen Stromkabel 182 im Wesentlichen von den Datenleitungsbuchsen 176 und den zugehörigen Datenkabeln 178 abgeschirmt seien ("substantially shielded"). Es sei somit klar, dass nach der Lehre des Dokuments D6 die Gefahr eines Stromschlages nicht vollständig gebannt sei. Auch konstruktiv bestehe ein deutlicher Unterschied zwischen den die Stromleitungsbuchsen einschließenden Gehäuseteilen. In dem Dokument D6 sei nämlich der Gehäuseteil 190 mit einem Deckel versehen, der eine Öffnung aufweise. Bereits aus diesem Grund könne die Gefahr eines Stromschlages nicht im Sinne des Anspruchs 1 ausgeschlossen werden.
Hilfsantrag 2 - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9. Die objektive technische Aufgabe des neuen Merkmals des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 sei ein flexibler Einsatz und eine vereinfachte Handhabung der in D6 offenbarten Vorrichtung. Aus dem Dokument D6, Figuren 11 und 12, sei erkennbar, dass die Datenleitungsbuchse 176 vorne eine verbreiterte Blende aufweise. Ein Einführen der Datenleitungsbuchse durch eine Zugangsöffnung von der Unterseite der Steckdosenvorrichtung her, im Sinne des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2, sei daher nicht möglich. Vielmehr müsse die Datenleitungsbuchse von vorne eingesteckt werden. Um die Datenleitungsbuchse von der Unterseite der Steckdosenvorrichtung einzustecken, müsse der Fachmann eine erhebliche Umkonstruktion vornehmen. Das Dokument D9 offenbare nicht, wie das "Keystone" Modul eingeführt und befestigt werde. Es seien somit zusätzliche Kenntnisse notwendig, welche über das Fachwissen des Fachmanns hinausgingen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsanträge 3 und 4
Anspruch 1 der Hilfsanträge 3 und 4 spezifiziere jeweils, dass der erste Gehäuseteil einen abgeschlossenen Raum bilde. Dies sei bei dem Gehäuseteil 190 des Dokuments D6 nicht der Fall. Das Gehäuseteil 190 sei nämlich durch einen Deckel verschließbar und bilde folglich keinen abgeschlossenen Raum im Sinne des Anspruchs 1. Er weise im Übrigen eine Öffnung auf. Es werde des Weiteren auf die Beschreibung des Dokuments D6 auf Seite 31, Zeilen 4 bis 5 verwiesen ("substantially shielded"). Daraus gehe hervor, dass es sich nicht um eine vollständige Abschirmung im Sinne eines abgeschlossenen Raumes handele. Es bestünden somit deutliche strukturelle Unterschiede zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem Gehäuseteil 190 der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtung. Der Gegenstand der Hilfsanträge 3 und 4 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Ausreichende Substantiierung (Artikel 12 (3) VOBK 2020, Artikel 12 (2) und (4) VOBK 2007)
2.1 Gemäß Artikel 12 (3) VOBK 2020 (vgl. auch Artikel 12 (2) VOBK 2007) muss die Beschwerdebegründung das vollständige Beschwerdevorbringen des Beschwerdeführers enthalten. Sie soll "angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben" und soll "ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen".
Diesem Substantiierungserfordernis genügt die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin im Hinblick auf den erhobenen Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9 unter Berücksichtigung des Inhalts der in der angefochtenen Entscheidung gegebenen Begründung der Einspruchsabteilung.
2.2 Die Einspruchsabteilung hat unter Punkt 4.15 der Entscheidungsgründe dargelegt, dass das Merkmal [g] als (einziges) Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und dem nächstliegenden Stand der Technik D6 anzusehen sei.
