T 2433/18 11-02-2022
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Schraubverbindungsvorrichtung zur Verbindung gebördelter Rohrenden zweier Rohre
Ausführbarkeit (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer (nein)
Zurückverweisung (ja)
I. Das europäische Patent Nr. 2 642 172 wurde mit der am 1. August 2018 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung widerrufen. Dagegen wurde von der Patentinhaberin form- und fristgerecht gemäß Artikel 108 EPÜ Beschwerde eingelegt.
II. Folgende Dokumente werden in dieser Entscheidung zitiert:
EP-A (hiermit wird die Veröffentlichung (EP-A1-2 642 172) der ursprünglich eingereichten Fassung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung bezeichnet);
EP-B (hiermit wird das veröffentlichte Streitpatent bezeichnet).
III. Es fand am 11. Februar 2022 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), oder hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hilfsantrags, eingereicht am 11. Dezember 2018 mit der Beschwerdebegründung, aufrechtzuerhalten.
Des Weiteren beantragte sie die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung des Verfahrens zurückzuverweisen.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Des Weiteren beantragte sie mit dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Antrag die Vorlage an die Große Beschwerdekammer.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Schraubverbindungsvorrichtung zur Verbindung gebördelter Rohrenden (8, 17) zweier Rohre (6, 18) umfassend zwei Rohre (6, 18) mit gebördelten Rohrenden (8, 17), eine Schraube (2), eine Schraubenmutter (3) und ein Distanzelement (20), wobei die Schraubenmutter (3) eine vorderseitige Öffnung (4) aufweist, von welcher vorderseitigen Öffnung (4) sich ein vorzugsweise zylindrischer Aufnahmeraum (7) in Richtung einer rückseitigen Öffnung (5) der Schraubenmutter (3) erstreckt, wobei eine aufnahmeraumseitige Oberfläche (11) der Schraubenmutter (3) einen Gewindeabschnitt (10) aufweist, welcher Gewindeabschnitt (10) als Innengewinde (12) ausgebildet und sich ausgehend von der vorderseitigen Öffnung (4) in Richtung der rückseitigen Öffnung (5) abschnittsweise in dem Aufnahmeraum erstreckt, wobei die rückseitige Öffnung (5) in einer rückseitigen Stirnwand (30) der Schraubenmutter (3) angeordnet ist, welche rückseitige Stirnwand (30) eine aufnahmeraumseitige Anschlussfläche (29) aufweist, wobei in der Schraubenmutter (3) in einem vormontierten Zustand das Distanzelement (20) und ein erstes Rohrende (6) mit einem ersten Bördel (9) aufnehmbar ist, wobei sich ein Gewindeprofil des Innengewindes (12) mit der Maßgabe in den Aufnahmeraum (7) erstreckt, dass in dem vormontierten Zustand das Distanzelement (20) zwischen dem ersten Bördel (9) und dem Innengewinde (12) unverlierbar und mit einem vorgegebenen Spiel in dem Aufnahmeraum gehalten wird, wobei in der Schraube (2) ein zweites Rohrende (18) mit einem zweiten Bördel (19) haltbar ist, wobei durch Einschrauben der Schraube (2) in die Schraubenmutter (3) ein montierter Zustand herstellbar ist, wobei der zweite Bördel (19) im montierten Zustand derart mit einer Antriebskraft durch die Schraube (2) beaufschlagt ist, dass der zweite Bördel (19) gegen eine Dichtfläche (zweite Dichtfläche) (25) des Distanzelements (20) und das Distanzelement (20) mit einer weiteren Dichtfläche (ersten Dichtfläche) (24) gegen den ersten Bördel (9) derart gepresst wird, dass eine rückseitige Anlagefläche (28) des ersten Bördels (9) im montierten Zustand gegen die Anschlussfläche (29) der Schraubenmutter (3) gepresst wird, wobei das Distanzelement (20) ein Außengewinde (22) aufweist, das komplementär zu dem Innengewinde (12) der Schraubenmutter (3) ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass das Distanzelement (2) mit der Maßgabe in dem Aufnahmeraum (7) gehalten ist, dass das Distanzelement (2) lediglich in axialer Richtung bzw. Längsrichtung (14) des Aufnahmeraums (7) beweglich ist."