Unter Punkt 4.18 der Entscheidungsgründe hat die Einspruchsabteilung anschließend Folgendes ausgeführt:
"[...] Der Fachmann entnimmt der D6 keinen Hinweis darauf, das Merkmal g) in der D6 zu realisieren. Dafür hätte er die in D6 anwesende Datenleitungsbuchse entfernen, durch eine trennbare Kombination von Kabel und keystone module ersetzen, und die entsprechende Aufnahmeöffnung der Datenleitungsbuchse zu den Abmessungen der in D9 beschriebene [sic] keystone Module adaptieren müssen. Er bräuchte neue Werkzeuge, um die Gehäuse entsprechend herzustellen oder andere mechanische Änderungen durchzuführen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher nicht naheliegend."
2.3 Die Beschwerdeführerin hat unter Punkt 4.4 der Beschwerdebegründung dargelegt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9 beruhe. Sie hat ausgeführt, was in D6 offenbart wird und hat sich dabei insbesondere auf die Figuren 11 und 18 sowie auf die Beschreibung auf Seite 30, Zeilen 1 bis 10 und Seite 6 Zeilen 22 bis 24 des Dokuments D6 bezogen.
Zu den Ausführungen der Einspruchsabteilung unter Punkt 4.18 hat sie im Wesentlichen ausgeführt, es bestehe ein bekannter Bedarf an einem relativ häufigen Austausch der Datenleitungsbuchsen im Lichte der sich ständig ändernden Anforderungen an die Art der Datenverbindungskonfiguration für verschiedene entwickelte Systeme. Das Dokument D9 würde ein entsprechendes System bereitstellen, welches die Austauschbarkeit von Datenleitungsbuchsen unter Verwendung der "Keystone" Module ermögliche. Es sei daher für einen Fachmann naheliegend gewesen, die in D6 offenbarte Steckdosenvorrichtung entsprechend anzupassen, damit die Datenleitungsbuchse in der mindestens einen Aufnahmeöffnung austauschbar aufgenommen werden könne.
2.4 Die Beschwerdegegnerin hat insbesondere geltend gemacht, die Einspruchsabteilung habe den "could/would approach" angewendet. Hierauf sei die Beschwerdeführerin jedoch weder in ihrem schriftlichen noch in ihrem mündlichen Vortrag eingegangen. Diesem Argument kann sich die Kammer nicht anschließen.
In der dritten Phase des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes gilt es zu klären, ob eine Fachperson den Gegenstand des Streitpatents nicht nur hätte ausbilden können, sondern vielmehr, ob er es in der Erwartung auf eine Lösung der zugrunde liegenden technischen Aufgabe bzw. in der Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch getan hätte (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, I.D.5.).
Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung pauschal festgestellt, dass der Fachmann dem Dokument D6 keinen Hinweis auf die Implementierung des Merkmals [g] entnehme. Darüber hinaus hat sie lediglich die ihrer Auffassung nach erforderlichen Änderungen der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtung dargelegt.
Die Beschwerdeführerin ist diesen Feststellungen entgegengetreten, indem sie fundiert ausgeführt hat, es bestehe ein allgemeines Bedürfnis an einer Austauschbarkeit der Datenleitungsbuchsen und es wäre daher offensichtlich für den Fachmann, die in D6 offenbarte Vorrichtung unter Bezugnahme auf das Dokument D9 so anzupassen, dass die Datenleitungsbuchse austauschbar aufgenommen ist.
Aus diesem Vortrag ergibt sich auch implizit, dass sie eine Änderung der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtung durch eine Fachperson nicht nur für möglich gehalten hat. Vielmehr war sie eindeutig der Auffassung, dass die Fachperson etwaige erforderliche Änderungen im Sinne des "could/would approaches" aufgrund des bestehenden Bedürfnisses an einer Austauschbarkeit der Datenleitungsbuchsen auch vorgenommen hätte. Die in der angefochtenen Entscheidung erfolgte schlichte Aufzählung, welche Änderungen vorgenommen werden müssen und dass hierzu Werkzeuge notwendig wären, steht dem nicht entgegen, denn sie lässt nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, warum die Fachperson trotz des bestehenden Bedürfnisses davon abgesehen hätte, die Änderungen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund bedurfte es hierzu keiner spezifischeren Ausführungen um dem Substantiierungsgebot zu genügen.