V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) führte aus, dass das Streitpatent die Erfindung hinreichend klar und vollständig offenbare, dass ein Fachmann in der Lage sei, die Erfindung auszuführen.
Tatsächlich verlange das Merkmal 1.12 (d.h. "das Distanzelement (2) mit der Maßgabe in dem Aufnahmeraum (7) gehalten ist, dass das Distanzelement (2) lediglich in axialer Richtung bzw. Längsrichtung (14) des Aufnahmeraums (7) beweglich ist") nicht, dass eine Rotation oder Drehbewegung des Distanzelementes 20 um seine eigene Längsachse 14 nicht möglich oder ausgeschlossen sei.
Merkmal 1.12 (und der Anspruch 1) seien nicht wörtlich auszulegen, da gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern die Ansprüche so auszulegen seien, wie der Fachmann sie verstehen würde (siehe z.B. T 443/11).
Es sei unmöglich eine axiale Beweglichkeit zu gewährleisten, ohne dass das Distanzelement in radialer Richtung etwas Spiel habe.
Folglich erfahre der Fachmann aus Absatz [0008] in Verbindung mit Figur 1 von EP-A, dass das Distanzelement in axialer Richtung einiges an Spiel besitze, während in radialer Richtung so wenig Spiel wie möglich vorgesehen sei. Die Beweglichkeit in Rotationsrichtung sei hiermit jedoch nicht ausgeschlossen.
Bei rotationssymmetrischen Körpern genüge es ein Spiel in axialer oder in radialer Richtung vorzusehen (selbst wenn in radialer Richtung, wie in Absatz [0008] in EP-A offenbart, nur ein minimales oder verschwindend kleines Spiel vorgesehen sei) da sich daraus bereits auch eine Beweglichkeit in Drehrichtung ergebe. Damit könne das Merkmal 1.12 eine Drehbewegung um die eigene Längsachse des Distanzelements nicht ausschließen.
Das Vorsehen einer Verdrehsicherung in dem gewindefreien Abschnitt 13 des Aufnahmeraums sei auch technisch nicht sinnvoll, da aufgrund von Merkmal 1.11 (d.h. "wobei das Distanzelement (20) ein Außengewinde (22) aufweist, das komplementär zu dem Innengewinde (12) der Schraubenmutter (3) ausgebildet ist") und 1.7 (d.h. "wobei sich ein Gewindeprofil des Innengewindes (12) mit der Maßgabe in den Aufnahmeraum (7) erstreckt, dass in dem vormontierten Zustand das Distanzelement (20) zwischen dem ersten Bördel (9) und dem Innengewinde (12) unverlierbar und mit einem vorgegebenen Spiel in dem Aufnahmeraum gehalten wird") zumindest in einem Abschnitt des gewindefreien Aufnahmeraums eine Drehbewegung des Distanzteils möglich sein müsse.
Die von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidungen seien hier nicht einschlägig, da Merkmal 1.12 auch in der Beschreibung der ursprünglichen Anmeldung (EP-A)
offenbart sei (siehe Absatz [0008]).
VI. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) führte aus, dass die Erfindung nicht hinreichend klar und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Die Bestimmung des Gegenstands des Anspruchs eines Patents erfolge zunächst aufgrund des Wortlauts des Anspruchs. Nur für den Fall, dass der Wortlaut des Anspruchs vage, unklar oder uneindeutig sei, könne die Beschreibung zur Auslegung des Anspruchs herangezogen werden.