Die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung dargelegten Ausführungen ermöglichen es der Kammer daher insgesamt zu verstehen, aus welchen Gründen sie der Auffassung war, dass die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt unzutreffend war. Der betreffende Vortrag ermöglicht es der Kammer darüber hinaus, ohne das Anstellen eigener Überlegungen und Nachforschungen zu verstehen, aus welchen Gründen der Gegenstand des Anspruchs 1 im Lichte einer Kombination der Dokumente D6 und D9 ausgehend vom Aufgabe-Lösungs-Ansatz als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen wurde.
2.5 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der Vortrag der Beschwerdeführerin zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9 schon in der Beschwerdebegründung ausreichend substantiiert war im Sinne von Artikel 12 (3) VOBK 2020 bzw. Artikel 12 (2) VOBK 2007. Der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination von D6 mit D9 ist daher im Beschwerdeverfahren unter Artikel 12 (4) VOBK 2007 zu berücksichtigen.
3. Änderung des Beschwerdevorbringens (Artikel 13 (2) VOBK 2020)
3.1 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 (anwendbar unter Artikel 25 (3) VOBK 2020) bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
3.2 Im Laufe der mündlichen Verhandlung verwies die Beschwerdeführerin im Rahmen der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9 insbesondere auf D6, Seite 30, Zeile 24 bis Seite 31, Zeile 1. Sie hat hierzu ausgeführt, dass sich aus dieser Offenbarungsstelle ein starker Hinweis auf die Notwendigkeit ergebe, die Steckdosenvorrichtung flexibel für verschiedene Arten von Datenleitungsbuchsen auszugestalten. Es kann dahinstehen, ob es sich insoweit um neues Vorbringen handelt, da die Bezugnahme auf D6, Seite 30, Zeile 24 bis Seite 31, Zeile 1 für die vorliegende Entscheidung nicht relevant ist. Vielmehr ergibt sich die Notwendigkeit flexibler Steckdosenvorrichtungen bereits aus dem schriftlichen Vorbringen in der Beschwerdebegründung in Verbindung mit dem darin zitierten Dokument D9, wonach regelmäßig verschiedene Datenverbindungssysteme entwickelt werden.
3.3 Auch die explizite Aussage der Beschwerdeführerin, die vorzunehmenden Änderungen seien nicht erheblich und hätten den Fachmann nicht an der Implementierung der Erfindung in der Steckdosenvorrichtung gemäß D6 gehindert, stellt keine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 dar.
Wie die Kammer unter Punkt 2.4 oben dargelegt hat, ergibt sich dieser Vortrag zumindest implizit aus der Beschwerdebegründung und wurde durch das weitere Vorbringen daher lediglich konkretisiert. Es handelt sich daher nur um eine Spezifizierung des unter Punkt 4.4 ihrer Beschwerdebegründung dargelegten Sachvortrags in Verbindung mit den Ausführungen in Ziffer 4.18 der angefochtenen Entscheidung, in der die notwendigen Anpassungsmaßnahmen bereits aufgelistet waren.
3.4 Auch die mündlichen Ausführungen der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die weiteren Merkmale [a] bis [f] des Anspruchs 1 beinhalten keine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020.
Die angefochtene Entscheidung beruht im Hinblick auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 mit D9 auf der Feststellung, dass es sich bei dem Merkmal [g] um das einzige Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Dokument D6 handelt (siehe insbesondere die Punkte 4.12 bis 4.15 der Entscheidungsgründe). Aus Punkt 4.4 der Beschwerdebegründung ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin der angefochtenen Entscheidung in diesem Punkt gefolgt ist. Eine weitere Substantiierung im schriftlichen Beschwerdeverfahren war nicht erforderlich, weil die Beschwerdegegnerin die Offenbarung der weiteren Merkmale in ihrer Beschwerdeerwiderung nicht bestritten hat.
Insofern stellt auch das ergänzende Vorbringen in der mündlichen Verhandlung lediglich eine Spezifizierung dessen dar, was dem Beschwerdeverfahren bereits aufgrund der angefochtenen Entscheidung und der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin zugrunde lag, Artikel 12 (1) a) und b) VOBK 2020.
3.5 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der mündliche Vortrag der Beschwerdeführerin keine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 darstellt. Er war daher im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.
4. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ)
4.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9.
Geeigneter Startpunkt
4.2 Das Dokument D6 kann unstreitig als geeigneter Startpunkt im Rahmen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz angesehen werden.
Unterscheidungsmerkmal
4.3 Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Beschwerdeerwiderung nicht bestritten, dass es sich bei dem Merkmal [g] um das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Dokument D6 und dem Gegenstand des Anspruchs 1 handelt. Sie hat auch in der mündlichen Verhandlung weitere Unterschiede nicht substantiiert dargelegt.
Objektive technische Aufgabe
4.4 Die Einspruchsabteilung hat ausgehend von dem Unterscheidungsmerkmal [g] die objektive technische Aufgabe darin gesehen, die Austauschbarkeit der Datenleitungsbuchsen zu ermöglichen (siehe Punkt 4.16 der Gründe).
Die von der Einspruchsabteilung vorgeschlagene objektive Aufgabe enthält jedoch bereits explizite Hinweise auf die Lösung gemäß Merkmal [g] und stellt deshalb keine geeignete Aufgabe im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes dar.
Die Kammer legt der weiteren Beurteilung daher die von den Parteien übereinstimmend formulierte objektive technische Aufgabe zu Grunde, nach der eine Steckdosenvorrichtung derart weiterzubilden ist, dass sie besonders flexibel einsetzbar ist.
Naheliegen
4.5 Die Lösung der objektiven technischen Aufgabe gemäß Merkmal [g] wird durch das Dokument D9 nahegelegt.
Das Dokument D9 offenbart ein sogenanntes "Keystone" Module. Dabei handelt es sich um ein standardisiertes austauschbares Bauteil mit Einrastfunktion, bei dem es sich beispielsweise um eine Datenleitungsbuchse handeln kann, siehe das obere Foto auf Seite 1 des Dokuments D9.
Die Beschwerdeführerin hat unter Verweis auf die Beschreibung in den ersten und zweiten Absätzen des Dokuments D9 zutreffend dargelegt, dass der Zweck eines "Keystone" Moduls in der Möglichkeit des flexiblen Austausches liege. In diesem Zusammenhang offenbart das Dokument D9 insbesondere das Folgende:
"Alle Keystones sind, unabhängig von der Art der Buchse, die sie tragen, austauschbar und ersetzbar. Dies bietet viel Flexibilität bei der Anordnung und Montage vieler verschiedener Arten von elektrischen Buchsen in einer Platte oder einem Paneel, ohne dass eine kundenspezifische Fertigung erforderlich ist." (deutsche Übersetzung des englischen Originaltextes)
4.6 Es mag zutreffen, dass das Dokument D6 keinen expliziten Hinweis auf eine Austauschbarkeit der Datenleitungsbuchen enthält. Dies ist vorliegend zum Nachweis des Naheliegens jedoch nicht erforderlich. Insoweit hat die Beschwerdeführerin bereits in der Beschwerdebegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass es der auf dem Gebiet der Steckdosenvorrichtungen tätigen Fachperson bekannt war, dass Datenleitungsbuchsen im Rahmen der Entwicklung unterschiedlicher Systeme angepasst und daher häufig ausgetauscht werden müssen. Diesen Vortrag hat die Beschwerdegegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung (dort Seite 15 4. Absatz) zitiert, aber nicht bestritten. Die Beschwerdeführerin hat zudem darauf hingewiesen, dass D9 ein modulares System offenbart, das diese notwendigen Konfigurationsmaßnahmen ermöglicht. Die Fachperson hätte somit einen Bedarf an einem flexibleren Einsatz der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtungen gesehen, d.h. einen Bedarf, die Steckdosenvorrichtung gegebenenfalls an verschiedene Gegebenheiten anzupassen.