Die Einspruchsabteilung habe in ihrer Entscheidung zurecht ausgeführt, dass Merkmal 1.12 hinsichtlich des Begriffs "lediglich" eindeutig und daher nicht der Auslegung zugänglich sei. Damit definiere der Ausdruck "lediglich in axialer Richtung" unmissverständlich und unmittelbar, dass eine Bewegung des Distanzelements in andere Richtungen als der axialen Richtung ausgeschlossen sei.
Insbesondere sei eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung kein hinreichender Grund, die eindeutige linguistische Struktur eines Anspruchs zu ignorieren und ihn anders auszulegen (siehe T 431/03) oder einem Anspruchsmerkmal, das als solches dem fachmännischen Leser eine klare technische Lehre vermittle, eine andere Bedeutung zu geben (T 1018/02, T 1395/07). Vor allem bei einer Diskrepanz zwischen den Patentansprüchen und der Beschreibung sei der eindeutige Anspruchswortlaut so auszulegen, wie ihn der Fachmann ohne Zuhilfenahme der Beschreibung verstehen würde (T 2221/10).
Der Fachmann werde zwingend von dem Wort "lediglich" gemäß Merkmal 1.12 sämtliche Freiheitsgrade als betroffen ansehen, da die Freiheitsgrade in axialer Richtung, in radialer Richtung und in Umfangsrichtung in einem direkten Zusammenhang zueinander stünden. Es sei nämlich unmöglich eine axiale Beweglichkeit zu gewährleisten, ohne dass das Distanzelement in radialer Richtung etwas Spiel habe. Somit mache auch die Auslegung der Patentinhaberin, wonach bei Merkmal 1.12 lediglich die radiale und die axiale Richtung gemeint sei, nicht jedoch die Rotationsrichtung, aus technischer Sicht wenig Sinn.
Aus der gesamten Streitpatentschrift (EP-B) ergäben sich keine Hinweise oder Offenbarungen, wie es zu bewerkstelligen sei, dass das Distanzelement in dem gewindefreien Abschnitt des Aufnahmeraums lediglich in axialer Richtung beweglich sei und damit auch keine Rotationsbewegung um die eigene Längsachse ausführen könne. Dies könne möglicherweise z.B. durch eine Verdrehsicherung erreicht werden (wie in der angefochtenen Entscheidung dargelegt sei), jedoch sei in EP-B nicht klar und vollständig offenbart (auch in Verbindung mit dem Fachwissen), wie durch solche oder äquivalente Mittel Merkmal 1.12 auszuführen sei.
Im Hinblick auf die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und um Divergenzen in der Rechtsprechung zu vermeiden, sei es im vorliegenden Fall wesentlich folgende Fragen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen:
I. Ist beim Anspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ für die Bejahung der Ausführbarkeit der Erfindung ausschließlich auf den Offenbarungsgehalt des Streitpatents, also Ansprüche, Beschreibung und Zeichnungen abzustellen ?
II. Falls die Frage I zu bejahen ist, kann ein Widerspruch der sich aus dem Wortlaut der Ansprüche und der Auslegung der Erfindung, wie sie durch den Offenbarungsgehalt des Streitpatents, also unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen, ermittelt wird, ergibt, dahingehend gelöst werden, dass das Merkmal eines Anspruchs gegen seinen Wortlaut ausgelegt wird?
III. Falls die Frage II zu bejahen ist, ist es unten diesen Voraussetzungen möglich, im Einspruchsverfahren das Patent auf die Voraussetzungen des Artikels 84 zu prüfen, wenn nicht eine Änderung der Ansprüche, sondern eine Auslegung der Ansprüche zu einem anderen Verständnis der Lehre des Streitpatents führt.
IV. Falls die Frage III zu verneinen ist, ist es unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit für die Allgemeinheit hinnehmbar, das sogenannte Primat der Ansprüche durch eine Auslegung der Lehre des Streitpatents in einem Rechtsbestandverfahren aufzuweichen?
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die im erteilten Anspruch 1 definierte Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Artikel 100 b) EPÜ.
Gemäß Artikel 100 b) EPÜ ist die Erfindung im europäischen Patent so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Damit ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut von Artikel 100 b) EPÜ, dass zur Beurteilung der Frage der Ausführbarkeit des Erfindungsgegenstands das (gesamte) Streitpatent (EP-B) heranzuziehen ist, d.h. die Ansprüche, die Beschreibung und die Zeichnungen.
Im vorliegenden Fall würde der Fachmann einzig und allein auf der Grundlage des Gegenstands des Anspruchs 1 hinsichtlich der Auslegung des strittigen Merkmals 1.12 zu demselben Ergebnis gelangen, das auch aus der separaten Betrachtung der Offenbarung der Erfindung gemäß der Beschreibung von EP-B resultieren würde.
Insbesondere entnimmt der Fachmann aus dem Anspruch 1, dass "in der Schraubenmutter (3) in einem vormontierten Zustand das Distanzelement (20) und ein erstes Rohrende (6) mit einem ersten Bördel (9) aufnehmbar ist" (als Merkmal 1.6 bezeichnet) und dass "in dem vormontierten Zustand das Distanzelement (20) zwischen dem ersten Bördel (9) und dem Innengewinde (12) unverlierbar und mit einem vorgegebenen Spiel in dem Aufnahmeraum gehalten wird" (siehe vorangehend definiertes Merkmal 1.7).
Daraus ergibt sich notwendig, weil "das Distanzelement (20) ein Außengewinde (22) aufweist, das komplementär zu dem Innengewinde (12) der Schraubenmutter (3) ausgebildet ist" (siehe vorangehend definiertes Merkmal 1.11), dass das Distanzelement solange im Aufnahmeraum der Schraubenmutter gedreht wird, bis es den besagten vormontierten Zustand erreicht (in dem das Distanzelement in dem zwischen dem als Innengewinde 12 ausgebildeten Gewindeabschnitt 10 des Aufnahmeraums 7 und dem am ersten Rohrende 6 angeordneten Bördel 9 definierten "Raum" gehalten wird). Folglich ist für den Fachmann auch klar, dass bei fortschreitender Drehung das Distanzelement immer weiter in den besagten "Raum" drehend eindringt und somit in zumindest einem Teil dieses "Raums" (dessen axiale Länge in etwa der axialen Länge des Distanzelements entspricht) und des Aufnahmeraums 7 um die eigene Längsachse drehbar sein muss.
Zusätzlich, wie von beiden Parteien zugestanden wurde, würde der Fachmann erkennen, dass um eine Beweglichkeit in axialer Richtung (gemäß Merkmal 1.12) zu erzielen, notwendig auch ein minimales oder vernachlässigbar kleines Spiel in radialer Richtung in dem Aufnahmeraum 7 gegeben sein muss. Dies wird durch Merkmal 1.7 bestätigt, wonach das Distanzelement "mit einem vorgegebenen Spiel in dem Aufnahmeraum (7) gehalten wird".
Insgesamt würde also der Fachmann aus dem Gegenstand des Anspruchs 1 entnehmen, dass das Distanzelement im genannten vormontierten Zustand im besagten "Raum" (im Aufnahmeraum 7) zumindest auf einer axialen Länge, die in etwa der eigenen axialen Länge entspricht, um die eigene Längsachse drehbar ist, und zusätzlich auf der gesamten axialen Länge des besagten durch den vormontierten Zustand definierten "Raums" über ein geringfügiges, minimales radiales Spiel verfügt, was grundsätzlich ebenfalls eine Drehbeweglichkeit um die eigene Längsachse ermöglicht. Selbstverständlich ist auch noch auf der axialen Länge des Gewindeabschnitts 10 (der Schraubenmutter 3) das Distanzelement im Aufnahmeraum 7 drehbar.