Die Lösung der objektiven technischen Aufgabe hätte die Fachperson unmittelbar in D9 gefunden, die eine austauschbare Datenleitungsbuchse ("Keystone" Modul) im Sinne des Merkmals [g] offenbart. Auch der Offenbarungsgehalt von D9 wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten.
4.7 Die für den Einsatz der "Keystone" Module erforderlichen konstruktiven Änderungen der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtung hätten die Fachperson von einer Kombination der Dokumente D6 und D9 nicht abgehalten.
Für die Kammer ist nicht ersichtlich, dass die im Rahmen des Herstellungsprozesses der Steckdosenvorrichtung vorzunehmenden Modifikationen derart erheblich wären, dass die Fachperson sie nicht in Betracht gezogen hätte. Vielmehr zeigen auch die Darlegungen der Einspruchsabteilung unter Ziffer 4.18 der angefochtenen Entscheidung, dass eine Anpassung des Gehäuses lediglich im Bereich der Aufnahme der Datenleitungsbuchsen notwendig gewesen wäre, um die Aufnahme der "Keystone" Module zu ermöglichen. Es handelt sich insofern allenfalls um vorzunehmende fachmännische Anpassungen des durch D6 implizierten Herstellungsprozesses, die bereits üblich und notwendig ist, um die Steckdosenvorrichtung an unterschiedliche Konfigurationen anzupassen.
Die Einspruchsabteilung hat diesbezüglich in der angefochtenen Entscheidung dargelegt, welche konstruktiven Änderungen sie für notwendig erachtet, um ausgehend von der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtung zu der beanspruchten Erfindung zu gelangen. Sie hat jedoch nicht dargelegt, aus welchen Gründen diese Änderungen als so umfangreich oder kompliziert anzusehen wären, dass sie die Fachperson nicht in Erwägung gezogen hätte. Der Umstand, dass - wie von der Einspruchsabteilung dargelegt - Werkzeuge erforderlich wären, um das Gehäuse entsprechend herzustellen spricht nicht gegen eine Kombination von D6 mit D9. Vielmehr entspricht es dem allgemeinen Fachwissen und Können, gegenständliche Veränderungen unter Verwendung von Werkzeugen, insbesondere den erforderlichen Gussformen, vorzunehmen. Konkrete Umstände, die darauf hindeuten, dass hierfür im vorliegenden Fall besonders komplizierte Werkzeuge oder Maßnahmen erforderlich wären, wurden weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.
Der völlig allgemeine Hinweis der Beschwerdegegnerin auf Seite 15, 4. Absatz in ihrer Beschwerdeerwiderung, die Ausgestaltung von Dokument D6 bedürfe "einer zu großen Änderung, um die in D9 beschriebenen Keystone-Module verwenden zu können", ist nicht geeignet, konkrete Umstände aufzuzeigen, die die Fachperson trotz des bestehenden Anpassungsbedürfnisses davon abgehalten hätten, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.
4.8 Die Kammer ist daher zu der Überzeugung gelangt, dass die Fachperson auf der Suche nach Lösungen für die Schaffung einer Steckdosenvorrichtung, die besonders flexibel einsetzbar ist, unmittelbar das Dokument D9 und die darin offenbarten "Keystone" Module in Betracht gezogen hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie von einer Kombination der Dokumente D6 und D9 abgehalten worden wäre.
4.9 Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird somit durch eine Kombination der Dokumente D6 und D9 nahegelegt und beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Einspruchsgrund unter Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Streitpatents folglich entgegen.
5. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
5.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9.
5.2 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 weist gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags das folgende zusätzliche Merkmal auf:
"... dass eine Datenleitungsbuchse (27) aus der mindestens einen Aufnahmeöffnung (11) herausnehmbar und einsteckbar ist, ohne dass die Gefahr eines Stromschlages von der Anschlussvorrichtung (15), der Stromleitungsbuchse (13) oder des an der Anschlussvorrichtung (15) angeschlossenen Stromkabels besteht."
5.3 Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass das neue Merkmal des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 bereits durch das Dokument D6 offenbart wird. Insbesondere folgt die Kammer nicht dem Argument der Beschwerdegegnerin, wonach das in Anspruch 1 neu aufgenommene Merkmal konstruktive Details impliziere, welche über die Offenbarung des Dokuments D6 hinausgehen.
Das Dokument D6 offenbart ein Gehäuseteil 190, welches im Sinne der Merkmale [d] und [e] jede Stromleitungsbuchse und jede Anschlussvorrichtung umschließt und sie von der mindestens einen Aufnahmeöffnung und einer in die Aufnahmeöffnung aufgenommenen Datenleitungsbuchse räumlich trennt und elektrisch isoliert (siehe auch D6, Seite 31, Zeilen 3 bis 7). Dass die Merkmale [d] und [e] in dem Dokument D6 offenbart sind, hat die Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren im Übrigen nicht bestritten.
Die Kammer kann weder strukturelle noch funktionale Unterschiede zwischen dem Gehäuseteil 190 und dem von Anspruch 1 beanspruchten ersten Gehäuseteil erkennen. Insbesondere ändert daran auch die Tatsache nichts, dass das Gehäuseteil 190 in dem Dokument D6 mit einem Deckel verschlossen ist. Auch das in D6 offenbarte Gehäuseteil 190 erfüllt die Funktion einer Trennung und elektrischen Isolation der Datenleitungsbuchse von den stromführenden Teilen. Durch die Funktion der elektrischen Isolation und räumlichen Trennung des Gehäuseteils 190 wird somit die Gefahr eines Stromschlages beim Herausnehmen und Einstecken einer Datenleitungsbuchse gemäß dem neu aufgenommenen Merkmal gebannt.
Die Formulierung "im Wesentlichen abgeschirmt" oder "weitgehend abgeschirmt" ("substantially shielded") auf Seite 31, Zeilen 4 und 5 des Dokuments D6, steht den obigen Feststellungen nicht entgegen. Insbesondere stimmt die Kammer mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass hierdurch zumindest keine größere Gefahr eines Stromschlages impliziert wird, als es bei dem beanspruchten Gegenstand der Fall ist.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass in dem Dokument D6 das Herausnehmen und Einstecken einer Datenleitungsbuchse derart möglich ist, dass keine Gefahr eines Stromschlages besteht.
5.4 Im Übrigen gelten die Feststellungen der Kammer zum Hauptantrag gleichermaßen für den Hilfsantrag 1.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
6. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
6.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9.
6.2 Das Einstecken der Datenleitungsbuchsen von der Unterseite der Steckdosenvorrichtung her stellt eine fachübliche Maßnahme dar, die die Fachperson unter Zuhilfenahme ihres Fachwissens bei der Implementierung der "Keystone" Module in die Steckdosenvorrichtung gemäß D6 vorgenommen hätte, ohne erfinderisch tätig zu werden.
Zur Realisierung eines flexibleren Einsatzes und einer vereinfachten Handhabung der Steckdosenvorrichtung hätte die Fachperson insbesondere ohne Weiteres erkannt, dass die Datenleitungsbuchsen in dem Dokument D6 von der Unterseite der Steckdosenvorrichtung her mittels der Kommunikationskanäle 207 einsteckbar sind.