Damit würde der Fachmann keinen Grund zur Annahme haben, dass der Wortlaut "lediglich in axialer Richtung ... beweglich" (siehe Merkmal 1.12) eine Drehbeweglichkeit um die Längsachse ausschließt, weil es den oben geschilderten Fakten widersprechen würde und weil es auch im technischen Zusammenhang des Anspruchs 1 keinen plausiblen Grund dafür geben würde (z.B. um eine Verdrehsicherung vorzusehen). Der Fachmann würde deswegen in plausibler Weise zu dem Schluss gelangen, dass dieser Wortlaut somit eine substantielle Beweglichkeit nur in axialer Richtung impliziert, während in radialer Richtung nur ein minimales und so geringfügiges Spiel vorhanden ist, um die Drehbeweglichkeit um die Längsachse damit zu gewährleisten.
Der Fachmann würde in Kenntnis der Erfindung, wie sie sich aus der Offenbarung gemäß der Beschreibung und den Figuren von EP-B ergibt, aus den folgenden Gründen zu denselben obigen Schlussfolgerungen gelangen.
Zunächst ist festzuhalten, dass auch in der Beschreibung das Merkmal 1.12 wortwörtlich enthalten (siehe EP-B, Absatz [0005]) ist, und dass auch Merkmal 1.11 (siehe EP-B, Absatz [0023]), Merkmal 1.7 (siehe EP-B, Absatz [0023]) und Merkmal 1.6 (siehe EP-B, Absatz [0023]) in entsprechender inhaltsgemäß äquivalenter Weise in der Beschreibung enthalten sind.
Folglich würde der Fachmann auch aus der Beschreibung (genauso wie aus dem Gegenstand des Anspruchs 1) ableiten, dass der Wortlaut "lediglich in axialer Richtung ..beweglich" (EP-B, Absatz [0005]) eine Drehbeweglichkeit des Distanzelements um die axiale Richtung ermöglicht, und lediglich eine Beweglichkeit in radialer Richtung ausschließt.
Dies ist im Einklang mit der weiteren Offenbarung in Absatz [0009] (EP-B) der Beschreibung, welche klarstellt, dass das Distanzelement bevorzugt "in radialer Richtung spielfrei in dem Aufnahmeraum geführt" ist.
Damit muss aber auch eine Drehbeweglichkeit um die Längsachse gegeben sein, wie der Fachmann klar erkennen würde. Denn auch aus der Beschreibung (wie aus Anspruch 1; siehe obige Diskussion) resultiert eindeutig (Absatz [0023]), dass im vormontierten Zustand (im gewindefreien Abschnitt 13) das Distanzelement zumindest in einem Teilabschnitt (welcher in etwa die Länge des Distanzelements aufweist) des gewindefreien Abschnitts eine Drehbeweglichkeit aufweisen muss (siehe EP-B, z.B. Absatz [0023]: "das Distanzelement 20 wird solange in den Aufnahmeraum 7 der Schraubenmutter 3 gedreht, bis das Außengewinde 22 des Distanzelement 20 nicht mehr mit dem Innengewinde 12 der Schraubenmutter 3 kämmt") und im gesamten gewindefreien Abschnitt 13 ein minimales radiales Spiel besitzt. Explizit offenbart auch die Beschreibung, "das Distanzelement ist dann mit Spiel bzw. beweglich in dem gewindefreien Abschnitt 13 des Aufnahmeraums aufgenommen" (EP-B, Absatz [0023]).
Der Fachmann würde somit auch aus der Beschreibung von EP-B heraus zu dem Schluss gelangen (aus denselben Gründen wie bei einer separaten, vom Anspruch 1 ausgehenden Betrachtung), dass das Distanzelement im vormontierten Zustand im gesamten gewindefreien Abschnitt 13 um die Längsachse drehbar sein muss, weil diese Schlussfolgerung sich in einfacher, natürlicher und plausibler Weise ergibt, mit den weiteren offenbarten technischen Merkmalen konsistent ist und zu keinem Widerspruch führt (und auch keiner weiteren und unnötigen Annahmen bedarf, wie z.B. das Vorhandensein einer Verdrehsicherung). Der Fachmann würde also das Merkmal "lediglich in axialer Richtung ..beweglich" (EP-B, [0005]) so verstehen, dass keine weiteren Translationsfreiheitsgrade (z.B. in radialer Richtung) des Distanzelements vorhanden sind, wobei jedoch ein minimales Spiel in radialer Richtung notwendig gegeben sein muss.