Das zusätzliche Merkmal betrifft somit allenfalls eine Maßnahme, die die Fachperson im Rahmen ihres fachüblichen Handelns bei der Implementierung der in D9 offenbarten Lehre (austauschbare "Keystone" Module) in die Steckdosenvorrichtung gemäß D6 vorgesehen hätte.
Insofern kommt es auch nicht entscheidend auf die Frage an, ob das Dokument D9 das Einführen von der Unterseite der Steckdosenvorrichtung her durch die spezifische Form der "Keystone" Module impliziert oder nicht.
6.3 Im Übrigen gelten die Feststellungen der Kammer zum Hauptantrag gleichermaßen für den Hilfsantrag 2.
Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.
7. Hilfsanträge 3 und 4 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
7.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 3 und 4 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9.
7.2 Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass das abgeschlossene Gehäuseteil 190 der in D6 offenbarten Steckdosenvorrichtung einen abgeschlossenen Raum im Sinne des Anspruchs 1 bildet, wie in Anspruch 1 der beiden Hilfsanträge 3 und 4 jeweils spezifiziert wird. Sie hat insbesondere zutreffend dargelegt, dass auch der von Anspruch 1 umfasste erste Gehäuseteil eine Öffnung zur Durchleitung des Stromkabels aufweisen müsse.
Weiterhin ergibt sich aus der Offenbarung auf Seite 31, Zeilen 4 bis 5 ("substantially shielded") nicht, dass der die Stromleitungsbuchse 180 und die Anschlussvorrichtung umschließende Gehäuseteil 190 einen in geringerem Maße abgeschlossenen Raum bildet, als es nach dem beanspruchten Gegenstand der Fall wäre.
Das Dokument D6 offenbart auf Seite 29, Zeile 20 bis Seite 30, Zeile 6 in Verbindung mit Figur 11 jedenfalls unmittelbar und eindeutig ein Gehäuseteil 190, das die stromführenden Teile im Sinne der Merkmale [d] und [e] des Anspruchs 1 umschließt und eine räumliche Trennung und elektrische Isolation zu der Datenleitungsbuchse herstellt.
Weiterhin ist zu bemerken, dass die spezifische Ausbildung des ersten Gehäuseteils in Anspruch 1 nicht näher definiert ist. Die Tatsache, dass das in D6 offenbarte Gehäuseteil 190 mit einem Deckel verschließbar ist, steht der Ausbildung eines abgeschlossenen Raumes durch das Gehäuseteil 190 somit nicht entgegen. Durch den Deckel ist das Gehäuseteil 190 nämlich jedenfalls so verschließbar, dass ein abgeschlossener Raum im Sinne des Anspruchs 1 gebildet wird.
Es besteht daher weder in funktionaler noch in struktureller Hinsicht ein Unterschied zwischen dem Gehäuseteil 190 und dem ersten Gehäuseteil gemäß Anspruch 1 im Hinblick auf seine Ausbildung als abgeschlossener Raum.
7.3 Im Übrigen gelten die Feststellungen der Kammer zum Hauptantrag (und zum Hilfsantrag 2) gleichermaßen für die Hilfsanträge 3 und 4. Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 3 und 4 jeweils nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente D6 und D9 beruht.
7.4 Die Hilfsanträge 3 und 4 waren ursprünglich lediglich für den Fall gestellt worden, dass die im Beschwerdeverfahren neu eingeführte Vorbenutzung zugelassen wird. Erst im Verlauf der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin erklärt, dass die Anträge vorsorglich auch für den Fall gestellt werden, dass die vorrangigen Anträge nicht gewährbar sind. Da die Kammer die Hilfsanträge 3 und 4 aus den vorstehenden Gründen jedenfalls für nicht gewährbar erachtet hat, konnte die Frage ihrer Zulassung in das Beschwerdeverfahren dahinstehen bleiben.
8. Ergebnis
Da weder der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags noch der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 4 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht, war dem Antrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.