3. Es ergibt sich aus den genannten Gründen für die Bejahung der Ausführbarkeit der Erfindung, dass im vorliegenden Fall die Sachlage eine andere ist, als diejenige die sich aus den von der Beschwerdegegnerin zitierten Entscheidungen (siehe oben, Punkt VI) ergibt. Insbesondere ist im Unterschied zu diesen zitierten Entscheidungen im vorliegenden Fall die Sachlage derart (siehe obige Diskussion), dass der Fachmann aus der separaten Betrachtung des Anspruchs 1, einerseits, und der Beschreibung, andererseits, zu demselben Verständnis der Erfindung gelangt. Somit ist eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung nicht vorhanden und die Entscheidung der Kammer ignoriert eben nicht die linguistische Struktur des Anspruchs (T431/01) und weist Anspruchsmerkmalen eine andere Bedeutung zu (T1018/02 und T1395/07). Vor allem gibt es nach Auffassung der Kammer keine Diskrepanz zwischen den Patentansprüchen und der Beschreibung (T2221/10), so dass der eindeutige Anspruchswortlaut so ausgelegt werden kann, wie ihn der Fachmann ohne Zuhilfenahme der Beschreibung auch versteht.
Beides, Ansprüche und Beschreibung beschreiben konsistent, widerspruchsfrei und für den Fachmann vollständig den Erfindungsgegenstand.
4. Folglich, da keine Divergenzen zwischen der vorliegenden Entscheidung und der von der Beschwerdeführerin zitierten Rechtsprechung bestehen, wird dem Antrag der Beschwerdegegnerin auf Vorlage der gestellten Fragen an die Große Beschwerdekammer nicht stattgegeben (Artikel 112 EPÜ).
Des weiteren stellt die Kammer fest, dass auch die mit dem Antrag auf Vorlage gestellten Fragen vorliegend keiner grundsätzlichen Beantwortung durch die Große Beschwerdekammer bedürfen. Die Antwort auf die erste Frage ("Ist beim Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ für die Bejahung der Ausführbarkeit der Erfindung ausschließlich auf den Offenbarungsgehalt des Streitpatents, also Ansprüche, Beschreibung und Zeichnungen, abzustellen?") ergibt sich zweifelsfrei aus dem Gesetz, siehe oben zu Punkt 2.
Der der Frage II unterstellte Sachverhalt, nämlich ob bei einem Widerspruch, der sich aus dem Wortlaut der Ansprüche und der Auslegung der Erfindung, wie sie durch den Offenbarungsgehalt des Streitpatents, also unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen, ermittelt wird, ergibt, dieser Widerspruch dahingehend gelöst werden kann, dass das Merkmal eines Anspruchs gegen seinen Wortlaut ausgelegt wird oder nicht, trifft im vorliegenden Fall gar nicht zu, da es keinen Widerspruch zwischen der Beschreibung und dem Wortlaut des Anspruchs gibt, siehe oben, Punkte 2. und 3.
Damit aber sind auch die Fragen III und IV bedeutungslos.
5. Die Beschwerdekammer hat entschieden, die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückzuverweisen (Artikel 111 EPÜ), da die Fragen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit in der angefochtenen Entscheidung nicht behandelt wurden und auch im schriftlichen Teil des Beschwerdeverfahrens sich die Diskussion hauptsächlich auf die Frage der Ausführbarkeit konzentriert hat.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur
Fortsetzung des Verfahrens zurückverwiesen.
3. Dem Antrag, die von der Beschwerdegegnerin in der
mündlichen Verhandlung vorgelegten Fragen der Großen
Beschwerdekammer vorzulegen, wird nicht stattgegeben.